2.3.6 Die natürlichen Zahlen und das Modell geordneter Anzahlen

 

I. - Rationale Zahlen sind in ihrer konkreten Darstellung festgelegt, sobald man sich in der konkreten Darstellung natürlicher Zahlen festgelegt hat. In ihrer konkreten Darstellung folgen die natürlichen Zahlen einfach deswegen, weil es sich dabei um eine unendliche Menge handelt, notwendig einem bestimmten Verfahren. Dieses Verfahren ist für die Realität „Menge der natürlichen Zahlen“ konstitutiv. Es gäbe keine natürlichen Zahlen, wenn es nicht auch dieses Verfahren gäbe. Dieses Verfahren produziert aus einer vorgegebenen bzw. vorzugebenden endlichen und in Reihenfolge geordneten Menge von Zeichen eine unendliche Serie von endlichen Zeichenfolgen. Durch diese Serie von Zeichenfolgen ist auch alles an allgemeinen Verknüpfungen bestimmt, was in dieser Menge von Zeichenfolgen an Verknüpfungen möglich ist. Für alle diese Verknüpfungen läßt sich auch ein allgemeiner Algorithmus angeben, so daß die Ausführung dieser Verknüpfungen nicht an die explizite Rekonstruktion von – ganzen – Teilen dieser ganzen Serie von Zeichenfolgen gebunden ist. Die Theorie natürlicher Zahlen ist insofern in allen ihren Einzelheiten – materiell – abgesichert. Das gleiche gilt für die aus den natürlichen Zahlen heraus sich sukzessive entwickelnden Zahlbereiche wie die Menge der ganzen bzw. die Menge der rationalen Zahlen. Wir haben für die Theorie jedes dieser Zahlbereiche ein konkretes Modell bzw. – umgekehrt – die Theorie dieser Zahlbereiche ist eine Theorie eines – bzw. des – Modells dieser Zahlbereiche.

Man kann sich allgemein die Frage der Beziehung von Theoriebildung zu Modellbildung stellen. Ist eine Theoriebildung möglich, die nicht zugleich auch Modellbildung ist, bzw. eine solche Modellbildung ermöglicht? Diese Frage stellt sich so aber auch nur bei axiomatischer Theoriebildung, nachdem nur bei dieser vollständig auch von jedem vorgegebenen konkreten Material, so wie es in eine Modellbildung eingehen könnte bzw. müßte, abstrahiert wird. Deswegen auch stellt sich bei Theoriebildungen dieser Art anschließend bzw. abschließend immer die Existenz- bzw. Eindeutigkeitsfrage. Man möchte wissen, ob mit dieser Theorie auch mathematische Realität beschrieben ist, und ob sie gegebenenfalls auch eindeutig beschrieben  ist. Wie aber soll ein solcher Nachweis anders geführt werden als daß mathematische Realität – im Modell – konkret zur Darstellung gebracht wird? Dann muß so eine – hypothetisch oder theoretisch veranschlagte – Realität in ihren einzelnen Elementen einfach materialisiert werden. Was die natürlichen Zahlen anbelangt, möchte man meinen, daß dieser Aufgabe nicht besser nachgekommen werden kann als dadurch, daß man diese Zahlen in – irgendeinem – Modell von Polynom-Darstellung dieser Zahlen anbietet. Jedes solche System genügt den Anforderungen, so wie sie in den einzelnen Axiomensystemen zur Begründung der natürlichen Zahlen formuliert sind. Daß dies die Lösung des Existenz- bzw. Eindeutigkeitsproblems axiomatischer Verfahren sein könnte, daran wird gleichwohl nicht gedacht.

Dabei wäre dies nicht nur die einfachste und bequemste, sondern letztlich auch die einzig mögliche Lösung. Man muß dabei einfach auch sehen, daß die Vorstellung, die wir von den natürlichen Zahlen haben, durch das allgemeine Verfahren zur Produktion bzw. Darstellung dieser Zahlen bestimmt ist. In diesem Verfahren kann – zunächst – auch nur eine unendliche Serie von Zeichenfolgen gesehen werden. Damit sind wir – a priori – nicht notwendig auch schon bei der von jeder einzelnen dieser Zeichenfolgen dargestellten natürlichen Zahl. Jeder dieser Zeichenfolgen gibt uns allerdings umfassend Auskunft über die Position, die sie in der unendlichen Serie aller dieser Zeichenfolgen einnimmt. Jede dieser Zeichenfolgen gibt uns genau Auskunft über die „Anzahl“ der Verfahrensschritte, die im Vollzug dieses Verfahrens gesetzt sein müssen, damit wir in der – von Anfang an aufgenommenen – Serie aller dabei produzierten Zeichenfolgen genau zu dieser einen Zeichenfolge geführt werden.

 Diese Information läßt sich – wie gesagt – jeder einzelnen Zeichenfolge „direkt“ entnehmen. Man braucht dazu keineswegs etwa auch die ganze Reihenfolge dieser Zeichenfolgen bis zu dieser einen Zeichenfolge – explizit – zu rekonstruieren bzw. zu reproduzieren. Natürlich ist uns durch so eine Zeichenfolge dann auch gesagt, wie viele Zeichenfolgen in der ganzen Serie solcher Folgen vor dieser einen Zeichenfolge zu liegen kommen, und d.h. es wird uns gesagt, wie „umfangreich“ diese Teilmenge von Zeichenfolgen ist. Schließlich wird durch jeden Verfahrensschritt in der Produktion der ganzen Serie dieser Zeichenfolgen immer auch – nur – eine neue Zeichenfolge gesetzt.

Alle diese Teilmengen, so wie sie durch die einzelnen Elemente unserer Serie von Zeichenfolgen bestimmt sind, unterscheiden sich ihrem Umfang nach voneinander. Das ist einfach durch die Reihenfolge bedingt, in der diese Zeichenfolgen geordnet sind, und die dann zwangsläufig vor jeder solchen Zeichenfolgen verschieden viele andere Zeichenfolgen positioniert sein läßt. In dieser natürlichen Weise ist durch ein jedes Element einer Menge eine Teilmenge derselben aber auch nur dann ausgezeichnet, wenn diese Menge eine in Reihenfolge geordnete Menge ist. Will man zusätzlich haben, daß uns jedes Element einer solchen Menge auch über die „Anzahl“ der Elemente, die vor diesem Element zu liegen kommen informiert sein läßt, dann wird man – soll diese Menge auch eine unendliche Menge sein – diese Menge nur eine durch unser Verfahren zur Darstellung natürlicher Zahlen produzierte Menge von Zeichenfolgen sein lassen können.

Nun kann man sich fragen, ob so eine Information auch notwendig zu einer natürlichen Zahl dazugehört. Können wir von einer natürlichen Zahl erwarten, daß sie uns auch genau über ihre Position aufklärt, die sie in der Reihenfolge aller dieser Zahlen einnimmt? Wenn wir von einer natürlichen Zahl das voraussetzen, dann können wir diese natürlichen Zahlen – wie gesagt – auch nur durch die aus unserem Verfahren hervorgehenden Zeichenfolgen zur Darstellung bringen. Jedes andere Modell der Darstellung natürlicher Zahlen bleibt dann notwendig hinter den Möglichkeiten einer diesem Verfahren verpflichteten Darstellung zurück. Die Frage ist dann, inwieweit ein diesem Verfahren nicht folgendes System noch Modell der natürlichen Zahlen sein kann. Kann – anders formuliert – jede in Reihenfolge geordnete unendliche Menge für sich beanspruchen, Darstellung der Menge der natürlichen Zahlen zu sein?

In dem, was uns in der Literatur an alternativen Modellen der Menge der natürlichen Zahlen angeboten wird, findet sich diese Menge auf eine schlichte und einfache Reihenfolge reduziert, und d.h. auf eine Reihenfolge, die sich in ihren einzelnen Elementen über die davon jeweils eingenommene Position nicht auch mitzuteilen versteht. Analog den beiden Möglichkeiten der axiomatischen Begründung der Menge der natürlichen Zahlen finden sich in der Literatur zwei solche reduzierte Modelle dieser Menge der natürlichen Zahlen. Das eine dieser beiden Modelle geht von einer unendlichen Menge aus und begründet in dieser Menge eine Reihenfolge von Anzahlen,[68] während das andere Modell Reihenfolge systematisch als Serie von „Ein-Zeichen-Folgen“ entwickelt sein läßt.

Die Menge der natürlichen Zahlen läßt sich bekanntlich zum einen in einer Weise axiomatisieren, die der axiomatischen Begründung der reellen Zahlen darin folgt, daß eine Verknüpfung Addition „+“ und eine Ordnungsrelation „£“ auf einer – zunächst noch völlig unbestimmt gehaltenen – Menge als gegeben vorausgesetzt werden.[69] Es sind die von dieser Addition bzw. Ordnungsrelation geforderten Eigenschaften, die diese Menge dann auch zu einer eindeutig bestimmten Menge werden lassen sollen. Der Nachweis dafür bleibt der Konstruktion eines Modells dieser Menge überlassen.

Das ist natürlich auch bei der den Peano-Axiomen folgenden – anderen – Möglichkeit der Axiomatisierung der Menge der natürlichen Zahlen so. In diesem System wird einfach nur versucht, dem Phänomen Reihenfolge eine operative, funktionale Beschreibung zu geben. Daß in einer Reihenfolge – angefangen von einem ersten Element – immer nur Element auf Element folgt, dem läßt sich durch eine einfache injektive Abbildung, die die Menge aller Reihenglieder zum Definitionsbereich wie auch Bildbereich hat, Ausdruck verleihen. Es wird von diesem Bildbereich auch jeder Punkt angenommen, ausgenommen – natürlich – allein dasjenige Ele-ment, mit dem die ganze Reihe anfängt. Es bereitet auch wenig Schwierigkeiten, ein Modell zu finden, daß diesen Peano-Axiomen genügt. Man darf sich dazu einfach nur (irgend-)ein Zeichen auswählen, und dieses eine Zeichen sukzessive in immer größerer Anzahl zu immer größeren Zeichenfolgen verbinden.

Die Frage ist nur, ob so etwas auch als Modell für die Menge der natürlichen Zahlen dienen kann. Offensichtlich nicht, wenn wir von jedem Element dieses Modells erwarten, daß es von sich aus auch aussagefähig bezüglich der Position ist, die es in der Reihenfolge aller dieser Elemente des Modells einnimmt. Mit dieser besonderen Qualität können uns nur die Elemente eines Modells dienen, das aus einem System von Polynom-Darstellung natürlicher Zahlen hervorgeht. Auch das Modell, das man bezüglich der ersten Variante von axiomatischer Begründung natürlicher Zahlen glaubt entwickeln zu können, kann uns diese Qualität nicht anbieten.[70] Das Verfahren ist dort einfach so, daß man sich eine unendliche Menge vorgibt, um deren Potenzmenge nach Mengen gleicher Anzahl zu ordnen, wobei Mengen von gleicher Anzahl sind, wenn sie sich bijektiv aufeinander abbilden lassen. Als Anzahl einer Menge   wird dann diejenige Menge von Teilmengen von M verstanden, die alle von derselben Anzahl von  sind.

 

 Das ist natürlich schon eine etwas eigenwillige Definition von Anzahl. Sie wird deswegen so getroffen, weil man das gesuchte Modell N der Menge der natürlichen Zahlen einfach aus der Menge der Anzahlen der nichtleeren endlichen Teilmengen von M bestehen lassen möchte. Jede einzelne natürliche Zahl findet sich dann dargestellt durch eine ganze Menge von Teilmengen von M. Damit wird es möglich, Addition und Ordnungsrelation auf dieser Menge von Anzahlen rein mengentheoretisch zu begründen. Eine Anzahl  ist dann definitionsgemäß kleiner gleich einer anderen Anzahl  genau dann, wenn es eine Menge  aus  und eine Menge  aus  gibt mit . Analog wird die Summe zweier Anzahlen  und  definiert als Anzahl der Vereinigung disjunkter Repräsentanten  und . Würde man sich – das wäre die einzig denkbare Alternative – in der Darstellung von Anzahl jeweils nur auf einen Repräsentanten gleichzahliger Teilmengen verständigen, dann könnten diese beiden Definitionen schon nicht mehr in der Weise vollzogen werden. Wir wären vielmehr – was die Ordnungsrelation anbelangt – auf ein Vergleichsverfahren angewiesen, in dem versucht wird, zwei Mengen bijektiv aufeinander abzubilden, nur um festzustellen, daß so etwas nicht möglich ist, weil die eine Menge „mehr“ Elemente enthält als die andere. Die Addition könnte dagegen in gleicher Weise definiert werden, vorausgesetzt, die Mengen, die die einzelnen Anzahlen zu repräsentieren haben, sind zueinander allesamt disjunkt.

In der Auswahl dieser Mengen müßte also recht sorgfältig vorgegangen werden. Bei der alternativen Definition suchen wir uns dagegen diese Mengen im Bedarfsfalle entsprechend aus. Man kann in einer einzelnen Menge von einer bestimmten Anzahl von Elementen immer nur einen bestimmten Repräsentanten von Anzahl sehen. Jede Menge von dieser Anzahl an Elementen kann für sich mit gleichem Recht beanspruchen, diese Anzahl zu repräsentieren. Die Definition wonach zwei Teilmengen M¢ und M² einer Menge M dieselbe Anzahl haben, wenn es eine bijektive Abbildung von M¢ auf M² gibt, ist so, daß dadurch auf der Potenzmenge von M eine Äquivalenzrelation definiert ist, die diese Potenzmenge in eine disjunkte Menge von Äquivalenzklassen zerfallen läßt.

 

II. - Uns ist diese Situation von den rationalen Zahlen her bekannt, von denen eine jede dieser Zahlen innerhalb der Menge der Brüche  durch eine ganze Äquivalenzklasse nach der Äquivalenzrelation  genau dann, wenn ps = qr repräsentiert ist. Bedingt ist diese Äquivalenzrelation von der Kürzungs- bzw. Erweiterungseigenschaft von Brüchen. Division bzw. Multiplikation von Zähler und Nenner eines Bruches durch bzw. mit jeweils derselben Zahl läßt den Wert eines Bruches unverändert. In der Praxis wird natürlich nicht mit Äquivalenzklassen, sondern mit konkreten Repräsentanten derselben gerechnet, wobei man sich der erwähnten Kürzungs- bzw. Erweiterungseigenschaft einfach nach Belieben bzw. Bedarf bedient. Diese beiden Eigenschaften von Brüchen sind auch ein unverzichtbarer Bestandteil des Rechnens mit diesen Brüchen. Natürlich weiß man, daß  ist. Es wäre aber wenig sinnvoll, deswegen auf die Darstellung von  durch beispielsweise  oder  verzichten zu wollen. Dann wäre es schon nicht mehr möglich,  und  beispielsweise – als Brüche – zu addieren. Dazu müssen diese Brüche auf einen gemeinsamen Nenner gebracht, und d.h. dazu müssen diese Brüche erweitert werden.

 

Das Denken in Äquivalenzklassen im Zusammenhang mit rationalen Zahlen ist insoweit nur rein formal. In der Praxis ist von diesem Denken nichts zu sehen. Dort steht jeder Bruch p/q einfach für eine – die durch diesen Bruch dargestellte – ganze bestimmte rationale Zahl. Daß andere Brüche dieselbe Zahl darstellen, das weiß man, das stört aber auch nicht; es hilft vielmehr im Umgang mit diesen Brüchen. Formal – das muß man aber schon auch sehen – kann so ein Bruch p/q nicht einfach der dadurch dargestellten rationalen Zahlen gleichgesetzt werden, wenn – unendlich – viele andere Brüche genau dasselbe tun, und zwar genau dasselbe tun innerhalb ein und desselben Systems von Darstellung natürlicher bzw. ganzer Zahlen. In der Darstellung natürlicher Zahlen haben wir diese Vieldeutigkeit innerhalb ein und desselben Systems von Darstellung nicht. Jede Zeichenfolge aus so einem System steht für genau eine natürliche Zahl. Von System zu System sieht diese Darstellung allerdings ganz verschieden aus, und diese Verschiedenheit überträgt sich dann natürlich auch auf die daraus gebildeten Brüche, so daß jede rationale Zahl nicht nur systemintern über unendlich viele Darstellungen verfügt; es fächert sich vielmehr jede dieser Darstellungen systemabhängig wieder in unendlich viele verschiedene Darstellungen auf.

Ihre Darstellung findet jede rationale Zahl in jedem System von Polynom-Darstellung natürlicher Zahlen also durch eine ganze Äquivalenzklasse von Brüchen. In Äquivalenzklassen von Mengen gleicher Anzahl zerfällt auch die Potenzmenge einer Menge M. Ist diese Menge eine unendliche Menge ist im übrigen auch sichergestellt, daß jede nur mögliche Anzahl von der Potenzmenge dieser Menge auch realisiert ist, und zwar auf unendlich vielfältige Weise realisiert ist. Jede der Äquivalenzklassen, in die diese Potenzmenge von M zerfällt, umfaßt unendlich viele Elemente, und jedes Element steht für diese eine bestimmte Anzahl. Genauso wenig wie man eine rationale Zahl nur durch ein Element allein aus der entsprechenden unendlichen Äquivalenzklasse dargestellt sein lassen könnte, genauso wenig läßt sich die durch eine Äquivalenzklasse der Potenzmenge von M dargestellte Anzahl mit einem einzigen Element so einer Äquivalenzkasse allein identifizieren. Also läßt man jede einzelne Anzahl durch eine ganze Äquivalenzklasse bestimmt und dargestellt sein.

Auf den Umfang so einer Äquivalenzklasse – und das mag bei dieser Definition etwas befremden – kommt es dabei nicht an. Immerhin ist dieser Umfang, der konstruktions- bzw. voraussetzungsgemäß – es wird von einer unendlichen Menge ausgegangen – für jede Äquivalenzklasse notwendig ein unendlicher ist, durch die vorgegebene unendliche Menge bzw. die daraus gebildete Potenzmenge eindeutig bestimmt. Darin – aber auch nur darin – unterscheidet sich diese Konstruktion von der Definition von Anzahl, die Frege in seinen „Grundlagen der Arithmetik“ gibt.[71] Die Konstruktion ist – wie gesagt – die, daß die Potenzmenge einer vorgegebenen unendlichen Menge in Äquivalenzklassen von Teilmengen mit derselben Anzahl von Elementen zerlegt und jede dieser Äquivalenzklassen dann auch mit der dadurch repräsentierten Anzahl identifiziert wird. Des weiteren wird auf dieser Menge von Äquivalenzklassen – wie beschrieben – eine lineare Ordnung sowie eine Addition eingeführt. Diese solcherart konstruierte und mit den zusätzlichen Strukturen versehene Menge wird dann zu einem Modell der Menge der natürlichen Zahlen erklärt. Wie ist diese Modellbildung zu bewerten?

Wenn man auf das Axiomensystem sieht, das dieser Modellbildung zugrunde liegt, dann genügt dieses Modell sicherlich auch allen diesen Axiomen. Die Addition „+“ ist assoziativ und kommutativ, die Ordnung „£“ ist linear und es gilt die Verträglichkeitsbedingung sowie die Wohlordnungseigenschaft, vorausgesetzt die Bezeichnung, die die natürlichen Zahlen in der Formulierung der Verträglichkeitsbedingung erfahren, ist nicht der Bezeichnung aus einem System von Polynom-Darstellung dieser Zahlen entnommen.

Wie die Bezeichnungsweise ist, dazu wird in diesem Axiomensystem nichts gesagt. Den einleitend der Präsentation so eines Systems im allgemeinen vorangestellten Bemerkungen ist allerdings zu entnehmen, daß gerade an eine solche Bezeichnung gedacht ist. So heißt es beispielsweise bei Reiffen/Trapp S. 24: „Es geht uns in diesem Paragraphen darum, die natürlichen Zahlen, also die Zahlen 1, 2, 3, ..., und das Rechnen mit ihnen durch einige wenige übersichtliche Regeln („Axiome“) festzulegen“. Natürlich ergeben diese Axiome auch dann Sinn, wenn in der Formulierung der Verträglichkeitsbedingung nicht an diese „klassische“ Bezeichnungsweise der natürlichen Zahlen gedacht wäre. Dann müßte man das aber auch sagen, bzw. man dürfte einleitend nicht den gegenteiligen Anspruch formulieren. Was das konstruierte Modell der natürlichen Zahlen betrifft, so genügt dieses diesem Anspruch jedenfalls nicht.

Die Feststellung der Gleichzahligkeit von Mengen vermittels einer bijektiven Abbildung zwischen diesen Mengen beinhaltet keineswegs notwendig auch schon die – explizite – numerische Feststellung der – gleichen – Anzahl der Elemente beider Mengen. Es kann auf diese Weise nur festgestellt werden, daß beide Mengen in ihren Elementen von gleicher Anzahl sind; es läßt sich diese Anzahl in diesem System bzw. in diesem Modell von Darstellung nur nicht auch „beziffern“. Will man jemanden zur Kenntnis bringen, von welcher – endlichen – Anzahl eine Menge ist, so läßt sich dieser Aufgabe auch nur dadurch nachkommen, daß man so eine Menge in allen ihren Elementen – explizit-materiell – auch zur Darstellung bringt. Das könnte auch – vorausgesetzt man hat sich auf eine Bezeichnungsweise der einzelnen Elemente verständigt – verbal geschehen, und dann nimmt so eine Reproduktion die Form des Aufzählens an. Läßt sich daraus aber auch eine Vorstellung von Anzahl entwickeln?

 

III. - Jemand dem die „Anzahl“ der Elemente einer Menge auf diese Weise mitgeteilt wurde, könnte, wenn er sich vor dieselbe Aufgabe gestellt sähe, dieser auch wieder nur in eben dieser explizit-materieller Form nachkommen. Wie läßt sich auf diese Weise aber eine Vorstellung von „Anzahl“ vermitteln? Welches ist das Wissen über die Anzahl der Elemente einer Menge, das sich auf diesem Wege vermitteln läßt? Wie immer dieses Wissen auch aussehen mag, es kann in sprachlicher Form nicht weitergegeben werden. Aber auch sich selbst gegenüber wird man das „Wissen“ um die Anzahl der Elemente einer Menge nur realisieren können, indem so eine Menge explizit – Element für Element – „durchgegangen“ wird.

Was kann als Ergebnis am Ende so einer Aktion stehen? Man möchte schließlich wissen, was man erreicht hat, wenn so eine Aktion unter einer bestimmten Zielsetzung erfolgt, und das tun Aktionen schließlich immer. Wenn nun so eine Aktion in eine Vielzahl von Aktionen zerfällt, die allesamt getätigt werden müssen, wenn die ganze Aktion zum Ziel kommen soll, dann muß nach einer Möglichkeit gesucht werden, daß (Teil-) Ergebnis jeder einzelnen Aktion in das Ergebnis der jeweils folgenden Aktion mit hineinzunehmen, so daß am Ende des ganzen Verfahrens sich auch das Ergebnis dieses ganzen Verfahrens einstellen kann. Es hätte wenig Sinn, immer wieder nur das ganze Verfahren „durchspielen“ zu wollen bzw. zu sollen, und dennoch nicht wissen zu können, was das Ergebnis dieses Verfahrens ist, einfach weil wir – um darüber wissen zu können – von diesem Verfahren am Ende des Verfahrens immer wieder auf den Anfang des Verfahrens zurückverwiesen wären, um dieses Verfahren eben noch einmal vollständig durchzuführen.

Das aber ist genau die Situation, vor die wir uns gestellt sehen, wenn Anzahl einfach nur über numerische Äquivalenz bestimmt wäre bzw. sich in der Darstellung nur über ein „Einzelzeichen-Verfahren“ mitteilen könnte, und d.h. ein Verfahren, bei dem Anzahl dadurch festgestellt bzw. mitgeteilt wird, daß eine entsprechende Anzahl von Zeichen explizit-materiell (re-)produziert wird. Eine unter diesen Umständen zu setzende Anzahl von Zeichen können wir dabei auch wieder nur so vorgeben, daß wir diese Anzahl von Zeichen explizit-materiell setzen. Das aber schließt gerade aus, daß wir uns bezüglich irgendeiner – endlichen – Anzahl mitteilen könnten.

Der Begriff „Anzahl“ ist unter diesen Voraussetzungen ein geradezu unmöglicher Begriff, und zwar unmöglicher Begriff nicht deswegen, weil sich mit diesem Begriff kein gültiger Inhalt verbinden ließe, sondern unmöglich deswegen, weil uns unter den gegebenen Umständen die Möglichkeiten fehlen, die einzelnen Anzahlen auch mit einer jeweils nur für diese Anzahlen reservierten sprachlichen Zeichenfolge zu belegen. Es gibt in diesem System einfach keine Sprache für Anzahlen. Die Konstruktion einer bijektiven Abbildung kann uns nur darüber ins Bild setzen, ob Mengen gleichmächtig bzw. numerisch äquivalent sind oder nicht. Sind sie es nicht, kann darüber hinaus auch noch festgestellt werden, welches die größere der beiden Mengen ist. Auf diese Weise läßt sich dann auch ein ganzes System von Mengen – die Potenzmenge einer Menge beispielsweise und insbesondere – der Größe nach ordnen. Wir können nur von keiner einzigen Menge sagen, wie groß sie ist, und d.h. von welcher Anzahl in ihren Elementen sie ist. Das gibt diese Definition von Anzahl einfach nicht her. Daran ändert sich natürlich auch nichts dadurch, daß man alle Mengen von gleicher Anzahl zu einer ganzen Äquivalenzklasse von Mengen zusammenfaßt und diese Äquivalenzklasse eine jeweils ganz bestimmte Anzahl repräsentieren läßt. Was Anzahlen betrifft wird dadurch zusätzlich nichts an Information gewonnen.

Wenn man Anzahl im einzelnen beziffert haben will, und d.h., wenn man Anzahl sprachlich Ausdruck verleihen will, dann hat man sich dazu der Zeichenfolgen eines Systems von Polynom-Darstellung der natürlichen Zahlen zu bedienen. Das ist schlicht und einfach die einzige Möglichkeit, die uns dafür zur Verfügung steht. Dann wird zwar auch mit Zeichen bzw. mit Zeichenfolgen operiert; es sind dies allerdings Zeichenfolgen, die nicht einfach nur bezüglich der Anzahl der darin verarbeiteten Zeichen interessieren, sondern die uns aufgrund ihrer Auswahl bzw. der Reihenfolge, in der sie gesetzt sind, etwas zu sagen haben. Die Information, die sich jedem einzelnen Zeichen entnehmen läßt, besteht dann nicht einfach darin, daß da einfach ein Zeichen neben – möglicherweise auch (noch)– vielen anderen Zeichen ist. Es steht jedes dieser Zeichen vielmehr selbst – bereits – für eine bestimmte Anzahl von Zeichen.

Damit ist dann auch der Weg von den Zeichen zu einer Zeichensprache – und jede Sprache ist Zeichensprache – beschritten. Sprache fängt dort an, wo man Zeichen anderes bezeichnen bzw. darstellen läßt als sich selbst. Wenn alles, was ein Zeichen zu bezeichnen bzw. darzustellen hat, darin besteht, daß mit diesem Zeichen auch nur ein – einziges – Zeichen gesetzt ist, dann ist durch so eine Bezeichnung der Bereich reiner Selbstdarstellung nicht verlassen, unabhängig davon, wie dieses eine Zeichen auch aussehen möge. Wenn wir zwei Mengen auf ihre mögliche numerische Äquivalenz hin überprüfen, indem wir versuchen eine bijektive Abbildung zwischen beiden Mengen zu konstruieren, dann zählt jedes Element der beiden Mengen nur als dieses eine jeweilige ganz bestimmte Element. In eine bijektive Abbildung kann sich jedes Element des Definitionsbereiches wie auch des Bildbereiches nur genau einmal – als dieses eine Element einfach – einbringen.

 Die Konstruktion einer bijektiven Abbildung zwischen Mengen dient in Abzählbarkeits- bzw. Anzahlfragen nur dazu, diese Menge hinsichtlich ihrer möglichen numerischen Äquivalenz zu untersuchen. Einer solchen Abbildung können naturgemäß dann auch keinerlei Information darüber, welches die gegebenenfalls gleiche Anzahl von Elementen auf beiden Seiten ist, entnommen werden. Das wäre nur dann möglich, wenn die eine Menge – in Polynom-Darstellung aus der Menge der natürlichen Zahlen oder einem Abschnitt derselben – vorzugsweise einem mit der Eins beginnenden Abschnitt – besteht. Dann aber auch nur dann läßt sich numerischer Äquivalenz auch die Anzahl der Elemente der jeweils anderen Menge – sei dies der Definitions- oder der Bildbereich der bijektiven Abbildung – entnehmen. Gerade davon aber ist in der Definition von Anzahl, so wie sie dem diskutierten Modell der natürlichen Zahlen zugrunde liegt, nicht die Rede. Wenn es nur um die Feststellung gleicher Anzahl geht – und so versteht sich dieses Verfahren ihrer Anlage nach auch – dann muß es das auch nicht. Man darf dann in der Menge aller dieser Anzahlen nur nicht auch ein Modell der Menge der natürlichen Zahlen sehen. Entwickelt ist damit nur ein Modell einer Reihenfolge, in der alle diese Anzahlen der Größe nach geordnet sind, ohne daß der einzelnen Anzahl zu entnehmen wäre, welches ihre Position innerhalb der ganzen Reihenfolge aller dieser Anzahlen ist. Das kann man nicht, weil man auch nicht weiß, für welche Anzahl von Elementen (einer Menge) die einzelne Anzahl steht. Wir haben dafür in so einem System keine – sprachliche – Bezeichnung. Insofern auch ist das ganze Verfahren rein imaginär bzw. hypothetisch. Und nicht zuletzt auch müßte man eine unendliche Menge, die dann auch in ihre Potenzmenge zerlegt werden könnte, erst einmal haben. Das sollte man – und zwar am Anfang des Verfahrens – schon auch sagen (können). "Es sei M eine unendliche Menge", mit dieser nichtssagenden Floskel ist es dann nicht getan. In der Tat hat man aber auch dann nur die Alternative zwischen den beiden Systemen der Darstellung der natürlichen Zahlen, dem klassisch-regulären System und dem mathematisch-philosophischen Pseudosystem. Anders kommen wir an unendliche Mengen nicht heran, abgesehen – wie gesagt – von der einen oder anderen Modifikation bzw. Reduktion, die sich am klassischen System vornehmen läßt. Mit dem mathematisch-philosophischen Modell selbst läßt sich – naturgemäß (was soll man bei Verwendung nur eines Zeichens anders machen?) – nicht variieren. 

 



[68] Siehe dazu H.-J. Reiffen, H.W. Trapp, Einführung in die Analysis I, S. 49

[69] Siehe ebd. S. 25: 4.1 Definition: Die nichtleere Menge N besitze eine Verknüpfung („Addition“) + und eine Ordnungsrelation  mit folgenden Eigenschaften:

(N,1) Die Addition + ist assoziativ

(N,2) Die Addition + ist kommutativ

(N,3) Die Ordnung  ist linear

(N,4) Für m, n aus N ist  genau dann, wenn es ein l in N gibt mit n = m + l (Verträglichkeitsbedingung)

(N,5) Jede nichtleere Teilmenge von N besitzt (bzgl.  ) ein Minimum (Wohlordnungseigenschaft)

Dann heißt (N, +,  ) der Bereich der natürlichen Zahlen. Die Elemente von N nennen wir „natürliche Zahlen“.

[70] Siehe dazu H.-J. Reiffen/H.W. Trapp, Einführung in die Analysis I, S. 49

[71] G. Frege, Grundlagen der Arithemetik, Darmstadt, 1961, S. 79 f: „Ich definiere demnach:

Die Anzahl, welche dem Begriffe F zukommt, ist der Umfang des Begriffes ´gleichzeitig dem Begriffe F` “.