3.3.4 Die Definition von Cauchy-Folgen in der Menge aller rationalen Cauchy-Folgen
I. - Das ε > 0
aus der Definition von Cauchy-Folge ist im allgemeinen der Menge der reellen
Zahlen entnommen. In einer systematischen Entwicklung der Mathematik, die auf einer
axiomatischen Begründung des Körpers der reellen Zahlen aufbaut, wird auch
gleich mit den reellen Zahlen angefangen. Auf die Menge der rationalen Zahlen
wird dabei eher beiläufig hingewiesen. Auch der Folgenbegriff wird von Anfang
an auf die Menge der reellen Zahlen bezogen. Unter einer unendlichen Folge wird
allgemein eine unendliche Folge reeller Zahlen verstanden, sofern nicht
ausdrücklich Gegenteiliges vermerkt ist. Dementsprechend auch wird von
Cauchy-Folgen immer als von Folgen reeller Zahlen ausgegangen. Mit dem ε > 0
der Definition von Cauchy-Folgen ist immer auch ein reelles ε > 0
gemeint. Man kann diese Definition natürlich auch auf rationale Folgen bzw.
rationale ε`s beschränken. Es führt dies nur nicht auch zu
einem gesonderten Cauchy-Folgenbegriff für rationale Folgen. Eine Cauchy-Folge
in ist auch eine Cauchy-Folge in
.
Konvergiert sie in
,
dann konvergiert sie auch in
gegen denselben rationalen Grenzwert.
Natürlich ist umgekehrt nicht jede reelle Cauchy-Folge auch rationale
Cauchy-Folge. Man kann sich in der Definition
reeller
Cauchy-Folgen allerdings auf rationale ε`s beschränken. Es genügt, wenn die Bedingung
der Definition reeller Cauchy-Folgen für rationale ε`s
erfüllt ist. Das liegt einfach an der Dichte der rationalen Zahlen in der Menge
der reellen Zahlen. Jedes reelle ε > 0 kann so immer noch durch ein noch kleineres
rationales ε` > 0
unterboten werden, und das genügt.
Die Möglichkeit,
den Begriff der rationalen Cauchy-Folge bzw. der rationalen Nullfolge intrinsic“
definieren zu können, liegt bekanntlich der Idee der Konstruktion reeller
Zahlen als Äquivalenzklassen rationaler Cauchy-Folgen zugrunde. Die Frage ist
nur, ob sich auf diese Weise die Menge der rationalen Zahlen zur Menge der
reellen Zahlen erweitern läßt. Immerhin läßt sich der Dichte der rationalen
Zahlen in der Menge der reellen Zahlen entnehmen, daß jede reelle Zahl
Grenzwert einer Folge rationaler Zahlen ist. Der Beweis der Dichte von
in
beruht auf dem Archimedischen Axiom und läßt
sich konstruktiv führen. Man kann die geforderte rationale Zahl zwischen je
zwei reellen Zahlen in Abhängigkeit von diesen beiden Zahlen konstruktiv
ermitteln. Dazu müssen allerdings die betreffenden reellen Zahlen jeweils auch
vorliegen. Insofern ist das in diesem Beweis beschriebene Verfahren nicht
geeignet, der Konstruktion reeller Zahlen dienlich zu sein.
Eine Konstruktion
reeller Zahlen kann soweit eine solche Konstruktion auch möglich
ist
nur unter Verwendung rationaler Zahlen
erfolgen. Man kann dann auch mit Cauchy-Folgen rationaler Zahlen operieren, muß
sich dabei allerdings auch bewußt sein, daß solche Folgen dann nicht einfach
wie rationale Zahlen behandelt werden können, wenn es darum geht, Cauchy-Folgen
in der Menge rationaler Cauchy-Folgen zu bilden. Man kann dann nicht einfach
mit der Definition reeller oder auch rationaler Cauchy-Folgen aus der Analysis
operieren. Voraussetzung dazu wäre, daß jede rationale Cauchy-Folge in
natürlicher Weise mit einer rationalen Zahl identifiziert werden kann, und das
können in Q divergente rationale Cauchy-Folgen gerade nicht. Damit sind wir in
dieser Menge rationaler Cauchy-Folgen ohne eine Definition von Cauchy-Folge.
Wir können zwar die Differenzen beliebiger Cauchy-Folgen bilden; wir können im
allgemeinen nur nicht auch jeder solchen Folge einen Zahlenwert zuordnen, wenn
so eine Folge in
nicht auch konvergent ist. Also können wir
auch nicht sagen, ob eine solche Differenz kleiner als ein vorgegebenes ε > 0
ist.
Man kann diesem
Einwand nicht dadurch begegnen, daß man sagt, wir hätten schließlich in der
Menge aller rationalen Cauchy-Folgen eine lineare Ordnung und könnten
infolgedessen beliebige Elemente dieser Menge bezüglich dieser linearen Ordnung
miteinander vergleichen. Man kann also von zwei verschiedenen rationalen
Cauchy-Folgen prinzipiell
schon immer auch sagen, welche von beiden die kleinere
ist. Reicht das aber auch aus, um eine Folge solcher Cauchy-Folgen ihrerseits
als Cauchy-Folge nachweisen zu können? Auf jeden Fall müßte dann von einer
modifizierten Definition von Cauchy-Folge ausgegangen werden. Natürlich können
wir dann nicht einfach mehr nur sagen, zu jedem ε > 0 müsse es ein N (ε)
geben mit ... . Man müßte dann vielmehr sagen, daß es zu jeder Cauchy-Folge α eine
Cauchy-Folge N (α) gibt, so daß ...
. Das kann man tun, und es findet sich in dieser Definition dann auch alles aus
der Definition reeller bzw. rationaler Cauchy-Folgen wieder. Es wird diese
Definition einfach der neuen Situation angepaßt bzw. in diese neue Situation
übersetzt, einer Situation in der nicht mehr von der Menge reeller bzw.
rationaler Zahlen, sondern von der Menge rationaler Cauchy-Folgen ausgegangen
wird.
Man muß dazu allerdings sagen, daß eine solche Übersetzung in der Mathematik nicht gängige Praxis ist. Es gibt eine Verallgemeinerung des Begriffes der Cauchy-Folge, nur sieht diese Verallgemeinerung eine Übersetzung wie die gerade bezüglich der Menge der rationalen Cauchy-Folgen gegebene so nicht vor. Es ist in dieser Verallgemeinerung nicht vorgesehen, daß die Funktion der ε`s aus der Definition reeller Cauchy-Folgen auch von den Elementen jeder anderen linear geordneten Menge übernommen werden könnte, so wie das bei unserer Übersetzung in die Menge rationaler Cauchy-Folgen geschehen ist. Wir haben in dieser Übersetzung die Elemente der Menge, die den in Betracht zu ziehenden Cauchy-Folgen zugrunde liegt, einfach auch diese Funktion der ε`s übernehmen zu lassen, so wie bei reellen Cauchy-Folgen auch reelle ε`s diese Funktion übernehmen.
In der Definition
reeller Cauchy-Folgen wird darauf nicht eigens hingewiesen, nachdem auch so
klar ist, was für ε`s nur gemeint
sein können, reelle ε`s nämlich. Was
nun die angesprochene Verallgemeinerung des Begriffes der Cauchy-Folge
betrifft, so bezieht sich diese nur auf die Menge, aus der Cauchy-Folgen
entnommen werden können, nicht aber auch auf die Menge, aus der die ε`s zu entnehmen sind. Diese ε`s sind dabei unverändert der Menge der reellen
Zahlen zu entnehmen, wohingegen Cauchy-Folgen jedem normierten K-Vektorraum[111]
entnommen sein können. Normierte Vektorräume sind Vektorräume, die eine Norm
tragen, wobei es sich bei dem Begriff der Norm auf einem Vektorraum um eine
Verallgemeinerung der Betragsfunktion auf der Menge der reellen Zahlen bzw. allgemeiner schon
auf den Vektorräumen
für ein natürliches
handelt.
II. - Normen sind reellwertige Funktionen auf
Vektorräumen mit bestimmten Eigenschaften.[112]
Normen auf Vektorräumen ermöglichen es uns, die Abstände zwischen einzelnen
Elementen eines Vektorraumes zu berechnen. Damit kann in solchen Räumen auch
eine Definition des Grenzwertes einer Folge bzw. des Begriffes der Cauchy-Folge
gegeben werden. Die Differenz zweier Elemente eines Vektorraumes wird durch
eine Norm auf eine ganz bestimmte reelle Zahl abgebildet. Von dieser Zahl kann
dann auch gesagt werden, ob sie kleiner als ein beliebig vorgegebenes ε > 0
ist oder nicht. Der Nachweis dafür, ob eine Folge in einem Vektorraum eine
Cauchy-Folge ist, wird so definitionsgemäß
wieder innerhalb der Menge der reellen Zahlen
geführt. Eine Verallgemeinerung des Begriffes der Cauchy-Folge auf allgemeine
Vektorräume ist aber auch nur in dieser Weise möglich, nachdem in solchen
Vektorräumen zwar immer auch Differenzen gebildet werden können, der im
allgemeinen aber fehlenden linearen Ordnung solcher Räume wegen
mehrdimensionale Vektorräume können nicht
linear geordnet sein
diese Differenzen nicht auch der Größe nach
linear
geordnet werden können. Man kann dann nicht
sagen, ob eine Differenz kleiner oder größer als eine andere ist.
Größenvergleiche sind nur innerhalb einer
linearen Ordnung möglich. Will man solche Größenvergleiche auch in nicht-linear
geordneten weil beispielsweise mehrdimensionalen
Räumen haben, dann muß man auf eine linear
geordnete Menge abbilden können, damit dieser Vergleich dann dort stattfinden
möge. Die lineare Ordnung, in die abgebildet wird, wird natürlich so
vollständig und so umfassend wie nur möglich gewählt, und d.h. es wird in die
Menge der reellen Zahlen abgebildet. Die Definition von Cauchy-Folgen in
normierten Vektorräumen ist so auf die Definition von Cauchy-Folgen in der
Menge der reellen Zahlen zurückgeführt.
A. Oberschelp
beschränkt sich in seiner der Konstruktion der reellen Zahlen
vorausgeschickten
Definition von Cauchy-Folgen auf geordnete
Körper.[113]
So wie diese Folgen dann definiert sind
mit dem Hinweis auf das beliebig vorzugebende ε > 0
(für alle ε >
0...) nämlich
bewegt sich diese Definition dann im Rahmen
der Verallgemeinerung der Definition von Cauchy-Folgen auf normierten
Vektorräumen. ε-δ-Definitionen beziehen sich immer auf die
lineare Ordnung der
reellen Zahlen.
In der Menge rationaler Cauchy-Folgen
beispielsweise kann man sich kein reelles
ε > 0 vorgeben, einfach weil es in dieser Menge keine
reellen wie auch keine natürlichen , ganzen oder rationalen
`s gibt. Das könnte man zu Zwecken der
Definition von Cauchy-Folgen auf dieser Menge nur , wenn man auf dieser Menge
eine Norm einführte, die jede Folge dieser Menge auf eine reelle Zahl abbildet.
Eine solche Norm benötigt man schließlich aber auch dann, wenn
so wie wir das bei gewöhnlichen Cauchy-Folgen
haben, die ε`s der Menge der
reellen Zahlen entnommen sind. Die ganz gewöhnliche Betragsfunktion für dir
reellen Zahlen ist nicht nur eine solche Norm; der allgemeine Normbegriff
leitet sich von daher auch ab. Verglichen werden kann immer nur innerhalb ein
und derselben linearen Ordnung. Deswegen auch ist die A. Oberschelps Definition
von Cauchy-Folge in den bzw. für die dafür bestimmten Verhältnisse einfach
nicht definiert. dafür gegebenen
Bedingung nicht definiert. Man sieht das einfach an dem Beispiel der Menge
rationaler Cauchy-Folgen, der
wie wir wissen
als Restklassenkörper ein geordneter Körper
ist. Also fällt er unter A. Oberschelps Definition von Cauchy-Folge. Wir haben
in diesem Körper eine lineare Ordnung; wir haben auf diesem Körper aber nicht
in gleicher Weise auch eine Norm. Man muß diesbezüglich auch deutlich
unterscheiden. Eine lineare Ordnung definiert noch keine Norm. Wenn wir in
beliebigen, angeordneten Körpern die Differenz zweier Elemente dieses Körpers
mit einem reellen ε > 0 vergleichen wollen, dann können wir das nur
vermittels einer Norm auf diesem Körper. Wenn A. Oberschelp in seiner
allgemeinen Definition von Cauchy-Folge in geordneten Körpern die Differenz
zweier Elemente
einer Folge zwischen Betragsstriche setzt, so
kann mit diesen Strichen nur eine Norm auf dem betreffenden geordneten Körper
gemeint sein.
In dieser Definition wird also schon auch
davon ausgegangen, daß die Abschätzung der Differenzen zweier Folgenglieder,
über die sich Cauchy-Folgen bezogen auf beliebige ε`s
>
0 definieren, innerhalb der Menge der reellen Zahlen vorzunehmen ist. Mit
dieser Definition kann allerdings die Konstruktion reeller Zahlen als
Restklassenkörper der Menge rationaler Cauchy-Folgen nicht funktionieren. Wir
haben für diese Menge bzw. ihre Restklassen einfach keine Norm, auf daß dann
innerhalb der Menge der reellen Zahlen überprüft werden könne, ob eine Folge
rationaler Cauchy-Folgen selbst auch eine Cauchy-Folge ist oder nicht. Die
einzige Möglichkeit, eine solche Norm auf dieser Menge zu definieren bestünde
darin, jede solche Folge mit ihrem Grenzwert zu identifizieren. Nicht alle
diese Folgen konvergieren aber auch in .
Also gibt es diese Norm nicht. A. Oberschelps allgemeiner Definition von
Cauchy-Folgen in angeordneten Körpern zufolge gibt es dann im Restklassenkörper
rationaler Cauchy-Folgen auch keine Cauchy-Folgen. Es wird in dieser Definition
unausgesprochen
von der Existenz so einer Norm ausgegangen.
Gibt es diese Norm nicht, sind in diesem Körper auch keine Cauchy-Folgen
definiert. Ist eine solche Norm
um eine Frage von vorhin nochmals aufzugreifen
aber auch unabdingbare Voraussetzung für die
Definition von Cauchy-Folgen?
Was man von einer mathematischen Größe erwarten kann, das ist in ihrer Definition festgelegt. Insofern sind durch jede solche Definition bestimmte Grenzen gesetzt, innerhalb deren nach entsprechenden Größen gesucht werden kann. Wenn also so eine Definition voraussetzt, daß es Cauchy-Folgen nur in Mengen mit einer Norm geben kann, dann gibt es in Mengen, auf denen es keine Norm gibt, auch keine Cauchy-Folgen. Man kann sich allerdings auch fragen, ob man sich nicht auch mit schwächeren Bedingungen zufrieden geben könnte, ohne daß darunter die Qualität definierter mathematischer Realität leiden müßte.
In angeordneten Körpern ist uns
jedenfalls - wie gezeigt die Möglichkeit einer Definition von
Cauchy-Folge eingeräumt, die
formal
vollkommen der im Körper der reellen Zahlen
gegebenen Definition solcher Folgen äquivalent ist. Wenn davon dennoch kein
Gebrauch gemacht wird, so offensichtlich deswegen, weil man sich nicht damit
zufrieden geben kann oder auch nur zufrieden geben möchte, die einzelnen Elemente einer Menge in ihrer
Position in der gegebenen linearen Ordnung dieser Menge nur über einen
bei unendlichen Mengen notwendig auch
unvollständigen
Größenvergleich mit
allen
anderen Elementen der Menge bestimmen zu können.
Man möchte dann schon haben, daß wir jedem Element einer linear geordneten
Menge aufgrund seiner Darstellung sofort entnehmen können, wo wir mit diesem
Element innerhalb der linearen Ordnung dieser Menge stehen.
Das aber kann man
von den Elementen unserer Menge rationaler Cauchy-Folgen nicht sagen. Das kann
man deswegen nicht sagen, weil wir der im allgemeinen fehlenden Konvergenz dieser
Folgen in
wegen
diese Folgen nicht auch mit einem rationalen
Zahlenwert ausstatten können. Insofern auch ist die Kritik die sich gegen
dieses
Modell“
des Körpers der reellen Zahlen richtet, dieselbe, die auch gegen das
Anzahl-Modell der Menge der natürlichen Zahlen vorzutragen war.
Im übrigen auch
kann in einem Verfahren, das der Konstruktion reeller Zahlen dienen soll, nicht
schon auch von diesen Zahlen in welcher Form und Gestalt und in welchem
Zusammenhang auch immer
Gebrauch gemacht werden. Nicht zuletzt
deswegen auch kann das ganze Verfahren so nicht vonstatten gehen. Das bedeutet
insbesondere auch, daß in diesem Verfahren mit der klassischen Definition von
Cauchy-Folge ohnehin nicht gearbeitet werden dürfte.
Eine Folge von
rationalen Cauchy-Folgen wäre selbst auch Cauchy-Folge, wenn die Differenzen
der Glieder der Folge also die Differenzen von rationalen
Cauchy-Folgen als solchen
mit genügend hohem Folgenindex beliebig klein
werden. Eine ähnliche Situation liegt in der Definition des Grenzwertes von
Folgen vor, nur daß es dort nicht die Differenzen von Folgengliedern, sondern
die Abstände dieser Folgenglieder zum Grenzwert der Folge sind, die beliebig
klein werden müssen, falls auch die Folgenglieder beliebig groß werden. Eine
solche Bedingung läßt sich natürlich nicht für jedes rationale bzw. reelle
einzeln überprüfen. So etwas läßt sich
stellvertretend für alle nur möglichen
an einem allgemeinen, ihrem Zahlenwert nach
völlig unbestimmt gelassenen
feststellen. Dasselbe gilt im übrigen auch für
die abzuschätzenden Differenzen der Folgenglieder. Es muß einfach möglich sein,
in Abhängigkeit von einem allgemeinen, und d. h. unbestimmt (vor-)gegebenen
einen allgemeinen
in seiner Abhängigkeit von dem vorgegebenen
bzw. vorzugebenden
bestimmten Mindestindex zu bestimmen, so daß
die Differenz aller Folgenglieder, die von einem größeren Folgenindex als
dieser eine Mindestindex sind, das vorgegebene allgemeine
unterbieten.
Ihrer Abbildungsvorschrift nach sind unendliche Folgen Funktionen der unabhängigen, natürlichen Variablen n. Abgeschätzt werden können die Glieder bzw. die Differenzen der Glieder einer Folge der Größe nach grundsätzlich nur in Abhängigkeit von diesem n. Das Grenzverhalten einer Folge läßt sich grundsätzlich nur vermittels allgemeiner Abschätzungen in Abhängigkeit von der allgemeinen unabhängigen Variablen n beurteilen. Die Grenzwerte von Folgen lassen sich nicht berechnen. Man kann diesbezüglich nur mit Abschätzungen arbeiten, wobei Abschätzungen ganz allgemein die Beträge bzw. Abstände von Zahlen zum Inhalt haben. Es geht bei Abschätzungen immer um bestimmte Größenverhältnisse. Etwas abschätzen heißt das Abzuschätzende in seinen Größenverhältnissen einzugrenzen. Diese Eingrenzungen können nach unten, und sie können nach oben erfolgen. Abschätzungen sind nur in der Weise möglich, daß festgestellt wird, ob etwas kleiner bzw. größer als etwas anderes ist.
Abschätzungen haben ihren Platz im allgemeinen Formalismus der
Mathematik. Abschätzungen erübrigen sich überall dort, wo mit konkreten
Zahlenwerten gearbeitet wird. Das einzelne Glied einer Folge braucht nicht
abgeschätzt zu werden; es läßt sich in seinem Zahlenwert mit Hilfe der
allgemeinen, formalen Abbildungsvorschrift ganz genau beziffern. Das gilt in
gleicher Weise natürlich auch für die konkreten Bildpunkte von Funktionen.
Abschätzungen beziehen sich vielmehr immer auf das allgemeine
Verhalten von Abbildungen bzw. Funktionen. Das
Verhalten einer Funktion kann in jedem Punkt ihres Definitionsbereiches
Gegenstand von Abschätzungen sein. Wir haben diese Abschätzungen immer auch
dann, wenn es darum geht, eine Funktion auf ihre Stetigkeit bzw.
Differenzierbarkeit hin zu überprüfen. Dann nämlich müssen Grenzwerte gebildet
werden, und Grenzwerte können nur über Abschätzungen festgestellt werden. Eine
reelle Funktion f heißt bekanntlich stetig im Punkte x, wenn der Funktionswert
dieser Funktion im Punkt x mit dem Grenzwert dieser Funktion in diesem Punkt x
übereinstimmt. In der Literatur wird das im allgemeinen in der klassischen
Definition von Stetigkeit festgehalten. Man
schreibt dafür dann auch:
Vollzogen sein kann so ein Grenzübergang allerdings auch nur in Form und
Gestalt einer realisierten
konkreten Folge reeller Zahlen. Wir haben bei
dieser Folge allerdings auch die Auswahl. Es gibt immer unendlich viele Folgen,
die gegen eine bestimmte reelle Zahl konvergieren. Rekursiv lassen sich solche
Folgen einfach durch eine kontinuierliche Verringerung des Abstandes der
Folgenglieder zu dieser einen Zahl definieren. Stetig in einem Punkt a ihres
Definitionsbereiches ist eine Funktion dann und nur dann, wenn sie bezüglich
jeder solchen Folge
ihrerseits
in den entsprechenden Funktionswerten eine
konvergente Folge mit Grenzwert f(a) abgibt. Die entsprechende Folge von
Funktionswerten hat bzw. hätte dann einfach gegen den Funktionswert im Punkte a
zu konvergieren.
Die Definition des Grenzwertes
einer Folge ist nur unter dieser Voraussetzung auch eine sinnvolle Definition.
In der Praxis ist diese Definition allerdings ein ungeeignetes Instrument, um
die Stetigkeit einer Funktion nachzuweisen. Mann kann nicht gut zunächst alles
an möglichen solchen Folgen festgestellt haben wollen, um anschließend auch
noch zu überprüfen, ob alle Folgen entsprechender Funktionswerte auch den
gleichen Grenzwert haben. Es ist diese Definition umgekehrt ein geeignetes
Instrument, wenn es darum geht zu zeigen, daß eine Funktion keine stetige
Funktion ist. Es genügt dazu, zwei Folgen reeller Zahlen ausfindig zu machen,
die in den entsprechenden Folgen von Funktionswerten nicht auch gegen denselben
Grenzwert konvergieren. Auf dies Weise läßt sich die Unstetigkeit einer
Funktion mitunter bequemer nachweisen als dies vermittels der klassischen Stetigkeitsdefinition möglich wäre.
[111] Zum Begriff des Vektorraumes siehe beispielsweise S. Lang, Linear Algebra, S. 40 f.
[112] Zur Definition von Norm siehe beispielsweise H.-J. Reiffen/H.W. Trapp Einführung in die Analysis I, S. 218, Definition: Eine reellwertige Funktion b auf einem K-Vektorraum V heißt eine NORM auf v, wenn sie folgende Eigenschaften hat:
(Norm, 1) b(v) ≥ 0 für alle vV
b(v) = 0 genau dann wenn v = 0
(Norm, 2) b(cv) = c
b(v)
für alle c
K,
v
v
(Norm, 3) b(v´+ v´´) ≤ b(v´) + b (v´´) (Dreiecksungleichung)
Ist b eine Norm auf V, so heißt (V, b) ein normierter K-Vektorraum.
[113] A. Oberschelp, Aufbau des Zahlensystems S. 112