Expose
7. Die Grenzen des mathematischen Formalismus
I. – So etwas findet in der Mathematik nicht statt. Das haben wir dort nirgends. Wenn man von so einem Verfahren wie dem Quadratwurzel-Algorithmus Gebrauch macht, dann wird natürlich in der regulären und im übrigen auch einzig und allein praktikablen Darstellung reeller Zahlen Gebrauch gemacht, und d.h. es wird mit Brüchen gerechnet. So wie die Rekursionsformel in dem besagten Algorithmus ist, werden wir ausgehend von einer rationalen Zahl niemals auch auf irrationale Zahlen stoßen können. Es kann allerdings zu periodisch-unendlichen Brüchen kommen. In diesem Fall müßten wir dann allerdings in – formaler – Bruchdarstellung weiterrechnen. Ansonsten wäre es mit der exakten Berechnung der Quadratwurzel schon einmal vorbei. Es kann ja sein, daß sich das wieder gibt. Ansonsten ist es so, daß die letzten Bruchstellen in der aktuellen Entwicklung unsicher sind. Von Folgenglied zu Folgenglied können sich diese Bruchstellen also ändern. Und es muß dabei auch nicht zur Ergänzung einer weiteren Bruchstelle kommen. Es gibt für solche Algorithmen zumeist auch eine Fehlerab- schätzung, und dieser Abschätzung läßt sich dann auch entnehmen, wie viele Bruchstellen inzwischen als sicher gelten können.
Die Nummer des Folgengliedes sagt also nichts über die Anzahl inzwischen erreichter Bruchstellen aus. Es kann – wie gesagt – nur nicht sein, daß es in dem besagten Verfahren am Ende oder auch vorher zu einer nicht-periodisch unendlichen Entwicklung kommen könnte, wenn man das Verfahren mit einer rationalen Zahl aufgenommen hat. Periodische Entwicklungen wären dagegen jederzeit möglich. Jede rationale Zahl ist von einer möglichen solchen Bruchentwicklung. Das Verfahren zur Auflösung eines solchen Bruches gestaltet sich auch unabhängig von den natürlichen Zahlen. Da wird dann einfach Bruchstelle an Bruchstelle gereiht. Und es wird– mehr noch – dann einfach nur Periode an Periode gereiht. Die Frage, ob die natürlichen Zahlen zureichen, um so einen Bruch Bruchstelle für Bruchstelle auch durchzugehen, stellt sich dabei nicht. Der allgemeine Quadratwurzel-Algorithmus ist also durchaus auch offen für unendliche Brüche. Was die Quadratwurzel aus irrationalen Zahlen anbelangt, so ist es so, daß dabei mit b-al-Brüchen nicht gearbeitet werden kann. Auch keine Rechenmaschine könnte das. Wir können diesbezügliche Berechnungen – exakt – nur insoweit ausführen, als uns das der allgemeine mathematische Formalismus auch gestattet, und d. h. soweit solche Berechnungen ohne Auflösung einer operativen Darstellung wie etwas auflösen lassen.
Die diesbezüglichen Möglichkeiten reichen nicht sehr weit. Sie beschränken sich auf die allgemeinen Umformungen bzw. Gesetzmäßigkeiten, wie sie für die entsprechenden Operationen gelten. Was Wurzelen anbelangt, sind das die allgemeinen Wurzelgesetze. Das wäre dann allerdings schon zuwenig. Wir dürfen schon erwarten, daß jede mathematische Operation prinzipiell –in Ansätzen zumindest – auch ausgeführt werden kann. Es hätte wenig Sinn, mit einem Symbol wie umzugehen, wenn überhaupt keine Möglichkeit bestünde, die Quadratwurzel – wie gesagt in Teilen zumindest – auch effektiv zu ziehen, und d. h., diese Zahl auch in b-al-Bruchschreibweise anzusetzen. Und es müßte dann weiter auch sichergestellt sein, daß diese Zahl auch – zur Gänze – in so einen Bruch bzw. durch so einen Bruch darzustellen ist. Das ist dann aber auch sichergestellt, sobald man auch anfangen kann. Also, man kann aus so einer Bruchentwicklung nicht herausfallen. Alles, was dabei passieren kann, ist dies, daß so eine Bruchentwicklung nicht aufhört, und d. h. eine unendliche, womöglich auch eine nicht-periodisch unendliche ist. Zunächst ist so ein Ausdruck wie ein definierter Ausdruck. Es ist festgelegt, was wir darunter zu verstehen haben, diejenige Zahl nämlich, die mit sich selbst multipliziert 2 ergibt. Natürlich ist diese Aufgabe in der Menge der natürlichen, wie auch ganzen Zahlen nicht zu lösen.
Das sieht man natürlich sofort. Es gibt aber auch keine rationale Zahl mit dieser Eigenschaft. Man kann das mit der ganzen Bruchschreibweise schon auch nur rein formal verstehen. Man muß nur wissen, wie man mit solchen Gebilden zu rechnen hat. Man braucht das Material, und man braucht die (Rechen-)gesetze. Sobald man beides hat, kann eine Aufgabe wie die der Berechnung von als gelöst angesehen werden. Allerdings muß das Material einem bestimmten System folgen, und müssen die Rechengesetze einem bestimmten Verfahren gehorchen. So etwas läßt sich natürlich nicht für jede einzelne Zahl bzw. jede einzelne darin auszuführende Operation festlegen. Und dann ist bei Zahlbereichserweiterungen immer auch darauf zu achten bzw. dafür zu sorgen, daß sich die Ursprungsmenge mit ihrem etablierten System von Verknüpfungen nahtlos auch in die erweiterte Menge und den darauf zu definierenden Verknüpfungen einfügt. Die Ursprungsmenge muß als eine Teilmenge der Erweiterungsmenge verstanden werden können. Die Elemente der ursprünglichen Menge müssen sich in der Terminologie, und d. h. Ausdrucks- bzw. Darstellungsweise der Erweiterungsmenge lesen lassen.
II . – In mathematischer Terminologie kann man sagen, die Ursprungsmenge muß sich in die Erweiterungsmenge einbetten lassen. Und es darf dann auch keinen Unterschied machen, ob in der Ursprungsmenge verknüpft und dann eingebettet, oder ob zuerst eingebettet und dann in der Erweiterungsmenge mit den dort definierten analogen Verknüpfungen gearbeitet wird. Das entsprechende Diagramm muß kommutativ sein. ist eine irrationale Zahl. Sie läßt sich nicht als ....schreiben. Das kann man wie gesagt nachweisen, und damit ist diese Zahl von einer nicht-periodischen unendlichen Bruchentwicklung Und diese Bruchentwicklung läßt sich – in Teilen – auch rekonstruieren. Aufgrund der linearen Ordnung der reellen Zahlen ist das kein Problem. Dahinter steht allerdings auch das ganze System von Zahldarstellung. Notwendig ist dieser Bezugsrahmen allerdings nicht unbedingt. Wir können uns dabei genauso gut auch auf den reinen Zeichenformalismus beschränken. Das ist letztlich auch der – materielle – Rahmen, innerhalb dessen sich alles abspielt. Einer Interpretation kann auch nur das zugeführt werden, was zuvor seinen Ausdruck in diesem Rahmen findet. Es gibt verschiedene Möglichkeiten der – ansatzweisen – Berechnung von .
In einem Verfahren kommt es zur sukzessiven Besetzung der Bruchstellenfolge. Die Bruchstellen einer Bruchdarstellung sind alle auch eindeutig bestimmt. Folglich läßt sich die Gültigkeit jeder – weiteren – Bruchstelle auch getrennt überprüfen. Man braucht dazu nur die bisherige endliche Bruchentwicklung mit sich selbst zu multiplizieren, um zu sehen, ob man schon – in diesem Fall – über der 2 ist oder – gerade – noch darunter. Wenn man gerade noch darunter ist, und d.h., wenn man mit dem nächsthöheren Zeichen bereits darüber wäre, dann ist eine weitere Bruchstelle gültig besetzt. Die Bruchdarstellung von Brüchen lebt in der Bruchkomponente von deren Gewichtung in den einzelnen Bruchstellen. Diese Bruchstellen markieren dann die Zehntel, die Hundertstel, die Tausendstel usw. Nichtsdestoweniger ist das Interpretation, Interpretation allerdings, die in diesem Fall der mathematische Formalismus aufgreift. Wenn gesagt wurde, daß sich dieser Formalismus nicht mit Fragender Zahldarstellung befassen würde, so stimmt das nicht ganz.
In manchen Analysis-Lehrbüchern wird der Satz behandelt, wonach sich jede reelle Zahl in einen sogenannten p-adischen Bruch entwickeln läßt, wie umgekehrt jeder solche Bruch eine Cauchy-Folge darstellt, und als solche gegen eine reelle Zahl konvergiert. P-adische Brüche sind – beispielsweise – Dezimalbrüche. Und ihre – formale – Darstellung finden solche Brüche als unendliche Reihe, und dazu bedarf es dieses Systems von Gewichtungen. Anders würde sich solche Brüche auch jeder Formalisierung entziehen. Wie soll man anders – formal – eine Bruchstellenfolge auch ausdrücken? Man kann dann nicht einfach mehr schreiben. Diese Bruchstellen sollen schließlich nicht addiert werden. In Frage käme allenfalls noch eine Darstellung als Folge . Das könnte man schon so sehen; die Frage ist nur, ob dazu die natürlichen Zahlen auch zureichen. Es geht dabei um einen unendlichen Bruch. Das ist eine Frage, die sich im übrigen auch bei der besagten Reihendarstellung stellt. Wer sagt denn, daß die Bruchstellenfolge von den natürlichen Zahlen abgezählt werden kann, so wie das sowohl bei der Folgen- als auch bei der Reihendarstellung angenommen wird? Damit hätte uns dieses Problem einmal mehr eingeholt. Die Menge der natürlichen Zahlen ist – im Gegensatz zu unendlichen Brüchen – ohne einen – natürlichen – Abschluß.
III. – Dieser Abschluß ist etwas, was bei unendlichen Folgen der Menge der natürlichen Zahlen gegenüber noch hinzukommt. Und dieser unendliche Abschluß unendlicher Folgen wird von so einer Folge auch erreicht. Diese Folge hat gegenüber dem Verfahren zu ihrer Produktion nicht etwa nur Grenzwertcharakter. Diese unendliche Folge wird angenommen, auch wenn das auch nur im Vollzug eines Grenzüberganges geschieht. Es ist dies allerdings nicht einfach nur der Grenzübergang .Das würde nicht ausreichen Die Besonderheit des Verfahrens zur Darstellung der natürlichen Zahlen liegt darin, daß von diesem eine unendliche Menge von endlichen Zeichenfolgen produziert wird. Man könnte sich vorstellen, daß das auch anders sein könnte, und d.h. daß wir von diesem Verfahren auch mit unendlichen Zeichenfolgen bedient würden. Formal würde man so etwas auch erwarten. Dieses Verfahren zeichnet sich schließlich dadurch aus, daß es zu immer längeren Zeichenfolgen führt. Daß das Verfahren in der Anzahl besetzter Positionen immer auch auf der Stelle tritt – und mit anwachsender Positionenanzahl zunehmend auch länger auf der Stelle tritt – hat dabei nichts zu besagen.
Es gibt – im Dezimalsystem – zehnmal mehr dreistellige als zweistellige natürliche Zahlen. Man kann mit Hilfe der zusätzlichen Position alles auf den Positionen zuvor so oft durchspielen als es Möglichkeiten der Besetzung dieser einen zusätzlichen – wie auch jeder anderen – Position gibt. Auch dieses Verfahrenselement hält sich im Unendlichen durch. Das darf es auch ruhig. Das Anwachsen der Länge steht dem nicht entgegen. Wir haben es dabei mit zwei sich ergänzenden Verfahrensbestandteilen zu tun. Die Zeichenfolgen werden immer mehr, und sie werden immer auch länger. Das eine schließt das andere nicht aus. Die Tatsache allein, daß es immer mehr werden, schließt für sich genommen das Anwachsen zu unendlichen Zeichenfolgen nicht aus. Daß es dennoch zu keinen solchen unendlichen Zeichenfolgen kommt, hat mit den – wenn man so will – Anwachsen der Breite insofern zu tun, als diese simultane Fortschreibung aller nur möglichen Zeichenfolgen aus der vorgegebenen Zeichenmenge – und nichts anderes besagt dieses Anwachsen – eine ständig wechselnde Zuwendung zu den einzelnen bereits bestehenden aber ihrer – weiteren – Fortschreibung harrenden Zeichenfolgen bedingt. Und gerade diese Zersplitterung verhindert es, daß auch nur eine dieser Zeichenfolgen zu einer unendlichen Zeichenfolge fortgeschrieben werden könnte, einfach weil sich dann das ganze Verfahren auf diese eine Zeichenfolge zu konzentrieren hätte. Anders funktioniert so etwas einfach nicht.
Unendliches bedarf eines ganzen Verfahrens für sich. Das ganze Verfahren ist auch für Unendliches gut, nur daß sich diese Unendlichkeit auf eine ganze Menge, die Menge der natürlichen Zahlen verteilt. Das ist schon eine besondere Konstruktion. Durch die – simultane – Produktion beliebig vieler Folgen läßt sich vermeiden, daß es auch zu nur einer unendlichen Folge kommen könnte. Was bedeutet das aber für die Unendlichkeit unendlicher Zeichenfolgen? Würde man eine Strichliste führen, dann wäre die Frage die, ob nach Erfassen aller natürlichen Zahlen eine unendliche Zeichenfolge steht. Wir haben in beiden Fällen offenbar ein verschiedenes Kriterium für Unendlichkeit. Eine Menge ist unendlich, wenn sie über kein letztes Element verfügt, und d. h. wenn das mit den in Reihenfolge geordneten Elementen kein Ende hat. Diese Situation haben wir bei den natürlichen Zahlen offenbar auch. Es gibt keine letzte natürliche Zahl; wir können zu jeder beliebigen natürlichen Zahl sofort immer auch – noch – die ihr im System aller dieser Zahlen nächstfolgende Zahl angeben. Das ist auch die – formale – Vorstellung, die die Mathematik mit diesen natürlichen Zahlen verbindet. Auf das System von deren Darstellung wird dabei nicht gesehen. Aber natürlich leitet sich das mit dem offenen Ende schon auch von dieser Darstellung her ab. Vorausgesetzt wird dabei – notwendig – auch, daß das mit diesem System nie auch in unendliche Zeichenfolgen ausarten könnte. Das müßte allerdings auch erst geklärt bzw. nachgewiesen sein.
Das muß nicht so sein, im Gegenteil, man sollte es anders erwarten. Hier hat die Mathematik ihre Sorgfaltspflicht verletzt. Wie verhält es sich nun aber mit der fraglichen Strichliste? Ständige Ergänzung um jeweils ein weiteres Zeichen führt im Unendlichen notwendig zu einer unendlichen Zeichenfolge. Abgeschlossen werden kann so ein Verfahren nur, indem in einem letzten Schritt auch unendlich viele Zeichen auf einmal gesetzt werden. Was in diesem Fall entfällt, das ist die ständig wechselnde Zuwendung zur Fortschreibung von immer anderen Zeichenfolgen. Und dann artet das ganze in einer unendlichen Zeichenfolge aus. Auf den Verfahrensablauf bezogen ist jeder Verfahrensschritt durch das parallel geführte System natürlicher Zahlen auch abgedeckt. Das allein aber ist nicht entscheidend. Die Frage ist, wie sich das im Unendlichen gestaltet. Das ganze Verfahren kann auf beiden Seiten nur durch einen Grenzübergang auch abgeschlossen werden. Und dann trennen sich – wie gesehen – die Wege. Die 1-1-Beziehung zwischen beiden Reihen dergestalt, daß auf der einen Seite die Anzahl gesetzter Zeichen abgezählt, und auf der anderen Seite eine natürliche Zahl in die von ihr bezeichnete Anzahl aufgelöst würde, hält im Unendlichen nicht mehr. Die eine Seite reicht weiter als die andere.
IV. – Anders läßt sich die Situation nicht beschreiben. Jede natürliche Zahl steht – unbeschadet der Unendlichkeit der Menge aller dieser Zahlen – für eine bestimmte endliche Anzahl. Das ist einfach das Besondere an dieser Zahlenmenge. Es gibt eine unendliche Anzahl endlicher Anzahlen. Das, was – formal – wie ein Widerspruch aussieht, ist durch das System natürlicher Zahlen Realität. Die Anzahl natürlicher Zahlen kann deswegen nicht auch durch eine natürliche Zahl ausgedrückt werden. Daß der natürlichen Zahlen unendlich viele sind, das wird das Symbol zum Ausdruck gebracht. Es gibt somit mehr natürliche Zahlen als jede auch noch so große natürliche Zahl der dadurch bezeichneten Anzahl nach angibt. Es gibt keine natürliche Zahl, die uns sagen könnte, wie viele solcher Zahlen es gibt. So gesehen lassen sich die natürlichen Zahlen auch nicht abzählen. Das aber ist mit jeder unendlichen Menge so. Und das wird der Definition von Abzählbarkeit zufolge auch nicht erwartet. Erwartet wird dort nur, daß sich eine bijektive Abbildung zwischen abzuzählender Menge und Menge der natürlichen Zahlen herstellen läßt.
Diese Bijektion müßte dann allerdings schon auch im Unendlichen bestehen (bleiben). Es müßte sichergestellt sein, daß diese Zuordnung uneingeschränkt auch im Unendlichen fortbesteht. Und das tut es in der von uns untersuchten Situation nicht. Diese Zuordnung ist dann nicht mehr gegeben, einfach weil es auf der einen Seite – im Gegensatz zur anderen – zu einem Abschluß kommt, einem Abschluß, dem sich auf der anderen Seite keine natürliche Zahl mehr zuordnen läßt. Unbeantwortet geblieben ist bislang die Frage, von welcher Unendlichkeit die Menge der natürlichen Zahlen ist. Würde man diese Zahlen durchgehen und dabei eine Strichliste führen, dann kann es sich bei dieser Liste nur um eine unendliche Liste, und d.h. um eine unendliche Zeichenfolge handeln. Es gibt in diesem Fall – wie gesagt – auch nur die Alternative endlich oder unendlich. Wir haben in diesem System einfach nicht die Blockade, die verhindern könnte, daß das ganze auch in so eine unendliche Zeichenfolge ausartet. Feststeht, daß es natürlich auch unendlich viele endliche (Teil-)folgen innerhalb dieser einen – wie im übrigen auch innerhalb jeder anderen – unendlichen Zeichenfolge gibt. Und von daher könnte man sich fragen, ob es nicht möglich wäre, dem Verfahren aufzuerlegen, sich auf diese unendlich vielen endlichen Teilfolgen zu beschränken.
So wird das offenbar auch im mathematisch-philosophischen Modell der natürlichen Zahlen verstanden. Innerhalb des diesem Modell zugrundeliegenden Verfahrens wird sich das nicht einrichten lassen. Man kann an diesem Verfahren nicht manipulieren. Wir können diesem Verfahren keine Auflagen machen. Das, was es zu produzieren vermag, produziert es zur Gänze oder wir lassen es – ganz – bleiben. Die Frage ist, inwieweit sich über diese Bijektion aus dieser einen – ganzen – Menge die Teilmenge aller endlichen Teilfolgen ausblenden läßt. Über diese Bijektion läßt sich das klassische Modell in das mathematisch-philosophische einbetten. Und dann würde der Effekt, den wir konstruktions- bzw. verfahrensbedingt im klassischen Modell haben, auch auf das mathematisch-philosophische Modell übertragen. Es sieht jedenfalls ganz danach aus. Die Frage ist nur, inwieweit das bei zwei wesensverschiedenen Modellen – was das Verhalten im Unendlichen anbelangt – tatsächlich auch funktioniert. Einbettungen sind strukturverträgliche Abbildungen. Einbettungen sind damit nur dort auch möglich, wo Strukturen sich 1-1 übertragenlassen.
Die mathematischen Strukturen müssen identisch sein. Bei Einbettung- en erfolgt insofern lediglich eine Umbezeichnung. Die Elemente der einzubettenden Menge werden mit Elementen der Menge, in die eingebettet werden soll, identifiziert, und d. h. sie werden durch diese Elemente – förmlich – ausgetauscht. Die gehen in diesen anderen Elementen sozusagen auf. Von der einzubettenden Menge ist dann in der Bildmenge nichts mehr zu sehen. Man kann ja an mathematischen Objekten nicht manipulieren. Diese Objekte sind so, wie sie definiert sind. Mathematische Gebilde sind keine physikalischen Größen. Es kann darin etwas nicht durch anderes ersetzt werden. Wir können uns allerdings eine – wenn auch nur endliche – Menge nach unserem Belieben zusammengesetzt bzw. auch – wieder – verändert denken. Allerdings entspricht das nicht unbedingt konventionellen mathematischen Gepflogenheiten. Konstruierte, per Hand zusammengestellte Mengen sind immer auch ziemlich uninteressanten Mengen. Das sind im allgemeinen dann auch keine Mengen, die sich über eine bestimmte Eigenschaft definieren, und d. h. es sind keine – wenn man so will – natürlich gewachsenen Mengen.
Eine Menge sollte sich insoweit schon selbst definieren. Es sollte nicht so sein, daß man an so einer Menge alles – per Hand sozusagen – erst festlegen muß. Wenn man so etwas zuläßt – und die Mathematik läßt das im allgemeinen auch zu – dann hat man in der Entwicklung allgemeiner Theorien möglicherweise auch ein Problem, einfach weil sich manuell so manches einrichten läßt, was (in) genormten Verhältnissen nicht möglich ist. So kann man Verknüpfungen auf endlichen Mengen ganz individuell regeln. Man kann sie nicht einfach ganz nach Belieben einrichten; schließlich müssen auch solche konstruierten Verknüpfungen dem vorgegebenen Regelwerk genügen; man genießt gleichwohl in deren Festsetzung größere Freiheiten. Ein Paradebeispiel dafür ist der Körper aus zwei Elementen, der der allgemeinen Entwicklung der Algebra immer wieder in die Quere kommt. Der mathematische Formalismus ist ein Formalismus allgemeiner Gesetzgebung. Es wird dabei – mit anderen Worten – nicht auf Darstellung gesehen. Gleichwohl handelt es sich dabei aber auch nur um eine Rekonstruktion der Verhältnisse, wie sie durch die – klassische – Darstellung natürlicher wie auch aller weiterführenden Zahlen gegeben sind.
V. – Am Anfang sind die natürlichen Zahlen. Und noch etwas weiter zurück liegt das Verfahren, das uns diese Zahlen dargestellt bzw. produziert sein läßt. Dieses Verfahren steht damit im Ursprung der ganzen Mathematik bzw. es ist dieses Verfahren dieser Ursprung. Weiter kann man nicht zurück, und weiter muß man auch nicht zurück. Man kann nicht auch noch den Voraussetzungen für die Existenz so eines Verfahrens fragen. Es steht uns frei, so ein Verfahren einfach festzulegen. Dieses Verfahren gibt es dann allerdings nicht deswegen, weil wir es so festgelegt haben, wie wir es festgelegt haben. In mathematischen Dingen gibt es keine Urheberrechte. Die ganze Mathematik ist uns, so wie sie ist, vorgegeben. Und offenbar ist das mit dieser Mathematik auch eine eindeutige Angelegenheit. Es gibt nur diese eine Mathematik, genauso wie es auch nur eine Physik und eine Chemie etc, gibt. Also, da kann man sich ganz sicher sein; es wird nie der Fall eintreten (können), daß sich eine ganze neue Mathematik etablieren könnte. Möglich sind allerdings Entwicklungen, die auch in der Mathematik neue Akzente setzen, so wie es das wiederholt auch schon gegeben hat, und in jeder wissenschaftlichen Disziplin immer wieder auch gibt.
Aber auch dann steht immer außer Frage, daß es sich um Mathematik handelt, was da an neuen Ansätzen entwickelt ist. Es ist undenkbar, daß sich eine gänzlich neue wissenschaftliche Disziplin entwickeln könnte. Der Wissenschaftsbetrieb ist insoweit in seinem Fächerkanon schon vollendet. Auch jede alternative Mathematik – wenn man so will – wäre letztlich noch Mathematik und würde insoweit auch nur die These von der Einheit – man könnte auch sagen Einzigkeit – der Mathematik bestätigen. Das, was Mathematik ist bzw. kann, darüber besteht offenbar Konsens. Ob etwas noch Mathematik ist oder nicht, darüber gibt es im allgemeinen auch keinen Streit. Man kann sich allenfalls fragen, ob man ich mit bestimmten Dingen sinnvollerweise beschäftigen kann oder soll. Gerade in der Mathematik kann man sich das – eventuell – fragen, einfach weil in dieser Disziplin der Stoff, mit dem man sich zu beschäftigen hat, nicht einfach so offen zu Tage liegt, wie etwa in Chemie oder Physik.
Die Richtung, die die Entwicklung der Mathematik nimmt, ist von daher weit weniger vorgezeichnet als in den anderen Disziplinen. Die experimentellen Wissenschaften sind einfach weit stärker als die Mathematik von ihrem Materialobjekt – Natur – dominiert. Die Mathematik hat sich dagegen ihr Materialobjekt immer erst zu definieren. Letztlich leitet sich alles an mathematischen Objekten aus den reellen Zahlen ab. Das ist der Stoff, aus dem die Mathematik ist. Materiell kommt nach Einführung der reellen Zahlen ganz am Anfang der systematischen Entwicklung von Mathematik nichts mehr hinzu. Das ganze Zahlenmaterial ist damit bestimmt bzw. vorgegeben. Gerechnet werden kann nun einmal nur mit Zahlen, und jede mathematische Operation ist – letztlich – eine Rechenoperation. Dazu zählt auch das Differenzieren und Integrieren. Nur für die Bestimmung von Grenzwerten gibt es nicht auch das – förmliche – Rechenverfahren. Grenzwerte lassen sich nicht einfach ausrechnen. Da helfen zumeist nur geeignete Abschätzungen. Grenzwerte lassen sich nicht ausrechnen, einfach weil wir das Geschehen im Unendlichen der natürlichen Zahlen nicht nachvollziehen können, es sei denn, es handelt sich um so eine elementare Folge wie die Folge .
Wenn die natürlichen Zahlen immer größer werden, dann müssen die Kehrwerte immer kleiner werden, und d. h. zum Grenzwert die Zahl Null haben. Die natürlichen Zahlen selbst verfügen über keinen Grenzwert. Sie streben über alle Grenzen und divergieren damit nach mathematischer Lesart bestimmt gegen .Voraussetzung für diese Lesart ist – wie gesagt – daß es auch im Unendlichen bei endlichen Zeichenfolgen bleibt. Das tut es auch, auch wenn das nicht selbstverständlich ist. Das funktioniert so auch nur in der klassischen Darstellung natürlicher Zahlen. Von daher ist es inkonsequent, wenn der mathematische Formalismus davon einfach abstrahiert, ganz zu schweigen von dem mathematisch-philosophischen Modell der natürlichen Zahlen, die gerade diese Endlichkeit im Unendlichen nicht nur nicht garantieren sondern auch ausschließen. Die natürlichen Zahlen, das sind – auch nach mathematischen Selbstverständnis – die Zahlen 1. 2, 3,... . Das ist einfach der Bezugspunkt bzw. die Bezugsquelle in dieser Frage. Und natürlich setzen wir dabei auch voraus, daß das mit diesen endlichen Zeichenfolgen kein Ende nimmt.
Im allgemeinen verbindet man damit auch keinerlei Grenzübergangsgeschehen. Und bei einer Fortschreibung dieser Zeichenfolgen Zeichenfolge für Zeichenfolge kann auch nichts schief gehen. Auf diese Weise werden wir aber nie an die ganze Menge der natürlichen Zahlen herankommen. Davon gehen wir aber immer auch aus, daß das mit der ständigen Fortsetzung auch zu Ende gebracht ist. Das Verfahren, das das leisten soll, leistet das aber gerade nicht. Wir können nicht so tun, als ob die Fortschreibung Zeichenfolge um Zeichenfolge die grundsätzlich aus dem System endlicher Zeichenfolgen nicht herausführt, uns auch im Unendlichen des Verfahrens des gleichen gewiß sein lassen könnte. Das Verfahren der vollständigen Induktion – und darauf würde das hinauslaufen – läßt sich in diesem Fall nicht anwenden. Weil das für die Zahl 1 so ist, und mit jeder natürliche Zahl n auch für n + 1 gilt, muß das nicht auch für jede natürliche Zahl so sein. Das kann man in diesem Fall, und d. h. in einem Fall, in dem es um die Darstellung resp. Produktion der natürlichen Zahlen geht, nicht aber um eine Eigenschaft dieser Zahlen geht, nicht sagen. Der mathematische Formalismus setzt die natürlichen Zahlen als etwas Gegebenes voraus.
Mit Fragen der Darstellung der natürlichen Zahlen ist dieser Formalismus nicht befaßt. Daß diese natürlichen Zahlen alle ihre Darstellung als endliche Zeichenfolgen finden, bedeutet diesem Formalismus nichts. Deswegen ist die Situation im Unendlichen für diesen Formalismus keine andere als im Endlichen auch, und d. h., es reiht sich auch dort nur natürliche Zahl an natürliche Zahl. Natürliche Zahlen sind diesem Verständnis zufolge dann einfach nur in Reihenfolge geordnete Punkte. Und daß es sich dabei um eine unendliche Menge handelt, bedeutet dabei, daß das mit diesen Punkten kein Ende nimmt. Abschlußfragen stellen sich in materieller Form und Gestalt dann natürlich nicht. Eines Abschlusses bedarf es zwar auch dann, nur daß sich über diesen Abschluß – materiell – nichts sagen läßt. Im mathematischen Bewußtsein ist das mit der Notwendigkeit so eines Abschlusses allerdings auch nicht sonderlich tief verankert. Im allgemeinen begnügt man sich – implizite – mit einem Verständnis dieser natürlichen Zahlen als einer unendlichen Reihenfolge – von Punkten – einfach.
Unter dieser Prämisse bringt es auch nicht viel, die Frage nach den Besonderheiten dieses Abschlusses zu stellen. Es gibt diese Besonderheiten dann auch nicht. Nichtsdestoweniger kommen wir an alle natürlichen Zahlen auch nur über – ein – Grenzübergangsverfahren heran. Das gilt auch dann, wenn wir unter einer natürlichen Zahl auch nur einen Punkt verstehen. Auch unendlich viele Punkte können nicht einfach nur Punkt für Punkt gesetzt werden. Auch wenn sich diese Punkte alle nicht voneinander unterscheiden sollten, wir werden sie auf diese Weise nicht setzen können, und es ersetzt dies auch nicht das Setzen aller dieser Punkte. Gesetzt werden müssen alle diese Punkte schon auch im Einzelnen, auch wenn das seinem ganzen unendlichen Umfang nach dann auch nur in einem Schritt geschehen kann. In einer Reihenfolge – auch einer unendlichen Reihenfolge – unterscheiden sich alle Punkte auch voneinander. Sie unterscheiden sich durch die Position, die sie innerhalb so einer Reihenfolge einnehmen.
Die Punkte einer Reihenfolge sind so gesehen immer auch ausgezeichnete Punkte. Diese Auszeichnung sieht man den Punkten selbst dann aber nicht an. So eine – äußere – Auszeichnung wirkt sich auf diese Punkte auch nicht aus. Man sieht das so einem Punkt nicht an, welche Stelle bzw. Position er innerhalb einer Reihenfolge solcher Punke einnimmt. Daß er Teil einer unendlichen Reihenfolge von Punkten ist, das sieht man allerdings auch nur, wenn man auf die Reihenfolge als Ganzes sehen kann. Wie aber sieht so etwas dann aus? Dann haben wir nämlich auf einmal das, was wir an sich nicht haben dürfen, den Abschluß nämlich.