3.3.2 Worin besteht die den irrationalen Zahlen eigene Identität?

 

I. - Die Lücken der rationalen Zahlen in der Menge der reellen Zahlen sind die Lücken der rationalen Zahlen in der linearen Ordnung dieser reellen Zahlen. Wie aber lassen sich diese Lücken schließen, und wann können diese Lücken als vollständig geschlossen angesehen werden? Wie nehmen wir diese Lücken als Lücken wahr? Diese Lücken bestehen – wie gesagt – deswegen, weil es zwischen je zwei rationalen Zahlen immer auch noch irrationale Zahlen gibt. Es gibt zwischen je zwei rationalen Zahlen schon immer auch noch andere rationale Zahlen. Auf Lücken in der Menge der rationalen Zahlen würde uns das aber nicht schließen lassen. Eine Menge kann für sich genommen keine Lücken aufweisen. Eine Menge ist in der ihr eigenen Ordnung immer eine vollständige Ordnung. Die Lücken – in der Ordnung – einer Menge können nur als Lücken einer übergeordneten Ordnung gedacht und verstanden werden. Was die rationalen Zahlen anbelangt ist das die Ordnung der reellen Zahlen. Die Lücken der rationalen Zahlen bezüglich dieser übergeordneten Ordnung bestehen dann genau aus der Komplementärmenge dieser Menge der rationalen Zahlen in der Menge der reellen Zahlen. Dieses Komplement wird von den irrationalen Zahlen gebildet. Alles, was im Reellen nicht rational ist, ist irrational. Es sind die irrationalen Zahlen, durch die sich in der linearen Ordnung der rationalen Zahlen diese Lücken auftun. Diese Lücken – so könnte man auch sagen – bestehen in nichts anderem – denn diesen irrationalen Zahlen. Gäbe es diese Zahlen nicht, es gäbe auch diese Lücken nicht. Wir werden auf diese Lücken jedenfalls nur durch diese irrationalen Zahlen aufmerksam. Schließen diese irrationale Zahlen dann aber die Lücken, die wir – dieser irrationalen Zahlen wegen – in der linearen Ordnung der rationalen Zahlen – bezogen auf die Menge der reellen Zahlen – ausgemacht haben? Könnte es nicht sein, daß sich über diese irrationalen Zahlen hinaus noch weitere Lücken auftun?

Die Menge der reellen Zahlen ist in der ihr eigenen linearen Ordnung eine lückenlose Ordnung – genau – dann, wenn es zwischen je zwei reellen Zahlen keine anderen als reelle Zahlen gibt. Die rationalen Zahlen wurden als lückenhaft deswegen erkannt, weil es zwischen je zwei rationalen Zahlen immer auch noch irrationale Zahlen gibt. Wie aber kann man sicher sein, daß sich das nicht auch mit den irrationalen Zahlen zusammen mit den rationalen Zahlen, und d.h. mit den reellen Zahlen wiederholen könnte. Wie läßt sich sicher ausschließen, daß es nicht doch auch noch weitere Zahlen gibt, die sich zwischen rationale und irrationale Zahlen schieben? Man wird diese Frage einfach so beantworten können, daß so etwas deswegen nicht eintreten kann, weil wir bezüglich eines dazu erforderlichen zusätzlichen Zahlenmaterial weder über eine Vorstellung noch über eine Darstellung verfügen.

Für die reellen Zahlen gilt, was auch schon von den rationalen Zahlen gesagt wurde, daß sie nämlich in der ihnen eigenen Ordnung eine Menge ohne Lücken bilden. Die Fragen nach möglichen Lücken dieser reellen Zahlen richtet sich dann wieder nach einer der der Ordnung der reellen Zahlen übergeordneten Ordnung. Die Ordnung einer Zahlenmenge ist die Ordnung des Systems von Darstellung dieser Menge. Alle in der – konstruktiven – Entwicklung der Mathematik vorgenommenen bzw. vorzunehmenden Zahlbereichserweiterungen sind Erweiterungen des – einen – Systems von Darstellung der Menge der natürlichen Zahlen. Mit den reellen Zahlen finden diese – möglichen – Erweiterungen ihr Ende.

Grundsätzlich läßt sich zwischen einzelnen Zahlbereichen nur vermittels einer bestimmten Konstruktionsvorschrift für diese Zahlbereiche unterscheiden. Von den rationalen Zahlen wissen wir, daß sie als Quotienten ganzer Zahlen konstruiert sind. Wenn nachgewiesen werden soll, daß eine Zahl nicht rational ist, dann ist eben zu zeigen, daß sie nicht als Quotient zweier ganzer Zahlen dargestellt werden kann. Mangels einer eigenen Konstruktionsvorschrift gibt es für irrationale Zahlen auch nur diese Möglichkeit der negativen Abgrenzung. Eine andere Möglichkeit, die Irrationalität einer Zahl nachzuweisen, gibt es nicht. Irrationale Zahlen erschließen sich uns insofern nur über rationale Zahlen.

Das ist die Situation, wie sie sich uns in der Unterscheidung zwischen rationalen und irrationalen Zahlen darstellt. Sollte man über die irrationalen Zahlen hinaus noch mit anderen Zahlen rechnen müssen bzw. rechnen können, Zahlen, die dann notwendig auch als Lücken im System der reellen Zahl gedeutet werden müßten, so bietet sich uns keine Möglichkeit der Unterscheidung dieser Zahlen von den irrationalen Zahlen. Folglich gibt es solche Zahlen – nennen wir sie einmal transrationale Zahlen – nicht. Wie sollen wir eine solche transrationale Zahl von einer irrationalen Zahl unterscheiden können, wenn die einzige Möglichkeit der Identifizierung einer irrationalen Zahl als irrationaler Zahl in deren Unterscheidung von rationalen Zahlen besteht? Wo sich eine Zahlenmenge selbst nur in der Abgrenzung gegenüber einer anderen Zahlenmenge definiert, kann diese Zahlenmenge auch nicht anderen – erweiternden – Zahlenmengen zur Abgrenzung dienen. Über die irrationalen Zahlen hinaus kann es – auch – deswegen (in einer der linearen   Ordnung der reellen Zahlen übergeordneten Ordnung) keine zusätzlichen Zahlen geben. Das ist – wie gesagt – einfach eine Folge dessen, daß es für irrationale Zahlen keine allgemeine Konstruktionsvorschrift gibt. Es kann so eine Vorschrift deswegen auch nicht zum Kriterium dafür erhoben werden, daß eine Zahl keine irrationale Zahl sein kann, weil sie nämlich dieser Konstruktionsvorschrift nicht genügt. Damit können uns die irrationalen Zahlen nicht dienen. Deswegen auch können diese Zahlen nicht Ausgangspunkt einer „konstruktiven“ linearen Erweiterung der Menge der reellen Zahlen sein.

 Es gibt so eine Erweiterung nicht. Die Menge der reellen Zahlen ist linear – wenn auch nicht algebraisch – abgeschlossen, und d.h. sie ist linear ohne Lücken. Zwischen je zwei reellen Zahlen gibt es nur reelle Zahlen und nichts anderes als reelle Zahlen. Es gibt diese reellen Zahlen aber immer auch. Das ist mehr als von der Lückenlosigkeit dieser Zahlen eigentlich verlangt wäre. Lückenlos – so haben wir gesagt – ist eine linear geordnete Zahlenmenge dann, wenn es keine anderen Zahlen gibt, die in dieser linearen Ordnung noch plaziert werden könnten.

Diese Situation liegt vor, wenn gezeigt werden kann, daß zwischen je zwei Zahlen aus einer Zahlenmenge keine anderen Zahlen denn Zahlen aus dieser Zahlenmenge liegen und auch nicht liegen könn(t)en. Um das zu zeigen, wäre nachzuweisen, daß entweder alles, was es zusätzlich noch an Zahlen gibt, in dieser Ordnung keinen Platz hat oder daß es zusätzlich an Zahlen nichts gibt, was darin noch Platz haben könnte. Beide Alternativen haben zur Voraussetzung, daß es auch möglich ist, alle nur möglichen Zahlen bzw. Zahlbereiche zu bestimmen. Daß es keine Zahlen gibt, die in einer bestimmten Ordnung noch Platz haben könnten, das läßt sich auch nur zeigen, wenn man weiß, wie alle nur möglichen Zahlen aussehen. Das zeigt auch, daß man diese Alternativen nicht darstellungsunabhängig entscheiden kann. Wenn es darum geht, eine gegebene lineare Ordnung von Zahlen noch durch zusätzliche Zahlen aufzufüllen, dann kann es sich bei diesen zusätzlichen Zahlen ohnehin nur um Zahlen aus einer Erweiterungsmenge der gegebenen Zahlenmenge handeln, und das setzt wie wir wissen dem möglichen Zahlenwerk, das für so eine Erweiterungsmenge gut sein könnte, doch recht enge Grenzen.

 

II. - Lücken – so wissen wir – lassen sich nicht einseitig feststellen. Die Lücken einer Menge sind immer die Lücken dieser einen Menge in Bezug auf eine andere Menge, und sie sind genauer noch die Lücken dieser Menge in bzw. innerhalb dieser anderen Menge. Gefüllt werden – können – die Lücken der einen Menge in der anderen Menge nur von den Elementen der anderen Menge. Eine Lücke feststellen heißt insoweit immer auch schon feststellen, wie sie geschlossen werden kann. Nur Lücken, die auch geschlossen werden können, sind mögliche Lücken. Aus der Perspektive der Menge, bezüglich der Lücken festgestellt werden, sind solche Lücken immer schon geschlossene Lücken. Die Lücken der Menge der rationalen Zahlen in der Menge der reellen Zahlen sind allesamt von dieser Menge der reellen Zahlen geschlossene Lücken. Nur deswegen können solche Lücken auch Lücken genannt werden.

Aus der Perspektive der rationalen Zahlen betrachtet bleiben diese Lücken natürlich immer Lücken. Festgestellt werden können diese Lücken aber nur aus der Perspektive einer Menge, die diese Lücken zugleich auch zu schließen vermag. Daß die Menge der rationalen Zahlen Lücken aufweist, das sieht man einfach auch erst, wenn man sieht, wie diese Lücken zu schließen sind. Nur geschlossene Lücken können uns auch auf mögliche – bzw. immer schon tatsächliche – Lücken aufmerksam machen. Lücken in der linearen Ordnung der Menge der rationalen Zahlen können nur insoweit bestehen, als es Zahlen gibt, die in – einer Erweiterung – dieser linearen Ordnung zusätzlich noch Platz haben. Durch jede solche zusätzliche Zahl ist dann eine Lücke der Menge der rationalen Zahlen in der um diese zusätzlichen Zahlen erweiterten Menge der rationalen Zahlen bestimmt. In der Erweiterungsmenge sind durch diese Zahlen – a priori – weder Lücken gesetzt noch Lücken geschlossen.  Es ist allerdings auch nicht ausgeschlossen, daß diese Erweiterungsmenge ihrerseits noch Lücken aufweist, Lücken, die dann natürlich auch Lücken der Ursprungsmenge in Bezug auf die – erweiterte – Erweiterungsmenge sind.

 Um das wieder konkret auf unser Beispiel „rationale Zahlen und ihre Lücken“ zu beziehen: Jede irrationale Zahl beschreibt eine Lücke in dieser Menge rationaler Zahlen und schließt sie zugleich auch. Es ist nur nicht a priori schon auch gesagt, daß dadurch alles an Lücken in dieser Menge rationaler Zahlen geschlossen ist. Das ist – wie wir wissen – einfach davon abhängig, ob es über die irrationalen Zahlen hinaus noch weitere Zahlen gibt, die in einer die lineare Ordnung der reellen Zahlen weiterführenden Ordnung noch Platz haben, und d.h., ob es noch weitere Zahlen gibt, die sich in so einer Ordnung jeweils zwischen zwei rationale Zahlen zu schieben vermögen. Nur in dieser Form können sich in der linearen Ordnung der rationalen Zahlen – noch – Lücken auftun, und können – zugleich – diese Lücken auch  geschlossen werden. Dadurch, daß gezeigt werden kann, daß zwischen je zwei Elementen einer Menge immer noch andere Elemente dieser Menge zu liegen kommen, ist noch nicht notwendig auch die – absolute – Lückenlosigkeit dieser Menge nachgewiesen. Diese absolute Lückenlosigkeit wäre erst dann nachgewiesen, wenn auch gezeigt ist, daß es keine weiteren Zahlen gibt, die möglicherweise auch noch in die gegebene lineare Ordnung integriert werden könnten. Das aber ist nicht dadurch ausgeschlossen, daß zwischen je zwei Elementen der gegebenen Menge immer auch noch andere Elemente dieser Menge liegen. Insofern stellt diese Eigenschaft einer linear geordneten Menge weder eine zureichende noch eine – wie gesehen – notwendige Bedingung für die Lückenlosigkeit einer Menge dar.

 Die notwendigen Bedingungen für Lückenlosigkeit sehen anders aus. Es müßte schon sicher ausgeschlossen werden können, daß es nichts an Zahlen gibt, das möglicherweise noch in der betreffenden linearen Ordnung Platz nehmen könnte, damit notwendig auch auf die Lückenlosigkeit einer von dieser Ordnung erfaßten Menge geschlossen werden könnte. Es müßte einfach ausgeschlossen werden können, daß es zu dieser Menge eine Erweiterungsmenge gibt, die sich dieser linearen Ordnung unterordnet, und die gerade dadurch in jedem ihrer – gegenüber der Ausgangsmenge – zusätzlich gesetzten Element genau eine Lücke dieser Ausgangsmenge in Bezug auf diese Erweiterungsmenge bestimmt.

Was die reellen Zahlen betrifft, so ist – wie gesehen – die Situation im Verhältnis von rationalen zu irrationalen Zahlen die, daß die Erweiterung der Menge der rationalen Zahlen um die Menge der irrationalen Zahlen keine weitere konstruktive – lineare – Erweiterung mehr zuläßt. So wie die irrationalen Zahlen definiert sind, können diese nicht wieder auch einer weiteren – linearen – Erweiterung als Grundlage dienen.

 Irrationale Zahlen definieren sich allein in negativer Abgrenzung von den rationalen Zahlen. Irrational ist insofern alles, was nicht rational ist. Was dürfen wir uns unter irrationalen Zahlen dann allerdings alles vorstellen? Kann auf diese Weise eine Menge – so wie wir das von Mengen grundsätzlich voraussetzen – ihrem Umfang nach genau bestimmt sein? Mengen sind dadurch bestimmt, daß genau gesagt werden kann, was alles zu ihren Elementen zählt und was nicht. Kann das aber von der Menge der irrationalen Zahlen noch gesagt werden, wenn man bloß weiß, was diese Zahlen nicht sind bzw. wie sie nicht aussehen, nicht aber auch, was sie sind bzw. wie sie aussehen? Der mathematische Formalismus hält sich diesbezüglich jedenfalls vollkommen bedeckt. Man kann in den irrationalen Zahlen auch nicht einfach nur das Komplement der rationalen Zahlen in der Menge der reellen Zahlen sehen, wenn die Definition dieser irrationalen Zahlen erst der „Konstruktion“ der reellen Zahlen dienen soll, so wie wir das beim konstruktiven Aufbau dieser Zahlen haben. Auf diese Form der „Abgrenzung nach oben“ kann dann nicht zurückgegriffen werden. Andererseits kann auf eine solche Abgrenzung auch nicht gut verzichtet werden, wenn sich irrationale Zahlen „nach unten“ nur in der Abgrenzung von rationalen Zahlen verstehen lassen. Ohne Abgrenzung nach oben ergibt es keinen Sinn zu sagen, alles, was nicht rational ist, ist irrational. Das müßte man dann schon eingrenzen bzw. abgrenzen. Eine solche Ein- bzw. Abgrenzung kann natürlich nicht durch irgendwelche Axiomensysteme geleistet werden.

Über die Zugehörigkeit einzelner Zahlen zu einzelnen Zahlbereichen kann nur aufgrund einer konkreten Darstellung der einzelnen Zahl entschieden werden. Eine axiomatische Begründung von Zahlbereichen erfolgt dagegen grundsätzlich darstellungsunabhängig. Von dieser Abstinenz bezüglich allem, was mit konkreter Darstellung zu tun hat, sind selbst noch Existenz- bzw. Eindeutigkeitsbeweise geprägt, obwohl man gerade von solchen Beweisen erwarten möchte, daß sie uns – prinzipiell jedenfalls – die Möglichkeit der konkreten Darstellung einer jeden einzelnen Zahl des jeweiligen Zahlbereiches eröffnen. Das aber kann man weder von dem diskutierten Modell der natürlichen Zahlen vermittels eines formalisierten Anzahlbegriffes, noch von der „Konstruktion“ der reellen Zahlen vermittels Äquivalenzklassen rationaler Cauchy-Folgen behaupten.[105] Weder in dem einen noch in dem anderen Fall wird uns gesagt, wie wir uns die einzelne natürliche bzw. reelle Zahl dargestellt denken können.

Ein formaler Anzahlbegriff kann uns damit ebensowenig dienen, wie eine abstrakt definierte Folge, wenn Anzahl im konkreten Fall nicht auch beziffert werden kann bzw. wenn sich eine Folge im konkreten Fall nicht auch (re-)konstruieren läßt. Immerhin findet – was rationale Cauchy-Folgen betrifft – die Definition irrationaler Zahlen auf diese Weise auch die geforderte Abgrenzung nach oben. Es wird uns dabei gesagt, was alles als irrationale Zahl gilt. Die irrationalen Zahlen werden in diesem Modell der reellen Zahlen durch die in  divergenten Cauchy-Folgen repräsentiert. Dadurch sind die irrationalen Zahlen in ausschließlicher Abhängigkeit von den rationalen Zahlen definiert. Und einmal mehr ist deren Abgrenzung von den rationalen Zahlen eine – nur – rein negative.

Damit haben wir die – exklusive – Zweiteilung in(nerhalb) der Menge der reellen Zahlen. Wie aber sollen diese irrationalen Zahlen diesem Ansatz zufolge auch sonst darstellgestellt sein (können), wenn die in  konvergenten Cauchy-Folgen in diesem Model die rationalen Zahlen repräsentieren. Jede negative Abgrenzung bzw. Ausgrenzung schließt jede weitere Differenz- ierung aus. Wenn alles, was nicht rational ist, irrational ist, dann gibt es neben Rationalem auch nur Irrationales. Deswegen läßt sich daraus auch kein Kriterium ableiten, daß dazu verwandt werden könnte, eine über die irrationalen Zahlen hinausreichenden Zahltyp – es war von transrationalen Zahlen die Rede – zu begründen. Zahlen dieses Typs würden dann die Lücken, die nicht (zwar) im Körper der reellen Zahlen, (wohl) aber in einer, diesen Körper als Teilmenge umfassenden Zeichenmenge bestehen, zugleich offenbaren und auch schließen. Im Körper der reellen Zahlen selbst kann es keine Lücken (mehr) geben. Allerdings hätte man sich dann in der "konstruktiven" Erweiterung der Menge der rationalen Zahlen zur Menge der reellen zahlen etwas anderes einfallen zu lassen. Mit in  divergenten Cauchy-Folgen könnte man dann nicht mehr argumentieren, einfach weil es in  keine solchen Folgen gibt. In  konvergieren bekanntlich alle Cauchy-Folgen.

Es gibt in der linearen (An-)ordnung der reellen Zahlen offenbar keine Lücken mehr. Auf solche  Lücken könnte man entweder dadurch stoßen, daß sich bestimmte Dinge in  nicht tun lassen, oder daß man mit einer konkreten Zahldarstellung, die sich nicht den rationalen Zahlen zuordnen läßt, aufwarten könnte. Die erste Option ließe sich ziehen: auch in  könne aus negativen Zahlen keine (Quadrat-)wurzeln gezogen werden. Allerdings geht die Behebung dieses Mankos in eine andere Richtung, in die der kartesischen Produktbildung mit sich selbst nämlich. In einem "einlinearen" Medium wie  käme man da auch nicht weiter. Das gilt auch für die zweite Option, und d. h. es gilt dies für das dem Körper der reellen Zahlen  zugrundeliegende System von (Zahl-)darstellung, das ein – das das – von den natürlichen Zahlen übernommenes, den einzelnen (Zahlbereichs-)erweiterungen nur angepaßtes, will heißen entsprechend ausgebaut- es System ist. Die Möglichkeiten dieses Systems sind – in seinen Ausbaukapazitäten – mit den reellen zahlen vollständig ausgeschöpft. Und damit ist auch der mathematische Formalismus an sein Ende gekommen. Es macht einfach keinen Sinn, Zahlbereiche formal-abstrakt aus operativen Gründen ausweiten zu wollen, wenn wir dafür nicht auch das Zahlenmaterial haben. Es ist sinnlos, den Körper der reellen Zahlen zu eine Zahlenmenge erweitert zu erklären, damit dann auch aus negativen Zahlen Quadratwurzeln gezogen werden können (mögen). Im Eindimensionalen geht das aufgrund des Regelwerkes in  bzw. von  nicht.

Einmal mehr zeigt sich so, daß Möglichkeiten und Grenzen des mathematischen Formalismus identisch mit den Möglichkeiten und Grenzen des Systems von Darstellung der natürlichen Zahlen inklusive aller seiner möglichen Erweiterungen sind. Und das heiß nun einmal: In der linearen Ordnung der reellen Zahlen ist für anderes als reelle Zahlen einfach kein Platz mehr. Es gibt auch über die reellen Zahlen hinaus, um das einmal so zu sagen (und wie das zu verstehen ist bzw. zu verstehen wäre, das haben unsere Überlegungen gezeigt) in dieser Ordnung keine Lücken, die ihrer Schließung entgegensehen würden bzw. entgegensehen könnten.

 

III. – Wenn in der besagten Konstruktion des Körpers der reellen zahlen die irrationalen zahlen von Cauchy-Folgen repräsentiert werden, die in  divergieren, dann setzt das natürlich voraus, daß diese Folgen dann auch in  konvergieren. Anders ließen sich mit solchen Folgen auch keine Zahlen in Verbindung bringen. Eine divergente Folge kann keine Zahl darstellen, einfach weil uns solche Folgen mit keinem Zahlenwert dienen können. Als mögliche Zahlenwerte kämen nur die Grenzwerte dieser Folgen in Frage, und sei es, daß so ein Grenzwert aus der Folge als solcher besteht, so wie wir das auch bei b-al-Bruchdarstellungen haben.

Konvergente Folgen werden in formaler Schreibweise vermittels des Limeszeichens – in einer Gleichung – ihrem Grenzwert gleichgesetzt. Auch ohne daß man sich des Limeszeichens bedient um damit auf den Grenzwertübergang aufmerksam zu machen, ist durch eine konvergente Folge immer auch der Grenzwert dieser Folge repräsentiert. Bei konvergenten Folgen läßt sich einfach nicht von diesem Grenzwertübergang, der dann zum Grenzwert der Folge führt, abstrahieren. In einer konvergenten Folge findet notwendig dieser Grenzwertübergang immer auch statt. Statt mit Grenzwerten läßt sich also auch mit den den jeweiligen Grenzwerten zugrundeliegenden Folgen operieren. Dazu müßten auf der Menge von Folgen rationaler Zahlen – allein solche Folgen kommen bei der Konstruktion reeller Zahlen in Betracht – die entsprechenden Operationen in einer Weise definiert werden können, die diese Menge zu einem Körper werden läßt. Zudem auch sollte diese Menge, die der Konstruktion der Menge der reellen Zahlen dienen soll, ihrerseits einer Konstruktion zugänglich sein. Man sollte dann nicht einfach nur so tun müssen, als ob es diesen konstruktiven Zugriff auf die Menge aller dieser Folgen geben würde.

Das trifft so natürlich nicht zu. Immerhin, die rationalen Zahlen stehen uns für diese Konstruktion vollständig zur Verfügung, und damit steht uns auch alles zur Verfügung, was für alle nur möglichen rationalen Cauchy-Folgen an Material benötigt wird. Damit sind aber nicht schon auch alle nur möglichen rationalen Cauchy-Folgen gesetzt. Dazu bedarf es mehr als nur der Bereitstellung des Materials „Menge der rationalen Zahlen“. Unendliche Folgen gibt es nur gegen ein Gesetz der Serie. Jedes solche Gesetz beruht auf einer allgemeinen Konstruktions- bzw. Abbildungsvorschrift. Es gibt für alle diese Konstruktionen bzw. Abbildungen nur nicht selbst wieder auch ein Konstruktions- bzw. Abbildungsverfahren, und d.h. es gibt für alle diese Gesetze der Serie nicht selbst auch wieder ein Gesetz der Serie. Das allerdings wäre Voraussetzung dafür, daß die „Konstruktion“ reeller Zahlen vermittels rationaler Cauchy-Folgen möglicherweise auch Konstruktion der reellen Zahlen sein könnte. So aber wird in dieser „Konstruktion“ mit Folgen operiert, die zwar konstruktiven Charakter haben, die sich in ihrer Gesamtheit allerdings unserem konstruktiven Zugriff entziehen.

Es gibt für die Gesamtheit aller rationalen Cauchy-Folgen kein Konstruktionsverfahren. Die Konstruktion der Menge der reellen Zahlen vermittels rationaler Cauchy-Folgen ist somit nur von einem pseudokonstruktiven Charakter. Es ist damit eine Konstruktion beschrieben, die von uns rekonstruktiv nicht eingeholt werden kann. Deswegen ist es auch nicht legitim, mit der Menge rationaler Cauchy-Folgen zu operieren bzw. zu argumentieren. Es ist dies allerdings schon eine wohldefinierte Menge, auch wenn wir sie ihrem ganzen Umfang nach, und d. heißt in allen ihren einzelnen Elementen  nicht bestimmen können. Was eine Cauchy-Folge ist, dafür gibt es eine Definition, und wenn auch die Menge bestimmt ist, woraus solche Folgen ihre Folgenglieder entnehmen können, dann haben wir auch diese „Abgrenzung nach oben“ die es uns gestattet, von der Menge aller Cauchy-Folgen mit Folgengliedern aus eben dieser Menge zu reden. Ist die Menge möglicher Folgenglieder eine unendliche, so ist die daraus sich ableitende Menge von Cauchy-Folgen notwendig auch eine unendliche. Durch jedes Element der Menge möglicher Folgenglieder ist eine konstante Folge definiert, die als konvergente Folge auch eine Cauchy-Folge ist.

Jede rationale Zahl definiert insofern auch eine rationale Cauchy-Folge. Das ist auch schon einmal ganz gut so, enthält doch die solcherart konstruierte Menge der reellen Zahlen so auch die Menge der rationalen Zahlen als Teilmenge, wenn wir jede rationale Zahl mit der qus dieser Zahl gebildeten konstanten – rationalen – Cauchy-Folge identifizieren, Jede Konstruktion der Menge der reellen Zahlen hat darauf zu achten, daß in ihr die Menge der rationalen Zahlen enthalten ist. Diese Bedingung ist bei einer Konstruktion reeller Zahlen vermittels rationaler Cauchy-Folgen erfüllt. Das ist eine Voraussetzung, die bei Erweiterungen von Mengen natürlicherweise immer gegeben sein muß. Bei konstruktiven Erweiterungen von Mengen, und d.h. bei Erweiterungen, die konstruktiv aus der zu erweiternden Menge heraus erfolgen, kann diese Voraussetzung a priori nicht immer auch schon als gegeben angesehen werden. Schließlich geschieht bei einer Konstruktion mit dem, womit diese Konstruktion aufgenommen wird, auch immer etwas.

Das, was in eine Konstruktion eingebracht wird, geht im allgemeinen nicht auch wieder unverändert aus dieser Konstruktion hervor. Die Menge, die einer Konstruktion zugrunde liegt, muß nicht notwendig auch unverändert in der aus dieser Konstruktion hervorgehenden Menge enthalten sein, damit diese Menge auch als Erweiterung der Ausgangsmenge betrachtet werden kann. Es genügt, wenn diese Ausgangsmenge mit einer Teilmenge dieser Menge identifiziert werden kann, und d.h., wenn es eine Abbildung gibt, die diese Ausgangsmenge in die konstruierte Menge einbettet. So wird beispielsweise jede ganze Zahl p bei der Erweiterung der Menge der ganzen Zahlen zur Menge der rationalen Zahlen mit der rationalen Zahl  identifiziert. Unter mathematischen Gesichtspunkten lassen sich Bild und Urbild so einer Abbildung dann nicht voneinander unterscheiden; sie sind von derselben mathematischen Identität. Wir haben diese eine Menge damit lediglich in verschiedenen Darstellungen vorliegen. Darstellungen als solche sind aber von keiner identitätsbegründenden Qualität. Das gilt insbesondere in mathematischen Dingen, die generell immaterieller bzw. ideeller Natur sind. In welchem System von Polynom-Darstellung wir beispielsweise natürliche Zahlen darstellen, das hat auf die mathematische Identität dieser Zahlen keinen Einfluß.

Die verschiedenen Ausgaben von Polynom-Darstellung natürlicher Zahlen gelten immer nur ein und derselben mathematischen Realität und Identität. Mathematische Identität ist allein eine von den operativen Strukturen einer Menge bestimmter Identität. In der konkreten Ausführung ist jede Operation allerdings schon auch eine darstellungsabhängige Operation. Wie sich die Elemente einer Menge konkret miteinander verknüpfen lassen, das kann man auch nur von der konkreten Darstellung dieser Elemente abhängig sein lassen. In der Feststellung des Ergebnisses zweier zu verknüpfender Elemente kann so eine Verknüpfung auch nur dem System der Darstellung der Elemente einer Menge folgen. Schließlich erschließen sich uns die Elemente einer Zahlenmenge auch nur über ihre – systematische – Darstellung. Das System, das dabei zur Anwendung kommt, verbindet die materielle Darstellung von Zahlen mit ihrer immateriellen Natur. Es ist dies eine für ein jedes System von Darstellung auch notwendige Verbindung.

 



[105] Diese Konstruktion wird im nächsten Abschnitt im Detail diskutiert.