Expose
5. Die Blockade in den natürlichen Zahlen
I. – Die ganze Sprache der Mathematik ist eine universale Sprache. Mathematik-Bücher lassen sich – im Prinzip – problemlos in jeder Sprache lesen. Natürliche Zahlen kann man lesen, sobald wir wissen, welche in Reihenfolge geordnete endliche Zeichenmenge dazu vorgegeben ist bzw. auch welches Zeichen dafür in besonderer Funktion zur Verfügung steht. Gemeint ist damit die Null. Die Null gehört merkwürdigerweise nicht zu den natürlichen Zahlen, ist aber unverzichtbarer Bestandteil des Systems der Darstellung dieser Zahlen. Ohne diese Null funktioniert der Zählwerkmechanismus dieser Zahlen nicht. Wir benötigen die Null nicht, um systematisch alle möglichen endlichen (Linear-)kombinationen aus einer vorgegebenen endlichen Zeichenmenge zu bilden. Wenn nur auf das Phänomen Reihenfolge gesehen wird – so wie wir das in geometrischen Abzählverfahren haben – dann benötigen wir diese Null nicht. Die Null ist insoweit nicht konstitutiver Bestandteil der natürlichen Zahlen. Konstitutiv ist diese Null allerdings nicht nur – wie gesagt – für den Zählwerkmechanismus dieser natürlichen Zahlen sondern für die Mathematik insgesamt.
Der Grenzwertbegriff, und d. h. der für die ganze Analysis wesentliche Begriff der konvergenten Folge wäre ohne die Null nicht möglich. Die klassische Null-Folge, und d.h. die jedes Grenzwertverfahren letztlich begründende Folge, ist die Folge .Jede Folge definiert sich von den natürlichen Zahlen her. Das Grenzwertgeschehen von Folgen ist von daher auch von diesen natürlichen Zahlen bestimmt, und zwar bestimmt von diesen natürlichen Zahlen in ihrer – regulären – klassischen Darstellung. Man kann mit den "Zahlen" des mathematisch-philosophischen Modells ohnehin so gut wie nicht rechnen. Insbesondere kann es in diesem Modell nicht zu den – klassischen – Zahlbereichserweiterungen kommen. Man kann in diesem System nicht einmal negative Zahlen bilden, geschweige denn zwei – beliebige – natürliche Zahlen dividieren. Und natürlich verbieten sich in so einem System irgendwelche Grenzwertbetrachtungen. Die Abschätzungen, die dazu immer auch erforderlich sind, lassen sich nun einmal nur in herkömmlicher Darstellung der natürlichen Zahlen vornehmen. Wir brauchen dann einfach eine zahlenwertige Darstellung, und damit kann uns nur die klassische Darstellung natürlicher Zahlen dienen.
Man kann bzw. muß sich auch fragen, ob das mathematisch-philosophische Modell sich diesbezüglich auch als Alternative zum traditionellen System versteht. Aber das sollte es eigentlich schon. Das ist keine originäre metaphysische Angelegenheit. Die Frage der Begründung von Zahlen ist eine – bzw. ist die – Frage der Darstellung, und d. h. auch Produktion dieser Zahlen. Bei unendlichen Mengen bedarf es immer auch eines – bedarf es des – Verfahrens, das diese Menge aus einem vorgegebenen bzw. vorzugebenden Ausgangsmaterial hervorbringt. So etwas läßt sich dann ja nicht Element für Element regeln. Das ganze Geheimnis, das sich hinter so einer Menge verbirgt, liegt in diesem Verfahren begründet. Und dementsprechend auch ist dieses Verfahren dann auch Begründung so einer Menge. Man kann von diesem Verfahren im Umgang mit den entsprechenden Mengen ohnehin nicht abstrahieren. Und wenn man es doch tut, dann ist so etwas einfach – intellektuell – unredlich. Von notwendigen – und sogar auch zureichenden – Voraussetzungen für das Gegeben-Sein einer Menge kann in Begründungsfragen natürlich nicht abgesehen werden. Man kann gerade in Begründungsfragen doch nicht auf so eine – unendliche – Menge einfach als etwas Gegebenes verweisen.
Das ist einfach zu billig. Das ist schon etwas merkwürdig; aber das System bzw. das Verfahren zur Darstellung der natürlichen Zahlen wird in Mathematik und Philosophie einfach übergangen. Auf die Idee, man könnte sich mit diesem Verfahren um dieses Verfahrens willen beschäftigen, kommt anscheinend niemand. Es ist auch so, daß der Verfahrenscharakter dieses Systems weitgehend verdeckt bleibt. Man sieht nicht, daß dahinter auch ein ganzes Regelwerk – wenn auch kein überaus komplexes Regelwerk – steckt. Dieses Regelwerk wird offenbar als etwas – vollkommen – Unmathematisches angesehen. Richtig ist, daß sich dieses Regelwerk einer mathematischen Formalisierung entzieht. Es geht in diesem Regelwerk auch nicht um die Beziehung zwischen Zahlen sondern um die Darstellung von Zahlen. Folglich kann in dessen Beschreibung auch nicht mit irgendwelchen Verknüpfungen gearbeitet werden. Im Vollzug dieses Systems wird nicht addiert, subtrahiert, multipliziert, dividiert oder sonst etwas. Da werden einfach nur ständig neue Zeichenfolgen entwickelt. Und das Produktionsgeschehen ist für dieses ganze Verfahren – wie das bei Produktionen aber auch so ist – konstitutiv. Da wird also nicht mit den Elementen einer fertigen Menge umgegangen; da wird vielmehr erst in die Produktion so einer Menge investiert.
Deswegen greift in diesem Fall schon einmal auch der ganze Formalismus der Mengenlehre nicht. Und selbst die Kombinatorik ist hier nicht der richtige Adressat. Auch diese mathematische Disziplin operiert mit fertigen Elementen in fertigen Mengen. Das ist einfach typisch für die ganze Mathematik. Auch der Mathematik bzw. der Analysis ist der Stoff, mit dem diese befaßt ist, von Anfang an vorgegeben. So setzen alle Analysis-Lehrbücher mit einer Begründung der reellen Zahlen ein. Und auch so eine Begründung läuft wieder so ab, daß man eine – wenn auch zunächst noch völlig unbestimmte – Menge an den Anfang stellt, um diese durch eine Reihe von Axiomen zunehmend einzugrenzen. Der Umfang, innerhalb dessen sich die – ganze – Mathematik zu bewegen hat, ist damit von Anfang an schon vorgegeben, auch wenn man am Anfang noch nicht weiß, wie dieser Umfang nun auch genau aussieht. Das ist aber auch nicht so wichtig. Wichtig ist, daß irgendwelche Entwicklungen sich nicht ins Unbestimmte bzw. – präziser – ins Offene erstrecken.
II. – Das ist einfach keine mathematisch zulässige Situation. In der Mathematik möchte man einfach immer den Rahmen abgesteckt haben, innerhalb dessen man sich dann bewegt. Das geschieht im allgemeinen so, daß man die Menge, mit der man sich zu beschäftigen gedenkt, vorgibt, und sei es, daß es sich dabei um eine völlig unbestimmte, weil nämlich noch zu bestimmende Menge handelt. Das ist das gängige mathematische Verfahren, auch wenn es sich dabei nicht unbedingt auch ein folgerichtiges Verfahren handelt. Das Pferd ist dabei einfach von hinten aufgezäumt. Aber so ist das in der Mathematik eben. Es wird dabei einfach immer auf die Plattform, auf der man sich bewegt, geachtet. Dagegen wäre es mathematisch völlig untypisch, sich eine Menge sozusagen von innen heraus in ihren Elementen erst entwickelt zu sehen, ohne daß auf diese Menge schon einmal als auf etwas Gegebenes verwiesen werden könnte. Es steht in unserem diskutierten Fall natürlich dem nichts entgegen, die fragliche Menge als Menge aller möglichen endlichen (Linear-)kombinationen aus einer vorgegebenen endlichen Menge von (Einze-)zeichen zu definieren.
Das wäre dann politisch – will heißen mathematisch – wieder korrekt. Damit ist es dann aber nicht getan. Wir haben weiter nicht das mathematische Instrumentarium, um diesen Mechanismus – Formalismus wäre hier das falsche Wort – zur Darstellung respektive Produktion aller dieser Zeichenfolgen zu beschreiben, so wie das dann auf dieser Schiene immer auch erfolgt. Es gibt dafür keine mathematische Beschreibung, weil sich das alles abseits aller mathematischen Operationen bzw. Verknüpfungen vollzieht. Dieser Mechanismus läßt sich einfach im mathematischen Sinne nicht formalisieren. Das Phänomen Reihenfolge läßt sich – wie gesagt – nicht formalisieren. Reihenfolge läßt sich nur namhaft dadurch machen, daß man Reihenfolge(n) auch praktiziert. Also, wenn es darum geht, sich endlich viele Zeichen in Reihenfolge geordnet vorzugeben, so wie wir das im Verfahren zur Darstellung der natürlichen Zahlen haben, dann muß man diese Zeichen explizit auch in Reihenfolge anordnen.
Irgendwelchen x-beliebigen Zeichen läßt sich im allgemeinen nichts – aber auch nichts – bezüglich einer Reihenfolge entnehmen, in der diese natürlicherweise gebracht sind, so daß man jedem solchen Element sofort auch entnehmen könnte, wo es innerhalb dieser Reihenfolge steht. Den Zeichen 1. 2, 3, ... läßt sich nichts bezüglich irgendeiner Reihenfolge, in der diese Zeichen natürlicherweise stünden, entnehmen. Daß sie in der Reihenfolge stehen, wie sie – traditionellerweise – stehen, ist reine Konvention. Das könnte genauso gut auch jede andere Reihenfolge sein. Es gibt dafür bekanntlich ja n! Möglichkeiten, wenn n die Anzahl der zu ordnenden Elemente bezeichnet. Also, wenn ich eine endliche Menge von Zeichen habe bzw. mir vorgebe, dann kann ich diese nach Belieben in eine Reihenfolge bringen. Wenn ich – in allgemein verständlicher Form – sagen möchte, um welche Reihenfolge es sich dabei handelt, dann muß ich diese Elemente so abzählen, wie ich sie in Reihenfolge gebracht sehen möchte. Es gibt dafür keinen Formalismus. Ich muß die Reihenfolge, so wie sie ist bzw. sein soll, dann auch zur Ausführung bringen.
Anders läßt sich so eine Reihenfolge nicht namhaft machen. Reihenfolge liegt vor, sobald gesagt ist, wie die einzelnen Elemente einander (nach-)folgen. Man kann sich dabei einfach nicht von dem, was zu ordnen ist, lösen. Und deswegen läßt sich – das Phänomen – Reihenfolge auch nicht formalisieren. Es gibt diese formale Bedingung, der eine Menge genügen müßte, damit es sich auch in eine in Reihenfolge geordnete Menge handeln kann bzw. muß nicht. Das Verfahren zur Darstellung bzw. Produktion der natürlichen Zahlen läßt sich in der erforderlichen endlichen und in Reihenfolge geordneten Menge an Zeichen nur so beschreiben, daß man diese Zeichen explizit und in eine Reihe gebracht auch angibt. Alles, was man dabei an Formalem einbringen könnte, wäre dies, daß man diese Menge mit 1, 2, 3,....n für ein gewisses n als durchzählt. Damit wird allerdings auch nur der Schein einer Formalisierung erzeugt. Natürlich bedürfen die Zeichen bzw. Zeichenfolgen für die natürlichen Zahlen nicht erst auch noch eigens einer Anordnung in Reihenfolge, um zu wissen, wie diese Reihenfolge aussieht. Irgendwann mußte man aber auch das lernen.
Das ist etwas, was man sich schlicht und einfach merken muß. Die Reihenfolge der (Zahl-)zeichen von 1 bis 9 ist ein rein willkürlichen Reihenfolge. Daß die 1 die 1 ist verdankt die 1 auch nur ihrer Position am Anfang dieser Reihenfolge. Würde sie in der Mitte oder sonstwo stehen, dann wäre die 1 zwar noch – dem Zeichen nach – die 1; sie wäre aber nicht mehr das erste Zeichen in dieser Reihenfolge gesetzter Zeichen. Das hätte aber auch nicht sein müssen. Das ist alles reine Konvention. Wir verbinden mit den Zeichen 1, 2, 3, ... 9 natürlich immer sofort auch die Position, die jedes dieser Zeichen innerhalb der – per Konvention – gesetzten Reihenfolge dieser Zeichen einnimmt. Das muß man sich aber einfach einmal gemerkt haben. Und wenn wir den Mechanismus der Darstellung der natürlichen Zahlen beschrieben haben wollen, dann kann auch nur mit einer expliziten Zeichenreihe gearbeitet werden. Man kann dann nicht einfach sagen, es sei M eine in Reihenfolge geordnete endliche Menge. Wir können uns dann auch zwei beliebige Elemente a, b herausgegriffen denken und wissen, daß in der Reihenfolge dieser Elemente eines davon vor dem anderen kommt, so wie wir diese Element in dieser Reihenfolge angeordnet haben sein lassen.
Das ist nichts, was sich den einzelnen Elementen als solchen entnehmen ließe, es sei denn, wir haben es mit Zahlen zu tun, an deren Zahlenwert sich ablesen läßt, welche die kleinere bzw. größere davon ist. Von allen natürlichen Zahlen läßt sich das sofort auch sagen. Das gilt allerdings nicht für die Zeichen, deren wir uns zur Darstellung dieser Zahlen bedienen. Was vor der Darstellung von Zahlen liegt, kann sich auf diese Zahlen auch nicht stützen. Sie dürfen dann auch nicht einfach von den natürlichen Zahlen abgezählt bzw. durchgezählt werden. Und das wäre auch noch das einzige formale Element, das uns – scheinbar – auf einer formalen Ebene von dem Phänomen Reihenfolge handeln ließe. Das Phänomen Reihenfolge ist also einer Formalisierung nicht zugänglich, wie insgesamt auch das ganze Verfahren zur Darstellung bzw. Produktion der natürlichen Zahlen sich einer mathematischen Behandlung entzieht, wäre eine solche Behandlung doch auch wieder – nur –formaler Art. Das gleiche gilt dann natürlich auch für die Methoden der philosophischen Logik.
III. – Die reellen Zahlen sind nicht abzählbar. So steht es jedenfalls in jedem Analysis-Lehrbuch. Am Umfang dieser reellen Zahlen kann so etwas nicht liegen. Das Unendliche bietet Puffer genug, als daß sich jede Unendlichkeit dort nicht in gleicher Weise verlieren könnte. Die Beweise der Nicht-Abzählbarkeit der reellen Zahlen werden alle indirekt geführt. Das ist scheinbar auch eine Notwendigkeit. Man kann diese reellen Zahlen jedenfalls nicht abzuzählen versuchen, um festzustellen, daß das nicht geht. Das geht natürlich nicht. Was aber eben auch nicht geht, ist dies, daß wir die reellen Zahlen einfach der Reihenfolge – ihrer Reihenfolge – nach durchgehen würden. Das wäre dann auch kein Problem. Dann würden einfach beide Zahlenmengen entsprechend ihrer Reihenfolge einander in Beziehung gesetzt. Das Problem mit der nicht gegebenen Abzählbarkeit der reellen Zahlen liegt offenbar in ihrer "undurchsichtigen" Anordnung begründet. Es gibt eine Reihe von Beweisen für die Nicht-Abzählbarkeit der reellen Zahlen, auch wenn es sich dabei nur um Variationen ein und desselben Beweisargumentes handelt.
Von einer relativen Eigenständigkeit ist darunter nur das Cantorsche Diagonalverfahren. Man stellt sich die reellen Zahlen des Intervalls zwischen Null und Eins – das reicht – in Dezimaldarstellung untereinander aufgelistet vor, und zieht dann von links oben nach rechts unten eine Diagonale. Anhand der Schnittstellen dieser Diagonalen mit den einzelnen Bruchstellenfolgen läßt sich dann eine reelle Zahl zwischen Null und Eins angeben, die von dieser Liste nicht erfaßt ist. Im endlichen Bereich funktioniert dieses (Beweis-)verfahren sicherlich auch. Die Frage ist, wie das im Unendlichen aussieht. Paßt das dann auch mit den verschiedenen Unendlichkeiten von Bruchstellenfolgen und natürlichen Zahlen zusammen? Feststeht, daß die Bruchstellenfolge eines unendlichen Bruches über einen Abschluß verfügt, der den natürlichen Zahlen fremd ist. Dieser Abschluß besteht eben aus der unendlichen Bruchstellenfolge als solcher.
Damit ist aber keine natürliche Zahl mehr markiert. Jede natürliche Zahl wird dagegen – wenn man so will – Partialfolge so einer Bruchstellenfolge abgedeckt. Jede solche Bruchstelle markiert entsprechend der Anzahl bis dahin gesetzter Bruchstellen die entsprechende natürliche Zahl. Wir können in so einer Bruchkomponente immer auch eine – zusammengefaßte – Ausführung des mathematisch-philosophischen Modells der natürlichen Zahlen mitinbegriffen sehen. Jede Bruchstelle steht entsprechend der Position, die sie innerhalb so einer Bruchkomponente einnimmt, einfach auch für eine ganz bestimmte natürliche Zahl. Diese Lesart könnte man natürlich auch im System der klassischen Darstellung natürlicher Zahlen pflegen. Man tut das natürlich nicht, einfach weil es keinen Sinn macht. Jede natürliche Zahl wird in klassischer Darstellung natürlich mit der Zahl identifiziert, die sie in diesem System auch darstellt, und da kommt es – wie gesagt – nicht auf die Anzahl gesetzter Zeichen an, auch wenn diese Anzahl für die Größe so einer Zahl von Bedeutung ist.
Wir ordnen so eine Zahl natürlich sofort auch immer entsprechend ihrer "Stelligkeit" im System aller dieser Zahlen ein. So liegt eine vierstellige Zahl etwa im – einstelligen – Tausender-Bereich. Bei größeren Zahlen ist das auch genau das, worauf primär gesehen wird. Einer zumal, aber auch noch Zehner, fallen dabei einfach nicht ins Gewicht. In klassischer Darstellung läßt uns die Verwendung verschiedener Zeichen mit wenigen Stellen sehr viel mehr an Zahlen darstellen als wenn man sich dabei nur auf ein Zeichen beschränken wollte, so wie im mathematischen-philosophischen Modell. Jede neue Zahl eröffnet in diesem Modell bereits eine neue Stelle. Jede solche Stelle steht umgekehrt dann – im Verbund aller dieser Stellen – auch für eine bestimmte natürliche Zahl. Wenn man allerdings wissen möchte, um welche Stelle bzw. Zahl es sich dabei handelt, dann muß man alle Stellen bis dahin im herkömmlichen System natürlicher Zahlen abzählen. Anders kann man sich darüber auch nicht verständigen. Im mathematisch-philosophischen Modell natürlicher Zahlen gehen diese Zahlen sehr schnell in die Länge. Das klassische Modell hat demgegenüber einen sehr viel niedrigeren Stellenverbrauch. Dafür arbeitet dieses System aber auch mit mehr Zeichen, und das läßt uns auf den einzelnen Stellen dann immer auch variieren und kombinieren.
Die Herstellung einer 1-1-Beziehung zwischen beiden Systemen resp. Mengen stört das aber nicht. Ausgenommen von dieser Beziehung bleibt – wie gesagt – die Bruchstellenfolge als Ganzes. Eine unendliche Zeichenfolge läßt sich keiner natürlichen Zahl mehr zuordnen. Bezogen auf das Cantorsche Diagonalverfahren bedeutet dieses nicht mehr und nicht weniger als daß die natürlichen Zahlen auch nicht ausreichen, um alle von diesem Schnitt erfaßten Diagonalelemente auch zu bedienen. Natürlich stellt die Folge dieser Diagonalelemente eine unendliche Folge dar, so wie wir sie bei unendlichen Brüchen immer auch haben. Nach dem Gesagten kann so einer Folge auf allen ihren Positionen nicht auch eine natürliche Zahl zugeordnet werden, so wie das das Cantorsche Diagonalverfahren voraussetzt. Soweit die natürlichen Zahlen reichen hat das mit dieser Konstruktion schon seine Richtigkeit.
IV. – Diese Konstruktion läßt sich nur nicht auch bis ans Ende der ganzen Diagonale durchziehen. Es gibt am Ende dieser Diagonalen Elemente, die ohne natürlichen Index sind, einfach weil die Möglichkeiten einer solchen Indizierung bis dahin schon ausgeschöpft bzw. erschöpft sind. Und damit greift das Argument dieser Beweisführung nicht mehr. Der angebliche Widerspruch zur Konstruktion einer Zahl, die nicht auf der Liste steht, obwohl diese als vollständig vorausgesetzt ist, existiert nicht. Wir haben so einfach nicht den Überblick über die ganze Bruchstellenfolge. Was unsere Überlegungen zeigen ist dies, daß die Bruchstellenfolge eines unendlichen Bruches nicht abzählbar ist, unabhängig davon, wie diese Stellen im einzelnen besetzt sind. So ein Bruch verfügt – mit anderen Worten – über mehr Bruchstellen als es natürliche Zahlen gibt.
In diesem Fall sind es – tatsächlich – auch Umfangsgründe, die uns eine Menge nicht abzählen lassen. In diesem Fall versagt eindeutig auch die Pufferfunktion des Unendlichen. Daß mit dieser Zuordnung von Bruchstelle zu natürlicher Zahl funktioniert einfach im Unendlichen nicht mehr. Und es funktioniert im Unendlichen nicht, weil eine unendliche Zeichenfolge keine natürliche Zahl mehr repräsentiert. Es würde – noch – funktionieren, wenn man diese unendliche Ende ausblenden würde. Das geht nun aber einmal nicht. Der Übergang von Endlichem zu Unendlichem gestaltet sich genauso fließend bzw. undurchsichtig wie der Übergang von einer reellen Zahl zur nächsten. Wir bekommen auch alle endlichen Bruchstellen eines unendlichen Bruches nur im Paket mit dessen unendlichen Abschluß.
Es macht einfach keinen Sinn, diesbezüglich irgendwelche Trennungslinien zu ziehen. Es gibt diese Linien nicht. Deswegen muß man einfach sehen, daß die natürlichen Zahlen nicht zureichen, um einen unendlichen Bruch in allen seinen Bruchstellen auch vollständig zu indizieren. Daß die natürlichen Zahlen in ihrer klassischen Darstellung nicht auch mit einer unendlichen Zeichenfolge abschließen, liegt an den Besonderheiten des Verfahrens zu ihrer Darstellung. Wir haben es dabei mit einem Verfahren zur simultanen gewissermaßen Produktion in Kombination von Zeichenfolgen beliebiger endlicher Länge aus einer vorgegebenen endlichen Zeichenmenge zu tun. Der Grenzübergang splittet sich dann in eine unendliche Menge von Zeichenfolgen auf und verhindert gerade dadurch, daß auch nur eine dieser Zeichenfolgen zu einer – effektiv – auch unendlichen Zeichenfolge anwachsen könnte, so wie wir sie bei unendlichen Brüchen in der Bruchkomponente haben. Dort ist das anders, einfach weil die ganze Entwicklung auch nur einer einzigen Bruchentwicklung gilt, und dann kommt es im Unendlichen notwendig auch zu einer unendlichen Bruchstellenfolge.
Wesentliche Verfahrenselemente halten sich auch im Unendlichen, und d. h. im Vollzug eines Grenzüberganges durch. Im Unendlichen verhalten sich beide Modelle der natürlichen Zahlen anders. Das eine Modell fällt aus diesen natürlichen Zahlen heraus, und ist in diesem Sinne auch nicht Modell dieser Zahlen, während in klassischer Darstellung auch dafür gesorgt ist, daß im Unendlichen nichts "schiefläuft". Und auch das mit der Bijektion der einen Menge auf die andere läuft im Unendlichen auch aus dem Ruder. Diese Beziehung hält sich nicht durch. Eine unendliche Zeichenfolge reicht einfach weiter als ihr die natürlichen Zahlen in der Indizierung etwa der einzelnen Bruchstellen zu folgen vermöchten. Man muß sich einfach von der Vorstellung verabschieden, als ob jede in Reihenfolge geordnete Menge auch eine abzählbare Menge wäre. Das sind solche Mengen nicht unbedingt einmal dann, wenn sie diskret verteilt sind, und d. h. wenn sie alle deutlich voneinander zu unterscheiden sind, will heißen, wenn wir problemlos das einem Element nächstgelegene Element angeben können.
Bei den reellen Zahlen können wir das bekanntlich nicht. Bei den rationalen Zahlen können wir das wieder, und wir haben in diesem Fall auch die – förmliche – Bijektion mit den natürlichen Zahlen, wenn man jede rationale Zahl als kartesisches Produkt zweier natürlicher Zahlen versteht. Das ganze Abbildungsgeschehen spielt sich in diesem Fall auf beiden Seiten zwischen natürlichen Zahlen bzw. einem kartesischen Produkt derselben ab. Deswegen kann es in diesem Fall auch im Unendlichen zu keinen divergierenden Entwicklungen kommen. Eine solche Entwicklung wäre auch im Cantorschen Diagonalverfahren ausgeschlossen, wenn denn in den Bruchkomponenten der aufgelisteten reellen Zahlen – formal – nur natürlichen Zahlen gearbeitet würde. Dann würden wir uns auf beiden Seiten in derselben Unendlichkeit bewegen. Die verschieden langen Wege auf horizontalen und Diagonalen würden dann im Unendlichen wieder abgepuffert. So aber reicht die eine Unendlichkeit einfach weiter als die andere. Und dementsprechend reicht die eine Unendlichkeit nicht an die andere heran.
V. – Der angebliche Widerspruch besteht so nicht. Die besondere Qualität der Unendlichkeit unendlicher Bruchkomponenten zeigt sich so nur in den Bruchkomponenten als Ganzes soweit sich solche Bruchkomponenten auch zeigen können. Was solche Bruchkomponenten angeht, gibt es natürlich nur die einfache Alternative endlich oder unendlich. Dazwischen gibt es nichts. Und das heißt, es gibt die – wenn man so will – reduzierte Unendlichkeit der natürlichen Zahlen in den Bruchkomponenten nicht. Alles, was nicht endlich ist, ist dann unendlich. Im statischen Bereich besteht nur diese Alternative. Die besondere Unendlichkeit der natürlichen Zahlen ist eine Besonderheit in der Bildung einer Menge. Und diese Besonderheit liegt gerade darin begründet, daß dieser Mengenbildung ein Verfahren zugrunde liegt, das Endliches ins Unendliche hinein fortschreibt, ohne auch in Unendliches auszuarten.
Das ist das Besondere an dem ganzen Verfahren. Es wird dabei eine unendliche Menge von endlichen Zeichenfolgen produziert. Das stellt sich im anderen Verfahren, das mit nur einem Zeichen auszukommen versucht, anders dar. Es werden zwar auch dabei zumindest nicht-endlich viele endliche Zeichenfolgen produziert, sofern man sich die eine Zeichenfolge nicht immer nur ergänzt sondern immer auch von Anfang an neu aufgenommen denkt. Werden dabei aber auch –zumindest – so viele endliche Zeichenfolgen produziert als es auch natürliche Zahlen gibt? Es gibt diese Bijektion, die jede natürliche Zahl mit genau derjenigen Zeichenfolge auf der anderen Seite identifiziert, deren Anzahl gesetzter Zeichen durch diese natürliche Zahl wiedergegeben ist. Einschränkend muß man dazu allerdings schon sagen, daß sich uns das Geschehen im Unendlichen nicht erschließt. Man muß hier schon sehr genau auch auf diesen Grenzübergang achten. Wir können dabei nicht einfach von der Situation im Endlichen auf die im Unendlichen schließen.
Was im Unendlichen passiert, daß haben wir nie unter Kontrolle. Wenn auf beiden Seiten im Unendlichen verschiedene Richtungen eingeschlagen werden, dann muß man auch das mit dieser Bijektion zwischen beiden Seiten hinterfragen. Das läßt sich dann auch nicht induktiv angehen. Wir können auf der einen Seite einfach Endliches nicht von Unendlichem – oder auch nur Unendlich-Endlichem – trennen. Auf der anderen Seite ist diese Trennung verfahrens- bzw. konstruktionsbedingt sichergestellt. Irgendwo funktioniert das dann mit dieser 1-1-Beziehung nicht mehr. Die Frage ist auch die, inwieweit es auf der einen Seite auch zur Bildung von nicht nur nicht-endlich, sondern auch unendlich vielen endlichen Zeichenfolgen kommt. Sicher sagen läßt sich nur, daß es deren nicht nur endlich viele sein können. So etwas ließe sich immer überprüfen, und dann auch widerlegen.
Wir können diese Bijektion zwischen beiden Modellen nach Belieben fortentwickeln. Nur den Schritt ins Unendliche müssen wir dem jeweiligen Verfahren auf der einen wie der anderen Seite selbst überlassen. Und dabei trennen sich dann auch die Wege. Bis zuletzt kann jedenfalls die konstruierte Bijektion nicht aufrechterhalten werden. Wo und wie sich die Wege trennen, das entzieht sich unserer Erkenntnis. Man kann jedenfalls auch nicht sagen, daß auf der einen Seite gegenüber der anderen einfach nur noch etwas dazukommen würde. Das Grenzübergangsgeschehen auf der einen Seite vollzieht sich im übrigen auch nicht in Abhängigkeit von den natürlichen Zahlen, so wie wir das – definitionsgemäß – bei Grenzübergängen immer auch haben. Das haben wir hier nicht, und das haben wir – wie gesagt – auch bei geometrischen Abzählverfahren nicht. Und nicht zuletzt haben wir das auch beim Cantorschen Diagonalverfahren nicht. Und in diesem Verfahren haben wir es mit unendlichen Brüchen zu tun.
Über die Anzahl der in – senkrechter – Reihenfolge gesetzten Zahlen ist dabei nichts gesagt. Die Zielsetzung der Konstruktion ist es zu zeigen, daß es deren nicht-abzählbare viele sind. Und die Beweisidee ist die, daß man, obwohl voraussetzungsgemäß alle reelle Zahlen zwischen Null und Eins aufgelistet sein sollen, aus dieser Auflistung heraus dennoch einen Bruch konstruiert, der von dieser Liste nicht erfaßt ist. Das sieht ganz wie ein Trick aus. Es würde schon gesagt: Solange man sich in der Unendlichkeit der natürlichen Zahlen bewegt, und d.h. solange man nur mit endlichen Bruchkomponenten arbeitet, funktioniert die Konstruktion auch. Deswegen wachsen die Bruchkomponenten auch ins Unbegrenzte – wenn auch nicht ins Unendliche – hinaus. Die Menge der natürlichen Zahlen ist schließlich – auch – eine unendliche Menge. Der Länge natürlicher Zahlen sind keine Grenzen gesetzt. Sichergestellt wäre dann – wie gesagt – daß die Diagonalelemente alle auch durchnumeriert werden könnten. Von den natürlichen Zahlen weiß man aber, daß sie abzählbar sind. Die lassen sich damit – prinzipiell – alle auch in der ihnen eigenen natürlichen Reihenfolge nacheinander oder untereinander auch aufschreiben.