Einführung
I. - Die reellen Zahlen sind der Stoff, aus dem die Mathematik ist. Dementsprechend auch steht eine Begründung dieser Zahlen am Anfang jeder systematischen Entwicklung von Mathematik. Es gibt prinzipiell zwei Möglichkeiten, an diese Zahlen heranzuführen. Die eine Möglichkeit besteht aus dem konstruktiven Aufbau dieser Zahlen, so wie er in der Schul-mathematik insbesondere auch gepflegt wird, die andere in dem axiomatischen Vorgehen, so wie es einleitend zu allen Analysis-Lehrbüchern praktiziert wird. Im konstruktiven Aufbau der Schulmathematik kommt es zu einer ständigen Erweiterung von Zahlbereichen unter dem Gesichtspunkt, alles an Grundrechnungsarten wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division auch unbeschränkt ausführen zu können. Man fängt in diesem konstruktiven Aufbau mit den natürlichen Zahlen an, erweitert diese Zahlen zunächst zum Integritätsring der ganzen Zahlen, baut diesen Integritätsring weiter zum Körper der rationalen Zahlen aus, und schließt schließlich diesen Körper mit dem bzw. in dem Körper der reellen Zahlen ab.
Dieses konstruktive Verfahren ist allerdings nur in seinen beiden ersten Schritten auch konstruktiv, und d.h. es gibt eine Konstruktionsvorschrift, die uns von den Elementen der nicht-erweiterten Ausgangsmenge zu den Elementen der Erweiterungsmenge führt. Beim Übergang von der Menge der natürlichen Zahlen zur Menge der ganzen Zahlen sieht das – formal – so aus, daß die Menge der natürlichen Zahlen dadurch „verdoppelt“ wird, daß jede natürliche Zahl in der Menge der ganzen Zahlen zusätzlich auch noch mit einem Minuszeichen geführt wird. Dieses Minuszeichen kann allerdings nicht einfach mit dem Subtraktionszeichen verwechselt werden, so wie es der Subtraktion natürlicher Zahlen bzw. ganzer Zahlen zugrunde liegt. Formal leitet sich dieses Minuszeichen aus der Addition einer negativen Zahl zu einer anderen – beliebigen – reellen Zahl ab: . Letztlich ist dieses Minuszeichen aber von derselben – verdeckten – operativen mathematischen Qualität wie das Subtraktionszeichen auch. Im praktischen – operativen – Umgang mit Zahlen wird diesbezüglich im allgemeinen auch – materiell – nicht unterscheiden. Nur ausnahmsweise wird man auf Publikationen treffen (können), in denen das – operative – Minuszeichen etwas breiter ausfällt als das statische – Zeichen für das Negative einer Zahl. Es besteht einfach keine – mathematische – Notwendigkeit, das eine gegenüber dem anderen abzuheben. Das Negative einer Zahl leitet sich – im Ergebnis – indirekt aus der Verknüpfung Subtraktion ab und umgekehrt: Das Axiom von der Existenz des Negativen gibt Anlaß dazu, daraus – praktisch – eine eigene Verknüpfung abzuleiten.
Mit der – formalen – Definition von „Zahlen“ ist es schließlich auch nicht getan. Zahlen bzw. Zahlenmengen werden zu solchen erst durch die mathematischen Verknüpfungen, die sich auf so einer Menge definieren lassen, und bei Zahlenmengen gehören zu diesen Verknüpfungen immer Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division. Schließlich sind alle diese Erweiterungen im konstruktiven Aufbau der reellen Zahlen dazu gedacht, diese zunächst nur eingeschränkt ausführbaren Operationen sukzessive – bezogen auf die einzelne Erweiterungsmenge – ausführbar werden zu lassen. Dieses Ziel ist dann schließlich auch mit der Menge der reellen Zahl erreicht, in der alle diese Operationen auch unbeschränkt ausgeführt werden können. Ausführbar ist eine Verknüpfung auf einer Menge definitionsgemäß dann, wenn das Ergebnis so einer Operation seinen Ausdruck auch in einem ganz bestimmten Element dieser Menge findet. Wo so ein Element – nicht immer – auch zur Verfügung steht, ist eine bestimmte Verknüpfung auf einer Menge auch nicht allgemein ausführbar.
Will man diesem Mangel abhelfen, dann ist nach einer Menge zu suchen, die für alle diese Fälle auch mit so einem Element dienen kann. Natürlich können diese Elemente nicht einfach nur willkürlich festgesetzt werden. Bei unendlichen Mengen – und um solche handelt es sich bei allen Zahlbereichen, die Gegenstand des konstruktiven Aufbaues der reellen Zahlen sind – bliebe eine willkürliche Festsetzung notwendig immer auch Stückwerk. Zahlen werden schließlich zu solchen erst durch die Verknüpfungen, die auf einer Zahlenmenge definiert sind. Umgekehrt ist – wie betont – aber auch zu sagen, daß Verknüpfungen nur durch die Zahlen, zwischen denen sie definiert sind, zu Verknüpfungen werden können. Will man solche Verknüpfungen nicht einfach nur willkürlich festsetzen – was bei unendlichen Mengen, wie gesagt, ohnehin nur eingeschränkt möglich wäre – so muß es eine Vorschrift geben, die uns sagt, wie verknüpft werden muß, und wenn das Ergebnis auch nur von dem Material abhängen kann, mit dem gearbeitet wird, so kann uns das auch nur von diesem Material gesagt werden.
Verknüpfungen lassen sich abstrakt nur veranschaulichen, nicht aber auch konkret ausführen. Zur Ausführung bedarf es immer eines konkreten (Zahlen-)materials. Wie aber hat so ein Material auszusehen, damit sich ihm entnehmen läßt, wie damit umzugehen ist? Zu verstehen gegeben ist uns dabei, wie die Zahl auszusehen hat, die die beiden in der betreffenden Operation miteinander verknüpften Zahlen zum Ergebnis hat. Wenn diese Verknüpfung in der betreffenden Menge mit den ausgewählten Elementen auch ausführbar sein soll – und davon gehen wir im Augenblick aus – dann darf für das Ergebnis dieser Verknüpfung auch nur ein ganz bestimmtes Element dieser Menge in Frage kommen. Jede solche Verknüpfung muß insoweit schon auch eindeutig bestimmt sein, genauso wie wir das auch bei Funktionen haben. Es geht bei der Feststellung dieses Ergebnisses also darum, auch das richtige Element auszuwählen. Welches dieses Element ist, das ist – wie gesagt – dem Zahlenmaterial zu entnehmen, mit dem gearbeitet werden soll. Natürlich hängt dieses Ergebnis auch von der besonderen Natur einer Verknüpfung ab. Es kann auf einer Zahlenmenge auch auf die verschiedenste Weise mit Zahlen umgegangen werden. Es kann darauf insbesondere addiert, subtrahiert, multipliziert und dividiert werden.
Mathematische Verknüpfungen sind allgemein definiert, auch wenn sie sich nur konkret ausführen lassen. Es gibt nicht die Verknüpfung, die nur für ausgewählte geordnete Paare einer Menge gelten könnte. Bei unendlichen Mengen zumal können sich solche Verknüpfungen nur auf ein festes Regelwerk stützen, und so ein Regelwerk kann dann auch nur allgemein formuliert sein. Man kann so etwas nicht auf einzelne konkrete Zahlen abstellen wollen. Allgemein formuliert werden kann so ein Regelwerk aber auch nur, wenn es allgemeine Regeln für die Darstellung dessen gibt, was so einem Regelwerk unterzogen sein soll, und d.h., wenn es allgemeine Regeln für die Darstellung von Zahlen bzw. für die Darstellung dessen, was Zahlen darstellen sollen, gibt. Bei unendlichen Mengen, wie sie bereits die Menge der natürlichen Zahlen, von der der konstruktive Aufbau der reellen Zahlen seinen Ausgang nimmt, darstellt, läßt sich so etwas ohnehin wieder nicht vermeiden. Wie können also allgemeine Regeln aussehen, die uns eine unendliche Zahlenmenge darstellen helfen?
Eine unendliche Menge wie die Menge der natürlichen Zahlen läßt sich jedenfalls nicht in der Weise darstellen, daß jedes Element dieser Menge durch ein eigenes, einfaches und einziges Zeichen dargestellt würde. Man kann eine unendliche Menge nicht so dargestellt haben wollen, daß für jedes Element dieser Menge ein eigenes Zeichen reserviert würde. Für so etwas ließen sich auch keinerlei Regeln finden. Wie sollten solche Regeln auch aussehen?
Es geht uns – wie gesagt – um die Darstellung einer unendlichen Menge. Eine solche Darstellung wäre auch schon geleistet, wenn die Zeichen, die dabei Verwendung finden, nur sich selbst, nicht aber auch anderes darstellen sollen. Bei Zahldarstellung ist es bekanntlich Aufgabe der verwendeten Zeichen, anderes als sich selbst zur Darstellung zu bringen. Es interessiert nicht, wie diese Zeichen aussehen. Diese Zeichen sind – prinzipiell – alle austauschbar. Zahlzeichen kann jedes beliebige Zeichen sein. Man muß also den Zeichen – nur – ansehen können, welche natürliche Zahl damit im einzelnen bezeichnet sein soll. Das ist aber reine Konvention. Das muß einfach – einmal – festgelegt (worden) sein, wobei man dabei – wie gesagt – alle Freiheiten genießt bzw. genossen hat. Daß die allgemein gebräuchlichen Zahlzeichen so aussehen wie sie aussehen, ist irgendwo purer Zufall, es ist dies jedenfalls von keinerlei mathematischen Interesse: Es ist dies nicht einmal von mathematik-historischem Interesse, und aus diesem Grunde auch nicht der Rede wert. Es ist darüber allenfalls auch nur aus sprachhistorischem Interesse zu lesen. Allgemein interessiert Sprachzeichen-Historie wenig. Es ist dies einfach auch sprachphilosophisch nicht ergiebig. Das hat alles ehr auch nur mit Zufälligkeiten sowie praktischen, nämlich schreibtechnischen Gründen zu tun. Tiefgründig ist das alles nicht. Es ist damit einfach nur einer praktischen Notwendigkeit Rechnung getragen.
Fest steht jedenfalls, daß auf eine Darstellung von Zahlen auch dann nicht verzichtet werden kann, wenn wir uns mit Zahlen nur in Gedanken beschäftigen. Man kann Zahlen auch in Gedanken verknüpfen, und dann werden wir uns derselben Darstellung von Zahlen bedienen, deren wir uns bedienen würden, wenn wir diese Verknüpfungen schriftlich ausführen wollten.
Man kann mit Zahlen also nur in dargestellter Form umgehen. Man kann an Zahlen nicht denken, ohne uns diese Zahlen nicht in einer bestimmten Darstellung zu denken. Um so auffallender ist, daß der Frage der Darstellung von Zahlen in der Mathematik aber auch in der Philosophie so gut wie keine Beachtung geschenkt wird. Philosophen mögen vielleicht meinen, das wäre eine mathematische Frage, und Mathematiker mögen sich denken, das wäre eine rein technische Angelegenheit. In dem einen wie in dem anderen Fall ist die Konsequenz die, daß man sich mit dieser Frage nicht beschäftigt, weil man sich dafür entweder nicht zuständig weiß, oder weil man sie einfach nicht für notwendig hält.
Besteht diese Abstinenz in Fragen von Zahldarstellung aber zu Recht? Kann es sein, daß es sich bei dieser Frage der Zahldarstellung nicht eigentlich nur um eine Frage der Darstellung von Zahlen, sondern auch um eine Frage der Produktion von Zahlen handelt? Wenn es so sein sollte, daß die Frage der Realität von Zahlen auch eine Frage der Darstellung von Zahlen ist, dann kann man sich durch eine Abstinenz in Darstellungsfragen nicht nur den Zugang zu dem Phänomen Zahl, sondern auch zur Realität Zahl versperren. Die Folgen wären für die Philosophie genauso wie für die Mathematik gleichermaßen nachteilige. Die Mathematik könnte sich von diesen Fragen dann ebenso wenig unberührt zeigen wie die Philosophie. Wenn Darstellungsfragen für das, was dadurch dargestellt ist, konstitutiv sind, dann kann man in der Behandlung des Dargestellten nicht von dessen Darstellung absehen. Die Behandlung des Dargestellten besteht dann vielmehr – primär – in der Behandlung von dessen Darstellung. Nur über diese Darstellung könnte sich uns dann auch ein Zugang zu dem dadurch Dargestellten eröffnen.
II. - Die in Philosophie und Mathematik in gleicher Weise vertretene Position ist die, daß Darstellung etwas den Zahlen nur ganz äußerlich Anhaftendes ist. Es wird jedenfalls von keiner Seite ein innerer Bezug von Zahldarstellung und Zahl veranschlagt. In diesem Sinne ist Mathematik natürlich nur ganz formal, und Philosophie der Mathematik, ist – wenn sie sich diese Mathematik zum Vorbild bzw. Gegenstand nimmt – dies dann natürlich auch. Eine Philosophie der Mathematik kann nicht konkreter bzw. konstruktiver sein als diese Mathematik selbst. Es kann aber auch nicht Aufgabe von Philosophie sein, eine andere Mathematik zu entwickeln, als sie sich in überaus erfolgreicher Weise – wenn man an die Verbindung der Mathematik mit den experimentellen Wissenschaften denkt – über die Zeit hinweg selbst entwickelt hat, und auch unabhängig von philosophischen Überlegungen entwickelt hat.
Es könnte auch niemand auf die Idee kommen, den experimentellen Wissenschaften eine andere Gestalt geben zu wollen, als sie sich diese Wissenschaften in natürlicher Weise selbst gegeben haben. Fest steht jedenfalls, daß diese Wissenschaften der Erklärung von Natur dienen, und sich diese Natur in ihrer Natur menschlichem Zugriff entzieht. In ihrer Natur bleibt sich Natur immer gleich.[1] Das ist im übrigen auch Voraussetzung dafür, daß es so etwas wie Naturwissenschaften geben kann. Eine andere Natur als wir sie in der gegebenen Natur vorfinden, würde notwendig auch andere experimentelle Wissenschaften nach sich ziehen. Natürlich könnte man sich in der Natur manches anders vorstellen, als wir es dort tatsächlich vorfinden. Ob das in der – natürlichen – Verkettung aller – natürlichen – Gegebenheiten dann aber auch funktionieren würde, isst eine andere Frage. die Natur von Natur, das ist der Verhaltenskodex alles natürlich Gegebenen, will heißen sinnlich Erfahrbaren. Als Synonym für Übernatürliches gilt gemeinhin Übersinnliches. Sinnliches ist immer auch materiell Gegebenes in einem weiteren Sinne des Adjektives materiell.
Diese Verbindung von Sinnlichem mit Materiellem bleibt prinzipiell auch in den Erklärungsmustern der experimentellen Wissenschaften gewahrt, auch wenn sich diese Muster auf materielle Welt hinter der – unmittelbar – sinnlich erfahrbaren Welt beziehen. Es ist nichtsdestoweniger auch diese eine Welt, die – prinzipiell – auch den Sinnen zugänglich ist, und mitunter – so jedenfalls glaubt man manchen experimentellen Befund deuten zu können – gelingt es auch, sie den Sinnen zugänglich zu machen.
Die Natur ist ihrer ganzen Verfassung, und d.h. ihrer ganzen Natur nach nicht notwendig so, wie sie ist; nachdem sie ist, so wie sie ist, ist sie in allem aber auch notwendig so. Andernfalls könnte Natur auch nicht sein. Es ist dies einfach eine Frage der Identität, und damit auch der Existenz von Natur. Man muß nicht wissen, welches die Natur von Natur ist; man muß nur voraussetzen können, daß es diese Natur von Natur in einer unverwechselbaren und auch unveränderlichen Weise gibt. Zur Notwendigkeit gegebener – kontingenter – Natur gehört auch, daß sich Natur in ihrer Natur nicht verändern kann. Es kann dann nicht sein, daß sich Natur eine andere Natur zu geben vermöchte. Durch ihre Natur und in ihrer Natur ist Natur dann einfach determiniert. Mit einer sich möglicherweise ständig verändernden Natur von Natur rechnen zu müssen, auch das würde Naturwissenschaften unmöglich machen. Diese Wissenschaften stünden dann in allem, was diese uns glauben sagen zu können, unter einem weit schwerwiegenderen Vorbehalt stehen als sie aufgrund des hypothetischen Charakters jeder naturwissenschaftlichen Theorie und Hypothese ohnehin immer auch schon stehen. Wenn man allein deswegen schon nicht mehr sagen kann, ob das, was man gerade glaubt festgestellt zu haben, noch gültig ist, weil sich Natur inzwischen möglicherweise auch schon verändert haben könnte, dann wird jede naturwissenschaftliche Aussage – von Natur aus gewissermaßen – obsolet.
Der hypothetische Charakter naturwissenschaftlicher Theorie und Erkenntnis ist eine einfache Folge der Zeitbezogenheit und Zeitabhängigkeit aller natürlichen Prozesse. Naturwissen- schaftliche Erkenntnisse haben allesamt mit Dingen zu tun, die in der Zeit „spielen“. Soweit von diesen Erkenntnissen Prozesse beschrieben sein sollen bzw. wollen, die sich erst noch abspielen, hat jede naturwissenschaftliche „Erkenntnis“ notwendig den Charakter einer Prognose. Es kann kein (Vorher-)wissen in Dingen geben, die dem Ablauf der Zeit unterliegen. Über Zukünftiges könnte man sicher nur dann wissen, wenn es auch gelingt, Zukünftiges zu Gegenwärtigem werden zu lassen. Das wäre die notwendige Konsequenz, die sich aus einem sicheren Vorherwissen ergeben müßte. Die Konsequenz wäre einfach die, daß der Zeitablauf überwunden, und d.h. aufgehoben wäre. Das, was sein wird, ist dann eben schon, bzw. – mehr noch – ist immer schon gewesen. Ein Vorherwissen aufgrund naturgesetzlicher Notwendigkeiten kann es nicht geben. Selbst wenn es so sein sollte, daß bestimmte Prozesse mit zwingender Notwendigkeit ablaufen müssen – eine Annahme, die in dieser absoluten Form so niemals getroffen werden kann – es wären diese Prozesse damit nicht schon auch abgelaufen, und damit bliebe notwendig auch die Unsicherheit, ob sie denn tatsächlich auch so ablaufen.
Es bliebe der Zeit vorbehalten zu zeigen, daß dem auch tatsächlich so ist. Wissen sollte sich schließlich auch verifizieren lassen, und verifiziert werden kann es nur durch den Ablauf der Ereignisse selbst, und d.h. es kann nur durch den Ablauf der Zeit verifiziert werden. Ansonsten könnten jederzeit Bedenken angemeldet werden, ob der Ablauf der Ereignisse tatsächlich auch der prognostizierte ist. Schließlich könnte es auch sein, daß sich Natur in ihrer Natur im Ablauf der Zeit ändert. Alle unsere naturgesetzlichen Vorgaben würden damit – wie gesagt – sofort Makulatur. Natur wäre dazu nicht von sich aus in der Lage. Das wäre einfach nur unnatürlich. Eine Veränderung der Natur von Natur bedürfte – schon – eines übernatürlichen Eingriffes. Was aber wäre darunter zu verstehen? Wie könnte so etwas gedacht werden, und wie ließe sich so etwas gegebenenfalls auch feststellen? Was also ist Natur, und was ist bzw. wäre Übernatur?
Fest steht, daß die Naturwissenschaften auf ihrem Weg durch die Zeit immer wieder auf Neues, bislang Unbekanntes, natürlicherweise zunächst Unerklärtes und vorerst auch nicht Erklärbares stoßen. Die Prämisse, von der diese Wissenschaften gleichwohl immer auch ausgehen, besteht darin, daß es für alles in der Natur Geschehende immer auch eine – natürliche – Erklärung gibt. Die Vorstellung eines außerordentlichen und insoweit – und auch nur insoweit – übernatürlichen Eingriffes ist den experimentellen Wissenschaften fremd. Die Natur vollzieht immer nur das, wozu sie von Natur aus angehalten ist.
Sicher prognostiziert werden könnte – unabhängig von der notwendig immer mehr oder weniger verschobenen zeitlichen Realisierung so einer Prognose – das Verhalten von Natur nur dann, wenn wir diese Natur über unser partikuläres Interesse am Einzelereignis hinaus in ihrem allumfassenden Gesamtzusammenhang zu rekonstruieren vermöchten. Das wäre eine nicht nur notwendige sondern auch zureichende Voraussetzung dafür, zuverlässige Prognosen darüber treffen zu können, was in Natur, mit Natur und durch Natur sein wird. Dieses umfassende Wissen ist uns – natürlich – verwehrt. Es würde dieses Wissen eine vollständige (Er-)kenntnis der Geschichte der Natur voraussetzen, einschließlich des Anfanges bzw. Ursprunges dieser Natur. Dieses Wissen dürfte allerdings nicht einfach nur deskriptiver, auflistender Art sein. Wissen dieser Art ist ein historisch-chronologisches Wissen, das nichts erklärt. Das ist mit jeder Form von Geschichtswissen so. Was interessiert, das ist die Geschichte hinter der Geschichte. Aber selbst dann noch ist es so, daß das Wissen um die Geschichte von Natur wenig mit dem naturwissenschaftliches Wissen, so wie es in den einzelnen experimentellen Wissenschaften entwickelt bzw. rekonstruiert wird, zu tun hat. Diese experimentellen Wissenschaften sind so gesehen geschichtslose Wissenschaften. Es gibt neben der Menschheitsgeschichte auch eine Naturgeschichte. Die experimentellen Wissenschaften interessieren sich dafür nicht, obwohl sie daraus schon auch für sich lernen könnten.
Auch die Analyse von Natur kann immer nur an der konkreten Situation, in der sich das zu Analysierende befindet, ansetzen. Es gibt Natur nicht abstrakt, sondern immer nur ganz konkret als – letztlich – Teil auch der einen Geschichte Natur. Natur läßt sich nun einmal nicht abstrakt und nicht formal, sondern nur im konkreten und realen Vollzug analysieren. In der naturwissenschaftlichen Analyse wird von dieser Geschichte allerdings in einem größtmöglichen Umfang abstrahiert. Zur Berücksichtigung kommt dabei lediglich das engere, augenblickliche Umfeld. Das naturwissenschaftliche Experiment läuft in diesem Sinne gewissermaßen „außer Konkurrenz“. Deswegen bleibt jede naturwissenschaftliche Erkenntnis notwendig auch Konstruktion und Abstraktion.
III. - In der Mathematik finden wir diesbezüglich andere Verhältnisse vor. Mit den Naturwissenschaften gemein hat die Mathematik den unveränderlichen, fest vorgegebenen Stoff. Dieser Stoff der Mathematik besteht – wie gesagt – aus den reellen Zahlen. Dieser Stoff steht ebensowenig zur Disposition der Mathematik wie Natur der freien Verfügung der Naturwissenschaften anheim gestellt sein könnte. Die experimentellen Wissenschaften können sich genauso nur im Rahmen dessen bewegen, was Natur zuläßt, wie von der Mathematik auch nur aufgedeckt werden kann, was die reellen Zahlen schon immer ausmacht. So gesehen ist die Mathematik eine nicht weniger positive Wissenschaft als die experimentellen Wissenschaften auch. Die reellen Zahlen sind der Mathematik genauso vorgegeben bzw. aufgegeben wie auch Natur den experimentellen Wissenschaften vorgegeben und aufgegeben ist.
In diesem Sinne auch gibt es und kann es nur eine Mathematik geben, wie es auch nur eine Ausgabe von experimentellen Wissenschaften geben kann. Eine Vorstellung wie die, man könne von verschiedenen Modellen von natürlichen und mithin auch reellen Zahlen ausgehen – eine Vorstellung, die der Philosophie der Mathematik aber auch der Mathematik selbst nicht fremd ist – ist keine zulässige Vorstellung.[2] Darüber kann auch nicht die Tatsache hinwegtäuschen, daß der Schritt von den rationalen zu den reellen Zahlen innerhalb des konstruktiven Aufbaues dieser reellen Zahlen nicht eigentlich ein konstruktiver Schritt in der engeren Bedeutung dieses Adjektivs konstruktiv ist. Es gibt – wie sich zeigen wird – keine Konstruktionsvorschrift, die alle diese reellen Zahlen aus einer bestimmten Operation bzw. Verknüpfung auf der Menge der rationalen Zahlen hervorgehen ließe, so wie wir das beim Übergang von den natürlichen zu den ganzen Zahlen bzw. von den ganzen zu den rationalen Zahlen haben. Im ersten Fall besteht diese Konstruktionsvorschrift – wie gesehen – in der Ausstattung einer jeden natürlichen Zahl mit einem Minuszeichen, und im zweiten Fall haben wir es mit der Bildung aller Brüche ganzer Zahlen zu tun.
So etwas haben wir beim Übergang von den rationalen zu den reellen Zahlen nicht. Wir wissen allerdings, was wir von den reellen Zahlen haben wollen. Diese Zahlen sollen es uns ermöglichen, jeden Punkt der kontinuierlich ablaufenden Zeit und jeden Punkt des sich kontinuierlich ausdehnenden Raumes mit einer bestimmten reellen Zahl identifizieren zu können. Das ist nämlich die Voraussetzung dafür, daß sich eine Mathematik entwickeln kann, die in ihrem Materialobjekt dem Einzugsbereich der experimentellen Wissenschaften koextensiv ist. Unter dieser Voraussetzung auch konnte es erst zur Entwicklung experimenteller Wissenschaften kommen. Die „Mathematisierung des Raumes“ war eine unabdingbare Voraussetzung für die „´Mathematisierung` der Erfahrung“.[3] Dieser Mathematisierung des Raumes liegt eine Veranschaulichung der reellen Zahlen auf einer Zahlengeraden und als Zahlengerade zugrunde. Die Vorstellung dabei ist die, daß sich jedem – mathematischen – Punkt auf einer Geraden genau eine reelle Zahl zuordnen läßt. Man braucht dazu nur zwei Punkte auf dieser Geraden auszuzeichnen: Den Punkt 0 und den Punkt 1. Damit wären dann alle anderen Punkte der Geraden in ihrer Zuordnung zu den einzelnen reellen Zahlen bereits eindeutig bestimmt.
Das ist die Vorstellung auch, die hinter dem Begriff „Vollständigkeit der reellen Zahlen“ steht. Und das findet so dann auch seinen Niederschlag in den verschiedenen Versionen des Vollständigkeitsaxioms, mit dem bzw. in dem der Schritt von den rationalen Zahlen zu den reellen Zahlen vollzogen ist. Besonders deutlich wird das in der auf der Konzeption eines Dedekindschen Schnittes beruhenden Version, wonach jede Zerlegung der Menge der rationalen Zahlen in zwei disjunkte Teilmengen, von denen jedes Element der einen Teilmenge kleiner ist als jedes Element der anderen Teilmenge, durch eine bestimmte reelle Zahl „veranlaßt“ ist. Übertragen auf unsere Zahlengerade bedeutet dies einfach, daß man diese Gerade durch – senkrechte – Geraden nach Belieben schneiden kann und dabei auch immer auf eine reelle Zahl trifft. Durch jede solche reelle Zahl wird dann natürlich auch die Zahlengerade und mit ihr auch die Menge der reellen Zahlen in zwei Teilmengen mit der beschriebenen Eigenschaft zerlegt. Man braucht dazu nur zu wissen, daß die Anordnung der reellen Zahlen auf einer Zahlengerade der „ -Relation“ folgt, so wie sie durch die Anordnungsaxiome der reellen Zahl begründet ist. Damit wird die Menge der reellen Zahl auch zu einer linear geordneten Menge, und d.h. einer Menge, die man sich in dieser Ordnung eben auch durch Punkte auf einer Geraden veranschaulicht denken kann. Es ist durch diese Anordnungsaxiome allein aber noch nicht sichergestellt, daß die betreffende Menge eine Gerade auch vollständig ausfüllen könnte.
Die Anordnungsaxiome sind Teil der axiomatischen Begründung der reellen Zahlen und folgen dort – als zweite von drei Axiomengruppen – auf die Körperaxiome. Den Abschluß bildet – wie gesagt – eine der verschiedenen Versionen des Vollständigkeitsaxioms, wobei nicht jede dieser Versionen auch das Archimedische Axiom mit einschließt, so daß dieses gegebenenfalls auch getrennt aufgeführt werden muß. Auf dieses Axiomensystem wird im Text auch – näher – einzugehen sein.
Wir haben also auch bei der axiomatischen Begründung der reellen Zahlen eine Dreiteilung des ganzen Verfahrens. Allerdings ist diese Dreiteilung nicht mehr an der Erweiterung bestimmter Zahlbereiche orientiert. Es wird vielmehr im ersten Verfahrensschritt die zu begründende Menge – formal – gleich als (fertiger) Körper vorausgesetzt und qualifiziert. Anschließend wird in den Anordnungsaxiomen eine lineare Ordnung in dieser Menge begründet. Schließlich wird in einem weiteren (Einzel-)axiom noch verlangt, daß es sich bei dieser linearen Ordnung auch um eine vollständige Ordnung, will heißen um eine lückenlose, zusammenhängende Ordnung handeln soll. Dieses Vollständigkeitsaxiom könnte ohne die Anordnungsaxiome zuvor nicht formuliert werden, genau so auch wie diese Anordnungsaxiome auf den Körperaxiomen aufbauen. Es findet dabei nur keine sukzessive Erweiterung einer anfänglich gegebenen – konkreten – Menge statt. Diese Dreiteilung dient vielmehr dazu, eine anfänglich völlig unbestimmt gelassene Menge schrittweise so einzugrenzen, daß am Ende als „Lösung“ dieser axiomatischen Begründung nur noch die Menge der reellen Zahlen übrig bleibt. Der Nachweis dafür bleibt allerdings einem eigenen Existenz- bzw. Eindeutigkeitsbeweis vorbehalten.
Wir müssten schon sicher von einer größten endlichen Reihenfolge ausgehen können, um uns auch mit einem Positionensystem von nur endlicher Länge in Form und Gestalt einer endlichen Zeichenfolge begnügen zu können. Eine solche größte endliche Zeichenfolge gibt es jedoch nicht, und zwar einfach deswegen nicht, weil jede Reihenfolge beliebiger – endlicher – Länge prinzipiell immer auch noch um ein weiteres Element ergänzbar ist. Das heißt allerdings nicht notwendig schon auch, daß es auch eine unendliche Reihenfolge gibt, eine Reihenfolge ohne letztes Element bzw. ohne letzte – besetzte – Position also. Es heißt dies notwendig selbst dann – noch – nicht, wenn das mit der ständigen Erweiterung endlicher Zeichenfolgen kein Ende nimmt, was es – wie gesagt – auch tut. Von der Endlichkeit des Raumes, die einem solchen Unterfangen – praktische – (Endlichkeits-)grenzen aufzeigen würde, sei dabei einmal abgesehen. Am Ende so eines Verfahrens steht nicht notwendig immer auch eine unendliche Zeichenfolge. So oder so müßte eine solche Reihenfolge einem Gesetz der Serie überlassen bleiben, nachdem sich so etwas, nicht Element für Element – variierend – in der Zeit einrichten läßt.
Reihenfolge ist in sich Ordnungselement und als solches eine Ebene tiefer bzw. höher als das, dem Reihenfolge als Ordnung dient bzw. dienen soll, angesiedelt. Ordnung ist etwas, was von außen an das Geordnete bzw. zu Ordnende – im Dialog – herangetragen wird. Ordnung spielt auf einer kommunikativen Ebene, uns sie ist metaphysischer Natur. Ordnung verdankt sich einem Akt des Denkens, sie ist – mit – ein Produkt unseres Intellektes. Wer auf Reihenfolge in Zeichenfolgen setzt, muß auf Reihenfolge als umfassendes, übergreifendes Ordnungsgefüge setzen. Mit Reproduktion allein ist es dann nicht getan. Reihenfolge muß auch gelesen und verstanden werden (können). Das kann Reihenfolge nicht – allein – von sich aus. Das bloße Aneinanderreihen Zeichen für Zeichen konfrontiert uns auch mit nichts anderem als den Zeichen Zeichen für Zeichen. Damit ist – noch – nichts gesagt. Wir haben auf dieser – rein materiellen – Ebene keine Sprache für das, was uns da begegnet. Wir können uns in diesem Medium nicht erklären. Wir wissen nicht, wie man die Abfolge der einzelnen Zeichen anders als durch bloße materielle Demonstration namhaft machen könnte. Es fehlt uns dazu am Vokabular, und es fehlt uns dafür an den ordnenden Strukturen. Das eine hat mit dem anderen zu tun. Wir können in den Möglichkeiten dieses Systems nicht sagen, welches Zeichen an welcher Stelle und d. h. Position steht. Wir haben dafür keine Begrifflichkeit, und wir haben dafür kein Verständnis. Das eine bedingt das andere.
VII. - Jede natürliche Zahl läßt sich entsprechend der ihr natürlicherweise zugeordneten Menge natürlicher Zahlen auch als Anzahl verstehen, als Anzahl der Elemente dieser Menge nämlich. Man kann eine natürliche Zahl dann auch in „kanonischer“ Weise – der Philosophie dieses Ansatzes nach – dadurch zur Darstellung zu bringen versuchen, daß man ein bestimmtes Zeichen in Reihenfolge so oft setzt, wie es der Anzahl dieser natürlichen Zahl zugeordneten bzw. zuzuordnenden Anzahl entspricht. Es müßte sich dabei nicht einmal notwendig um das Zeichen für die Eins, und d.h. um das Zeichen für die erste natürliche Zahl in der Reihenfolge aller dieser Zahlen handeln. Dieser Form der Darstellung liegt insoweit nicht notwendig eine Interpretation der Produktion dieser Zahlen per fortgesetzter Addition der Eins zugrunde.
Tatsächlich geschieht aber genau dies in all den Fällen, in denen man auf diese Form der Darstellung der natürlichen zahlen zurückgreift. Insbesondere gilt das in allen praktischen Belangen. Es gibt diese Form der Buchführung, in der jede neu hinzutretende Einheit mit einer zusätzlichen 1 – vorzugsweise in Form und Gestalt eines senkrechten Striches – vermerkt wird, um am Ende des Geschehens dann – „regulär“ – Bilanz zu ziehen. Das dieser Praxis zugrunde liegende Verständnis der natürlichen Zahlen besteht darin, sich jede natürliche Zahl aus der vorhergehenden durch Addition einer Eins hervorgehend zu denken. Das entspricht so durchaus aber auch dem – in Theorie und Praxis – allgemeingültigen Verständnis der natürlichen Zahlen. Es gibt in der Analysis auch eine Form der Begründung dieser Zahlen, die sich genau dieses Ansatzes auch bedient. Die der natürlichen Zahl nächstfolgende natürliche Zahl ist dann die Zahl
Es ist diese operative Deutung, die die Menge der natürlichen Zahlen erst zu einem Objekt der mathematischen Analyse werden läßt. Das bloße Verfahren zur Produktion bzw. Darstellung dieser Zahlen ist ohne jede solche operative mathematische Qualität. Dagegen läßt sich der Darstellung natürlicher Zahlen vermittels konstanter endlicher „Ein-Zeichen-Folgen“ in natürlicher Weise eine solche operative Qualität zuordnen. Jede solche Zeichenfolge geht in der Reihenfolge aller solcher Folgen aus der vorhergehenden Folge durch zusätzliches Setzen bzw. – wenn man so will – Addieren eines weiteren identischen Exemplares dieses einen Zeichens hervor. Die Addition beliebiger Zeichenfolgen ließe sich dann einfach – praktisch – durch Anfügen der einen der beiden zu addierenden Folgen an die andere herbeiführen. Sind wir dann aber auch in der Lage zu sagen, welches das Ergebnis so einer Addition ist bzw. welches die Zahlen sind, die addiert werden sollen? Offensichtlich können wir das nicht, wenn damit gesagt sein soll, daß wir uns über diese Zahlen bzw. ihre Addition mitteilen können sollten, ohne dabei auch auf eine materielle Darstellung bzw. Produktion ohne jede sprachliche Qualität angewiesen zu sein. Wir könnten uns auf der besagten Ebene nicht einmal über die Anzahl der gesetzten Zeichen verständigen.
Es geht dabei einfach um die Frage der möglichen – sprachlichen und nicht bloß materiellen – Identifizierung endlicher konstanter Zeichenfolgen. Bei Ein-Zeichen-Folgen ist dazu die Anzahl gesetzter Zeichen zu „realisieren“. Diese Anzahl ist natürlich durch die Zeichenfolge und ihre Zeichen gesetzt; sie ist dadurch nur nicht auch schon bezeichnet. Das kann auch nicht dadurch geschehen, daß man eine Folge in allen ihren Zeichen einfach nur reproduziert. Das führt nicht weiter. Wir setzen dann zwar immer auch die Folge in der ganzen Anzahl ihrer Zeichen; wir setzen damit nur nicht auch die Bezeichnung für diese Anzahl. Das ist nicht einfach nur einer Frage der materiellen Reproduktion, das ist – auch bei ansonsten unveränderten materiellen Voraussetzungen – eine Angelegenheit sprachlicher Kommunikation. Dafür bedarf es einfach einer eigenen Bezeichnungsweise, will heißen Lesart. Es bedarf dazu einer Bezeichnungsweise, die Bezeichnung nicht einfach nur demonstriert, sondern auch identifiziert. Wir wissen nicht, wie viele Zeichen in einer Zeichenfolge gesetzt sind, wenn wir darüber nur insoweit wissen können, daß wir dazu diese Folge vollständig aufs neue setzen müssten. Wie kann man, wenn man immer nur Zeichen für Zeichen setzt, am Ende so einer Aktion wissen, wie viele Zeichen gesetzt worden sind?
Offenbar doch nur so, daß man eine Bezeichnungsweise wählt, die in der fortlaufenden Bezeichnung der einzelnen gesetzten Zeichen auch festhält, wie viele Zeichen bisher – inklusive des gerade gesetzten Zeichens – schon gesetzt sind. Das ist eine qualitativ andere Bezeichnungsweise, die uns dabei abverlangt ist. In der Bezeichnungsweise kommt anderes zum Ausdruck als dabei als Zeichen bzw. an Zeichen zum Ausdruck gebracht ist. Wie aber kann eine Bezeichnungsweise aussehen, die in ihren einzelnen Bezeichnungen nicht nur eine Reihenfolge fortsetzt, sondern diese Reihenfolge auch noch abzählt? Offensichtlich kann so etwas nur von einer kombinierten Bezeichnungsweise geleistet werden, der in den einzelnen Zeichenfolgen aufgrund der Reihenfolge der gesetzten Zeichen entnommen werden kann, welches die Position einer Zeichenfolge in der Reihenfolge aller solcher Zeichenfolgen ist. Mehr kann von einer solchen Bezeichnungsweise auch nicht erwartet werden. Das genügt aber auch.
Um die Position einer Zeichenfolge in einer ganzen Reihenfolge solcher Folgen kann man nur wissen, wenn man – implizite zumindest – auch um die Menge bzw. Anzahl der vor dieser einen Folge liegenden Folgen weiß. Und darum weiß man im System der Darstellung der natürlichen Zahlen auch. Diese Information läßt sich dann einfach dem System entnehmen, nach dem nicht nur die Reihenfolge dieser Folgen als ganzes, sondern auch die Reihenfolge der Zeichen in den einzelnen Zeichenfolgen organisiert ist. Dieses System ermöglicht es uns, von dem dynamischen Nacheinander der Reihenfolge aller dieser Folgen zugunsten eines stationären Ineinanders der einzelnen Folgen zu abstrahieren. Jede einzelne Folge wird – im System – so mit einer eigenen – vom System scheinbar – unabhängigen Identität ausgestattet. Nur deswegen auch können uns diese Folgen dann auch als Zahl(-en) dienen. Das Produktionsverfahren tritt hinter dem Produzierten zurück. Organisiert ist dieses System so, daß dabei nach einem „Blockbildungssystem“ verfahren wird, das jedem einzelnen Zeichen entsprechend seiner Position in einer Zeichenfolge eine bestimmte – für alle Zeichenfolgen in dem betreffenden System von Darstellung gleiche – Gewichtung verleiht. Im Dezimalsystem sind das entsprechende Potenzen der Zahl 10.[5]
Die Vorstellung, die dieser Deutung zugrunde liegt, ist in der Tat die, daß man sich jede einzelne natürliche Zahl als eine bestimmte in Reihenfolge gesetzte Anzahl von Einsen vorstellt, und diese Reihenfolge dann nach Zehnerpotenzen zusammenfaßt. Präziser noch liegt dem Verfahren die Vorstellung einer fortlaufenden Addition dieser Einsen zugrunde. Es ist nicht zuletzt auch diese Vorstellung, die der einzelnen Zeichenfolge einen stationären Charakter verleiht. Jede einzelne dieser Folgen stellt dann das – stationäre – Ergebnis einer Addition dar, deren eine Summand aus dem Ergebnis aller Additionen zuvor und deren andere Summand aus der Eins besteht. Aus einer Folge von Zeichenfolgen, in der eine Folge aus der Folge zuvor durch zusätzliches Setzen der Eins hervorgeht, wird dann – beispielsweise – die Folge 1, 2, 3, ....
Es wäre allerdings ein Trugschluß zu meinen, damit wäre gegenüber einer Bezeichnungsweise vermittels konstanter Ein-Zeichen-Folgen nur eine abkürzende Schreibweise gegeben, so wie das allenthalben in der Literatur gesehen wird.[6] Es werden vielmehr nur in dieser Schreibweise natürliche Zahlen auch intelligibel. Nur vermittels dieser Schreibweise läßt sich über bzw. läßt sich mit natürlichen Zahlen auch kommunizieren. Wir können uns dann auch in den einzelnen natürlichen Zahlen mitteilen, ohne dabei mit irgendwelchen Mengen hantieren zu müssen, Mengen, die uns aber ohnehin auch nicht wieder zu sagen vermöchten, von welcher Anzahl an Elementen sie sind. Das kann man sich von so einer Menge nur nach entsprechender Übersetzung in das ihr korrespondierende Element aus einem System von Zeichenfolgen wie 1, 2, 3, ... sagen lassen.
VIII. - In der philosophischen wie mathematischen Begründung dieser Zahlen wird von dieser Übersetzung abstrahiert, obwohl wir von diesen Zahlen nicht wissen könnten, wenn es nicht auch diese Übersetzung gäbe. Die ganze Realität, Identität und Intelligibilität dieser Zahlen ist von dieser Übersetzung bestimmt. Das gilt im übrigen dann auch für die sich konstruktiv aus der Menge der natürlichen Zahlen ableitenden Mengen der ganzen bzw. rationalen Zahlen. Es gilt dies im übrigen aber auch für die reellen Zahlen, bloß daß die Erweiterung der Menge der rationalen Zahlen zur Menge der reellen Zahlen nicht mehr von der gleichen konstruktiven Qualität ist wie die beiden Erweiterungen zuvor.
Das Verfahren, das die natürlichen Zahlen in der diesen einzig und allein angemessenen Darstellung produziert, ist – wie sich zeigen wird – auf die Produktion endlicher Zeichenfolgen beschränkt. Es kann dieses Verfahren nicht auch zur Produktion unendlicher Zeichenfolgen herangezogen werden. Die Erweiterung einer Menge hat immer auch in der Kontinuität zu dem System der Darstellung dieser Menge zu stehen. So finden rationale Zahlen ihre natürliche Darstellung im System der Darstellung natürlicher Zahlen durch endliche bzw. periodisch-unendliche b-al-Brüche.[7] Die einzig mögliche Erweiterung von Darstellung, die es in diesem System noch gibt, ist die Darstellung durch unendliche nicht-periodische Brüche. Solche Brüche dienen der Darstellung irrationaler Zahlen. Wir haben für solche Brüche in ihrer Gesamtheit – wie zu zeigen sein wird – allerdings kein Konstruktionsverfahren. Damit stehen diese Brüche und damit steht die Menge der irrationalen Zahlen unter einem Existenzvorbehalt.
Die Existenz dieser Zahlen kann damit auch nur per Axiom postuliert sein. Die Begründung der Menge der reellen Zahlen kann damit letztlich auch nur eine axiomatische sein. Auch ein konstruktiver Aufbau des Zahlensystems kann so nur mit einem Axiom abgeschlossen werden. Mit der Existenz unendlicher nicht-periodischer Zeichenfolgen ist es – selbst wenn diese in ihrer Gesamtheit festgestellt bzw. konstruiert werden könnten – schließlich noch nicht getan. Es müssen solche Folgen auch mit einer Zahl identifiziert werden können. Bei unendlichen Folgen wird man das immer auch vom Grenzwert einer Folge abhängig machen müssen, so die Folge einen solchen Grenzwert auch hat. Die durch eine unendliche Folge dargestellte Zahl kann nur im Grenzwert dieser Folge bestehen. Die Konvergenz solcher Folgen ist also Voraussetzung dafür, daß diese auch mit einer Zahl identifiziert sein können. Bei endlichen Zeichenfolgen wissen wir, womit sie zu identifizieren sind, mit der durch diese Zeichenfolge ausgedrückten natürlichen Zahl nämlich.
Diese Leseart läßt sich nicht einfach auch auf unendliche Zeichenfolgen übertragen, nachdem dadurch keine natürliche Zahl ausgedrückt ist. Für den Zahlenwert so einer Zeichenfolge könnte auch nur der Grenzwert der Folge stehen. Der Grenzwert kann – wie gesagt – nur diese unendliche Folge selbst sein. Unendliche (Zeichen-)folgen dieser Art können nur gegen sich selbst als Grenzwert konvergieren. Eine Darstellung reeller Zahlen kann nur mit dem Zahlenmaterial erfolgen, das auch der Darstellung natürlicher Zahlen dient. Im System ihrer Darstellung steht die Menge der reellen Zahlen notwendig in Kontinuität zum System der Darstellung der Menge natürlicher Zahlen. Wenn irrationale Zahlen in diesem System notwendig nur eine Darstellung als unendliche nicht-periodische Zeichenfolgen finden können, dann muß man diese Zahlen – mittelbar – auch eine Darstellung in dieser Form und Gestalt finden lassen. Man kann dann nicht erwarten, daß sich der Grenzwert so einer Folge auch als endliche Zeichenfolge darstellen ließe. Alle diese endlichen Zeichenfolgen sind anderweitig schon alle – mittel- oder unmittelbar – von rationalen Zahlen besetzt.
Von allen rationalen Zahlen gibt es definitionsgemäß auch eine Darstellung als Quotient ganzer Zahlen. Es ist dies eine Darstellung, die sich der Verknüpfung Division bedient. Das ist eine Verknüpfung, wie sie zur allgemeinen Struktur eines Körpers wie beispielsweise auch des Körpers der rationalen Zahlen gehört. In Körpern kann unbeschränkt dividiert werden. Solche Verknüpfungen sind also nicht geeignet, zur konstruktiven Erweiterung eines Körpers beizutragen. Das können nur Verknüpfungen, die in einem Körper nur beschränkt ausführbar sind. Das Ziehen der Quadratwurzel aus positiven Zahlen ist – was den Körper der rationalen Zahlen betrifft – so eine Operation. Zur Zahl 2 gibt es beispielsweise keine rationale Quadratwurzel. Das festzustellen bleibt in jedem Fall allerdings einem eigenen Nachweis vorbehalten, und dieser Nachweis hat es mitunter in sich. Sobald dieser Nachweis erbracht ist, läßt sich auch in die – schrittweise – Rekonstruktion so einer Zahl eintreten. So können wir uns etwa als dem klassischen Beispiel einer irrationalen Zahl – einem Beispiel von theoretischer Bedeutung auch in der systematischen Entwicklung der Analysis – aufgrund seiner (vergleichsweise einfachen) definierenden Eigenschaft ohne größeren Aufwand sukzessive Bruchstelle für Bruchstelle annähern. Natürlich werden wir der unendlichen Bruchentwicklung nie vollkommen habhaft werden können.
Wir können diesen Bruch weder zur Gänze angeben, noch läßt sich dafür ein Gesetz der Serie bestimmen, das diesen Bruch Bruchstelle für Bruchstelle besetzen würde. Wir wissen allerdings um den Grenzwert dieses Bruches. Die Möglichkeit, daß sich mit einem unendlichen Bruch auch ein Grenzwert verbinden läßt, ist natürlich dadurch bedingt, daß die Gewichtung in der Bruchkomponente eine andere ist als im ganzzahligen Anteil vorneweg. Wir haben in dieser Bruchkomponente dieselbe Gewichtung, nur daß – im Dezimalsystem – die Exponenten der Potenzen von 10 negatives Vorzeichen tragen.[8]
Der Beitrag einer jeden Bruchstelle zum Bruch als ganzem nimmt dabei mit zunehmender Position zunehmend ab. Das, was nach jeder einzelnen Bruchstelle an unendlich vielen Bruchstellen noch kommt, trägt zum ganzen Bruch weniger bei als das die jeweilige einzelne Bruchstelle zuvor tut. Damit sind solche Brüche nach oben beschränkt. Zudem handelt es sich bei allen solchen Brüchen des positiven Beitrages jeder einzelnen Bruchstelle wegen in der Folge der Partialsummen dieser Brüche um eine monoton wachsende Folge. Monoton wachsende und nach oben beschränkte – unendliche – Folgen sind im Körper der reellen Zahlen aber auch konvergente Folgen.[9] Es ist dies eine Konsequenz des Vollständigkeitsaxioms, das in einer – von mehreren äquivalenten – Formulierung besagt, daß im Körper der reellen Zahlen jede Cauchy-Folge konvergiert. Cauchy-Folgen sind Folgen, die sich bei genügend hohem Folgenindex in den Folgengliedern beliebig nahe kommen. Eine Folge reeller Zahlen heißt Cauchy-Folge, wenn es zu jedem ein gibt, so daß für alle .[10] Das bequeme an diesem Kriterium ist, daß sich auf diese Weise eine Folge als konvergent nachweisen läßt, ohne auch um den Grenzwert der Folge wissen zu müssen. Von unendlichen Brüchen läßt sich aufgrund einfacher Abschätzungen auch zeigen, daß es sich dabei in ihrer Eigenschaft als unendliche Reihen um Cauchy-Folgen handelt. Auch so läßt sich in einer ursprünglicheren, weil allgemeineren Weise noch die Konvergenz dieser Brüche zeigen.
Die Menge der reellen Zahlen erhält durch dieses Vollständigkeitsaxiom nur eine ganz formale bzw. abstrakte Begründung. Es wird in dieser Begründung von allen Darstellungsfragen abstrahiert. Daß man um den Grenzwert einer Folge nicht zu wissen braucht, um eine Folge auch als konvergente Folge nachzuweisen, kann natürlich nicht bedeuten, daß es diesen Grenzwert in konkreter Zahldarstellung nicht auch geben müßte. Wenn also im Körper der reellen Zahlen alle Cauchy-Folgen konvergieren sollen, dann muß es für alle diese Folgen auch einen Grenzwert in geben. Diese Frage läßt sich nur nicht auch formal-abstrakt sondern nur konkret-materiell beantworten. Dann bedarf es einfach eines Systems von Darstellung, in dem alle reellen Zahlen auch ihre Darstellung finden.
Dieses System liegt vor in Form und Gestalt der b-al-Bruchdarstellung reeller Zahlen. Es handelt sich dabei um die – abschließende – Verallgemeinerung des Systems der Darstellung natürlicher Zahlen auf reelle Zahlen. Es werden dann in der Bruchkomponente nicht nur – so wie noch bei den rationalen Zahlen – periodisch-unendliche, sondern auch nicht-periodisch unendliche Zeichenfolgen zugelassen. Damit ist aber nicht schon auch die Frage der möglichen oder auch nicht möglichen Konstruktion solcher Folgen beantwortet. Nicht beantwortet ist auch die Frage der Konvergenz solcher Folgen, so es solche Folgen denn auch gibt. Alles, was sich aus der Perspektive der rationalen Zahlen dazu sagen läßt ist dies, daß es sich dabei jedenfalls um Cauchy-Folgen handelt. Die Frage der Konvergenz solcher Folgen läßt sich im allgemeinen aber nur per Axiom postulieren. Immerhin können wir dann auch sagen, wie der Grenzwert solcher Folgen aussieht: alle diese Folgen sind sich selbst auch Grenzwert. Innerhalb einer unendlichen Zeichenfolge ist ein Grenz(-wert)übergang nur innerhalb der Folge selbst möglich.
Allerdings muß die Unendlichkeit so einer Folge dann auch von der besonderen Qualität einer finalen Unendlichkeit sein. Es genügt dazu nicht, daß – prozessual – zuverlässig immer auch Zeichen auf Zeichen folgt bzw. folgen kann. Auf diese Weise lassen sich – in der Zeit – unbegrenzt viele Zeichen gesetzt denken, ohne daß es auch auch zu einer unendlichen Zeichenfolge kommen würde. Unendlich viele natürliche Zahlen, von denen eine jede durch eine endliche Zeichenfolge dargestellt ist, gibt es – ohne Zeit(-bezug) – auch nur deswegen. Allerdings ist in dem Verfahren zur systematischen Produktion aller dieser Zeichenfolgen durch das dadurch notwendig bedingte gekoppelte Verfahren auch gesorgt, daß es dabei zu keiner finalen unendlichen Zeichenfolgen kommen kann. Das ganze Verfahren ist von einer nur prozessualen Unendlichkeit. Das Verfahren ist ohne einen Abschluß, so wie wir ihn bei jeder finalen Unendlichkeit voraussetzen dürfen. Darauf wird im Detail auch einzugehen sein.
Das besondere an diesem Verfahren ist ihre prozessuale Unendlichkeit ohne finalen Abschluß. Unendliches ist immer auch zeitlos in dem Sinne, daß in der Zeit des Zeitaufwandes wegen immer nur Endliches bzw. Endlich Vieles gesetzt sein könnte. Zeit ist – genau wie der Raum – von Natur aus eine in sich endliche Größe. Prozessuale Unendlichkeit bzw. Grenzen- losigkeit ist eine – ist die – Unendlichkeit mit Zeitbezug. Sich etwas Schritt für Schritt vollzogen denken (müssen), so etwas läßt sich auch nur im Zeitablauf umgesetzt vorstellen. Die Frage wäre dann allerdings die, wie sich das im (End-)ergebnis dann darstellt, sofern man von so einem Ergebnis auch reden kann bzw. reden darf. In der endlichen Zeit werden wir jedenfalls zu keinem unendlichen Ergebnis kommen können. Erst der finale unendliche Abschluß aber würde das prozessuale Procedere zuvor auch zu einem unendlichen Verfahren werden lassen können.
Prozessual und final Unendliches bedingen und ergänzen sich insoweit. In dem einen wie in dem anderen Fall bedarf es – letztlich – aber der Abstraktion von der Zeit, um Unendliches sich auch abschließend entwickeln zu lassen. Eine für das sich Entwickelnde konstitutive Einbindung in die Zeit würde Unendliches zuverlässig verhindern. Das gilt allgemein in unendlichen Dingen und für unendliche Dinge. Das Besondere an der Unendlichkeit der natürlichen Zahlen das ist die in ihnen realisierte Entkoppelung von prozessualer und finaler Unendlichkeit. Die Unendlichkeit der natürlichen Zahlen ist eine rein prozessuale. Es gibt nicht die das ganze Verfahren abschließende finale unendliche natürliche Zahl.
IX. - Man kann sich eine unendliche Zeichenfolge nicht einfach nur in ständiger Entwicklung begriffen denken. Unendliches kann nur werden, indem es auch immer schon ist. So lange sich ein Unendliches nur in der Entwicklung befindet, könnte es noch nicht Unendliches sein. Man könnte dann aber auch nicht sagen, ob sich daraus möglicherweise einmal Unendliches entwickeln wird. Wenn Unendliches Unendliches werden bzw. sein können soll, dann kann man diese Entwicklung auch nicht abwarten wollen, um zu sehen, was an dessen „Ende“ zu stehen kommt. Wäre die Entwicklung an einem Punkt beendet, wäre das auch das Ende jeder möglichen unendlichen Entwicklung.
Man kann Unendliches auch nicht selbst entwickeln, sondern nur sich selbst entwickeln lassen. Man kann die Produktion von Unendlichem nur einem Gesetz der Serie überlassen. In intelligibler Weise erschließt sich uns – wie gesehen – Unendliches nur durch das Gesetz der Serie zur Produktion bzw. Darstellung der natürlichen Zahlen. Es ist dies allerdings eine Unendlichkeit, die ohne eigentlichen Abschluß ist. Es gibt diese unendliche natürliche Zahl, mit der man sich das ganze Verfahren abgeschlossen denken könnte, nicht. Abgeschlossen – wenn man so will – wird diese Zahlenreihe durch das Symbol ¥. Die Menge der natürlichen Zahlen divergiert bestimmt gegen
Damit ist einfach nur gemeint, daß die unendliche Folge der natürlichen Zahlen in nach oben nicht beschränkt ist. Es gibt keine reelle Zahl, die in der linearen Ordnung dieser Zahlen nicht von einer natürlichen Zahl übertroffen würde. Es ist dies eine Eigenschaft reeller Zahlen, die in einer axiomatischen Begründung der Mathematik als eigenständiges Axiom zu führen ist, sofern die Vollständigkeit dieser Zahlen über die postulierte Konvergenz von Cauchy-Folgen „realisiert“ wird. Alternativen Formulierungen dieses Axioms kann dagegen diese Eigenschaft reeller bzw. natürlicher Zahlen als ein mathematischer Satz entnommen werden. Mit Hilfe dieser Eigenschaft kann dann im übrigen auch gezeigt werden, daß zwischen je zwei reellen Zahlen sowohl rationale als auch irrationale Zahlen liegen, und d.h., daß die Menge der rationalen Zahlen – wie auch die Menge der irrationalen Zahlen dicht in der Menge der reellen Zahlen liegen. Daraus wiederum läßt sich ableiten, daß jede reelle Zahl als Grenzwert einer Folge rationaler Zahlen darstellbar ist.
Damit sind die reellen Zahlen aber nicht schon auch dargestellt. Es wird uns dabei nicht gesagt, aus welcher Menge wir uns alle diese Grenzwerte entnommen denken können. Man kann diesbezüglich aber auch sehr viel konkreter werden. Es gibt diesen Satz, wonach sich jede reelle Zahl in einen b-al-Bruch für jedes natürliche entwickeln läßt, wie umgekehrt jeder solche Bruch eine reelle Zahl darstellt.[11] Damit können die reellen Zahlen als Menge mit der Menge aller solcher Brüche identifiziert werden. Allerdings läßt sich diese Erkenntnis nur aus einer Position heraus ableiten, die die Menge der reellen Zahlen bereits als gegeben voraussetzt. Wir benötigen zum Beweis dieser beiden Sätze das Vollständigkeitsaxiom, das bekanntlich nur in der Menge der reellen Zahlen gilt bzw. gelten soll. Damit können allgemein(e) b-al-Brüche nicht einfach zur Konstruktion reeller Zahlen herangezogen werden.
Eine solche Konstruktion darf sich einfach nicht des Vollständigkeitsaxioms bedienen. In einer Konstruktion haben Axiome einfach keinen Platz. Per Axiom läßt sich nur etwas postulieren nicht aber auch konstruieren. So lange die Frage der Konvergenz von b-al-Brüchen nicht geklärt ist, können diese auch nicht zur Konstruktion reeller Zahlen dienen. Die Feststellung, wonach sich jede reelle Zahl als Grenzwert einer Folge rationaler Zahlen darstellen läßt, ist diesbezüglich aber auch nicht unbelastet. Auch diese Eigenschaft reeller Zahlen läßt sich ohne Axiom nicht nachweisen, sei es, daß wir uns dazu des Vollständigkeitsaxioms in einer „starken“ Version bedienen, oder sei es, daß wir dazu gesondert auf das Archimedische Axiom zurückgreifen. Aber selbst dann noch ist es so, daß wir den Nachweis der Dichte von in nur vermittels einer als gegeben vorausgesetzten irrationalen Zahl wie führen können. Das ist nun eine Zahl allerdings, von der man nicht behaupten kann, daß sie nur des Vollständigkeitsaxioms wegen existieren könnte. Diese Zahl ist nicht durch eine Folge bestimmt, von der man sich zu fragen hätte, ob sie auch konvergiert; es ist vielmehr diese Zahl, von der eine unendliche Folge mit dieser Zahl als Grenzwert bestimmt ist. Diese Folge verfügt dann über alle – auch finalen – guten Eigenschaften, die wir uns von unendlichen Folgen erwarten. Diese Folge verfügt dann einfach auch über den Abschluß, den wir von einer final unendlichen Folge immer auch voraussetzen.
Unendliche Folgen finden ihren Abschluß in ihrem Grenzwert, so es diesen Grenzwert auch gibt. Divergente Folgen sind insoweit ohne Abschluß, und d.h. es sind dies Folgen, die ganz in einer prozessualen Unendlichkeit aufgehen. Solche Folgen „werden“ in gewisser Weise immer nur, ohne jemals auch wirklich zu „sein“. Unendliche Folgen „sind“ als praktikable, weil definierte mathematische Größe nur durch ein ihnen inhärentes Grenzwertverfahren. Nur solche Folgen können sinnvollerweise auch der Darstellung von Zahlen dienen, wobei es dann notwendig immer auch der Grenzwert einer Folge ist, der die durch die betreffende Folge dargestellte Zahl bestimmt. Sofern eine Folge als konvergent nachgewiesen ist, kann diese Folge in gleicher Weise aber auch als Darstellung der dadurch bestimmten Zahl angesehen werden. Man kann die Zahl genauso gut durch den periodisch-unendlichen Dezimalbruch 0, dargestellt sein lassen. Jeder periodisch-unendliche Bruch läßt sich als Quotient zweier ganzer Zahlen schreiben. Jeder solche Bruch konvergiert gegen einen solchen Quotienten, wie umgekehrt sich jeder solche Quotient durch einfache Division von Zähler durch Nenner in einen solchen Bruch entwickeln läßt.
Auch periodisch-unendliche Brüche sind konvergente Brüche. Es läßt sich dazu in jedem Fall auch der Grenzwert bestimmen. Es bedarf keines Axioms, um die Konvergenz solcher Brüche sicherzustellen. Darüber hinaus können alle diese Brüche der Endlichkeit von Perioden wegen, die uns jeden solchen Bruch in der Bruchkomponente mit genau einer natürlichen Zahl – Nullen vorneweg einmal außer acht gelassen – identifizieren läßt, auch abgezählt werden. Alle diese guten Eigenschaften, wie wir sie bei periodisch-unendlichen Brüchen vorfinden, gehen beim „Übergang“ zu nicht-periodischen unendlichen Brüchen verloren. Wie aber kann dieser „Übergang“ gedacht werden?
Wir verfügen über kein allgemeines Konstruktionsverfahren, das uns systematisch alle diese Brüche entwickeln ließe. Man kann dieser fehlenden Konstruktionsmöglichkeit auch nicht einfach per Axiom abhelfen. Die Frage, ob eine Konstruktion möglich ist oder nicht, läßt sich nur konstruktiv beantworten. Entweder es gelingt, so eine Konstruktion zu entwickeln, oder aber man weist nach, daß es so eine Konstruktion nicht geben kann. Folgt aber daraus, daß es so eine Konstruktion nicht gibt, notwendig auch, daß es das, was mit dieser Konstruktion konstruiert sein soll, nicht geben kann? Gibt es die reellen Zahlen nicht, weil es kein Konstruktionsverfahren für die Menge aller unendlichen nicht-periodischen Brüche gibt? Kann es von einer Menge, die als nichtabzählbar gilt, auch eine Konstruktion geben? Zu was dient dann aber ein Existenzbeweis der reellen Zahlen? Und was können Axiome in diesem Zusammenhang leisten?
X. - Es wird in der vorliegenden Arbeit eine Begründung der Mathematik gegeben, die auf dem Verfahren zur Darstellung bzw. Produktion der natürlichen Zahlen aufbaut. Es ist dies auch die einzig mögliche Begründung, die die volle, ungeschmälerte Realität der natürlichen Zahlen bzw. aller sich daraus ableitenden Zahlenmengen auf ihrer Seite hat. Die Realität dieser Zahlen erschließt sich uns in der diesen Zahlen eigenen Intelligibilität nur über dieses Verfahren bzw. über die daraus hervorgehende Reihenfolge von Zeichenfolgen. Auf diese Weise auch nur offenbart sich uns die metaphysische – weil immaterielle – Realität von natürlichen (wie auch allen anderen) Zahlen. Auch die Frage der Konstruktion der reellen Zahlen bzw. die Frage der Abzählbarkeit dieser Zahlen erfährt so die einzig mögliche authentische Antwort. Schließlich ist es so auch möglich, die Kontinuumshypothese aus der ihr eigenen Unentschiedenheit, in der sie in der Mathematik bislang gehalten ist, herauszuführen. Sie findet sich auf ein qualitativ neues Fundament gestellt. Diese Unentschiedenheit ist dann nicht weiter Ergebnis bzw. Produkt beweistechnischer Unzulänglichkeiten bzw. Unmöglichkeiten; sie ist vielmehr zurückgeführt auf die Begrenztheit unseres Verstandes, so wie sich diese in der – in unserer – Unmöglichkeit widerspiegelt, Grenzwert(-übergangs)prozesse analytisch einzuholen. Sofern und soweit wir davon Grenzen und Möglichkeiten unseres mathematischen Denkens bestimmt sehen, kann man in dem Verfahren zur Produktion bzw. Darstellung der natürlichen Zahlen auch einen Beweis, den Beweis der Kontinuumshypothese sehen, und .d. h. dieses Verfahren beweist, daß es keine Menge gibt, die von einer größeren Mächtigkeit als die Menge der natürlichen Zahlen aber von einer geringeren Mächtigkeit als die Menge der reellen Zahlen, will heißen von einer geringeren Mächtigkeit als der Mächtigkeit des Kontinuums ist. Der Stand der Diskussion ist in dieser Frage aktuell bekanntlich der, daß diese Kontinuumshypothese aus den Axiomen der Mengenlehre weder zu beweisen noch zu widerlegen ist.[12]
Durch den ihr eigenen Ansatz grenzt sich die vorliegende Arbeit deutlich von allem ab, was bisher zu den genannten Fragen in der philosophischen – wie auch mathematischen – Diskussion gesagt wurde. Das gilt beispielsweise für die Fregesche Definition natürlicher Zahlen als Äquivalenzklassen gleichmächtiger Mengen. Auf diesen Ansatz wird auch in der Mathematik im Rahmen eines Existenzbeweises der Menge der natürlichen Zahlen zurückgegriffen. Dieser Ansatz wird in der vorliegenden Arbeit einer detaillierten Diskussion bzw. Kritik unterzogen. Diese Kritik ist darauf gerichtet, daß in so einem Modell kein kommunikativer, und d.h. sprachlicher Umgang mit natürlichen Zahlen möglich ist. Wir können uns in diesem Modell über natürliche Zahlen nur vermittels eines explizit-gegenständlichen Umganges mit Mengen verständigen, wobei wir in so einem System auch ohne jede Möglichkeit sind, die Anzahl der Elemente einer solchen Mengen, und d.h. die durch eine solche Menge repräsentierte natürliche Zahl zu beziffern, und d. h. zu benennen. Das einzige System, in dem so etwas möglich ist, ist dasjenige System, das auf systematische und endliche Kombination von Zeichen aus einer vorgegebenen endlichen Zeichenmenge setzt. Nur in diesem System können wir uns von den einzelnen Zeichenfolgen auch sagen lassen, welche Position sie in der – unendlichen – Reihenfolge aller dieser endlichen Zeichenfolgen einnehmen, und d.h. auch, welches die durch eine solche Zeichenfolge repräsentierte Zahl bzw. Anzahl ist. Nicht zuletzt auch aus (sprach-) philosophischen Gründen ist somit jede andere Form der Darstellung bzw. Definition von Zahl bzw. Anzahl zurückzuweisen.
Das dient deswegen auch festgehalten zu werden, weil in der Philosophie der Mathematik ein Zugang zu den einzelnen mathematischen Realitäten über die Konstruktion von – formal-logischen – Sprachen gesucht wird. Abstrahiert wird dabei von der – natürlichen – Sprache der natürlichen Zahlen selbst, ohne daß eine Möglichkeit bestünde, über formal-logische Sprachen wieder an diese natürliche Sprache anknüpfen zu können. Diese natürliche Sprache der natürlichen Zahlen entzieht sich einfach einer formal-logischen Übersetzung. Man kann dieses Verfahren nicht so formalisieren, wie in der Mathematik allgemein formalisiert wird, so nämlich, daß man sich formal-abstrakter Symbole statt konkret-materieller Identität bedient. Das kann bei dem Verfahren zur Produktion bzw. Darstellung der Menge der natürlichen Zahlen naturgemäß so nicht funktionieren. Dieses Verfahren dient zu nichts anderem als dazu die natürlichen Zahlen in ihrer konkreten Realität, Identität und Intelligibilität darzustellen bzw. zu produzieren. Eine solche Darstellung bzw. Produktion ist naturgemäß aber immer nur konkret und nie einfach nur abstrakt. Folglich kann dieses Verfahren auch nicht formalisiert werden, wenn man dieses Verfahren dadurch nicht als Ganzes aufgehoben sein lassen möchte. Nachdem dieses Verfahren nun aber einmal den einzig möglichen authentischen Zugang zu den natürlichen Zahlen ermöglicht, versagt notwendig aber auch jede Begründung der natürlichen Zahlen, die auf eine formal-logische Darstellung setzt und dabei notwendig von diesem Verfahren abstrahiert.
Wenn das so aber der allgemeinen Praxis in der Literatur entspricht, dann ist diese Diskussion von dem in dieser Arbeit gewählten Ansatz aus nicht angezeigt. Sie wird deswegen auch nicht – explizit – geführt. Gleichwohl ist die vorliegende Arbeit – implizite – auch in der Kritik aller alternativen Ansätze ergiebig. Das gilt – wie gesehen – für den Ansatz Freges in „Die Grundlagen der Arithmetik“, und das gilt auch für den Intuitionismus, so wie er insbesondere von Brouwer initiiert und in verschiedenen „Schulen“ fortentwickelt wurde. Gegenüber dem Intuitionismus grenzt sich diese Arbeit durch ein vollkommen anderes Verständnis von Unendlichkeit ab. Schließlich finden sich alle in der Literatur verfolgten Ansätze, so wie sie sich hinter Begriffen wie Formalismus, Konstruktivismus, Implikationismus, Realismus, Modalismus etc. verbergen, durch den in dieser Arbeit gewählten – natürlichen – Ansatz auf ihre gemeinsame Basis zurückgeführt. Es ist die gänzlich andere Ausrichtung dieser Arbeit, die sofort auch deutlich macht, worin sie sich von allen nur möglichen anderen Ansätzen unterscheidet. Eine – explizite – Diskussion dieser Ansätze ist deswegen nicht geboten. Dazu ist der Kontrast und ist die Divergenz zwischen allen diesen Ansätzen auf der einen Seite, und dem in der vorliegenden Arbeit praktizierten Vorgehen allzu deutlich.
Das läßt sich auch noch näher präzisieren. Die in der Literatur geführte Diskussion versucht Mathematik „extrinsic“ zu begründen, wohingegen in der vorliegenden Arbeit eine Lösung rein „intrinsic“ angeboten wird. Das ist einfach dieser fundamentale Unterschied, der beide Vorgehensweisen deutlich voneinander abgrenzt. „Intrinsic“ kann ein Ansatz immer dann genannt werden, wenn er der ihm gestellten Aufgabe aus der Mitte dessen heraus, was dadurch seine Erklärung bzw. Begründung erfahren soll, nachkommt. Ihre authentische Erklärung können die Dinge schließlich auch immer nur in sich selbst finden. Was die Dinge sind, und wie die Dinge sind, das wird man sich – zuverlässig – nur von diesen Dingen selbst sagen lassen können. Wir sind den Dingen um so näher, je mehr wir die Dinge auch sich selbst sein lassen.
Gerade auch in der Mathematik zeigt sich das ganz deutlich. Das „Gesicht“ der Mathematik ist ganz und gar vom Differentiations- bzw. Integrationskalkül bestimmt. Ausschließlich die Entdeckung dieses Kalküls hat die Mathematik und hat mit ihr die experimentellen Wissenschaft zu dem werden lassen, was sie inzwischen geworden sind: zu einem überaus erfolgreichen Instrument in der Erklärung von Natur nämlich. Das Erfolgsrezept besteht einfach darin, daß man in diesem Kalkül versucht, sich in die Natur selbst zu versetzen, um umso besser verstehen zu können, warum Natur sich so verhält, wie sie sich verhält. Wenn es heißt , dann wird nicht mehr versucht, das Verhalten einer Funktion „von außen“ zu beschreiben, dann läßt man vielmehr eine Funktion in ihrem Verhalten sich selbst mitteilen. Probleme, um deren Lösung sich ganze Generationen von Mathematikern vergeblich bemüht haben, lösen sich dann geradezu von selbst. Gedacht ist dabei beispielsweise und insbesondere an Rektifikationen (Längenberechnung von Kurven), Quadraturen (Flächenberechnung allgemein begrenzter Flächen) und das umgekehrte Tangentenproblem.[13]
Die Beschäftigung mit diesen Problemen führte schließlich zur Entdeckung des Infinitesimalkalküls. Zuvor war eine Lösung dieser Probleme nur in einfacher gelagerten Fällen möglich. Aber auch dazu bedürfte es zumeist mehr oder weniger aufwendiger geometrischer (Hilfs-)konstruktionen. Die Lösung war insofern immer eine Lösung am konkreten, gegenständlichen, materiellen Objekt. Der Behandlung solcher Aufgaben waren dadurch deutliche – räumlich-geometrische – Grenzen gesetzt. Nur Lösungen, die sich auch – explizit-materiell – demonstrieren ließen, waren auch zugängliche Lösungen. Nach Lösungen konnte immer nur in Abhängigkeit von einem konkret realisierten Modell gesucht werden. Von den Möglichkeiten einer solchen Realisierung waren auch die Möglichkeiten einer Lösung der gestellten Aufgabe bestimmt. Alle diese Lösungen waren insoweit konstruktiv-geometrischer Art. Wo sich die gestellte Aufgabe nicht auch im Modell darstellen ließ, war an eine Lösung so einer Aufgabe auch nicht erst zu denken.
Von allem diesen Einschränkungen war man mit der Entdeckung des Differentiations- bzw. Integrationskalküls mit einem Schlage befreit. Dieser Kalkül ist ein Kalkül allein des geregelten Umganges mit Zeichen. Von irgendwelchen geometrischen Darstellungen kann dabei gänzlich abstrahiert werden. Solche Darstellungen können dann – wo sie auch noch möglich sind – allenfalls der Veranschaulichung dienen. Für die Lösung selbst sind solche Darstellungen ohne jede – konstitutive – Bedeutung. Man braucht dann auch keinerlei Vorstellung darüber zu haben, wie das alles in – räumlicher – Darstellung aussieht. Der Differentiations- und Integrationskalkül ist ein bloßer Zeichenkalkül. Man kann sich damit auch problemlos mit Funktionen beschäftigen, die einer geometrisch-räumlichen Behandlung „extrinsic“ nur beschränkt zugänglich sind. Seine ganze Kraft bezieht der Infinitesimalkalkül einfach daraus, daß man sich in ihm von Funktionen „intrinsic“ sagen läßt, was uns Funktionen zu sagen haben.
Das ist auch der einzig erfolgversprechende Weg, der in der Begründung der natürlichen Zahlen als der Basis der Mathematik beschritten werden kann. Was diese Zahlen sind, das wird man sich nur von diesen Zahlen selbst sagen lassen können, und d.h. das wird man sich das nur von dem Verfahren sagen lassen können, in dem diese Zahlen ihre authentische und natürliche Darstellung finden. Dieses Verfahren verfügt über seine eigene Sprache, die so auch nur von diesem Verfahren gesprochen wird. Keine andere Sprache könnte uns deswegen über die natürlichen Zahlen in gleicher Weise aufklären als uns dieses Verfahren darüber aufzuklären vermag. Es wird von diesem Verfahren die in diesen Dingen einzig autorisierte Sprache gesprochen. Zugang zu den natürlichen Zahlen finden wir nur über dieses Verfahren. In Philosophie und Mathematik zeigen sich davon gleichwohl gänzlich unberührt. Wenn man in der Behandlung der natürlichen Zahlen nicht von diesem Verfahren abstrahieren kann, weil man andernfalls nicht wüßte, wovon man redet, dann hat – zunächst jedenfalls – in Fragen der Begründung der natürlichen Zahlen die ganze Aufmerksamkeit aber auch diesem Verfahren zu gelten. Alles andere wäre einfach nicht seriös, und d.h. es wäre intellektuell unredlich. Die vorliegende Arbeit weiß sich deswegen auch ganz diesem Verfahren verpflichtet. Der Konzentration auf diesen einen Punkt wegen ist es auch nicht geboten, Wiederholungen in der Gedankenführung tunlichst zu vermeiden. Solche Wiederholungen sind vielmehr geeignet, ein und denselben Sachverhalt aus allen nur möglichen Blickwinkeln zu betrachten.
[1] Diese Diskussion wird vom Autor im Detail in Teil III (Der Determinismus der Natur) von "Das kausale Band" – Zur Theorie des Ursache-Wirkung-Zusammenhangs". Frankfurt am Main, 2000 geführt.
[2] Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an die beiden Modelle, die sich mit den Namen v. Neumann bzw. Zermelo verbinden. Die von Neumannschen natürlichen Zahlen sehen so aus: , , .... Das Modell von Zermelo bedient sich einer anderen Definition der Nachfolgerfunktion, so wie sie – allgemein – in den Peano-Axiomen beschrieben ist. Beide Modelle haben dieses Axiomensystem zur Grundlage.
[3] M. Blondel, L´Action (1893), S. 64 : „C`est-á-dire que sans étre une mathématique de la nature ... ces sciences ne laissent pas d´etre comme une ´mathématisation` de l´experience“.
[4] G. Frege: Die Grundlagen der Arithmetik. „Eine logisch-mathematische Untersuchung über den Begriff der Zahl“, Darmstadt, 1961.
[5] Siehe dazu die allgemeine Darstellung bzw. Definition natürlicher Zahlen in Anmerkung Nr. 7
[6] In exemplarischer Weise sei dazu nur auf zwei Literaturstellen verwiesen: 1) D. Hilbert u. P. Bernays: Grundlagen der Mathematik, Bd. I, Berlin 1939, S. 21: „Wir gebrauchen in der Zahlentheorie ... die üblichen Nummern zur Abkürzung für bestimmte Ziffern, z.B. 2 für 11, 3 für 111...). 2)R. Rheinwald. Der Formalismus und seine Grenzen, H. Königstein / Taunus, 1984, S. 105. Ausgehend von der natürlichen Zahl 0 erhält man durch sukzessive Anwendung der Nachfolgeroperation die Folge der natürlichen Zahlen 0, 0 , 0 , 0 ... Die Glieder der Folge „0“, „0 “, „0 “, „0 “... heißen Ziffern. Jede Ziffer bezeichnet eine natürliche Zahl. Die Ziffern „0“, „0 “, „0 “, „0 “... werden jeweils durch „0“, „1“, „2“, „3“... abgekürzt.
[7] Unter einem b-al-Bruch – gebräuchlich ist auch die Bezeichnung b-adischer-Bruch – versteht man für ein natürliches eine „Reihe der Gestalt
Dabei ist k ³ 0 und die an sind natürliche Zahlen mit 0 £ an < b. Falls die Basis b festgelegt ist, kann man einen b-al-Bruch auch einfach durch Aneinanderreihung der Ziffern an angeben
Für b = 10 spricht man vom Dezimalsystem (O. Forster, Analysis 1, S. 29). Für natürliche Zahlen gilt im besonderen die – von uns als Polynom-Darstellung bezeichnete – „vereinfachte“ Darstellung in Form und Gestalt einer endlichen (Polynom-)Summe
[8] Siehe dazu die allgemeine Definition bzw. Darstellung von b-al-Brüchen in Anmerkung 7
[9] Siehe dazu O. Forster, Analysis 1, S. 33
[10] Siehe dazu O. Forster, Analysis 1, S. 28
[11] Siehe dazu in O. Forster, Analysis 1 Reinbek bei Hamburg, 1976, die Sätze 2 und 3 auf Seite 29f.
[12] vgl. Meyers Handbuch über die Mathematik, Mannheim 1972, S. 915.
[13] vgl. dazu A. Drexler, Die Aktion und der Kalkül des Unendlichkleinen, S. 67 ff. Zur Entwicklung des Infinitessimalkalküls siehe beispielsweise auch: Mahnke D., Neue Einblicke in die Entdeckungsgeschichte der höheren Analysis, in Abhandlungen der preusischen Akademie der Wissenschaften, Jahrgang 1925, Berlin 1926.