3.2.4 Die Bruchentwicklung von  

 

I. - Die Vorstellung Dedekindscher Schnitte im Zusammenhang mit der Begründung der reellen Zahlen gibt es in einer konstruktiven Variante, und es gibt sie in einer axiomatischen Version. Die konstruktive Variante nimmt ihren Ausgang von der Menge der rationalen Zahlen und versucht darauf aufbauend an nicht-rationale Zahlen heranzuführen. Die axiomatische Version dagegen versucht die Menge der reellen Zahlen über die mit dieser Vorstellung verbundene Zusammenhangseigenschaft zu begründen. Es wird dann einfach gesagt, was diese Menge der reellen Zahl diesbezüglich auszeichnet. So etwas kann man der Formulierung nach nur tun, indem man die Zahlenmenge, die auf diese Weise ausgezeichnet ist, bereits als gegeben voraussetzt. Man gibt sich eine Menge vor, und stellt zugleich auch fest, was wir uns von dieser Menge an operativen Eigenschaften erwarten.

Bei axiomatischen Begründungen wird vollständig von allen Darstellungsfragen abstrahiert. Die allgemeinen operativen Eigenschaften einer Menge lassen sie ohnehin auch nur allgemein formulieren. Es wäre wenig sinnvoll, diese Eigenschaften vermittels konkreter Darstellung einzelner Zahlen formulieren zu wollen. Man kann sich dabei einfach nur ganz allgemein geben, und dementsprechend auch interessiert in diesem Zusammenhang die Frage der möglichen Darstellung der Elemente der betreffenden Menge nicht. Diese Frage kann erst dann wieder interessieren, wenn es um den Nachweis dafür geht, daß es eine solche Menge mit den zuvor beschriebenen Eigenschaften auch gibt. Dann hat diese Frage auch zu interessieren. Kann es aber einen Nachweis der Existenz einer Menge geben, der uns nicht zugleich auch die Frage der möglichen Darstellung dieser Menge beantwortet?

Man kann nicht sagen, daß sich die verschiedenen Alternativen von Existenz- und Eindeutigkeitsbeweisen für die Menge der reellen Zahlen diese Frage auch angelegen sein ließen. Fest steht, daß alle diese Alternativen ihren Ausgang nur von der Menge der rationalen Zahlen nehmen können. Existenz- bzw. Eindeutigkeitsbeweise sind notwendig konstruktiver Natur. Eine Zahlenmenge „gibt“ es, wenn wir auch mit einer Darstellung der Elemente dieser Menge dienen können. So etwas sollte man jedenfalls auch von einem Existenz- bzw. Eindeutigkeitsbeweis erwarten können. Existenz kann letzten Endes immer nur dadurch nachgewiesen werden, daß sich das Existente – konkret-materiell – auch zur Darstellung bringt bzw. bringen läßt. Das sollte – und kann – dann nicht einfach nur anonym in der Weise geschehen, daß reelle Zahlen als Grenzwerte rationaler Cauchy-Folgen definiert werden, wenn nicht zugleich eine Möglichkeit besteht, diesen Grenzwert auch zu "beziffern“. Genau auf diese Weise aber wird in dem gebräuchlichsten Modell der Menge der reellen Zahlen versucht, diese Menge in ihrer Existenz auch unter Beweis zu stellen.

 Von diesem Ansatz war an anderer Stelle auch schon die Rede. Es wurde auch schon gesagt, daß ein Beweis der Existenz der Menge der reellen Zahlen nur aus der Menge der rationalen Zahlen heraus erfolgen kann. In diesem Sinne zumindest ist jeder Existenzbeweis der Menge der reellen Zahlen dann auch darstellungsbezogen. Wir wissen, daß sich die Konvergenz rationaler Cauchy-Folgen bzw. der Begriff der rationalen Nullfolge ohne Verwendung nicht-rationaler Zahlen definieren läßt. Das besagte Modell der Menge der reellen Zahlen besteht dann in ihren einzelnen Elementen jeweils aus allen Cauchy-Folgen, die sich voneinander nur durch eine rationale Nullfolge unterscheiden. Reelle Zahlen werden in diesem Modell also durch bestimmte Mengen bzw. – präziser – Äquivalenz- resp. Restklassen von Cauchy-Folgen dargestellt.

Man kann sich auf so eine Konstruktion verständigen. Es sollte dann aber auch sichergestellt sein, daß diese Konstruktion – explizit-materiell – in endlichen Teilen zumindest auch durchgeführt werden kann, wenn man sie auch durchgeführt haben will. Es müßte mit anderen Worten ein Verfahren zur Produktion bzw. Konstruktion aller rationalen Cauchy-Folgen geben können, damit sinnvollerweise diese Menge von Cauchy-Folgen wie beschrieben der Konstruktion eines Modells der Menge der reellen Zahlen dienen kann. Über so ein Verfahren verfügen wir nun aber gerade nicht. Man kann so eine Konstruktion nur von dem her bewerten, was damit konstruiert sein soll, und konstruiert sein soll damit die Menge der reellen Zahlen. Wir wissen natürlich, wenn wir so eine Konstruktion entwerfen, was damit konstruiert sein soll. Die Menge der reellen Zahlen ist sicherlich nicht die Unbekannte schlechthin, wenn wir uns der Aufgabe ihrer – existentiellen wie auch eindeutigen – Begründung unterziehen. Die Vorstellung, die wir diesbezüglich immer schon mitbringen, ist zweifelsohne die der gewohnten Darstellung der reellen Zahlen vermittels (unendlicher) Dezimalbrüche bzw. – allgemeiner – b-al-Brüche.

 

II. - Das ist mit den reellen Zahlen insoweit nicht anders als mit den natürlichen Zahlen. Auch in der Vorstellung dieser Zahlen sind wir vollkommen bestimmt von der üblichen – und so wie sich uns das darstellt im übrigen auch einzig möglichen – Darstellung dieser Zahlen in Form und Gestalt endlicher Zeichenfolgen. Natürlich muß man dabei immer auch wissen – und das gilt allgemein auch für b-al-Brüche – wie solche Zeichenfolgen zu lesen sind. Man muß wissen mit welchem Gewicht sich die einzelnen Zeichen entsprechend der Position, die sie in einer solchen Zeichenfolge einnehmen, in eben diese Zeichenfolge einbringen. Das ist die Realität der natürlichen bzw. reellen Zahlen, so wie sie sich uns im praktischen Umgang mit diesen Zahlen darstellt. Man kann in der Vorstellung dieser Zahlen nicht von dieser ihnen ganz natürlicher Darstellung bzw. Lesart abstrahieren. Eine Begründung dieser Zahlen kann deswegen immer auch nur Begründung dieser ihrer – natürlichen – Darstellung sein. Was im besonderen die reellen Zahlen anbelangt, so dürfen wir uns von ihrer Begründung erwarten, daß damit auch deren gewohnte Darstellung als (unendliche) b-al-Brüche gerechtfertigt wird.

Es ist dies schließlich auch die einzige zahlenwertige, also auch algorithmusfähige, operationsfreie Darstellung reeller Zahlen. Schließlich möchte man jede Zahl auch in ihrem Zahlenwert identifizieren können, und was diese Identifizierung anbelangt, ist die b-al-Bruchdarstellung ohne jede Alternative. Das ist jedenfalls bei allen endlichen bzw. periodisch-unendlichen Brüchen so. Was die nicht-periodisch unendlichen Brüche anbelangt, so wissen wir, daß wir für den – endlichen – Zahlenwert der dadurch dargestellten reellen Zahlen nicht auch eine endliche Darstellung haben. Wir können dann auch mit keinem präzisen Zahlenwert für diese reellen Zahlen dienen.

So läßt sich beispielsweise die Zahl  in ihrem Zahlenwert immer nur näherungsweise bestimmen. Der unendliche Bruch, der diesen Zahlenwert präzise darstellt, läßt sich von uns immer nur zu endlichen Teilen (re-)konstruieren. Es gibt auch kein allgemeines Verfahren, daß uns die einzelnen Bruchstellen allein in Abhängigkeit ihrer Position innerhalb des Bruches – eine Position, die durch eine natürliche Zahl bestimmt ist – berechnen ließe. Es gibt ein allgemeines Verfahren, das uns diese – wie auch jede andere Quadratwurzel aus einer reellen Zahl – als Grenzwert einer rekursiv definierten Folge identifizieren läßt. Es ist dies Inhalt eines Satzes, der die Existenz der Quadratwurzel aus jeder positiven reellen Zahl dadurch unter Beweis stellt, daß ein allgemeines Verfahren zur Berechnung dieser Quadratwurzel angegeben wird. Zum Nachweis dafür, daß dieses Verfahren diese Berechnung auch durchführt, ist allerdings auf das Vollständigkeitsaxiom zurückzugreifen. Allein dieses Axiom garantiert dann auch, daß diese rekursiv definierte Folge konvergiert und zwar konvergiert gegen die Quadratwurzel der dem Verfahren vorgegebenen bzw. aufgegebenen positiven reellen Zahl.

Man kann sich an die Quadratwurzel jeder beliebigen positiven reellen Zahl auch ohne allgemeines, formalisiertes Verfahren – von unten wie auch von oben – über jeweils eine Folge von sukzessive Position für Position fortgeschriebenen endlichen b-al-Brüchen approximativ herantasten. Man probiert einfach aus, welches die größtmögliche bzw. niedrigstmögliche Zahl ist, mit der sich die nächste, bislang noch nicht gesetzte Bruchstelle besetzen läßt, ohne daß dabei der Bruch als ganzes im Quadrat über bzw. unter – beispielsweise der Zahl 2 zu liegen käme. Die gültigen Bruchstellen werden nur durch die Approximationsfolge von unten gesetzt. Man muß mit dieser Folge immer etwas unter der zu approximierenden Zahl liegen, damit noch Platz für weitere ergänzende Bruchstellen ist. Man darf dabei einfach auch nicht vergessen, daß durch jede zusätzliche, positiv besetzte Bruchstelle der Zahlenwert des Bruches steigt. Um diese Bruchstelle in der Approximation einer bestimmten Zahl auch optimal, und d.h. gültig setzen zu können, muß in ergänzender Weise allerdings auch die Kontrolle durch eine analoge Approximationsfolge von oben erfolgen. Ansonsten könnte man sich in der Approximation so einer Zahl schon auch auf eine einseitige Approximationsfolge von unten beschränken. Wüßte man nicht, daß  nicht-rational ist, es wäre nicht auszuschließen, daß die Approximationsfolge dieser Zahl nicht doch irgendwann einmal abbricht oder zumindest periodisch wird. So aber können wir uns sicher sein, daß die Approximation nie an ein Ende kommt, und d.h., daß die Approximationsfolge eine unendliche ist.

Nun hat die Approximationsfolge in unserem Fall die Form und Gestalt eines Bruches, der um immer weitere Bruchstellen ergänzt wird. Daß die Approximationsfolge eine unendliche ist, bedeutet dann zunächst einmal, daß die Ergänzung um immer weitere Zeichen auch immer andauert, und d.h., daß die Folge der dabei produzierten endlichen Brüche – wenn wir uns diese Brüche vor jeder Ergänzung um eine weiteres Zeichen immer wieder von vorne aufgenommen denken – eine unendliche ist. Folgt daraus aber auch, daß „am Ende“ des ganzen Approximationsverfahrens ein unendlicher Bruch steht, und d.h. ein Bruch, der ohne eine letzte, positiv besetzte Bruchstelle ist? Gibt es diesen unendlichen Bruch, der ins Quadrat gesetzt die Zahl 2 zum Ergebnis hat? Fest steht, daß es keinen endlichen Bruch gibt, der mit dieser Eigenschaft ausgestattet wäre. Fest steht auch, daß durch Ergänzen Zeichen für Zeichen prozessual, und d. h. verfahrensbezogen bzw. –verhaftet aus einem endlichen kein unendlicher Bruch werden kann. Auf diese Weise kommt man an so einen Bruch auch dann nicht heran, wenn man dessen Produktion einem – formal-operativ formulierten – Gesetz der Serie überlassen kann, und insoweit immer schon produziert ist, was durch so ein Gesetz auch nur produziert sein kann.

 Ein solches – explizit formuliertes – Gesetz der Serie folgt in der Reihenfolge der zu besetzenden Bruchstellen zwangsläufig der Reihenfolge der natürlichen Zahlen und verbleibt damit zwangsläufig auch in der bloß prozessualen Unendlichkeit dieser natürlichen Zahlen. Diese natürlichen Zahlen können uns nicht bei der Produktion eines – final – unendlichen Bruches behilflich sein. Wir finden mit Hilfe dieser Zahlen allenfalls zu einem Bruch mit zwar beliebig vielen, aber eben nicht unendlich vielen positiv besetzten Bruchstellen. Unendliche Brüche können insofern auch nicht als unendliche Folge reeller Zahlen, und d.h. als Abbildungen von den natürlichen Zahlen in die reellen Zahlen definiert sein. Etwas anders stellt sich diesbezüglich die Situation mit rekursiv definierten Verfahren dar, so wie wir das beispielsweise beim Algorithmus zur Berechnung der Quadratwurzel haben. So wie dieses Verfahren formalisiert ist, ist es – notgedrungenermaßen – als Abbildung mit den natürlichen Zahlen als Definitionsbereich definiert. Und so gesehen könnte es von daher auch zu keinen unendlichen (Bruchstellen-)folgen reichen. Das Verhalten könnte nicht halten, was es verspricht. Das Verfahren als solchem ist in seinem praktischen, und d.h. materiellen Vollzug eine solche Abhängigkeit von den natürlichen Zahlen fremd. Man muß die Folgenglieder in diesem Vollzug nicht durchnumerieren (lassen).  Das ist einfach nur ein formales Erfordernis zur allgemeinen – förmlichen – Beschreibung dieses Algorithmus. Das Verfahren als solches hat damit nichts zu tun, und reicht insofern auch über die Unendlichkeit der natürlichen Zahlen hinaus. Es reicht damit – mit anderen Worten – auch für unendliche (Bruchstellen-)folgen (hin).

 Unendliche Brüche lassen sich in ihrer ganzen Unendlichkeit „als Zahl“ nicht beziffern lassen. Der Definition solcher Brüche als Grenzwerte von Folgen bzw. Reihen kommt insofern eine ganz andere Bedeutung als sie uns von irgendwelchen „Folgen-“ bzw. Reihenentwicklungen rationaler Zahlen bekannt ist. Solche Entwicklungen sind für eine rationale Zahl als Zahl in keiner Weise konstitutiv. Diese Zahlen gibt es nicht deswegen, weil es diese Entwicklungen gibt; es gibt sie deswegen, weil es ein System von Darstellung gibt, in dem jede rationale Zahl in Form und Gestalt einer endlichen bzw. periodisch-unendlichen Zeichenfolge ihren festen Platz hat. Das haben wir für nicht-periodisch unendliche Zeichenfolgen so nicht. Man kann solche Zeichenfolgen nicht einfach dadurch identifizieren, daß man sie in ihren unendlich vielen Zeichen zur Darstellung bringt. Man kann eine solche Folge nicht einfach nur anschreiben; man kann sie nur – mit den gerade beschriebenen Vorbehalten allerdings auch nur – über eine explizite (Folgen-)abbildung oder eine sonstige (Re-)konstruktionsvorschrift beschreiben. Als Konstruktionsvorschrift würde beispielsweise auch ein Approximationsverfahren wie vorhin zur Berechnung von  beschrieben gelten. Es ist dies ein Verfahren, das uns die gesuchte Bruchdarstellung Bruchstelle für Bruchstelle entwickeln läßt.

Das haben wir bei der rekursiv definierten Folge zur allgemeinen Berechnung von Quadratwurzeln so nicht. Jedes Element der rekursiv definierten Folge gibt in seiner Bruchdarstellung nicht auch schon einen Teil des Grenzwertes der ganzen Folge wider. Nicht jede Bruchstelle so einer Bruchdarstellung ist auch schon eine (end-) gültige Bruchstelle des Grenzwertes der ganzen Folge. Mit gültigen Stellen im Hinblick auf den Grenzwert der Folge werden wir von dem einzelnen Folgenglied  nur in dem Umfang bedient, in dem dessen Bruchentwicklung – von der ersten Bruchstelle an gelesen – mit der Bruchentwicklung von  übereinstimmt, wobei a diejenige Zahl ist, dessen Quadratwurzel berechnet sein soll.[94] Auch in diesem allgemeinen Verfahren wird im übrigen mit Approximationsfolgen von unten wie auch von oben gearbeitet. Die Folge  nähert sich von oben, die Folge  von unten der zu ermittelnden Quadratwurzel. Die Folge  ist eine monoton fallende, die Folge  eine monoton steigende Folge. Die gesuchte Quadratwurzel ergibt sich als Grenzwert der Folge , so daß es in diesem Fall die Approximationsfolge von oben ist, über die der gesuchte Grenzwert ermittelt wird. Bei dem alternativen Verfahren zur Berechnung der Quadratwurzel einer Zahl, bei dem von Anfang an auf gültige Bruchstellen gesetzt wird, ist es dagegen – gerade der Gültigkeit der zu setzenden Bruchstellen wegen – die Approximationsfolge von unten, die uns an den gesuchten Grenzwert immer näher heranführt. Die ganze Bruchentwicklung folgt so mit anderen Worten – und das haben wir gerade auch vertieft – keinem Gesetz der Serie bzw. keiner allgemeinen Abbildungsvorschrift, die die Menge der natürlichen Zahlen zum Definitionsbereich hat.

 

III. - Man kann – so haben wir festgestellt – unendliche Brüche in ihrer Existenz nicht dadurch unter Beweis stellen, daß man sie explizit „in voller Länge“ zur Darstellung bringt. Das kann man nicht. Also müssen solche Brüche anderweitig bestimmt werden. Man kann so einen Bruch beispielsweise auch einfach nur durch ein Symbol dargestellt sein lassen. Auf die Quadratwurzel aus 2 kann man einfach auch durch eine unter das Wurzelzeichen gestellte 2 verweisen. Damit ist klar zum Ausdruck gebracht, welche „Zahl“ damit bezeichnet sein soll. Es ist dies im übrigen auch die einzige Weise, um ganz gezielt, und d.h. ohne irgendwelche – weitere – operative Umwege auf diese Zahl aufmerksam zu machen. Natürlich ist diese Zahl dadurch nicht auch beziffert. Es steht uns allerdings frei, uns dieser Zahl von beiden Seiten approximativ durch Folgen endlicher Brüche nach Belieben anzunähern. Die Frage ist, was das für die Existenz der „Zahl“  als eines unendlichen, nicht-periodischen Bruches zu bedeuten hat. Ist durch die (Symbol-)schreibweise  diese Zahl ihrer Existenz nach unabhängig von ihrer Approximation wie beschrieben bestimmt? Ist durch diese Symbolschreibweise – implizite – auch ein unendlicher, nicht-periodischer Bruch in seiner ganzen Unendlichkeit auch gesetzt?

Durch das Wurzelzeichen soll auf eine Zahl hingewiesen sein, die mit sich selbst multipliziert die unter dieses Zeichen gesetzte – positive – Zahl ergibt. Natürlich läßt sich so nur mit Zahlen verfahren, die auch einer endlichen Darstellung fähig sind. Man kann – wenn dem nicht so ist – natürlich auch wieder eine statt dessen nur per Symbol zur Darstellung gebrachte Zahl unter das Wurzelzeichen stellen. So kann man formal – per Symbol – die Quadratwurzel aus der Quadratwurzel von 2 ziehen: . Es wird dann nur nicht mehr möglich sein, sich einer solcherart definierten Zahl in gleicher Weise approximativ zu nähern, wie das bei Zahlen mit endlicher Zahldarstellung möglich ist bzw. wäre. Approximationen machen in diesem Fall keinen Sinn. Man kann sich dann immer auch mit dem exakten Wert behelfen. Kompromisse hat man dann nicht einzugehen. Im unendlichen Fall ist das anders. Dort läßt es das Ausgangsmaterial dann schon an Genauigkeit fehlen, wobei es uns schon auch freisteht, dieses Material so genau wie wir es haben wollen zu bestimmen. Die Zahl, aus der die Quadratwurzel gezogen werden soll, ist in dieses Verfahren von Anfang an integriert. Man kann sich dann auch nicht mit irgendwelchen Näherungswerten für diese Zahl begnügen. In dieses Verfahren – bereits – mit einem Näherungswert einzutreten hieße, auch – nur – nach der Quadratwurzel für diesen Näherungswert suchen. Die Zahl nach deren Quadratwurzel gesucht ist, sollte also von Anfang an in voller Darstellung vorliegen, und zwar vorliegen in einer Darstellung als b-al-Bruch. Das ist – wie wir wissen – die einzig mögliche Form der Darstellung von Zahlen, die operativ auch verwertbar ist, und d.h. mit der die in der allgemeinen – rekursiven – Folgenvorschrift vorgesehenen Operationen auch ausgeführt werden können.

Bei rationalen Zahlen, deren Bruchdarstellung eine periodisch-unendliche ist, mag man sich dabei noch mit der Schreibweise als Quotient zweier ganzer Zahlen behelfen. Bei irrationalen Zahlen ist uns dagegen aber auch dieser Ausweg versperrt. Damit können die Quadratwurzeln solcher Zahlen auch nicht mit Hilfe unserer rekursiv definierten Folge berechnet werden. Es kann in dieses Verfahren mit dieser Zahl dann nicht einmal eingetreten werden. Man könnte dieses Verfahren – wie gesagt – allenfalls mit einem – rationalen – Näherungswert für diese Zahl aufnehmen. Über diesen Näherungswert muß man aber auch erst einmal verfügen. Es müßte dies zudem auch ein ziemlich guter Näherungswert sein, soll auch die damit – näherungsweise – berechnete Quadratwurzel ziemlich nahe bei der eigentlich gesuchten Quadratwurzel liegen. Mit einem Näherungswert kann uns das ganze Verfahren im übrigen auch dann immer nur dienen, wenn die gesuchte Quadratwurzel irrational ist, und d.h., wenn das Verfahren zur Berechnung dieser Quadratwurzel nicht abbricht, und auch nicht abbrechen kann. Was den praktischen Umgang mit irrationalen Zahlen betrifft, sind wir – anders gesagt – generell auf Näherungswerte verwiesen.

Der Satz, wonach die Quadratwurzel positiver reeller Zahlen als Grenzwert einer rekursiv definierten Folge bestimmt ist, gilt natürlich allgemein, und d.h. er gilt auch für irrationale Zahlen. Man kann diesen Satz auf solche Zahlen nur nicht auch anwenden, einfach weil wir von solchen Zahlen keine endliche – zahlenwertige – Darstellung haben. Die allgemeine Gültigkeit dieses Satzes ist dadurch allerdings nicht beeinträchtigt. Die allgemeine Formulierung mathematischer Sätze erfolgt grundsätzlich darstellungsfrei bzw. darstellungsunabhängig. Das ist auch ein Grund – wenn nicht der Grund – warum Darstellungsfragen von Zahlen für die Mathematik kein Thema sind. Gemeint ist damit das Verfahren, nach dem die natürlichen Zahlen gebildet werden bzw. sind, und das dann bis einschließlich der Erweiterung zur Menge der reellen Zahlen seine vollständigen Ausbau bzw. seien vollständige Ausschöpfung findet. In Sätzen, die für reelle Zahlen ganz allgemein gelten, kann von diesen Zahlen auch nur allgemein, und d.h. eben darstellungsfrei bzw. darstellungsunabhängig die Rede sein. Nur so kann auch sichergestellt sein, daß sich von den in diesen Formulierungen verwendeten – einfachen – Symbolen auch jede reelle Zahl angesprochen fühlen kann. Darstellungsabhängig formulieren wollen hieße immer nur in Bezug auf konkret dargestellte Zahlen formulieren können. Damit aber läßt sich nicht gut der allgemeinen Geltung eines Satzes Ausdruck verleihen, und nur allgemeingültige Sätze sind auch zulässige Sätze. Wissenschaft ist nie konkret sind immer nur allgemein. Die Wissenschaft vom Einzelnen gibt es nicht.  

 



[94] Der allgemeine Quadratwurzel-Algorithmus ist in folgendem Satz festgehalten: Satz; Seien a > 0 und x o>  0 reelle Zahlen. Die Folge  sei durch

                          

rekursiv definiert. Dann konvergiert die Folge  gegen die Quadratwurzel von a, d.h. gegen die eindeutig bestimmte positive Lösung der Gleichung . (O. Forster, Analysis 1, S. 34)