Expose

 

8. Die Grenzwertmenge der natürlichen Zahlen

 

   I. – Das hat einfach damit zu tun, daß es im statischen Bereich sozusagen nur die Alternative endlich oder unendlich gibt. Gedacht werden kann allenfalls noch an ein Verfahren bzw. eine Situation, in der immer nur Zeichen für Zeichen ergänzt würde, ohne daß es dabei zu einer unendlichen Zeichenfolge kommt. Das wäre die Situation, die wir bekommen, wenn wir dieses Verfahren auf das beschränken, was aus der besagten Bijektion mit den natürlichen Zahlen an Einbettung eben dieser Zahlen auf der anderen Seite dieser Bijektion vorliegt. Die Frage ist, ob auch so eingebettet werden darf. Man darf nicht vergessen, daß es dabei um ein laufendes Verfahren geht. Das ist einfach eine andere Situation als wir ihr in der Mathematik ansonsten begegnen. Dort sind die Mengen, zwischen denen eingebettet wird, immer fertige Mengen. Auch die Kombinatorik hat es – wie gesagt – ausschließlich mit fertigen Produkten zu tun. Die Mengen, zwischen denen Abbildungen konstruiert werden, sind immer fertige Mengen. Mengenbildende Verfahren dergestalt wie es in dem Verfahren zur Darstellung der natürlichen Zahlen vorliegt, sind nicht Gegenstand der Mathematik.

   Das Besondere dieses Verfahrens besteht darin, daß die fragliche Menge von diesem Verfahren auch erst entwickelt wird. Die Elemente dieser Menge werden im Verfahrensverlauf erst produziert. Die gibt es so vorher nicht, weil deren Existenz an dieses Verfahren gebunden ist. Soweit in der Mathematik in einem weiteren Sinne mengenbildende Verfahren behandelt werden, handelt es sich um Verfahren, die unter bereits als gegeben vorauszusetzenden Elementen auswählen. Letztlich läuft so etwas immer unter dem Motto "definierende Eigenschaft". Und ausgewählt werden kann nach dem Auswahlaxiom immer, auch wenn dieses Axiom als ein nicht-konstruktives Axiom umstritten ist. Es ist gleichwohl ein sehr einleuchtendes Axiom, und findet in der Mathematik vielfach auch Anwendung. Die Auswahl erfolgt dabei aber grundsätzlich aus bereits bestehenden Familien von Mengen. Das ist insoweit kein schöpferischer Akt, der dabei stattfindet. Von dieser Qualität ist allerdings das Verfahren zur – wie man sagen muß – nicht nur Darstellung sondern auch Produktion der natürlichen Zahlen.

   Eine Bijektion im klassischen Sinne zwischen diesen beiden Modellen natürlicher Zahlen könnte es von daher nur zwischen den bereits produzierten Modellen geben. Und dann kann man durchaus die Bijektion – versuchsweise – so definieren, wie man sie auch noch während ihres Vollzugs zu definieren versucht hat. Es wäre dies auch die einzig mögliche Definition einer Bijektion zwischen beiden Mengen. Anders läßt sich so etwas nicht aufziehen, wenn die Zuordnung auf dem Kriterium des Anzahlbegriffes beruht. Die Struktur auf beiden Seiten definiert sich dann durch die Addition von Anzahlen. Offenbar ist die Struktur im Unendlichen in beiden Fällen eine andere. Im einen Fall wäre das Geschehen im Unendlichen (in das Verfahren) eingebunden, im anderen Fall dagegen nicht. Das würde bedeuten, daß man an die endlichen Teilfolgen des einen Systems auch ohne Grenzübergangsverfahren herankommen sollte. Alles, was diesseits des Grenzüberganges in einem System liegt, sollte auch ohne eine solche Operation erreicht werden können. Dem steht entgegen, daß es sich auch bei allen endlichen Zeichenfolgen des einen Systems um eine unendliche bzw. – zumindest – nicht-endliche Menge handelt. Es ist dies eine den natürlichen Zahlen umfangsgleiche Menge. Das kann man jedenfalls sagen. Man kann im klassischen System allerdings nicht so tun als ob dabei nicht mit verschiedenen Zeichen gearbeitet würde, um auf diese Weise die gleichen Verhältnisse wie im anderen System vorzutäuschen.

   Das sind dann einfach zwei ganz verschiedene Ansätze. Man kann nicht ungestraft von der Verschiedenheit der Zeichen abstrahieren, so wie es der mathematische Formalismus – notwendig – tut. Wir müssen dann einfach realisieren, daß es die unendliche Menge aller Ein-Zeichen-Folgen so nicht gibt. Die Einbettung der endlichen Mehr-Zeichen-Folgen in die entsprechenden Ein-Zeichen-Folgen scheitert an diesem divergierenden Unendlichkeitsverhalten. Es scheint so als ob es mehr endliche Mehr-Zeichen-Folgen als Ein-Zeichen-Folgen gibt. Auf jeden  Fall ist das Einbettungs-Diagramm nicht kommutativ. Diese Kommutativität müßte nämlich auch für die jeweilige Produktionsfolge, und d.h. das ganze System von Zeichenfolgen gelten. Dementsprechend müßten auch die Grenzwerte übereinstimmen, und das tun sie offenbar nicht. Die unendliche Zeichenfolge auf der einen Seite ist ohne Bild auf der anderen Seite. Man könnte sich jetzt fragen, was dabei eigentlich schiefläuft. Formal funktioniert das mit der 1-1-Zuordnung durchaus. Und auch das mit der Addition – aber auch Multiplikation – klappt ganz gut, und das sollte es dann auch schon sein.

  

   II. – Die Frage ist, welche Art von Isomorphie erwartet wird. Wird auf Folgen gesehen, dann erwarten wir diffeomorphe  Strukturen, und d. h. es wird dann auch auf Grenzwerte gesehen. Bei Mengen, die aus Folgen hervorgehen, ist diese Art von Isomorphie, und d. h. ist Diffeomorphie auch unverzichtbar, wenn es um die Identifizierung verschiedener Systeme einer bestimmten  Menge geht. Dann müssen auch Grenzwerte vertauschbar bzw. übertragbar sein, und d.h. auch Grenzwerte müssen aufeinander abgebildet werden. Und wenn es auf der einen Seite keinen  Grenzwert gibt, dann zeigt dies, daß die Strukturen auf beiden Seiten nicht identisch sein können. Man kann sich jetzt fragen, wo sich denn die Wege trennen. Was die klassische Darstellung natürlicher Zahlen anbelangt, so ist die Situation ziemlich einfach und eindeutig: Es bleibt dort auch im Unendlichen bei unendlichen Zeichenfolgen. Grenzübergänge finden dort im engeren Sinne somit auch nicht statt. Und das ist genau das auch, was uns in der Wahrnehmung natürlicher Zahlen von diesen Zahlen  unterschiedslos als – wenn man so will – gleichförmigen Punkten denken läßt. Da passiert eigentlich nichts. Auf die endliche Zeichenfolge folgt eine andere endliche Zeichenfolge. Mehr gibt es dazu – eigentlich – nicht zu sagen. Im mathematischen Formalismus findet das in der Form seinen Ausdruck, daß gesagt wird: .

  Der Informationswert so einer Feststellung hält sich in Grenzen. Die natürlichen Zahlen sind als Folge eine ziemlich farblose Veranstaltung. Natürlich können diese Zahlen nicht alle Zeichenfolgen für Zeichenfolge (re-)produziert werden. Insofern ist auch die Existenz dieser Menge an ein Grenzübergangsverfahren gebunden. Wir müssen, wenn wir alle natürlichen Zahlen haben wollen, schon auch nach Unendlich gehen, und das tut man nicht Schritt für Schritt. Das geht dann auch nur so, daß die unendlich vielen endlichen Zeichenfolgen dann alle auch auf einmal gesetzt werden. Das können wir dann nicht selbst tun; wir müssen das dem Verfahren überlassen, das auch vorher schon zugange war. Der Produktion der natürlichen Zahlen liegt insgesamt ein – einziges – Verfahren zugrunde. Und wenn das Verfahren so organisiert und strukturiert ist, das es zu keinem Ende findet, dann findet das Verfahren zwangsläufig zu Unendlichem, unabhängig davon, von welcher Art der – materielle – Abschluß des Verfahrens ist. Wenn immer nur Zeichenfolge auf Zeichenfolge gesetzt wird, dann gibt es auch keinen – förmlichen – materiellen Abschluß. Als abgeschlossen gedacht werden muß das ganze Verfahren dennoch. Damit haben wir – wie gesagt – ob man das für merkwürdig halten mag oder auch nicht, auch keine Probleme.

   Hätten wir damit ein Problem, dann wäre die Existenz von Unendlichem in Frage gestellt. Es kann Unendliches nicht in Form und Gestalt eines unendlichen im Sinne von nicht-endenden Verfahrens verstanden werden. Das ist zwar Unendliches schon immer auch; es ist dies nur nicht auch alles. Es gibt Unendliches nicht als Werdendes sondern immer nur als Fertiges. Es gibt Unendliches auch nicht einfach nur als endloses Verfahren. Das ist auch nur eine notwendige Voraussetzung für Unendlichkeit. Im Ergebnis, und d. h. im Abschluß wird daraus dann auch eine zureichende Bedingung für Unendlichkeit. Wir müssen uns das Verfahren schon auch als abgeschlossen denken. Das Verfahren für sich genommen steht nur für das Setzen von Zeichenfolge auf Zeichenfolge. Das aber hat noch nichts mit Unendlichkeit zu tun. Es ist a priori auch nicht gesagt, daß so eine Regel immer auch zu Unendlichem führt. So ein Verfahren könnte genausogut auch irgendwo abbrechen. Bei irgendwelchen Algorithmen ist das immer auch eine Möglichkeit, mit der man rechnen muß, und mit der man im übrigen immer auch gerne rechnen würde.

   Unendliches gibt es nur gegen ein entsprechendes Verfahren, das wir uns zu diesem Zwecke dann auch als abgeschlossen denken müssen. Und das gilt – wie gesagt – auch dann, wenn kein förmlicher materieller Abschluß vorliegt. Wie wir von unendlichen Zeichenfolgen wissen, schließt das Unendlichkeit nicht aus. Allerdings ist dort auch das Ergebnis ein Unendliches, die unendliche Zeichenfolge eben. Bei den natürlichen Zahlen ist die Situation eine andere. Dort gibt es diesen Abschluß nicht. Der Abschluß besteht aus der Gesamtheit aller endlichen Zeichenfolgen. Und das ist etwas, was sich nur schwer fassen läßt. Wir können auch  keine unendliche Zeichenfolge reproduzieren; aber immerhin wissen wir in diesem Fall noch, um was es geht, und wie dieses auch aussieht. Bei den natürlichen Zahlen haben wir dieses offene Ende. Eine endliche Zeichenfolge ist auch ganz bestimmt etwas anderes als eine unendliche, so daß diesbezüglich eine klare Unterscheidung vorliegt.

  

   III. – Was bei den natürlichen Zahlen nicht stattfindet, das ist der Übergang von endlichen zu unendlichen Zeichenfolgen. Das ist auch etwas, was sich nicht in einem einzigen Verfahrensschritt vollziehen könnte, und d. h. aus einer endlichen Zeichenfolge wird niemals durch Ergänzung eines einzigen weiteren Zeichens eine unendliche Zeichenfolge. Der Schritt von Endlichem zu Unendlichem vollzieht sich durch das Setzen von unendlich vielen Zeichen auf einmal. Wie man an diese Zeichen alle herankommt, das ist klar: Wir müssen uns dazu das Verfahren, das aus dem Setzen Zeichen für Zeichen besteht, uns als abgeschlossen denken. Dann tut dieses Verfahren genau das, es setzt nämlich unendlich viele Zeichen auf einmal, so wie es das vorher immer nur Zeichen für Zeichen getan hat. Wir können das also schon auch innerhalb eines Verfahrens abwickeln. Die Ergänzung um unendlich viele weitere Zeichen auf einmal muß nicht getrennt für sich zu Zwecken der Ergänzung einer endlichen zu einer unendlichen Zeichenfolge vorgenommen werden. Es ist dabei auch vollkommen egal, an welcher Stelle wir das Verfahren in den unendlichen Vollzug geben. Das läßt sich an jeder x-beliebigen Stelle abwickeln. Das heißt also, unabhängig davon, wie weit wir in der Entwicklung endlicher Zeichenfolgen schon fortgeschritten sind, sind wir dadurch einer unendlichen Zeichenfolge deswegen keinen Schritt näher gekommen.

   Das gilt so dann natürlich auch für jede natürliche Zahl. Wir bewegen uns mit allen diesen Zahlen im endlichen Bereich. Und doch gibt es von diesen Zahlen unendlich viele. Dazu muß dieses Verfahren allerdings auch ins Unendliche fortgeschrieben werden. Auch das läßt sich nicht einfach Zeichenfolge für Zeichenfolge einrichten. Und es sollte dabei auch nicht zu unendlichen Zeichenfolgen kommen (können). Es soll schließlich alles an endlichen Möglichkeiten der Zeichenkombination ausgeschöpft werden. Andernfalls stellt sich die Frage nach der Vollständigkeit der produzierten endlichen Zeichenfolgen. Und möglicherweise stellt sich überhaupt auch die Frage nach der Unendlichkeit der Menge produzierter endlicher Folgen. Es geht bei dieser Aufgabenstellung um die – wenn man so will – Ausschöpfung unendlicher Zeichenfolgen durch endliche Zeichenfolgen. Man könnte auch sagen, es geht dabei um die Approximation einer unendlichen Zeichenfolge durch eine Folge endlicher Zeichenfolgen. Da wird also schon auch auf die einzelne Zeichenfolge gesehen. In der Summe werden wir auf diese Weise hinter der gestellten Aufgabe zwangsläufig zurückbleiben.

   Man kann es nicht genug betonen: Wir kommen an alle endlichen Zeichenfolgen so einer Ausschöpfung bzw. Approximation auch nur über ein Grenzübergangsverfahren heran. Es müssen dann unendlich viele solcher Folgen auf einmal produziert sein. Anders funktioniert das mit der Produktion aller nur möglichen endlichen Zeichenfolgen nicht. Allerdings sollte dann schon auch nach jeder Zeichenfolge eine Zäsur gesetzt sein. Es sollen dabei schließlich keine Zeichenfolgen einfach nur ergänzt, sondern zugleich auch neu aufgenommen werden. Bei der variablen Besetzung einzelner Positionen kann ohnehin nicht einfach nur fortgeschrieben werden. Und diese Zäsur soll durch das Verfahren auch abgedeckt sein; sie soll nicht einfach nur von uns hinzugedacht werden (müssen). Das würde nichts bringen, einfach weil wir im Unendlichen uns diese Zäsur nicht einmal denken könnten.

   Im übrigen würde auch das nicht davor schützen, daß es dabei im Ergebnis zu unendlichen Zeichenfolgen kommt. Und das sind alles Bedingungen, die vom klassischen Verfahren zur Darstellung der natürlichen Zahlen alle auch erfüllt sind. Es kommt dort zur systematischen Produktion in Reihenfolge aller nur möglichen endlichen Zeichenfolgen aus einer vorgegebenen endlichen Zeichenmenge. Da wird dann nach allen Regeln der Kunst kombiniert. Und es wird immer auch neu angesetzt. Unbeantwortet bleibt von diesem System allerdings auch die Frage nach dem Übergang von Endlichem zu Unendlichem. Endliches kann immer auch um Unendliches ergänzt werden. Nur Unendliches ist keiner Ergänzung mehr fähig. Eine endliche Zeichenfolge, so wie sie allesamt zur Darstellung natürlicher Zahlen Verwendung finden, kann immer noch um unendlich viele Zeichen ergänzt werden. So gesehen wäre nach jeder natürlichen Zahl immer noch Platz für eine Unmenge weiterer natürlicher Zahlen. Und natürlich kann und muß man auch versuchen, dieses Potential auch noch weiter auszuschöpfen.

   Das Problem dabei ist nur, wir werden auf diese Weise die Distanz nicht verringern können. Egal, was wir im Endlichen auch alles anstellen, die Distanz zu Unendlichem ist und bleibt unendlich. Ist das aber auch noch bei bzw. nach unendlich vielen natürlichen Zahlen so? Unendlich viele natürliche Zahlen heißt, daß es keine letzte natürliche Zahl gibt. Damit ist dann einfach die Gesamtheit aller natürlichen Zahlen, will heißen aller der diese Zahlen darstellenden endlichen Zeichenfolgen angesprochen. Das ist also eine mengenbezogene Feststellung. Sie ist so zu verstehen, daß auf diese Weise auch alles an möglichen endlichen Zeichenfolgen ausgeschöpft ist. Natürlich, jede solche Zeichenfolge ist eine endliche Zeichenfolge. Wenn man damit aber ins Unendliche geht, dann ist genau dem vorgebeugt, daß es noch mehr an natürlichen Zahlen geben könnte. Unendliche Mengen sind keiner Erweiterung fähig. Damit können nach so einer Menge nur noch unendliche Zeichenfolgen kommen. Und das heißt, wir hätten damit tatsächlich eine Trennungslinie zwischen endlichen und unendlichen Zeichenfolgen gezogen.

   Das gilt wie gesagt allerdings nur unter den besagten Voraussetzungen. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben –  und das sind sie im mathematisch-philosophischen Modell natürlicher Zahlen nicht – dann haben wir diese Trennung von endlichen und unendlichen Zeichenfolgen nicht. Im klassischen Fall findet diese Trennung bzw. Zerlegung durchaus statt, auch wenn wir sie – wiederum – im einzelnen bzw. bis ans Ende nicht nachvollziehen können. Man kann die Situation in diesem Fall durchaus so einordnen, daß man sagt, es würde das System endlicher Zeichenfolgen dabei bis ganz an diese unendlichen Zeichenfolgen herangeführt. Wir haben hier insofern eine – wenn auch nicht typische –  Grenzwertsituation vorliegen. An eine jede unendliche Zeichenfolge läßt sich sukzessive durch  eine jeweils um eine Position erweiterte Folge von endlichen Zeichenfolgen heranführen. Auf einer letzten Etappe wird das allerdings nur so geschehen können, daß man unendlich viele dieser Zeichen auf einmal setzt. Es gibt dazu keine Alternative.

     

   IV. – Anders sieht es im klassischen System aus, in dem allerdings nicht nur an eine sondern an eine Vielzahl solcher unendlicher Zeichenfolgen – simultan – gewissermaßen – herangeführt wird. Hier haben wir die institutionelle, und d. h. die in das Verfahren eingebaute Zerlegung in die einzelnen endlichen Teilfolgen. Und dieses Verfahrenselement trägt auch im Unendlichen, auch wenn wir – wie gesagt – das im einzelnen nicht auch nachvollziehen können. Es genügt dann zu wissen, daß es das Verfahren tut. Und das Verfahren tut dies auch. Das ist einfach eine andere Situation als im mathematisch-philosophischen Modell der natürlichen Zahlen. Dort haben wir diese Zerlegung nicht. Es ist so, daß wir es in diesem Zusammenhang mit der Durchdringung zweier Unendlichkeiten zu tun haben. Wir gehen mit der einen Unendlichkeit der anderen entgegen. Es gibt natürlich unendlich viele natürliche Zahlen. Und wenn man diese Zahlen alle ausgeschöpft hat, dann ist man noch immer nicht bei unendlichen Zeichenfolgen.

   Da kommt also noch etwas hinzu. Explizite Rekonstruktionsbemühungen führen dabei nicht weiter. Wir können diesbezüglich nur ein Verfahren vorschicken, das das Terrain entsprechend aufbereitet. Und da unterscheiden sich beide Ansätze zur Darstellung der natürlichen Zahlen erheblich. Wir haben im einen – im klassischen – Verfahren die Rekonstruktion Element für Element. Die Durchdringung ist in diesem Fall vollkommen. Es wird hier sukzessive, und d. h. Position für Position an die entsprechende unendliche Zeichenfolge herangeführt. Das Verfahren leistet etwas, was wir selbst weder tun noch – auch nur in Gedanken – nachvollziehen können. Auch unsere gedankliche Beschäftigung mit dieser Frage unterliegt einem Zeitindex, und ist als solche nicht geeignet, das Verfahren adäquat zu erfassen.

   Wir können uns so eine Zerlegung nicht einfach nur hinzudenken. Von daher sind beide Verfahren bzw. Ansätze auch nicht vergleichbar. Wir haben im mathematisch-philosophischen Modell diese Trennung einfach nicht. Und von daher ist das mit der bijektiven Zuordnung beider Verfahren auch keine Möglichkeit. Das ist so – im Unendlichen – dann nicht – mehr – möglich. Das funktioniert so nicht. Wir könnten diese Zuordnung nämlich auch wieder nur einem dementsprechenden Verfahren übertragen. Die Zuordnungsvorschrift, die dabei zur Anwendung kommt, ist klar: Es werden die Elemente auf beiden Seiten, die die gleiche Anzahl repräsentieren, aufeinander abgebildet. Diese Zuordnung funktioniert allerdings nur einseitig. Voraussetzung dafür ist die klare Trennung der einzelnen Elemente voneinander, und das haben wir so auf der anderen Seite einfach nicht. Auf der einen Seite haben wir diese Trennung, auch wenn wir sie nicht im einzelnen reproduzieren können, aber darauf kommt es auch nicht an. Entscheidend allein ist, daß sie vom Verfahren selbst alle auch voneinander auch getrennt produziert und insoweit auch voneinander unterschieden werden.

   Das haben wir auf der anderen Seite so nicht. Die Elemente auf dieser Seite werden insoweit "unterschiedslos" auf einmal gesetzt. Wir können uns da einzelne Elemente nicht einfach herausgegriffen denken. Das müßte dann schon verfahrensinstitutionell abgesichert sein. Es geht in diesen Dingen nicht darum, daß man etwas – zur Gänze – auch tut;  es müssen nur die Voraussetzungen gegeben sei, daß man es auch tun könnte, wenn man es denn auch tun wollte. Und Grenzübergänge lassen sich nun einmal analytisch nicht einholen. Das ganze Geschehen spielt sich insoweit im Dunkeln ab. Der Übergang von Endlichem zu Unendlichem ist im mathematisch-philosophischen Modell verfahrensinstitutionell nicht spezifiziert. Da findet einfach keine innere Differenzierung statt. Das ist kein einfach gegliedertes Verfahren. Wir können deswegen nicht einfach mit diesen Zeichenfolgen operieren.

   Es macht auch formal-mathematisch einfach einen Unterschied, ob wir ein gegliedertes Verfahren haben oder nicht. Wir können auch die einzelnen Zeichenfolgen des klassischen Verfahrens nicht alle durchgehen. Es ist in diesem Verfahren allerdings dafür gesorgt, daß sie alle auch getrennt voneinander erfaßt werden. Es gibt in diesem Verfahren für jede einzelne Zeichenfolge auch den eigenen Verfahrensschritt. Das haben wir auf der anderen Seite so nicht. Darin unterscheiden sich beide Seiten einfach. Auf der anderen Seite ist das Verfahren auch ein ganz einfaches: Es wird dabei eine Zeichenfolge um jeweils immer ein und dasselbe Zeichen fortgeführt. Wir könnten uns schon auch denken, daß mit jedem Verfahrensschritt auch alles Bisherige immer von Anfang an wieder aufgenommen wird. Das kann man tun. Es geht bei der Definition so eines Verfahrens immer um die Festlegung der Verfahrensregeln. Das ist im klassischen System auch nicht anders. Dort muß allerdings zwangsweise immer von vorne angefangen werden, einfach weil die Zeichenfolgen dieses Systems nicht auseinander durch Ergänzung eines weiteren Zeichens hervorgehen.

 

   V. – Im mathematisch-philosophischen Modell haben wir diese Situation. Wenn wir haben wollen, daß aus diesem System auch unendlich viele Zeichenfolgen hervorgehen, dann müssen das mit der ständigen Neuaufnahme alles Bisherigen auch zur Verfahrensregel machen. Das ist nicht das Problem. Es schützt diese allerdings nicht davor, daß die solcherart eingerichtete Trennung konstruierter Art ist. Das ist dann auch wieder – nur – Interpretation. Genausogut könnten wir uns die einzelnen Zeichenfolgen alle nur gedanklich voneinander getrennt denken. Diese Trennung ist nicht auch verfahrenstechnisch verankert. Im Ergebnis ist es auch de facto nur so, daß eine angefangene Folge immer wieder nur um ein und dasselbe Zeichen ergänzt wird. Und zumal, wenn dann nach unendlich gegangen wird, wird man zu Trennungszwecken das Verfahren nicht verpflichtet sehen können, immer wieder auch von vorne anzufangen. Das darf dann ja mit keinem Zeitindex einhergehen. Das muß dann schon auf einmal geschehen, und dann wird das Verfahren einfach nur ergänzen. Es wird dann sozusagen den Weg des geringsten Widerstandes gehen.

   Eine 1-1-Zuordnung setzt andererseits aber die förmliche Trennung voraus. Wir können über ein Grenzübergangsgeschehen nicht analytisch verfügen. Wir können uns dabei nicht einzelne Elemente herausgreifen, so wie es jedes Abbildungsgeschehen voraussetzen würde. Wir können so ein Geschehen nicht rekonstruieren. Und dementsprechend auch können wir diesem Geschehen nicht einfach einzelne Elemente isoliert entnehmen. Das Verfahren ist – für uns – in der Abfolge seiner einzelnen Elemente nicht verfügbar. Wir haben hier keine Menge vorliegen, aus der einfach einzelne Elemente herausgegriffen werden könnten. Das ist eine Menge, die sich – noch – in der Produktion befindet. Man kann da nicht einfach sagen, es sei M die Menge aller endlichen Zeichenfolgen bestehend aus den verschiedensten Anzahlen ein und desselben Zeichens.

   Könnte man das sagen, wäre das mit der besagten Bijektion kein Problem. Es wird dabei schon auch Einzelproduktion vorausgesetzt. Und es geht dabei schon auch um die Gesamtheit aller solcher Folgen. Wir können sicherlich jede nur beliebige endliche Zeichenfolge herausgreifen bzw. für sich allein produzieren. Es zählt dann auch kein Zeitindex. Was in der Zeit möglich ist, das ist insoweit auch mathematisch zulässig. Die Gesamtheit aller möglichen Folgen eröffnet sich uns dagegen nur über ein Grenzübergangsgeschehen. Und dann kann die Verfügbarkeit jeder einzelnen beliebigen endlichen Folge nicht zugleich auch gleichermaßen die Verfügbarkeit aller solcher Folgen gewährleisten. Man kann dann nicht so tun, als ob diese Folgen in ihrer Gesamtheit Folge für Folge erreicht werden könnten, so wie es auch Voraussetzung für eine die ganze Folge umfassende 1-1-Beziehung zu einer anderen Menge wäre.

   Diese Voraussetzung ist nicht gegeben. Die Konstruktion einer solchen Beziehung kann dann nicht demonstrativ an einem Elemente stellvertretend für alle anderen Elemente erfolgen. Dieses rein formale Vorgehen wäre in so einem Fall kein zulässiges Verfahren. Zeichenfolge für Zeichenfolge erreichen wir die ganze Menge nie. Eine 1-1-Beziehung setzt aber diese Verfügbarkeit Zeichenfolge für Zeichenfolge voraus. Nun bekommen wir alle diese Zeichenfolgen nur im Paket. Um so eine Beziehung einrichten zu können, müßte dieses Paket auch in seine Einzelteile zerlegt werden (können). Anders funktioniert so etwas nicht. Man kann so eine Beziehung nicht auf Pakete-Niveau einrichten. Abgebildet wird immer zwischen den Elementen von Mengen. Das ist allerdings auch etwas, was in der Mathematik wenig Beachtung findet. So werden reelle Funktionen auf offenen Intervallen von  oder auch auf ganz  definiert. Da wird auch einfach nur per formal-abstrakter Abbildungsvorschrift gesagt, welche reelle Zahl auf welche – andere – reelle Zahl abgebildet sein soll.

   Fragen der Abzählbarkeit sowie der linearen Ordnung dieser Zahlen spielen dabei keine Rolle. Es genügt, wenn man weiß, wie jede reelle Zahl zu behandeln ist. Allerdings werden dabei die reellen Zahlen auf dem jeweiligen Definitionsbereich auch als gegeben angesehen bzw. vorausgesetzt. Diese Zahlen liegen dann einfach vor. Das ist dann schon auch eine andere Situation als wenn die zu konstruierende Abbildung in Verbindung mit dem Produktionsverfahren für die betreffende Menge erfolgt. Dann liegt auch noch nichts vor, auf das einfach verwiesen werden könnte. Grundsätzlich sollte man in keinem Fall der Beschäftigung mit Mengen von Fragen der Produktion einer Menge abstrahieren. Schließlich garantiert die Produktion – und auch nur die Produktion – auch die Existenz. Bevor man sich Gedanken über irgendwelche Abbildungen zwischen reellen Zahlen und ihren Teilmengen macht, müßte auch erst die Existenz dieser Menge sichergestellt sein. Andernfalls wäre alles andere gegenstandslos. Es macht einfach keinen Sinn, sich mit Abbildungen zwischen Mengen zu beschäftigen, die es nicht gibt. Formal läßt sich natürlich vieles festlegen.

   Es wird in Analysis-Lehrbüchern im allgemeinen – wie gesagt – auf Darstellungs- und mithin auch Existenzfragen von – reellen – Zahlen nicht eingegangen. Der Satz von der b-al-Darstellung reeller Zahlen gehört nicht zum Pflichtprogramm von solchen Lehrbüchern. Dieser ganze Formalismus wird insoweit unabhängig von solchen Fragen entwickelt. Besteht deswegen dieser ganze Formalismus aber auch unabhängig von diesen Fragen? Natürlich versteht sich dieser ganze Formalismus schon auch – nur – als Rekonstruktion der Mathematik, so wie sie – in Grundzügen jedenfalls, aber auch darüberhinaus – von jedem Menschen erlernt wird, und zwar erlernt worden ist, bevor so einer systematischen Entwicklung dieser Disziplin. Es gibt niemanden, der die Mathematik nach einem Analysis-Lehrbuch erlernt hätte. Die mathematische Biographie eines – jeden – Menschen sieht anders aus. Wir gehen deswegen an die Entwicklung so eines Formalismus nicht unvoreingenommen heran. Effektiv handelt es sich dabei in weiten Teilen um eine – bloße – Rekonstruktion, und d. h. um eine Formalisierung eben. Formalisiert werden kann schließlich auch nur Gegebenes.

   Jeder Formalismus bedarf immer auch des Stoffes, der dann einer solchen Behandlung zugeführt wird. Formalismus sind so gesehen nicht auch für sich existenzfähig. Man könnte diese notwendige Materialisierung eines Formalismus auch in der – materiellen – Formulierung desselben sehen. Jeder Formalismus schafft sich so – notwendig – seine eigene materielle Bezugsgröße. Formalismen wollen alle auch – schriftlich – festgehalten sein, und das genügt auch schon, um so einen Formalismus auch lesen und verstehen zu können, vorausgesetzt, das alles ist auch folgerichtig entwickelt. Verständlich in der ganzen Entwicklung ist das – wie gesagt – allerdings nur vor dem Hintergrund der Mathematik, so wie wir sie von der Schule her kennen. Anfänger ist in diesen Dingen nie jemand.

   Das ganze mathematische Programm, so wie es in Schule und Hochschule abgespult wird, geht auf die natürlichen Zahlen zurück. Daraus leitet sich alles weitere an Zahlen – einschließlich der reellen Zahlen – ab. Anders läßt sich das, was in Analysis-Lehrbüchern steht, auch nicht verstehen. Das fängt bereits mit den Körperaxiomen an. Niemand käme auf die Idee, diese Axiome so zu formulieren, wie sie formuliert sind, ohne diesen Bezug zu den natürlichen Zahlen und ihren Erweiterungen bis hin zu den reellen Zahlen. Schließlich führen diese Erweiterungen auch gerade so weit als das System der Darstellung natürlicher Zahlen an möglichen Erweiterungen zuläßt.