1. Das System der Darstellung der natürlichen Zahlen
I. – Gegenstand der Einführung (des ungekürzten, unter Complete Thesis abgespeicherten Textes) ist zunächst das Verfahren der sukzessiven Erweiterung der Menge der natürlichen Zahlen über die Menge der ganzen sowie rationalen Zahlen resp. zur Menge der reellen Zahlen . Das ist dasjenige Verfahren wie es der mathematischen Biographie bzw. – wenn man so will – Evolution eines jeden Menschen auch zugrunde liegt. Herausgestellt wird dabei von Anfang an, daß solche Zahlbereichserweiterungen natürlich immer auch eine Materialfrage sind. Was unendliche Mengen anbelangt – und es handelt sich bei den natürlichen Zahlen (und damit auch allen anderen, darauf aufbauenden Zahlenmengen) um eine unendliche Menge – so sind solche Erweiterungen darüberhinaus immer auch eine Verfahrens- und mithin auch Darstellungsfrage. Unendliche Mengen lassen sich nicht vollständig Element für Element aufzählen. Wie mit Zahlen gerechnet wird, ist immer auch eine Frage der Darstellung dieser Zahlen. Gerechnet wird immer im Medium bzw. im System der Darstellung von Zahlen. Es bedarf dann einfach eines Regelwerks für die Darstellung so einer Menge ausgehend von einer endlichen Menge an (Zahl-)zeichenmaterial. Es kann dann nicht das ganz eigene Zeichen für jede eigene natürliche Zahl geben. Und feststeht natürlich auch, daß Zahlen einer Darstellung bedürfen, soll mit Zahlen auch umgegangen werden (können).
Darstellung ist Zahlen insofern wesentlich. Zahlen teilen sich uns über ihre Darstellung mit. Für den operativen Umgang mit Zahlen ist deren Darstellung konstitutiv. Um so merkwürdiger ist es, wenn in Philosophie aber auch Mathematik von Fragen der Zahldarstellung abstrahiert wird. Auch die ganze Grundlagenproblematik der Mathematik zeigt sich von Darstellungsfragen von Zahlen völlig unberührt. Es wird dabei so getan als ob die Verfassung von Mathematik auch eine Frage der Festlegung des Regelwerks – Axiomensystems – sein könnte, das man dieser Mathematik zugrunde legt. Insbesondere in der philosophischen Logik wird das so gesehen und praktiziert. Dieser Auffassung gegenüber versteht sich die vorgelegte Arbeit auch als Existenz- und Eindeutigkeitsbeweis der Mathematik, ganz so wie solche Beweise in der mathematischen Praxis immer wieder auch zu führen sind, sobald irgendwelchen neuen Objekte definiert werden. Den experimentellen Wissenschaften gegenüber maßt man sich schließlich so etwas auch nicht an. Dort ist es die Natur an sich und als solche, die für Existenz und Eindeutigkeit in gleicher Weise bürgt.
Die experimentellen Wissenschaften finden in der Natur einen unverrückbaren Bezugspunkt vor, auf den man sich in allem bezogen weiß und der alles an Gestaltungsmöglichkeiten in der Entwicklung dieser Wissenschaften überlagert. Diese Natur ist einfach ein Fixpunkt für alle diese Wissenschaften von der Natur. Über alle Veränderungen in der Natur hinweg bleibt sich Natur immer gleich. Das schließt nicht aus, daß es in der Natur nichts geben könne, was nicht auch einer möglichen Veränderung unterworfen ist. Inzwischen wird ja auch darüber diskutiert, daß bzw. wie sich die Naturkonstanten im Laufe der Zeit verändert haben (könnten).Also auch diese Naturkonstanten müssen nicht immer auch von ein und demselben Wert gewesen sein.
II. – Das in einem Gutachten so überaus inkriminierte Zitat gewinnt von daher eine hohe Aktualität. Es sollte damit gesagt sein, daß auch solche Veränderungen Natur gleichwohl immer auch – nur – Natur sein lassen. Auch diese Veränderungen vollziehen sich in Raum und Zeit sowie entsprechend den Gesetzmäßigkeiten von Natur. Auch die Natur als Ganze unterliegt insofern einem Zeitindex, wenn dieser Zeitindex bzw. diese Zeitbezogenheit auch anderer Natur ist als wir sie bei naturwissenschaftlichen Theorien und Hypothesen haben. Jede solche Theorie bzw. Hypothese ist zwangsläufig Konstruktion und Abstraktion und als solche unsicher, was die daraus abzuleitende Prognosefähigkeit hinsichtlich des – konkreten – Verhaltens von Natur anbelangt. Es ist der schlichte und einfache Zeitablauf, der sichere Prognosen ausschließt. Das, was – noch – nicht ist, wird sich auch nie sicher prognostizieren lassen, einfach weil so etwas die Aufhebung des Zeitablaufes zur Voraussetzung hätte. Was noch nicht ist, steht grundsätzlich unter dem Vorbehalt ihrer – möglichen – Verwirklichung. Dieser Verwirklichung kann man sich dann solange nicht sicher sein, solange es auch nicht verwirklicht ist. In diesen Kontext wird dann auch die Mathematik eingeordnet. Es wird gezeigt, daß in der philosophischen Logik – und zum Teil auch in der Mathematik selbst – zu Unrecht ein größerer Gestaltungsspielraum, was insbesondere die stoffliche Basis dieser Disziplin anbelangt, reklamiert wird.
"Die reellen Zahlen sind der Stoff, aus dem die Mathematik ist". Mit diesem Satz setzt meine Arbeit ein. Diese reellen Zahlen sind für die Mathematik das, was die Natur für die experimentellen Wissenschaften ist. "In diesem Sinne auch ist die Mathematik eine nicht weniger positive Wissenschaft als die experimentellen Wissenschaften auch". In der Mathematik weiß man schließlich auch um die Eindeutigkeit dieser reellen Zahlen. Es gibt diese Zahlen so nur ein – einziges –Mal. Die Begründung der Mathematik ist Begründung der reellen Zahlen. Jedes Analysis-Lehrbuch setzt auch mit einer – axiomatischen – Begründung dieser Zahlen ein. Das entspricht so natürlich nicht der mathematischen Biographie eines Menschen. Die Entwicklung des mathematischen Denkens eines Menschen beginnt mit einer ersten Reihe von natürlichen Zahlen. Mit der einleitenden axiomatischen Begründung der reellen Zahlen wird allerdings nur etwas zusammengefaßt, was dann – implizite zumindest – Etappe für Etappe nachzuholen ist, genauso wie sich das in der mathematischen Biographie eines Menschen abspielt. Man wird alsbald sagen müssen, um was es sich bei den natürlichen Zahlen handelt, man wird weiter dann auch die ganzen Zahlen spezifizieren müssen, man wird weiter nicht umhinkommen zu sagen, um was es sich bei den rationalen Zahlen handelt, und man wird schließlich zu erklären haben, warum es auch mit diesem Zahlkörper noch nicht sein Genüge hat bzw. warum dieser Zahlkörper der Ergänzung um die Menge der irrationalen Zahlen zum Körper der reellen Zahlen bedarf. Schritt für Schritt werden also einem in den Analysis-Lehrbüchern diese verschiedenen Zahlbereiche untergeschoben bzw. es wird – wie gesagt – dieser klassische konstruktive "Aufbau" der reellen Zahlen nachgeholt bzw. nachgezeichnet.
Diese ganze "Nachbildung" erfolgt unter dem Dach der anfänglich "eingeführten" reellen Zahlen. Diese Nachbildung wäre ohne diese Einführung zuvor so nicht möglich. Damit wird einfach auch der Platz bzw. Rahmen geschaffen, innerhalb dem diese Nachbildung dann auch erfolgen kann. Ansonsten müßte dieser Platz immer auch erst geschaffen werden, und d. h. es müßte dezidiert auch auf das Zahlenmaterial gesehen werden. Von dieser Verpflichtung bleibt man durch das klassische Vorgehen in der systematischen Entwicklung von Mathematik entbunden bzw. man kann so tun als ob man davon entbunden bliebe. Der Frage der Darstellung von Zahlen braucht man sich dann – näherhin – nicht zu widmen. Die natürlichen Zahlen erscheinen dann allerdings auch nur als beliebige endliche Summen von Einsen. Das ist die Form von Zahldarstellung, die in diesem Rahmen dann noch möglich ist. Summen sind allerdings keine Zahlen, und so kann man sagen, daß es in diesem Rahmen auch zu keinen natürlichen Zahlen kommen kann. Wenn gleichwohl auf diese Zahlen Bezug genommen wird, so tut man das unter impliziter Bezugnahme auf die Darstellung der natürlichen Zahlen, in der natürliche Zahlen natürlicherweise auch ihre Darstellung finden, im 1, 2, 3, ... –System nämlich.
Damit schöpft diese Form der Begründung von Mathematik aus Quellen, aus denen sie einfach nicht schöpfen dürfte, wenn man von der Begründung einer wissenschaftlichen Disziplin denn auch erwarten darf, daß sie so voraussetzungslos wie nur möglich vorgeht. Ein solches Vorgehen wäre nur gerechtfertigt, wenn die ganze Entwicklung der Mathematik unabhängig von der konkreten Darstellung von Zahlen erfolgen könnte, und d. h. wenn es für diese Entwicklung belanglos wäre, wie Zahlen darzustellen sind bzw. – mehr noch – ob es – diese – Zahlen überhaupt auch gibt. Diese Frage wäre natürlich zu überlegen. Wenn dem so ist, dann ist die Entwicklung der Mathematik eine von zahlen und ihrer Darstellung unabhängige Entwicklung und braucht auf die Frage der Darstellung von Zahlen dementsprechend auch nicht einzugehen. Dieser Nachweis sollte bzw. müßte dann aber eigens auch geführt werden, einfach weil sich diese Frage schon auch aufdrängt. A priori jedenfalls läßt sich eine solche Unabhängigkeit nicht einfach als gegeben voraussetzen. Feststeht, daß auch die formale Entwicklung von Mathematik nicht ganz ohne Zahldarstellung auskommen kann. So ist die Einführung der natürlichen Zahlen unter dem Dach der reellen Zahlen von einer anderen Qualität als die Einführung dieser reellen Zahlen selbst.
III. – Wie es um diese reellen Zahlen bestellt ist, darüber hält sich diese Einführung ziemlich bedeckt. Einzig und allein die Null und die Eins werden dabei namhaft gemacht. Und das ist dann auch der allein zur Verfügung stehende Stoff, aus dem sich dann alles weitere an Zahldarstellung zu speisen hat bzw. speisen kann. Zur Darstellung der natürlichen Zahlen stehen dann auch nur diese beiden Zahlen bzw. Zeichen zur Verfügung. Es gibt in der Begründung dieser natürlichen Zahlen allerdings schon auch den Ansatz, der ähnlich abstrakt-formal vorgeht wie der zur Begründung der reellen Zahlen. Allerdings findet in dieser Begründung dann ein Axiom "eigener Provenienz" gewissermaßen Eingang, das Wohlordnungsaxiom. Es wird in diesem Axiom festgehalten, daß die Reihenfolge der natürlichen Zahlen einen Anfang hat bzw. nimmt. Von Darstellungsfragen wird in diesem Axiomensystem in gleicher Weise wie bei dem Axiomensystem für die reellen Zahlen – abgesehen von der dort spezifizierten 0 und 1 natürlich – abstrahiert. Bei diesem kleinsten Element der natürlichen Zahlen handelt es sich aber gerade auch um diese 1. Und genau diese 1 auch dient in allen anderen Begründungen der natürlichen Zahlen als Basis eines entsprechenden Modells für diese Zahlen.
Die natürlichen Zahlen gelten in der Mathematik als die unendliche Menge. Die klassische Definition von Unendlichkeit leitet sich von diesen natürlichen Zahlen ab. Eine Menge gilt dann als unendliche Menge, wenn sie sich nicht als für ein schreiben läßt. Und das trifft so auch für die natürlichen Zahlen selbst zu, könnte man doch jede natürliche Zahl mit sich selbst als Index versehen und käme damit nie an ein Ende, einfach weil es zwar eine erste, aber keine letzte natürliche Zahl gibt. Zu jeder natürlichen Zahl läßt sich auch in den in Mathematik und Philosophie gängigen Modellen dieser Zahlen immer noch eine andere natürliche Zahl finden, die in der Reihenfolge dieser Zahlen auf diese eine Zahl folgt. Mehr beinhaltet die mathematische Vorstellung von Unendlichkeit bzw. die in dieser Definition gepflegte Vorstellung von Unendlichkeit nicht. Die natürlichen Zahlen werden dabei auch als etwas mehr oder weniger Gegebenes angesehen. Man verfügt über sie in der diesen Zahlen – klassischen – b-al-Darstellung.
Diese Darstellung wird in keinem Analysis-Lehrbuch thematisiert. Merkwürdigerweise wird darauf aber auch nicht zurückgegriffen, wenn es um irgendwelche zu entwickelnde Modellvorstellungen dieser Zahlen geht. Auch dann wird auf diese Form der Darstellung dieser Zahlen nicht eingegangen. Diese Form der Darstellung wird mathematisch nicht thematisiert und analytisch nicht reflektiert. Im Modell gibt es die natürlichen Zahlen dann nur als Äquivalenzklassen gleichmächtiger Mengen. Und als System ausgewählter Repräsentanten der Äquivalenzklassen dienen dann die bekannten Strich(chen-)folgen. Man könnte jeden solchen Strich auch als 1 lesen und sich alle diese Striche in Reihenfolge durch +-Zeichen verbunden denken. Und dann wäre man bei der Darstellung natürlicher Zahlen als Summe von entsprechend vielen Einsen. Mathematisch ist das so auch eine korrekte Beziehung. Als Zahldarstellung im engeren Sinne kann so etwas gleichwohl nicht gelten. Die Frage ist insbesondere dann aber auch die, wie sich so etwas im Unendlichen darstellt. Die Vorstellung der sukzessiven Ergänzung Zeichen für Zeichen garantiert noch keine Unendlichkeit. Diese Form prozessualer Unendlichkeit, wie sie von mir bezeichnet wird, unterliegt einem Zeitindex. Wenn tatsächlich immer nur ein Zeichen nach dem anderen gesetzt sein soll, dann stehen wir in so einem Verfahren mit diesem Verfahren und d. h. durch dieses Verfahren auch im Zeitablauf.
Die einzelnen Verfahrensschritte sind dann zeitlich getrennt. In der Zeit können aber immer nur endlich viele Zeichen gesetzt sein, unabhängig davon, wie weit die Zeit schon fortgeschritten ist, oder auch wie viel Zeit wir uns zum Setzen der einzelnen Zeichen nehmen. Auf diese Weise finden wir nicht zu Unendlichem. Dann muß man sich das ganze Verfahren schon auch zu Ende gedacht denken, und dann kann man sich dieses Verfahren aber nicht auch mehr im Zeitablauf sich vollziehend denken. Das ist dann vielmehr eine Angelegenheit des Augenblickes. Und man muß das Verfahren dann insbesondere sich auch selbst vollziehen lassen. Das ist dann alles, was wir dabei noch veranlassen können. Wir können uns das ganze Verfahren als abschließend vollzogen denken, und dann ist es auch abschließend vollzogen. Die Frage ist allerdings die, wie dieser Abschluß aussieht. Die Frage ist die, ob in dem mathematisch-philosophischen Modell der natürlichen Zahlen am Ende auch noch natürliche Zahlen stehen. Dem ist nur dann so, wenn am Ende nicht auch unendlichen Zeichenfolgen gebildet werden, und das ist in diesem Modell ganz offenbar so. Bei fortgesetzter Ergänzung um jeweils ein – und dasselbe – Zeichen kommt es im Unendlichen natürlich zu unendlichen Zeichenfolgen. Es steht dann auch nicht mehr in unserer Macht, daran etwas zu ändern. Wenn wir ein Verfahren nur in den – abschließenden – Vollzug uns gesetzt denken können, dann müssen wir es auch dem Verfahren selbst überlassen, wie es dieses Ende gestaltet, und dieses Ende gestaltet dieses Verfahren offenbar mit einer – oder auch mehreren, möglicherweise auch unendlich vielen – unendlichen Zeichenfolgen. Damit aber lassen sich keine natürlichen Zahlen mehr verbinden.
IV. – Die Darstellung natürlicher Zahlen ist in diesem – wie auch in jedem anderen – System auf endliche Zeichenfolgen eines solchen Systems beschränkt, wie umgekehrt jede endliche Zeichenfolge so eines Systems für eine ganz bestimmte natürliche Zahl steht. Die Frage ist unter den gegebenen Umständen des mathematisch-philosophischen Systems, inwieweit die endlichen Zeichenfolgen dieses Systems zur Darstellung aller natürlichen Zahlen auch ausreichen. Man kann sich einfach auch fragen, ob in einem System, das am Ende nicht in solche unendliche Zeichenfolgen ausartet, nicht mehr Platz für die Darstellung natürlicher Zahlen ist als in einem System, das dieses Ende nicht "erlebt". Mit anderen Worten: Di e Frage ist, inwieweit di e Menge der unendlichen Zahlen des mathematisch-philosophischen Modells tatsächlich auch noch eine unendliche Menge ist. Ganz unabhängig aber davon darf das mit dem Abgleiten in unendliche Zeichenfolgen nicht passieren. Der mathematische Formalismus geht implizite davon aus, daß das nicht passiert. Wenn es heißt dann ist gerade so etwas auch ausgeschlossen. Man kann n nur nach unendlich gehen lassen, wenn n auch nach unendlich geht und nicht irgendwo vorher ausgebremst wird.
In dem mathematisch-philosophischen Modell würde man – wie gesagt – diesbezüglich ausgebremst. Die Operation ist in diesem System schlicht und einfach nicht möglich. Diese Operation macht in diesem System keinen Sinn. Anders gesagt: Der mathematische Formalismus "lebt" von einer Darstellung natürliche Zahlen im klassischen b-al-System. Nur in diesem System ist die Operation auch eine mögliche Operation. Die Frage, welche Operation auf einer Menge bzw. in einer Menge möglich ist, ist immer auch eine Frage der Zusammensetzung dieser Menge. So kann man in der Menge der natürlichen Zahlen beispielsweise nicht unbeschränkt subtrahieren bzw. dividieren. Und wenn man nicht die richtige Menge natürliche Zahlen hat, dann kann man in dieser Menge bzw. mit dieser Menge auch nicht nach unendlich gehen. Die Mathematik geht davon ganz wie selbstverständlich aus, auch wenn dies alles andere als selbstverständlich ist. Es ist diesbezüglich in der Mathematik einfach nicht das Problembewußtsein vorhanden. Das ändert aber natürlich nichts an der Tatsache als solcher. Man macht in der Mathematik von einer Eigenschaft der natürlichen Zahlen Gebrauch, von der man dann – wenn auch unwissentlich – nichts wissen will.
Die Mathematik pflegt insgesamt ein recht unreflektiertes Verhältnis zu natürlichen Zahlen. Wo immer – in Beispielen zumal auch – Bedarf an diesen natürlichen Zahlen ist, wird darauf wie selbstverständlich auch in der ihnen eigenen klassisch-regulären Darstellung zurückgegriffen. Das würde sich im mathematisch-philosophischen Modell dieser Zahlen auch schwierig gestalten. Und gerechnet wird natürlich sowieso immer nur in der klassisch-regulären Darstellung. In der philosophisch-mathematischen Darstellung könnte auch nur sehr eingeschränkt gerechnet werden. Und diese Darstellung versagt im übrigen insbesondere auch bereits bei der b-al-Darstellung rationaler Zahlen. Das System der bruchstellenspezifischen Gewichtung in dieser Form von Zahldarstellung läßt sich anderweitig nicht nachbilden. Mengentheoretisch läßt sich dieser Form von Darstellung nicht beikommen. Es gibt dafür keinen Formalismus, genauso wie sich auch das Phänomen Reihenfolge nicht – im Sinne der philosophischen Logik – formalisieren läßt.
Insbesondere gilt das auch für das Phänomen Unendlichkeit. Unendliches gibt es nie nur formal-abstrakt, sondern immer nur konkret-materiell. Unendliches gibt es nur gegen ein Verfahren, das aus einer (vor-)gegebenen endlichen Materialmenge eine unendliche (Material-)menge hervorbringt. Eine solche unendliche Menge will immer erst auch produziert sein, und produzieren werden kann man sie nur aus einer endlichen Menge heraus sein lassen. Eine solche Produktion würde sich erübrigen, wenn auf eine solche unendliche Menge einfach nur verwiesen werden könnte. Im materiellen Bereich wird es das nicht können. Die Raum-Zeit-Ordnung ist eine endliche Ordnung. Es findet sich darin nichts Unendliches. An Unendliches könnte dabei nur in Verbindung mit dem Phänomen der "Unendlichen Teilbarkeit des Kontinuums" gedacht werden. Die Frage wäre dann – übertragen auf die materielle Welt – die nach dem Aktual-Unendlichen. Es wäre dies zugleich auch die Frage nach dem kleinstmöglichen – man könnte auch sagen nach dem unendlichkleinen – Teilchen. Das wäre dann ein Teilchen ohne feste positive Ausdehnung.
V. – Im Infinitesimalkalkül wird bekanntlich mit solchen Größen gerechnet. Man kann sich vom Umgang mit diesen Größen auch nicht durch irgendwelche Tricks bzw. Operationen befreien. Die dx`s des Infinitesimalkalküls symbolisieren jedenfalls beliebig, und d. h. unendlich Kleines. Über Natur und Status dieser Größen ist in der Mathematik und Philosophie lange Zeit kontrovers diskutiert worden. Es war dies eine recht unergiebige Diskussion. Für die Mathematik sind diese Statusfragen auch vollkommen unerheblich. Es reicht vollkommen, wenn sich mit ihnen rechnen läßt, und zwar – was die Anwendung dieses Kalküls auf die Natur anbelangt – auch recht erfolgreich rechnen läßt. Unendlich an Unendlich-Kleinem ist dessen Größe. Unendlich an der Menge der natürlichen Zahlen wäre deren Anzahl. Eine unendliche Anzahl materieller Teilchen wird es im ganzen Universum nicht geben können, vorausgesetzt, dieses Universum ist von einer endlichen Ausdehnung – und davon muß man auch ausgehen, einfach weil materielle Ausdehnung immer auch Ausdehnung in der endlichen Zeit ist – und vorausgesetzt auch, daß die kleinsten materiellen Teilchen auch von einer positiven Ausdehnung sind, und auch davon wird man ausgehen müssen, einfach weil anders es diese Teilchen nicht würde geben können.
Ausdehnung Null wäre gleichbedeutend mit materieller Inexistenz. Als Ausweg bliebe dann nur noch, diese Größen im Sinne eines dynamischen Werdens bzw. Vergehens zu verstehen, und d.h. zu verstehen als Größen im Zustand ihres Sich-Verflüchtigens. Mit bloßer Statik läßt sich diesen Größen jedenfalls nicht beikommen. Es stellt sich in diesem Zusammenhang auch die Frage des Überganges von Sein zu Nicht-Sein. Fließend wird man sich diesen Übergang nicht denken können. Per kontinuierlicher, stetiger Verringerung gegebener Größe läßt sich Größe nicht auch auflösen. An einer – letzten – Stelle wird es zur Restaufhebung des bis dahin noch Bestehenden kommen müssen, wenn es denn auch zu einer Gesamtauflösung kommen soll (können). Als Ausweg aus dieser Situation würde sich dann wiederum nur noch anbieten, daß man diese Größen instantan verschwinden bzw. dann wiederum aufs neue erstehen sieht bzw. läßt. Daß ist auch die Lösung, die Leibniz in seinem Aufsatz: ... für dieses Problem anbietet.
Wir stoßen mit solchen Überlegungen dann schon auch an die Grenzen unseres Denk- bzw. Vorstellungsvermögens. Vergleichsweise einfach gestalten sich diese Überlegungen dann noch in Bezug auf unendliche Mengen wie die Menge der natürlichen Zahlen. Materiell wird man so eine Menge nie produzieren können. Auch eine Maschine könnte das nicht, einfach weil Maschinen in der Zeit nichts Unendliches zuwege bringen können. Unendliches gibt es insoweit nur in unserer Vorstellung. Wir wissen um das Verfahren, und dieses Verfahren kann bis zu jedem nur x-beliebigen Punkt explizit auch durchgeführt bzw. rekonstruiert werden. Nur zu Gänze werden wir dieses Verfahren nicht auch umsetzen können. Da bleibt uns dann nur die bloße Vorstellung. Es ist allerdings nicht so, daß wir über dieses Ende nichts sagen könnten. Wir wissen durchaus, wie sich dieses Ende gestaltet.
Im mathematisch-philosophischen ist das die eine unendliche Zeichenfolge, die in allen ihren Positionen mit diesem einen – selbigen – Zeichen besetzt ist. Sehr viel differenzierter gestaltet sich dieses Ende dagegen in klassischer, regulärer b-al-Darstellung. Dieses System zeichnet sich durch die simultane gewissermaßen Fortschreibung aller nur möglichen – endlichen – Zeichenfolgen bestehend aus der vorgegebenen Menge von (Einzel-)Zeichen aus, und d. h. die Zuw endung dieses Systems in der Fortschreibung der einzelnen Zeichenfolgen ist über das ganze Verfahren verteilt. Es hat keine einzelne dieser Zeichenfolgen dann ihr – eigenes – Verfahren. Das ganze Verfahren verteilt sich auf die Darstellung bzw. Produktion aller dieser nur möglichen Zeichenfolgen. Und das ist eine Verfahrensstruktur, die sich auch im Unendlichen durchhält bzw. die auch im Grenzübergang bzw. durch den Grenzübergang unberührt bleibt. Prinzipiell nachvollziehbar kommen wir über dieses Verfahren an jede beliebige –in der Anzahl ihrer Stelle allerdings auch fest vorgegebene bzw. vorzugebende – Zeichenfolge heran.
Die Menge möglicher Anzahlen ist nach oben allerdings unbeschränkt und in diesem Sinne dann auch eine unendliche. Und deswegen werden wir auch nicht an alle unendlichen Zeichenfolgen in ihrer Gesamtheit explizit-materiell herankommen können. Was wir allerdings schon auch sagen können, ist dies, daß das Verfahren nicht von sich aus auch in unendliche Zeichenfolgen ausarten kann, so wie wir das noch im mathematisch-philosophischen System haben. Das ist verfahrensbedingt ausgeschlossen. Es bleibt in diesem Verfahren auch im Unendlichen bei der geteilten Zuwendung des Verfahrens in der Fortschreibung jeder nur möglichen endlichen Zeichenfolge. Andernfalls müßte zumindest eine dieser Folgen im Unendlichen dieses Verfahrens abgelegt werden und nicht wieder auch zur Wiedervorlage zwecks Fortführung eben dieser Zeichenfolge gebracht werden (können).
Das Verfahren gibt uns keinerlei Anhaltspunkt, wo, wie und warum etwas dergleichen geschehen könnte. Dieses Verfahren gibt so etwas nicht her. Deswegen kann es aber auch nicht sein, daß in diesem Verfahren es zur Bildung einer unendlichen Zeichenfolge kommen könnte. Dann hätte sich dieses Verfahren nämlich auch nur auf diese eine Zeichenfolge – unter Vernachlässigung aller anderen Zeichenfolgen – zu beschränken. Nur dann könnte in diesem Verfahren von diesem Verfahren eine unendliche Zeichenfolge auch angenommen werden. Diese Zeichenfolge würde dann nicht einfach nur grenzwertweise erreicht. Man muß hier schon sehr genau unterscheiden. Eines Grenzüberganges bedarf es zum Erreichen von Unendlichem in jedem Fall. Wenn sich das ganze Verfahren dabei aber auf eine einzige Zeichenfolge beschränkt, dann ist die Situation bezüglich des Endes bzw. des Grenzwertes resp. der Grenzwertmenge dieses Verfahrens eine andere als wenn das Verfahren sich die Entwicklung einer ganzen (Un-)menge von solchen Zeichenfolgen zu widmen hat. Dann kann mit jeder einzelnen dieser Zeichenfolgen nicht zugleich auch nach unendlich gegangen werden.
Wenn sich alle diese Zeichenfolgen unterscheiden – und das tun sie natürlich – dann wäre dieses "Gehen nach Unendlich" für jede dieser Zeichenfolgen auch ein eigenes Verfahren. Das kann dann nicht simultan für mehrere Folgen zugleich innerhalb, und d. h. in ein und demselben Verfahren geschehen. Innerhalb ein und desselben Verfahrens reicht es nur für endliche Zeichenfolgen von – allerdings – beliebiger Länge. In ihrer Gesamtheit handelt es sich bei allen diesen Zeichenfolgen sicherlich um keine endliche Menge. Das ist sicherlich auch dann so, wenn nur mit einem Zeichen gearbeitet würde. Insofern unterscheiden sich die beiden Systeme auch nicht. Die Beziehung des Grenzwertes zum Verfahren als solchem bzw. zu der von diesem Verfahren produzierten Serie in mathematisch-philosophischer Darstellung eine andere als im klassischen System. Gemeinsam ist dieser Beziehung, daß sie in beiden Fällen nicht dem entspricht, was man in der Mathematik unter einer Grenzwertbeziehung versteht. Grenzwerte zeichnen sich dadurch aus, daß sie zum einen eindeutig sind, und daß sie zum anderen außerhalb der Serie, der sie als Abschluß gewissermaßen dienen, stehen. So wird der Grenzwert 0 der Folge von dieser Folge auch im Unendlichen nicht erreicht, und d. h. ein gegebener Abstand wird sich auch in unendlich vielen Schritten nicht überbrücken lassen, weil man sich bei so einem Überbrücken immer nur auf Teilgrößen verbleibender Restgrößen beschränkt.
Das ganze Grenzwertgeschehen spielt sich so gesehen auch diesseits dieses Grenzwertes ab. Wir haben bei jeder Grenzwertbildung somit immer zwei Grenzwertverfahren. Obligatorisch für alle diese Verfahren ist der Prozeß . Das ist schon immer auch ein eigenes (Grenzwert-)verfahren, das dabei stattfindet, wobei sich das alles entsprechend der Abbildungsvorschrift für die betreffende Folge in der Serie der dabei produzierten Folgenglieder ausdrückt. Der Grenzwertübergang im engeren Sinne ist dann etwas, das diesem Prozeß der – unendlichen – Serienbildung dann noch übergestülpt ist. Es wird dadurch das ganze Verfahren gewissermaßen noch einmal transzendiert. Allerdings wird von diesem vorgängigen Grenzübergangsverfahren – gedanklich – abstrahiert. Das wird so als eigenes Grenz(übergangs-)verfahren nicht – mehr – wahrgenommen. Der Grenzübergang ist naturgemäß damit das einzige solche Verfahren, in dem es nicht zu diesem zusätzlichen – und eigentlichen – Grenzübergangsverfahren kommt. Es bleibt dann nur bei diesem einen Verfahren. Nach der klassischen Grenzwertdefinition handelt es sich dabei aber nicht einmal um ein reguläres Grenzwertverfahren. Die natürlichen Zahlen konvergieren nicht.