3.1.5 Die Definition irrationaler Zahlen

 

I. - Wenn man den Körper der rationalen Zahlen  als Teilmenge des bereits – axiomatisch – begründeten Körpers der reellen Zahlen konstruiert, dann überträgt sich das im Körper der reellen Zahlen geltende Archimedische Axiom auch auf den Körper der rationalen Zahlen. Dieses Axiom läßt sich auf diesen Körper der rationalen Zahlen einschränken. Das folgt sofort aus dem Inhalt dieses Axioms. Es folgt die Gültigkeit dieses Axioms für den Körper der rationalen Zahlen  im übrigen aber auch einfach aus der Konstruktion dieses Körpers als Körper der Brüche ganzer Zahlen. Für jede rationale Zahl  ist  Die Archimedische Ordnung von   folgt einfach aus der Konstruktion dieses Körpers.

Der Begriff der rationalen Zahl dient in Verbindung mit der axiomatischen Begründung der reellen Zahlen nur der Motivation des Vollständigkeitsaxioms. Die Notwendigkeit eines solchen Axioms wird in diesem Zusammenhang einfach damit begründet, daß es zu jeder positiven rationalen Zahl nicht auch eine – rationale – Quadratwurzel gibt. Als Paradebeispiel dient dabei die Quadratwurzel aus 2. Daß es zu der 2 keine rationale Quadratwurzel gibt, das läßt sich auch relativ bequem beweisen. Diese Motivierung des Vollständigkeitsaxioms zeigt ganz deutlich eines: daß nämlich auch bei der Erweiterung des Körpers der rationalen Zahlen zum Körper der reellen Zahlen darstellungsbezogen gedacht wird. Wenn die Behauptung die ist, daß aus jeder positiven rationalen Zahl nicht auch die Quadratwurzel gezogen werden kann, dann muß es auch möglich sein, eine rationale Zahl anzugeben, bezüglich der das nicht möglich ist, und diese Zahl existiert – für uns – einfach nur in einer – bzw. in ihrer – ganz konkreten Darstellung. Das bedeutet weiterhin aber auch, daß es so eine Quadratwurzel nicht gibt, weil es in der Menge der rationalen Zahlen keine Zeichenfolge gibt, die - dem allgemeinen Multiplikationsalgorithmus folgend – mit sich selbst multipliziert diese eine rationale Zahl ergeben würde. Man kann die Frage der Erweiterung des Körper der rationalen Zahlen zu einem Körper, in dem aus positiven Zahlen unbeschränkt Wurzeln gezogen werden können, deswegen auch nicht von der Frage der Erweiterung des Systems der Darstellung rationaler Zahlen trennen.

Die Vorgaben von seiten dieses Systems bezüglich möglicher Erweiterungen sind eindeutig. Eine Erweiterung ist nur noch in Form und Gestalt unendlicher, nicht-periodischer Brüche bzw. Zeichenfolgen möglich. Zusätzliche Zahlen aus irgendwelchen Erweiterungsmengen können nur auf diese Weise dargestellt sein. So wie diese Darstellungen zu lesen sind bzw. so wie sie in der Analysis gelesen werden (so wie sich zeigen wird, geschieht das zu unrecht; den natürlichen Zahlen mangelt es dafür an der notwendigen – unbegrenzten – Unendlichkeit)  handelt es sich dabei um eine Darstellung in Form und Gestalt unendlicher Reihen. Damit stellt sich für alle diese Darstellungen die Frage ihrer Konvergenz. Nur wenn solche Reihen konvergieren, wird man von diesen auch eine Zahl – den Grenzwert der Reihe nämlich – dargestellt sehen können. Bei allen periodisch-unendlichen Brüchen gibt es diesen Grenzwert in Form und Gestalt einer rationalen Zahl, und d.h. in Form und Gestalt eines Quotienten zweier ganzer Zahlen. Angegeben sind damit aber auch nur zwei Zahlen, die – wenn man sie dem allgemeinen Divisionsalgorithmus unterzieht – eben diesen einen periodisch-unendlichen Bruch ergeben.

 Natürlich hat so ein Bruch den Quotienten der beiden ganzen Zahlen, aus deren Division er hervorgeht, zum Grenzwert. Man kann in so einer – ausgeführten – Division auch nichts anderes sehen als einfach nur eine besondere Form der Darstellung so eines Quotienten. Der Quotient zweier ganzer Zahlen wird vermittels des allgemeinen Divisionsalgorithmus einfach nur in einen b-al-Bruch entwickelt. Man kann in diesem Fall Quotient und Bruchentwicklung einfach gleichsetzen, und d.h., man braucht den Quotienten in der Schreibweise nicht als Limes der Bruchdarstellung deklarieren. Das würde so jedenfalls nicht der gängigen mathematischen Praxis entsprechen. Dazu mag auch beitragen, daß man zum einen um die Konvergenz aller dieser Brüche weiß, und daß zum anderen die durch unendliche nicht-periodische Brüche dargestellten Zahlen – operationsfrei – auch nur auf diese Weise dargestellt sein können, wenn man einmal davon absieht, daß von unendlichen Brüchen immer nur ein kleiner, endlicher Teil auch explizit angeschrieben werden kann. Ansonsten ist es aber einfach so, daß unendliche, nicht-periodische Brüche sich selbst Grenzwert sind. Solche Brüche konvergieren gegen ihre eigene Darstellung. Von einigen wenigen irrationalen Zahlen weiß man auch um eine „Darstellung“ als – reguläre – Reihe bzw. als Grenzwert einer Folge. Wir erinnern uns an entsprechende Definitionen der Eulerschen Zahl e.

Natürlich muß bei solchen Definitionen dann auch nachgewiesen sein, daß die betreffende Folge bzw. Reihe auch konvergiert. Nur dann kann so eine Folge bzw. Reihe – als Zahl – mit ihrem Grenzwert identifiziert werden. Die Eulersche Zahl e ist als Grenzwert der Folge  definiert. Diese Folge konvergiert, weil sie monoton und beschränkt ist.[89] Die Folgenglieder sind zudem auch alle rational. Der Grenzwert dieser Folge ist dagegen irrational. Damit kann diese Zahl e ihre – operationsfreie – Darstellung nur als nicht-periodischer unendlicher b-al-Bruch finden. Es ist dies die einzig mögliche Form der – operationsfreien – Darstellung irrationaler Zahlen im allgemeinen System von Polynom-Darstellung von Zahlen. Nur in so einem System steht Darstellung ganz in Diensten der Darstellung des Zahlenwertes einer Zahl. Bis auf unendliche, nicht-periodische Brüche ist in diesem System von Darstellung alles an Brüchen bereits vollständig durch rationale Zahlen abgedeckt. Den irrationalen Zahlen verbleibt in diesem System damit nur noch eine Darstellung in Form und Gestalt unendlicher, nicht-periodischer Brüche.

Das folgt einfach aus Gründen der notwendigen Kontinuität in Darstellungsfragen bei der Erweiterung von Zahlbereichen, die immer auch eine Erweiterung des Systems von Darstellung der nicht-erweiterten Menge mit einschließt. Nachdem eine konsistente Erweiterung des Systems der Darstellung rationaler Zahlen nur noch in dieser einen Richtung unendlicher, nicht-periodischer Brüche möglich ist, kann alles an neu hinzukommenden Elementen der Erweiterungsmenge seine Darstellung nur in solchen Brüchen finden. Allerdings kommen dafür – wie gesagt – auch nur konvergente Brüche in Frage. Solange das nicht geklärt ist, kann so ein Bruch auch nicht für sich in Anspruch nehmen, eine – irrationale – Zahl darzustellen. Man wird so etwas nur nicht im einzelnen auch für den einzelnen unendlichen, nicht-periodischen Bruch nachweisen können. Man wird das deswegen nicht tun können, weil sich keiner dieser Brüche uns je über die Abfolge seiner unendlich vielen Bruchstellen erschließen könnte.

Das haben wir auch nicht nötig, läßt sich doch die Konvergenz von b-al-Brüchen mit Hilfe des Vollständigkeitsaxioms ganz allgemein „beweisen“. Jeder unendliche b-al-Bruch konvergiert. Er konvergiert notwendig auch gegen seine eigene Darstellung. Jeder solche Bruch kann sich nur selbst zum Grenzwert haben. Wir haben uns bei keinem dieser Brüche also zu fragen, ob er konvergiert, bzw. gegen was er konvergiert; die Frage ist vielmehr die, wie uns solche Brüche gegeben sein können. Offensichtlich nicht so, daß eine Abbildung mit den natürlichen Zahlen als Definitionsbereich angegeben werden könnte, die den ganzen Bruch Bruchstelle für Bruchstelle besetzte.

 

II. - Soweit uns irrationale Zahlen bekannt sind, sind uns diese als Grenzwerte von Folgen bzw. Reihen bzw. über definierende Eigenschaften von Zahlen – siehe  –  bekannt. Es sei dabei wieder auf die Eulersche Zahl e bzw. auf die rekursiv definierte Folge zur allgemeinen Berechnung von Quadratwurzeln[90] verwiesen. Bezogen auf ihre b-al-Bruchdarstellung sind irrationale Zahlen auf diese Weise immer nur implizite gesetzt. Sie sind zudem in einer Weise gesetzt, der - a priori – nicht auch schon entnommen werden kann, ob die dadurch festgelegte Zahl rational oder irrational ist. So etwas sieht man einer Reihe wie   bzw. einer Folge wie  oder auch einer Zahl wie  einfach nicht an, selbst wenn man weiß, daß diese Reihe bzw. Folge konvergiert. Konvergenz läßt sich schließlich auch ohne die konkrete Ermittlung des Grenzwertes feststellen. Man wird in allen diesen Fällen dann aber auch nicht sagen können, welcher Kategorie von Zahl dieser Grenzwert zugehört. Man kann sich einen solchen Grenzwert auch nicht gut ausrechnen lassen, um zu sehen, ob es sich dabei um einen endlichen, einen periodisch-unendlichen oder einen nicht-periodisch unendlichen Bruch handelt. Man kann diese Frage auf diese Weise nur in den Fällen entscheiden, wo so ein Bruch abbricht, noch bevor wir bzw. irgendeine Maschine zu rechnen aufgehört hat. Denkbar ist allenfalls auch noch, daß aufgrund der Konstruktionsvorschrift einer Folge bzw. Reihe die sukzessive Berechnung der Folgen- bzw. Reihengliedern alsbald eine – notwendig – periodische Entwicklung erkennen läßt. Ansonsten bleibt die Berechnung unendlicher Brüche notwendig immer nur Fragment, und kann uns deswegen auch nicht über die Endlichkeit, Periodizität oder Nicht-Periodizität eines Bruches entscheiden lassen. Daß die Glieder einer Folge bzw. Reihe alle rational sind, besagt im übrigen nichts über den rationalen oder irrationalen Charakter des Grenzwertes der Folge bzw. Reihe.

 Jeder unendliche b-al-Bruch ist Grenzwert einer Folge rationaler Zahlen. Die Partialsummen von b-al-Brüchen sind alle rational. Die Brüche als Ganzes sind dagegen irrational, wenn sie nicht zufällig gerade periodisch-unendlich sein sollten. Es ist so etwas – wie gesagt – nur schwierig festzustellen. Wir haben keine Möglichkeit, so etwas anhand eines vollständig entwickelten Bruches zu überprüfen. Irrationale Zahlen lassen sich – explizit – nicht als unendliche, nicht-periodische Brüche darstellen. Für die Abfolge der einzelnen Bruchstellen eines solchen Bruches gibt es keine allgemeine Abbildungsvorschrift, eine Vorschrift also, die jeder natürlichen Zahl n das Bruchelement an der n-ten Position des Bruches zuordnen würde. Und selbst wenn es eine solche Vorschrift gäbe, es wäre damit eo ipso nicht auch schon die Frage beantwortet, ob der ganze Bruch nun periodisch ist oder nicht. Da müßte man dann auch wieder sehen, inwieweit die Abbildungsvorschrift diesbezüglich ergiebig ist.

Irrationale Zahlen sind recht wenige bekannt, wenngleich es davon in gewisser Weise mehr gibt  als rationale Zahlen. Wenn die Menge der reellen Zahlen nicht abzählbar ist, so liegt das an den irrationalen Zahlen, die nicht abzählbar sind. Nun weiß man, wie alle diese Zahlen aussehen. Sie bestehen aus allen nur möglichen unendlichen, nicht-periodischen Brüchen. Es ist nur nicht auch möglich – das schließt einfach auch die nicht-gegebene Abzählbarkeit, und mithin auch die nicht-mögliche (Re-)konstruierbarkeit dieser Brüche aus – für jeden einzelnen dieser Brüche eine – implizite – Definition als Grenzwert einer Folge oder Reihe anzugeben, so wie wir das für die Eulersche Zahl e haben. Im übrigen auch könnte uns so eine Definition nicht sagen, welches der dadurch definierte unendliche Bruch genau ist (dazu benötigten wir auch die ganze unendliche Bruchdarstellung in allen ihren – einzelnen – unendlich vielen Bruchstellen) so es denn auch ein unendlicher Bruch ist. Das wäre alles auch erst zu zeigen. Daß alle diese Brüche auch eine reelle Zahl darstellen, das ist – wie wir wissen – eine Folge des Vollständigkeitsaxioms. Nur durch dieses Axiom kann die Konvergenz dieser Brüche sichergestellt werden, eine Konvergenz, auf die – um das nochmals zu betonen – nicht verzichtet werden kann, sollen alle diese Brüche auch mit einer bestimmten Zahl identifiziert sein können.

Es läßt sich umgekehrt auch zeigen, daß für jedes b ³ 2 jede reelle Zahl in einen b-al-Bruch entwickelt werden kann. Das zum Beweis dieser Behauptung angebotene konstruktive Verfahren setzt allerdings – wie gesehen – voraus, daß die zu entwickelnde reelle Zahl bereits in b-al-Bruchform vorliegt, und insofern ist dieser Beweis nicht beweiskräftig. So läßt sich beispielsweise  mit Hilfe dieses Verfahrens nicht in einen b-al-Bruch entwickeln, wenn man über den genauen Zahlenwert dieser Quadratwurzel aus 2 nicht informiert ist, und informiert sein kann man darüber nur, wenn diese Zahl – bzw. genauer: soweit diese Zahl – in einen b-al-Bruch entwickelt ist. An dieser Stelle kollidiert einfach der abstrakte mathematische Formalismus mit dem konkreten mathematischen Konstruktivismus. Das Verfahren funktioniert so nur innerhalb des allgemeinen mathematischen Formalismus, und dort ist es sicherlich auch korrekt durchgeführt.

 Ein allgemeines Verfahren kann auch nur allgemein beschrieben werden. Man wird dann zwangsläufig auch von konkreten Zahlenangaben abstrahieren müssen. Man macht dann einfach von der Tatsache Gebrauch, daß jede reelle Zahl in der linearen Ordnung aller reellen Zahlen über eine genau bestimmte Position verfügt. Bestimmt ist diese Position gleichwohl durch den Zahlenwert einer reellen Zahl, und dieser Zahlenwert findet sich nun einmal in der b-al-Bruchdarstellung einer bestimmten Zahl ausgedrückt. Also hat das Verfahren zur b-al-Bruchentwicklung konkreter reeller Zahlen  (das Verfahren mag noch so abstrakt-formal gehalten sein, das hat diesbezüglich nichts zu besagen) zur Voraussetzung, was eigentlich erst Ergebnis des Verfahrens sein soll. Einmal mehr zeigen sich darin auch die Grenzen des mathematischen Formalismus` bzw. manifestiert sich dadurch die Realitätsbezogenheit jeder auch noch so abstrakt-formal geführten Argumentation. Im übrigen auch wird es nicht möglich sein, sich eine irrationale Zahl ihrem genauen Zahlenwert nach, und d.h. in ihrer Darstellung als unendlicher, nicht-periodischer b-al-Bruch vorzugeben.

Man kann die Gültigkeit des Satzes über die Möglichkeit der Entwicklung jeder reellen Zahl in einen b-al-Bruch für jedes b ³ 2 – wie wir wissen – auch aus allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der Erweiterung bzw. Darstellung von Zahlenmengen ableiten. Es kommen demnach für die Darstellung nicht-rationaler Elemente einer Erweiterungsmenge von  nur – noch – unendliche, nicht-periodische Brüche in Frage, und nachdem alle diese Brüche in der Erweiterungsmenge – einem resp. dem darin geltenden bzw. postulierten Vollständigkeitsaxiom zufolge – konvergieren sollen, stellen sie dort auch eine Zahl dieser Erweiterungsmenge dar. Damit wäre auch auf eine andere Weise erwiesen, daß die Menge der reellen Zahlen durch jedes – vollständige – System von b-al-Brüchen auch vollständig dargestellt ist.[91]

 

III. - Was läßt sich daraus nun für die Abzählbarkeitsfrage der reellen Zahlen ableiten? Ob die reellen Zahlen abzählbar sind oder nicht, das entscheidet sich allein an der Abzählbarkeit aller möglichen Bruchkomponenten von b-al-Brüchen. Alle diese Bruchkomponenten werden systematisch von genau demselben Verfahren angegangen, das uns gezielt auch mit allen natürlichen Zahlen in eben der Reihenfolge dieser Zahlen bedient. Die Frage ist nur, inwieweit es dabei tatsächlich auch zur Produktion unendlicher Zeichenfolgen, so wie wir sie bei unendlichen Brüchen voraussetzen, kommt. Fest steht jedenfalls, daß von diesem Verfahren alle endlichen Zeichenfolgen, so wie sie zur Darstellung natürlicher Zahlen Verwendung finden, erfaßt werden. Der Länge dieser Zeichenfolgen, und d.h. der Anzahl der Zeichen dieser Zeichenfolgen sind dabei nach oben keine Grenzen gesetzt. Reicht das aber auch aus, um diesem Verfahren auch alles an unendlichen Zeichenfolgen, so wie wir sie bei unendlichen Brüchen voraussetzen, entnehmen zu können?

Offensichtlich nicht. Der Unendlichkeit einer Zeichenfolge ist in ihrer Unendlichkeit nicht dadurch Genüge getan, daß eine endliche Zeichenfolge um immer weitere Zeichen ergänzt wird. In der – laufenden – Produktion käme man auf diese Weise über endliche Zeichenfolgen nicht hinaus. Nun nimmt das mit der Produktion immer größerer Zeichenfolgen durch unser Verfahren aber auch kein Ende. Also – so möchte man meinen – schließt das auch die Produktion unendlicher Folgen – in der engeren und eigentlichen Bedeutung dieses Begriffes unendlich – mit ein. Gemeint sind damit Folgen, die nicht erst noch in der– institutionalisierten und insoweit auch zementierten, will heißen deklarierten – Produktion sind, sondern Folgen, die in ihrer ganzen Unendlichkeit schon produziert sind. Das ist einfach auch das Dilemma, in dem man sich in der Charakterisierung von Unendlichem in dessen – natürlicher – Abgrenzung Endlichem gegenüber befindet.

Davon war an anderer Stelle auch schon ausführlich die Rede. Die Frage ist, ob der Produktion von Zeichenfolgen im Vollzug des ganzen Verfahrens auch die Möglichkeit geboten ist, ihre Endlichkeit abzustreifen, um dafür eine Unendlichkeit anzunehmen. Wenn man sieht, wie dieses Verfahren funktioniert, dann sieht man auch, daß dieses fest der Produktion bzw. Fortschreibung endlicher Folgen verhaftet bleibt. Eine notwendige – wenn auch noch nicht zureichende – Bedingung für die Unendlichkeit einer Folge besteht jedenfalls darin, daß die Produktion so einer Folge nur in der ausschließlichen Zuwendung zu dieser – einen – Folge möglich ist. Die Produktion so einer Folge darf nicht ständig durch die Produktion anderer Folgen unterbrochen sein. Die Produktion einer unendlichen Folge darf nicht mit der Produktion einer anderen unendlichen Folge gekoppelt sein. Unter dieser Voraussetzung nämlich wäre das produktive Element für die einzelnen Folgen in einer Weise konstitutiv, die den einzelnen Folgen den Zugang zu Unendlichem notwendig versperrte. Wir könnten Unendliches auf diese Weise nicht mit dem für Unendliches nicht weniger konstitutiven Element des Abgeschlossen-Seins ausstatten.

Die ununterbrochene Produktion ist das eine, der Abschluß dieser Produktion das andere. Beides ist Unendlichem wesentlich. Die Frage ist, inwieweit beiden Bedingungen Genüge getan werden kann dadurch, daß man Unendliches durch ein in Abhängigkeit von den natürlichen Zahlen formuliertes Gesetz der Serie produziert sein läßt, wenn es denn überhaupt auch auf anderem Wege produziert sein könnte. Hat man dann nicht nur die ununterbrochene Produktion sondern auch den – allem – Unendlichen – notwendigen Abschluß dieser Produktion? Notwendige Voraussetzung dafür ist, daß dieses Gesetz der Serie auch ausschließlich ein Gesetz der Serie einer einzigen unendlichen Folge allein ist. Einem Gesetz der Serie folgt auch das Verfahren zur Darstellung bzw. Produktion aller natürlichen Zahlen selbst. Es ist dies ein Gesetz der Serie für alle dabei produzierten Zeichenfolgen zugleich. Es läßt sich diesem Verfahren nur nicht auch ein Gesetz der Serie für die einzelne – endliche – Zeichenfolge entnehmen. Dafür liegt mit diesem Verfahren auch ein Verfahren vor, daß sich die – systematische – Produktion aller endlichen Zeichenfolgen beliebiger Länge zugleich angelegen sein läßt.

Das ist etwas, was man in mathematischen Dingen so nicht immer auch hat, wenngleich in vielen Dingen gerade so etwas gefragt wäre. Man möchte dann einfach über die Elemente einer ganzen mathematischen Klasse bzw. Kategorie nicht nur vereinzelt, sondern in der Gesamtheit dieser Klasse bzw. Kategorie informiert sein. Denken wir dabei nur an die Menge der irrationalen Zahlen, die sich einer systematischen Behandlung entziehen. Das hat einfach damit zu tun, daß das Verfahren zur Produktion der unendlich vielen endlichen Zeichenfolgen nicht auch für die Produktion auch nur einer einzigen unendlichen Zeichenfolge gut ist. Dieses Verfahren wäre aber nun einmal auch die einzige Möglichkeit, die uns an eine systematische Behandlung irrationaler Zahlen denken lassen könnte. Das Verfahren zur Produktion aller endlichen Zeichenfolgen müßte in gleicher Weise auch für die Produktion aller unendlichen Zeichenfolgen ergiebig sein, einfach weil es auch das einzige Verfahren ist, das systematisch auch an alle diese unendliche Zeichenfolgen heranführt.

Irrationale Zahlen erschließen sich uns nur implizite als Grenzwerte von Folgen bzw. Reihen, wobei der – mitunter aufwendige – Nachweis der Irrationalität des Grenzwertes so einer Folge bzw. Reihe bekanntlich immer auch noch eigens geführt werden muß. Wir sind natürlich weit davon entfernt, auf diesem Wege je an die Gesamtheit der irrationalen Zahlen herangeführt werden zu können. Die Erweiterung der Menge der rationalen Zahlen zur Menge der reellen Zahlen ist einfach nicht in der Weise konstruktiv, wie die Erweiterung der Menge der natürlichen Zahlen zur Menge der ganzen Zahlen bzw. der Menge der ganzen Zahlen zur Menge der rationalen Zahlen konstruktiv ist.

Nun wissen wir andererseits aber auch, daß man die Frage der Erweiterung einer Menge nicht von der Frage der Darstellung – der Elemente – dieser Menge trennen kann. Die Erweiterung als solche mag nicht konstruktiv in der engeren Bedeutung dieses Begriffes konstruktiv sein; die Darstellung irrationaler Zahlen sowie auch der operative Umgang mit diesen Zahlen muß sich in der Darstellung jedoch konstruktiv aus der Darstellung rationaler Zahlen und der darauf – natürlicherweise – gegebenen Verknüpfungen ableiten lassen. Die Lücke, die diesbezüglich vom System der Darstellung rationaler Zahlen noch offen gelassen ist, ist gegeben durch die Menge aller unendlichen, nicht-periodischen b-al-Brüche, und diese Lücke wird denn auch vollständig von den irrationalen Zahlen ausgefüllt. Das folgt einfach aus der Konvergenz von b-al-Brüchen in R. Beweisen läßt sich so etwas nicht. So etwas läßt sich nur per Axiom – per Vollständig-keitsaxiom – sicherstellen. Geklärt ist dann zugleich aber auch – und wir wiederholen uns in dieser Feststellung – wie der Grenzwert so einer unendlichen Zeichenfolge aussieht. Alle diese Zeichenfolgen sind sich selbst Grenzwert. Für Grenzwerte ist das eher etwas ungewöhnlich. Für gewöhnlich werden aber auch Folgen und ihre Grenzwerte unabhängig von irgendwelchen Darstellungsfragen behandelt.

Die Frage der Darstellung von Zahlen ist ohnehin kein genuin mathematisches Anliegen. In den einschlägigen Analysis-Lehrbüchern wird dazu im allgemeinen auch nichts gesagt. Die – axiomatische – Begründung der reellen Zahlen wird in den Lehrbüchern für gewöhnlich ohne abschließenden Existenz- bzw. Eindeutigkeitsbeweis angeboten. Es wird also insbesondere auch nicht gesagt, wie man sich – alle – reellen Zahlen dargestellt denken kann. Es wird also im allgemeinen auch nicht auf die Möglichkeit der Bruchdarstellung rationaler wie irrationaler Zahlen eingegangen. Es ist nicht einmal so, daß immer und überall auch die Notwendigkeit gesehen würde, die – anderweitig bereits als gegeben vorausgesetzten – natürlichen Zahlen als natürliche Teilmenge der gerade begründeten reellen Zahlen nachzuweisen. Von der Identifizierung der natürlichen Eins mit der reellen Eins wird vielfach einfach ganz stillschweigend ausgegangen.

Es gibt diesen Ansatz, wonach in den natürlichen Zahlen einfach die kleinste Teilmenge von  gesehen wird, für welche gilt: 1. ; 2. Ist   so auch .[92] Bei der genannten Eins kann natürlich nur die reelle Eins gemeint sein. Zugleich wird in diesem Ansatz von einem Verständnis der natürlichen Zahlen als derjenigen Menge, die durch fortgesetzte Addition 1 „erzeugt“ ist, ausgegangen. Das kann man – wie wir wissen – tun, wenn sich dieser Prozeß innerhalb einer bereits etablierten Menge abspielt, in der sichergestellt ist, daß auch immer wieder addiert werden kann. Außerhalb einer bereits begründeten Menge wäre so etwas kein mögliches Verfahren zur Etablierung der Menge der natürlichen Zahlen. Man kann die natürlichen Zahlen nicht einfach als diejenige Menge charakterisieren und qualifizieren, die in ihren einzelnen Elementen aus einer Summe von Einsen in jeder nur möglichen Anzahl besteht. Man müßte dann schon auch wissen, wie so eine Summe zu einer – einzigen – Zahl zusammenzufassen ist, und man müßte dazu wiederum auch wissen, welches jeweils die Anzahl von Einsen ist, die zu einer solchen Zahl zusammengefaßt sein soll. Es stellt sich uns dann einfach das Problem der – kommunikativen – Darstellung natürlicher Zahlen. Als Summe von Einsen läßt sich eine natürliche Zahl – operativ – darstellen, nicht aber auch in ihrem Zahlenwert – statisch – identifizieren.

 



[89] Siehe dazu, H. Meschkowski, Zahlen, S. 97 f.

[90] Siehe dazu O. Forster Analysis 1 § 6 Quadratwurzeln, S. 34 ff.

[91] Das ist im übrigen auch die Vorstellung, von der D. Hilberts Interpretation des Begriffes Vollständigkeit der reellen Zahlen bestimmt ist. Siehe dazu D. Hilbert, Grundlagen der Geometrie, Zürich, 1962, S. 53, 18 . (Satz der Vollständigkeit). Es ist nicht möglich, dem System der Zahlen ein anderes System von Dingen als Zahlen hinzuzufügen, so daß auch in dem durch Zusammensetzungen entstehenden System bei Erhaltung der Beziehungen zwischen den Zahlen die Sätze I – 17 sämtlich erfüllt sind; oder kurz: die Zahlen bilden ein System von Dingen, welches bei Aufrechterhaltung sämtlicher Beziehungen und sämtlicher aufgeführten Sätze keiner Erweiterung mehr fähig ist.

[92] Siehe dazu Th. Bröcker, Analysis 1, S. 13.