3.2.3 Die Unendlichkeit der natürlichen Zahlen

 

I. - Das Besondere an irrationalen Zahlen ist, daß wir schon zu wissen meinen, mit welchen Zahlen wir es dabei – im einzelnen – (genau) zu tun haben, daß wir dennoch aber nicht imstande sind, so eine Zahl zur Gänze und d. h. in ihrem exakten Zahlenwert auch anzugeben. Irrationalzahlen sind Grenzwerte, und solche Werte lassen sich auch dann nicht (re-)kon- struieren, wenn sie – so wie bei b-al-Bruchdarstellungen – von einer Folge (im Unendlichen) auch angenommen werden. Grenzwert ist das, was so eine Zahl in ihrer Bruchentwicklung an unendlicher Darstellung erfährt. Alles an dieser Bruchentwicklung ist auch Teil des Grenzwertes. Dieser Grenzwert entspricht dann zugleich auch dem Zahlenwert der betreffenden irrationalen Zahl. Die Frage einer möglichen Konvergenz eines unendliches Bruches stellt sich natürlich auch nur, wenn wir diesen Bruch in einem bestimmten System von (Bruch-)darstellung lesen. In seiner bloßen Zeichenfolge kann so ein Bruch – ob endlich oder unendlich – mit keiner Zahl in Verbindung gebracht werden. Zu einer Zahl wird so eine Zeichenfolge erst, wenn wir die einzelnen Zeichen entsprechend ihrer Position so gewichten, wie das in den einzelnen Systemen von b-al-Bruchdarstellung vorgesehen ist. Nur aus dieser Gewichtung heraus erwächst den einzelnen Zeichenfolgen auch eine stationäre Identität in Form und Gestalt eines genau bestimmten Zahlenwertes. Dann auch sind Abstände bzw. Differenzen zwischen jeweils zwei Zahlen definiert. Anders läßt sich auch keine Grenzwertvorstellung entwickeln. Was b-al-Brüche anbelangt, so ist die Situation wie wir wissen die, daß deren Konvergenz nur mit Hilfe des Vollständigkeitsaxioms gesichert werden kann, auch wenn wir ganz genau wissen, welches der Grenzwert so eines Bruches nur sein kann, wenn so ein Bruch auch konvergent sein soll.

Wir können diesen Grenzwert nur nicht auch beziffern. Beziffert wird er – so denn der ganze Bruch auch konvergiert – durch die unendliche Zeichenfolge des Bruches selbst. Damit aber läßt sich nun gerade kein Zahlenwert verbinden. Von einer unendlichen Zeichenfolge läßt sich einfach nicht sagen, welches der Zahlenwert der dadurch dargestellten Zahl sein soll bzw. sein könnte. Wir wissen es nicht, und wir werden es auch nie wissen können, einfach weil es darüber nichts zu wissen gibt. Auch wenn es sich dabei immer nur um einen endlichen Zahlenwert handelt, haben wir für diesen Zahlenwert nicht auch eine endliche Darstellung. Wir können eine irrationale Zahl nicht beziffern, weil wir dafür unendlich viele Ziffern setzen müßten, und das ist uns nun einmal nicht möglich.

Die lineare Ordnung in der Menge der irrationalen Zahlen stört das – wie wir wissen – nicht. Zur Begründung dieser Ordnung benötigen wir keine Zahlenwerte; diese Ordnung läßt sich allein aus den Zeichenfolgen heraus begründen. Wir können allerdings auch nicht sagen, welches die einer irrationalen Zahl in dieser Ordnung folgende irrationale Zahl ist. Das können wir schon bei den rationalen Zahlen nicht. Allerdings lassen sich diese Zahlen aufgrund der diesen zugrunde liegenden allgemeinen Konstruktionsvorschrift als Quotienten ganzer Zahlen in Reihe ordnen. Mit den irrationalen Zahlen läßt sich das des fehlenden allgemeinen Konstruktions- verfahrens wegen nicht auch in gleicher Weise einrichten. Gäbe es diese Konstruktions- vorschrift, die Menge der irrationalen Zahlen würde so zwangsläufig zu einer abzählbaren Menge. Das aber ist diese Menge bekanntlich nicht. Man kann auch sagen, warum das so ist. Nicht abzählbar ist die Menge der irrationalen Zahlen deswegen, weil sie in der – finalen – Unendlichkeit ihrer Bruchentwicklungen aus dem allgemeinen Verfahren zur Darstellung endlicher bzw. prozessual-unendlicher Zeichenfolgen herausfallen. Die Frage ist dann die, wie es zur Entwicklung solcher auch final unendlicher Zeichenfolgen kommen kann.

Unser Verfahren ist jedenfalls zur Produktion solcher Zeichenfolgen nicht in der Lage. Also können solche Folgen nur aus einem anders organisierten Produktionsverfahren hervorgehen. Gibt es so ein Verfahren aber auch? Von der Antwort auf diese Frage hängt es ab, ob es auch irrationale Zahlen „gibt“ oder nicht. Fest steht jedenfalls, daß irrationale Zahlen nur nach einem allgemeinen Gesetz der Serie definiert und produziert sein können. Irrationale Zahlen lassen sich beispielsweise und insbesondere als Grenzwerte von Folgen bzw. Reihen definieren bzw. konstruieren. Diese Form der Definition bzw. Konstruktion erfolgt in – expliziter – Abhängigkeit von den natürlichen Zahlen, und d.h. sie erfolgt in expliziter Abhängigkeit von dem Verfahren zur Darstellung bzw. Produktion dieser Zahlen. Diese Zahlenmenge ist – wie wir wissen – eine „nur“ prozessual unendliche Menge. Kann so eine Menge bzw. das dieser zugrundeliegende Verfahren dann aber dazu dienen, eine auch finale Unendlichkeit zu begründen? Offensichtlich nicht. Eine Abbildung, die in ihrem Definitionsbereich nur über eine prozessuale Unendlichkeit verfügt, kann im Bild zu keiner finalen Unendlichkeit führen. Das könnte so eine Abbildung selbst dann nicht, wenn sie so konstruiert wäre, daß sie einen unendlichen Bruch Bruchstelle für Bruchstelle besetzen würde. Auch dann bleibt es in der Bruch(stellen-)entwicklung bei einer nur prozessualen Unendlichkeit.

 Das Verfahren zur Darstellung der Menge der natürlichen Zahlen produziert keine final unendlichen Zeichenfolgen, und d.h. es produziert keine irrationalen Zahlen. Wie können solche Zahlen dann aber produziert sein? Offensichtlich gibt es für solche Zahlen kein Konstruktionsverfahren. Läßt sich daraus aber auch schließen, daß es keine solchen Zahlen „gibt“? Fest steht jedenfalls, daß sich prozessual keine finale Unendlichkeit herstellen läßt. Auch ein als Abbildung formuliertes Gesetz der Serie kann uns dabei nicht behilflich sein, wenn sich dieses Gesetz im Definitionsbereich einer prozessual unendlichen Menge wie der Menge der natürlichen Zahlen verpflichtet weiß.

Nun ist diese Menge der natürlichen Zahlen die einzige Menge, die sich uns in ihrer ganzen Unendlichkeit konstruktiv erschließt. Wo immer wir auch sonst in der Mathematik einer konstruktiven Unendlichkeit begegnen, begegnen wir ihr in einer der Unendlichkeit der Menge der natürlichen Zahlen entlehnten Unendlichkeit. Das läßt sich so immer auch nachweisen. Konstruktive Unendlichkeit besteht aus der Unendlichkeit der Menge der natürlichen Zahlen. Anders verhält es sich mit der Unendlichkeit der Menge der reellen Zahlen. Diese Unendlichkeit ist nicht konstruktiv, weil es kein Konstruktionsverfahren für final unendliche, nicht-periodische Zeichenfolgen gibt. Es gibt kein Verfahren, das der – auch abschließenden – Konstruktion solcher Folgen dienen könnte.

Es gibt kein Konstruktionsverfahren, das uns eine solche Folge als abgeschlossen produziert denken lassen könnte, so wie das bei jeder finalen Unendlichkeit vorauszusetzen ist. So wie irrationale Zahlen in ihrer b-al-Bruchentwicklung verstanden sind, sind sie definitiv als final unendliche Zeichenfolgen verstanden. Das geht einfach schon daraus hervor, daß irrationale Zahlen in ihrem Zahlenwert nur als Grenzwert ihrer unendlichen nicht-periodischen b-al-Bruchentwicklung verstanden werden können. Anders könnte auch nicht gut von so einer Bruchentwicklung als Zahl die Rede sein. Grenzwerte von Folgen sind aber grundsätzlich final und nicht einfach nur prozessual zu verstehen. Jeder solche Grenzwert steht dort, wo er existiert, für den „Abschluß“ einer Folge. Er steht für das prozessuale Ende einer Folge, auch wenn sich dieses Ende als solches niemals einstellt. Der Grenzwert einer Folge ist wie wir wissen nicht selbst auch Teil der Folge.

 

II. - Zu den mengentheoretischen Grundlagen der Mathematik gehört die Unterscheidung zwischen endlichen und unendlichen Mengen. Diese Unterscheidung ist Bestandteil der einführenden Bemerkungen über Mengen, so wie sie in den Lehrbüchern der systematischen Entwicklung der Mathematik vorangestellt werden. Es ist dies eine Unterscheidung allerdings auch, die in Abhängigkeit von den natürlichen Zahlen definiert ist, und insofern diese Zahlen auch als gegeben vorauszusetzen hat. Wir können darin auch eine Bestätigung unserer These von vorhin sehen, wonach jede – konstruktive – Unendlichkeit eine der Unendlichkeit der Menge der natürlichen Zahlen entlehnte Unendlichkeit ist. Unendliche Mengen gibt es deswegen, weil es im Produktionsverfahren zur Darstellung der Menge der natürlichen Zahlen keine letzte Zeichenfolge in der Reihenfolge aller dieser Zeichenfolgen gibt. Genau deswegen bzw. in diesem Sinne auch gilt die Menge der natürlichen Zahlen als eine – als die – unendliche Menge. Als unendlich gilt bekanntlich eine Menge definitionsgemäß genau dann, wenn sie in der Anzahl ihrer Elemente jede natürliche Zahl übertrifft, und d.h., wenn sie sich nicht als  für ein  schreiben läßt.[93] Man könnte dafür auch sagen, daß die Anzahl der Elemente einer Menge eine unendliche ist, und sich dabei auch eines bestimmten Symboles – des Symboles „  “ – für diese unendliche Anzahl bedienen.

Es findet dieses Symbol in der Mathematik auch Verwendung. Die Einführung so eines Symbols dient allerdings weniger einer abkürzenden Schreibweise für unendliche Anzahl; wir benötigen dieses Symbol vielmehr zur Definition des Grenzwertes einer Folge. Man muß dabei einfach auch in einfacher (Zeichen-) Schreibweise zum Ausdruck bringen können, was Inhalt der Definition ist. Dafür, daß eine Folge  reeller Zahlen gegen  konvergiert schreibt man, wie wir wissen: . Damit ist einfach die e-  -Grenzwertdefinition für Folgen in Zeichen beschrieben. In dieser Definition wird nicht auf Unendliches Bezug genommen. Stillschweigend wird – wenn es um natürliche Zahlen geht – allerdings immer von der Unendlichkeit dieser Zahlen in dem vorhin beschriebenen Sinne ausgegangen.

 Unendlich heißen Folgen deswegen, weil sie über unendlich viele, und d.h. nicht-endlich viele Folgenglieder verfügen. Man kommt – mit anderen Worten – wenn man die ganze Folge der Reihe nach durchgeht an kein Ende, und d.h. an kein letztes Folgenglied. Mit der Schreibweise  ist dann einfach nur gemeint, daß man dennoch versucht, bis an das „Ende“ der Folge zu gehen. Durch die „® Schreibweise“ ist angedeutet, daß das Ganze einfach auch als – unendlicher – Prozeß zu sehen ist. Es ist damit nicht gemeint, daß man tatsächlich auch die ganze Folge „durchgehen“ könnte. Insbesondere ist damit auch nicht gemeint, daß es eine natürliche Zahl  geben würde. Es soll mit dieser Schreibweise einfach nur gesagt sein, was geschieht, wenn man der Folge immer weiter folgt. Exakt beschrieben ist das in der e-  -Grenzwertdefinition, für die die Limes-Schreibweise nur eine abkürzende Bezeichnungsweise ist.

Die Menge der natürlichen Zahlen selbst ist ohne Grenzwert. Diese Menge hat allerdings eine Eigenschaft, die unter dem Begriff bestimmte Divergenz gegen  geführt wird. Man kann also auch schreiben: . Die Bedeutung des Unendlichkeitssymboles ist dabei in beiden Fällen eine verschiedene. Rechts vom Gleichheitszeichen konfiguriert dieses Zeichen als Grenzwert, und d.h. es nimmt den Charakter einer Zahl an. Unter dem Limeszeichen dagegen dient dieses Zeichen lediglich dazu, die Unendlichkeit der Menge der natürlichen Zahlen zum Ausdruck zu bringen. Das sind zwei ganz verschiedene Dinge. Auf der einen Seite wird auf das Verfahren, auf der anderen Seite dagegen auf das Ergebnis gesehen. Daß dieses Ergebnis auch nur  heißen kann, wenn man in der Folge der natürlichen Zahl nach  geht, ist allerdings klar. Es ist dies nur ein rein imaginärer, fiktiver Grenzwert. Damit läßt sich weder ein Zahlenwert, noch eine Zeichenfolge verbinden. In seiner prozessualen Komponente steht dieses Zeichen einfach für die Endlosigkeit der Reihenfolge natürlicher Zahlen, und in seiner finalen Komponente steht dieses Symbol einfach für die unendlich bzw. beliebig große natürliche Zahl. Diese natürliche Zahl gibt es natürlich nicht. Die Menge natürlicher Zahlen zeichnet aus, daß sie eine nach oben nicht beschränkte Menge ist. Zurückzuführen ist das auch wieder darauf, daß die Folge der natürlichen Zahlen eine unendliche Folge ist und der Zahlenwert einer natürlichen Zahl von natürlicher Zahl zu natürlicher Zahl um 1 anwächst. Insofern auch ist die finale Interpretation des Unendlichkeitssymboles in ihrer prozessualen Deutung begründet, wie umgekehrt diese prozessuale Deutung nicht ohne ihr finale Interpretation möglich wäre.

 

III. - Die Unendlichkeit der Menge der natürlichen Zahlen ist die Unendlichkeit der Menge endlicher Zeichenfolgen, so wie sie aus unserem Verfahren zur Darstellung der Menge der natürlichen Zahlen hervorgehen. Unendliche Zeichenfolgen bleiben dagegen außerhalb der Reichweite dieses Verfahrens. Wie aber können solche Folgen anders produziert sein? Gesucht ist nach einem Gesetz der Serie bzw. einem Verfahren, das zu produzieren vermag, wozu „unser“ Verfahren nicht in der Lage ist: unendliche Zeichenfolgen nämlich, und d.h. Zeichenfolgen, die das Kriterium der Unendlichkeit bereits als einzelne Zeichenfolge und nicht nur in der Gesamtheit einer Vielzahl solcher Folgen erfüllen.

Die Unendlichkeit der natürlichen Zahlen ist eine rein prozessualle Unendlichkeit. Diese Menge ist ohne Abschluß bzw. ohne Grenzwert. Die Folge der natürlichen Zahlen ist keine konvergente Folge. Es ist dies eine bestimmt gegen  divergente Menge. Es ist diese Form der Divergenz nicht auch geeignet, eine finale Unendlichkeit der Menge der natürlichen Zahlen zu begründen. Dafür müßte dieses Unendlichkeitssymbol schon auch mit einer bestimmten natürlichen Zahl identifiziert werden können. Das aber ist nun gerade nicht möglich, gehört doch die „Zahl  “ nicht den reellen Zahlen an, wie es im übrigen auch keine Zahlenmenge gibt, der – in natürlicher Weise – eine solche „Zahl“ zugehören könnte. In der Analysis kann auf die Funktion so einer Zahl andererseits aber auch nicht verzichtet werden. Wir benötigen sie um den für die Analysis zentralen Begriff des Grenzwertes von Folgen bzw. Reihen definieren zu können. Jede reelle Zahl ist ihrem Zahlenwert nach eine endliche Zahl, und d.h. sie ist eine Zahl, die ihrem Zahlenwert nach von fast allen natürlichen Zahlen übertroffen wird. Es ist dies – wie wir wissen – Inhalt des Archimedischen Axioms.

Die – operationsfreie – Darstellung reeller Zahlen ist dagegen in gleicher Weise nicht auch immer eine endliche Darstellung. Für irrationale Zahlen bleibt nur die Darstellung in Form und Gestalt unendlicher, nicht-periodischer b-al-Brüche. Damit können wir solche Zahlen nicht nur nicht vollständig darstellen, wir wissen auch in keinem Fall um den Zahlenwert so einer Zahl. Es läßt sich keine einzige irrationale Zahl ihrem Zahlenwert nach beziffern. Der Zahlenwert einer irrationalen Zahl ist durch deren unendliche Zeichenfolge bzw. Bruchdarstellung bestimmt. Was aber können wir uns dann unter dem Zahlenwert so einer Zahl vorstellen? Diese Frage stellt sich deswegen, weil irrationale Zahlen als reelle Zahlen endliche Zahlen in dem beschriebenen Sinne sind. Der Zahlenwert so einer Zahl läßt sich nach oben durch natürliche Zahlen abgrenzen.

Wir wissen auch um die Vergleichbarkeit irrationaler Zahlen. Jedes Zeichen der unendlichen Zeichenfolge eines b-al-Bruches besetzt eine bestimmte endliche Position innerhalb des Bruchganzen. Der Bruch mag ein unendlicher sein, die Positionen innerhalb des Bruches sind allesamt endliche. Es gibt nicht die unendliche Position innerhalb eines Bruches. Das allgemeine Positionensystem, das für jede Reihenfolge bekanntlich identisch dasselbe ist, ist insoweit ganz von dem prozessualen Nacheinander jeder Folge bestimmt. Auch unendliche Folgen können sich nur in endlichen Positionen unterscheiden, und so etwas läßt sich immer auch überprüfen. Für einen Größenvergleich zweier irrationaler Zahlen genügt es, die erste in beiden Brüchen verschieden besetzte Position ausfindig zu machen. Das kann sich hinziehen. Egal wie lange sich das aber auch hinzieht, der Vergleich wird sich –ausschließlich – im Endlichen, und d. h. auf endlichen Positionen (andere Positionen gibt es wie gesagt auch nicht) abspielen (müssen). Damit aber bleibt so ein Vergleich – prinzipiell jedenfalls – praktisch immer auch möglich.

 Ein bloßer Größenvergleich wie beschrieben beantwortet allerdings nicht die Frage nach dem Zahlenwert einer irrationalen Zahl. Wir wissen, daß solche Zahlen in ihrer Bruchentwicklung konvergieren, und diese Konvergenz läßt uns sinnvollerweise auch erst die Frage nach dem Zahlenwert so einer Zahl stellen. Zahlenwert ist dann einfach der Grenzwert der betreffenden Bruchentwicklung, die – wie wir wissen – eine Reihenentwicklung ist.  Zu einer Reihenentwicklung wird jede – formale – unendliche Zeichenfolge durch das System der Gewichtung einzelner Positionen, so wie sie jedem System von b-al-Bruchdarstellung zugrunde liegt. Erst dadurch stellt sich auch die Frage der möglichen Konvergenz so eines Bruches. Möglicher bzw. zulässiger Grenzwert so einer Reihenentwicklung ist jede reelle Zahl, also auch jede irrationale Zahl. In ihrer eigenen Reihenentwicklung als unendlicher nicht-periodischer b-al-Bruch konvergiert jede irrationale Zahl – notwendig – gegen sich selbst. In Reihen entwickeln lassen sich im übrigen aber auch rationale oder – spezieller – natürliche Zahlen. So läßt sich beispielsweise die Zahl 2 als geometrische Reihe  schreiben. Der periodische Bruch 1,999... =:  , in den sich diese Reihe "auflösen" bzw. "zusammenfassen" läßt, ließe sich dann auch als Grenzwert der Zahl 2 verstehen. Jedenfalls ist das – wie gesehen – gängige Lesart in der Mathematik. Man könnte darüber, ob das so auch seine Berechtigung hat oder nicht, geteilter Meinung sein. 

Der Grenzwert geometrischer Reihen läßt sich auch ziemlich bequem feststellen. Was die Zahl 2 anbelangt, ist so eine Reihenentwicklung allerdings nur von einem untergeordneten theoretischen Interesse. Für irrationale Zahlen ist dagegen so eine Reihenentwicklung nicht nur eine Form der Darstellung, sondern vielfach auch die einzig uns bekannte Darstellung. Gemeint ist damit allerdings nicht die Reihenentwicklung als b-al-Bruch. Eine solche Reihenentwicklung ist uns von keiner einzigen irrationalen Zahl bekannt. Es gibt keine Abbildungsvorschrift – und das wäre Voraussetzung für eine solche Reihendarstellung – die uns die n-te Bruchstelle in Abhängigkeit von der natürlichen Zahl n für jedes n  berechnen ließe. Eine solche Abbildungsvorschrift kann es nicht zuletzt auch deswegen nicht geben, weil sie nicht ausreichen würde, einen final unendlichen b-al-Bruch zu produzieren.

 Wenn man die Bruchstellen so eines Bruches in Abhängigkeit von ihrer Position nach einer allgemeinen Abbildungsvorschrift berechnet seinlassen wollte, würde man „im Ergebnis“ über eine prozessuale Unendlichkeit nicht hinauskommen. Die Unendlichkeit des Ergebnisses kann qualitativ keine andere als die der natürlichen Zahlen sein, und deren Unendlichkeit ist – wie wir wissen – eine nur prozessuale. Eine prozessuale Unendlichkeit ist aber immer auch eine nicht-abgeschlossene Unendlichkeit. Auch wenn wir uns – dem Gesetz der Serie ihrer Produktion folgend – alle diese Zahlen als immer schon vollständig gesetzt denken, wir können diese Menge mit keinerlei Abschluß in Verbindung bringen. Das Symbol  gegen das diese Menge bestimmt divergiert, kann nicht als Abschluß angesehen werden. Dazu müßte es sich, wenn schon um keine natürliche, so doch um eine reelle Zahl handeln. Als möglicher – natürlicher – Abschluß der Menge der natürlichen Zahlen in Form und Gestalt ihrer Darstellung als endlicher Zeichenfolgen käme nur eine unendliche Zeichenfolge in Frage. Damit blieben wir – was die Darstellung anbelangt – „im System“. Allerdings gilt von so einer Zeichenfolge dasselbe, was auch von unserem Unendlichkeitssymbol zu sagen war: Es ist durch so eine Folge keine natürliche Zahl dargestellt. Das System der Darstellung natürlicher Zahlen läßt sich nicht auch auf unendliche Zeichenfolgen ausdehnen.

Das Verfahren zur Produktion aller endlichen Zeichenfolgen, so wie sie zur Darstellung natürlicher Zahlen Verwendung finden, ist, auch wenn es sich dabei um ein offenes Verfahren handelt, nicht auch für unendliche Zeichenfolgen „gut“. Damit läßt sich solchen Folgen auch keine natürliche Zahl zuordnen. Natürlich könnte man sich das System zur Darstellung natürlicher Zahlen in der Gewichtung, die dabei jedes einzelne Zeichen einer Zeichenfolge erfährt, auch auf unendliche Zeichenfolgen ausgeweitet denken, mit dem Ergebnis, daß dann bereits die einzelne „unendliche natürliche Zahl“ bestimmt gegen  divergiert. Es wäre damit durch keine dieser Zeichenfolgen auch eine reelle Zahl dargestellt. Alle diese Zeichenfolgen wären in R divergent. Über eine Konvergenz solcher Folgen kann allenfalls erst dann nachgedacht werden, wenn man in der Gewichtung der einzelnen Zeichen zu negativen Exponenten übergeht, und d.h., wenn die einzelne Position nicht mehr mit , sondern mit  gewichtet wird. Dann läßt sich – wie gezeigt – mit Hilfe der geometrischen Reihe nachweisen, daß so ein b-al-Bruch in der Folge seiner Partialsumme eine Cauchy-Folge ist, und d.h. die einzelnen Partialsummen rücken bei genügend hohem Folgenindex in ihren Abständen voneinander immer näher zusammen. Damit ist so eine Folge nicht notwendig schon auch konvergent, wäre da nicht das Vollständigkeitsaxiom, das die Konvergenz aller solcher Folgen in R postuliert.

Das kann man tun, es sollte dann aber auch sichergestellt sein, daß es so einen Grenzwert auch gibt, und d.h., daß es eine reelle Zahl in ganz konkreter Darstellung innerhalb eines Systems der Darstellung der Menge der reellen Zahlen gibt, die diesen Grenzwert darstellt. Man kann so ein Axiom nicht einfach darstellungsunabhängig formulieren bzw. postulieren. Deswegen auch ist der die axiomatische Begründung der Menge der reellen Zahlen abschließende Existenz- bzw. Eindeutigkeitsbeweis für die Realität und Identität dieser Zahlen auch so wichtig. Solange diese Beweise nicht geführt sind, bleibt die ganze Begründung zuvor bloße Theorie und bloße Hypothese. Die Frage ist nur, ob das, was an Existenz- bzw. Eindeutigkeitsbeweis für die Menge der reellen Zahlen – in Mathematik und Philosophie – angeboten wird, auch wirklich die ihm übertragene Aufgabe erfüllt. Wenn von diesen Beweisen erwartet wird, daß uns damit auch mit einem System zur konkreten Darstellung der Menge der reellen Zahlen gedient ist, dann erfüllen diese Beweise im allgemeinen ihre Aufgabe nicht. Die „Konstruktion“ der Menge der reellen Zahlen durch Dedekindsche Schnitte sagt uns beispielsweise nicht, wie die einem nicht-rationalen Schnitt zuzuordnende reelle Zahl „aussieht“. Es wird uns auch nicht gesagt – womit man sich prinzipiell auch schon zufrieden geben könnte – wie die Menge aller solcher Schnitte eine bzw. ihre Darstellung finden könnte. Es fehlt so einer "Konstruktion" an einem System von Darstellung dessen, was mit dieser "Konstruktion" konstruiert sein soll, und dann kann diese "Konstruktion" auch nicht als Konstruktion angesehen werden.

 



[93] vgl. dazu etwa S. Lang, Analysis I, S. 11: „A set is finite if the set is empty, or if the set has n elements for some positive integer n. If a set is not finite, it is called infinite“