2.1.2 Zeit und Unendlichkeit

 

I. – Unsere Überlegungen führen uns wieder zurück zu der Frage nach dem Übergang von Endlichem zu Unendlichem. Kann es sein, daß sich dieser Übergang dadurch vermeiden läßt, daß man in der Abfolge der Verfahrensschritte immer nur auf den einzelnen Verfahrensschritt sieht? Kann es mit anderen Worten sein, daß dieser Übergang dadurch umgangen werden kann, daß man nicht auf die – unendliche – Vielzahl von Verfahrensschritten in ihrer Gesamtheit sieht, sondern daß man sich diese Gesamtheit in ihre – unendlich – vielen einzelnen Schritte zerlegt denkt? Das scheint jedenfalls die Lesart zu sein, auf die man sich in der  Darstellung und Interpretation der Menge der natürlichen Zahlen als einer unendlichen Menge verständigt hat. Die Menge der natürlichen Zahlen gilt allein – schon – deswegen als eine unendliche Menge, weil sich endliche Zeichenfolgen beliebig oft ergänzen lassen, ohne daß deswegen die Folgen auch gleich unendliche würden.

 Die Ergänzung einer endlichen Zeichenfolge um ein weiteres Zeichen führt zu keiner unendlichen Zeichenfolge. Das ist bekannt. Auf den einzelnen Verfahrensschritt bezogen, kann sich daran auch nichts ändern, wenn mit diesen Ergänzungen immer weiter fortgefahren wird. Das ist – wie gesagt – auch die Position, die im Verständnis der natürlichen Zahlen als einer unendlichen Menge von Zahlen eingenommen wird. Es wird auf die einzelne natürliche Zahl in der diese Zahl darstellenden Zeichenfolge sowie die Ergänzungen, die solche Folgen immer wieder aufs neue erfahren können, gesehen. Aus dem System endlicher Zeichenfolgen kann man dieser Vorstellung zufolge nicht herausfallen, unabhängig davon, wie oft eine Folge auch ergänzt werden mag. Wenn man – punktuell – immer nur auf die einzelne Folge und die ihr im System aller dieser Folgen folgende Folge sieht, dann besteht nicht nur kein Anlaß, unendliche Folgen in Betracht zu ziehen, es ist vielmehr ausgeschlossen, daß aus dieser Perspektive unendliche Folgen auch nur in Betracht gezogen werden könnten. Dadurch, daß diesen Ergänzungen auch kein natürliches Ende gesetzt ist, scheint es auch völlig berechtigt, von der Menge aller dieser endlichen Fortsetzungen als einer unendlichen Menge zu reden. Endlich könnte diese Menge auch nur genannt werden, wenn es eine Ergänzung gäbe, die eine letzte Ergänzung ist, weil über diese Ergänzung hinaus nicht weiter ergänzt werden kann.

Diese Situation liegt offensichtlich nicht vor. Man sollte sich allerdings schon die Frage stellen, ob die Möglichkeit, daß auch immer wieder ergänzt werden kann, allein schon geeignet ist, Unendlichkeit zu begründen. Wir hatten diese Diskussion bekanntlich im Zusammenhang unserer Zeitanalyse. Die Feststellung dort war die, daß selbst die Gewißheit darüber, die Zeit wäre eine unendliche, nicht ausreichen würde, die Unendlichkeit zeitlicher Prozesse zu begründen, auch wenn solche Prozesse der – unendlichen – Zeit vollständig koextensiv sein könnten. Wenn wir uns beispielsweise vorstellen, daß pro Zeiteinheit jeweils ein Zeichen einer unbeschränkt ergänzungsfähigen Zeichenfolge gesetzt würde, so würde uns das allein noch nicht die Unendlichkeit der dabei entstehenden Folge garantieren können. Die Abhängigkeit von der Zeit ließe uns von dieser Folge immer nur als von einer in der Entwicklung sich befindenden Folge reden, und das allein genügt schon, um der Folge den möglichen Status einer unendlichen Folge notwendig absprechen zu müssen.

Solange sich eine Folge noch in der Entwicklung befindet, ist sie zu jedem Zeitpunkt dieser Entwicklung eine endliche Folge. Zwangsläufig darf damit eine Folge, die eine unendliche Folge sein will, zu keinem Zeitpunkt ihrer Entwicklung abbrechen. Das wäre im übrigen aber noch keine Besonderheit unendlicher Folgen. Auch endliche Folgen können während ihrer Entwicklung nicht abgebrochen werden, soll am Ende dieser Entwicklung die vorgesehene endliche Folge stehen. Das besondere an unendlichen Folgen besteht darin, daß diesen grundsätzlich jede Form von Abbruch fremd zu sein hat, weil Abbruch notwendig den Verlust von Unendlichkeit zur Folge hätte. Wir hätten dann einfach ein letztes Zeichen, auf das kein weiteres Zeichen mehr folgt, was so viel bedeutet, als daß die Folge eine endliche Folge ist. Unendlichkeit verträgt sich also nicht mit Abbruch. Verträgt sich Unendlichkeit aber mit Ende? Das in der Entwicklung einer Folge nicht abgebrochen wird, bedeutet zunächst nur, daß auch immer weiter entwickelt wird.

Ob weiterentwickelt wird, oder nicht, das ist eine Entscheidung, die immer dann zu treffen ist, sobald ein Zeichen gesetzt ist. Dann ist darüber zu entscheiden, ob diesem Zeichen ein weiteres Zeichen folgen soll oder nicht. Wollte man diese Entscheidung vom Zeitablauf in der Weise abhängig sein lassen, daß eine Folge Zeichen für Zeichen im Ablauf der Zeit produziert würde –  was insbesondere auch zu bedeuten hätte, daß für das Setzen jedes einzelnen Zeichens Zeit  benötigt würde – dann könnte auch immer nur soweit produziert werden, soweit die Zeit gerade abgelaufen ist, und d.h., es könnten in diesem Zeitablauf unabhängig davon, wie weit dieser schon fortgeschritten ist, immer nur endlich viele Zeichen gesetzt werden. In der Zeit können mit anderen Worten immer nur endliche Folgen produziert werden. Das wäre auch dann noch so, wenn man diese Produktion der Zeit selbst überlassen könnte, und die Zeit zudem auch als eine unendliche ausgewiesen wäre. Es würde auch dies nämlich nichts daran ändern, daß eine solche Folge in der Zeit immer auch erst produziert werden müßte, und produziert werden könnte sie in der Zeit immer auch nur Zeichen für Zeichen. Damit kommt man zu keinem Zeitpunkt im Ablauf der Zeit über eine endliche Zeichenfolge hinaus

Sehen wir einmal nicht auf Folgen, die in der Zeit produziert werden, sondern auf diese Zeit selbst. Bezogen auf irgendwelche – frei wählbaren – Zeiteinheiten stellt die Zeit in ihrem Ablauf selbst eine Zeitenfolge dar. Ist es nun vorstellbar, daß sich in dieser Zeitenfolge eine Zeit einstellen könnte, von der zu sagen wäre, daß sie in der Summe aller bisher abgelaufenen Zeiten eine unendliche Zeit verkörpert. Eine solche Zeit kann es offenbar nicht geben. Die allgemeine Zeitrechnung ist eine Zeitrechnung in Jahreszahlen. Diese Jahreszahlen werden der Reihenfolge der natürlichen Zahlen folgend beziffert. In der Zeit kann so gesehen auch in der dynamischen Komponente, die wir bei jeder Folge haben – vorausgesetzt die Zeit ist auch eine unendliche – ein sich realisierendes physikalisches Modell der Menge der natürlichen Zahlen gesehen werden. Müßte dann aber aus der Tatsache, daß aus dem Zeitablauf heraus keine unendliche Zeit resultieren kann, auch gefolgert werden, daß die Menge der natürlichen Zahlen keine unendliche Menge sein kann? Unserem Modell zufolge würde durch die Zeitzählung in Jahreszahlen eine bijektive Abbildung zwischen diesen – den Zeitablauf bestimmenden – Zeiteinheiten und der Menge der natürlichen Zahlen begründet werden.

Die Endlichkeit der einen Seite würde notwendig die Endlichkeit der anderen Seite nach sich ziehen und umgekehrt. Sollte es so sein, daß die Zeit bei aller ihrer angenommenen Unbegrenztheit in ihrem Ablauf immer nur eine endliche sein könnte, dann könnte gleiches auch von den natürlichen Zahlen behauptet werden. Was die – endliche – Darstellung jeder einzelnen natürlichen Zahl betrifft entspricht das so auch der Realität. Wie sieht das aber im Unendlichen aus? Kann es sein, daß Zeit immer weiter fortschreitet, ohne daß die abgelaufene Zeit jemals zu einer unendlichen Zeit werden könnte? Auf die Anzahl von Zeiteinheiten – beispielsweise und insbesondere Jahreszahlen – bezogen ist diese Frage zu bejahen. Jahreszahlen finden als natürliche Zahlen ihre Darstellung durch endliche Zeichenfolgen und von diesen Zeichenfolgen gibt es in jedem System der Darstellung natürlicher Zahlen unbegrenzt viele. Jede dieser Zeichenfolgen steht damit auch für eine nur endliche Zeit. Das ist einfach darauf zurückzuführen, daß sich jede endliche Zeichenfolge zu einer noch größeren endlichen Folge ergänzen läßt. Es gibt mit anderen Worten keine größte Zeichenfolge endlicher Länge. Damit ist in der Menge aller dieser Folgen aber schon auch eine gewisse Qualität von Unendlichkeit gegeben, auch wenn die Folgen dieser Menge allesamt endliche Folgen sind. Man kann diese Menge jedenfalls nicht als eine endliche Menge deklarieren. Das könnte man – so wie endliche Mengen definiert sind – mit dieser Menge nur dann tun, wenn eines ihrer Elemente – Elemente, die uns bekanntlich bzw. voraussetzungsgemäß zur Darstellung der natürlichen Zahlen dienen – auch letztes Element in der Reihenfolge aller dieser Elemente wäre. Das aber läßt die Definition dieser Menge nicht zu, die diese Menge alle endlichen Zeichenfolgen, so wie sie in einem System zur Darstellung natürlicher Zahlen Verwendung finden, in sich enthalten sein läßt.

Definitionsgemäß ist diese Menge dann eine unendliche Menge. Endlich ist eine Menge definitionsgemäß dann, wenn sie in ihren Elementen von einer endlichen Anzahl ist, und d.h., wenn diese Anzahl gleich einer natürlichen Zahl ist, was wiederum bedeutet, daß diese Anzahl durch eine der beliebig vielen endlichen Zeichenfolgen, so wie sie zur Darstellung natürlicher Zahlen Verwendung finden – unter Berücksichtigung der Reihenfolge, in der diese Folgen das tun – ausgedrückt werden kann. Bei der Fortsetzung, die diese Folgen immer wieder erfahren können, bedeutet dies auch, daß die Menge der natürlichen Zahlen selbst eine unendliche Menge ist. Das ist einfach Definition so. Gedacht ist bei diesen Fortsetzungen allerdings nur an endliche Fortsetzungen. Unendliche Zeichenfolgen stellen in keinem System der Darstellung natürlicher Zahlen eine mögliche natürliche Zahl dar. Natürliche Zahlen finden in solchen Systemen ausschließlich ihre Darstellung in bzw. durch endliche Zeichenfolgen. Wenn man nur auf das Verfahren sieht, das systematisch aus einigen wenigen in Reihenfolge geordneten Zeichen alle diese – natürliche Zahlen darstellenden – Zeichenfolgen hervorbringt, dann – so scheint es – ist dieses Verfahren  dazu nur in der Lage, wenn man es auch alle unendlichen Zeichenfolgen produzieren läßt. So gesehen sollte sich die Produktion unendlicher Zeichenfolgen nicht von der Produktion unbegrenzt vieler endlicher Zeichenfolgen trennen lassen. Müssen, um unendlich viele endliche Zeichenfolgen produzieren zu können, auch unendliche Zeichenfolgen produziert sein? Ein "Abdriften" in unendliche Zeichenfolgen müßte jedenfalls verfahrensbedingt blockiert sein, wenn es denn zu solchen Zeichenfolgen nicht auch soll kommen können. Eine Zeichenfolge um immer weitere Zeichen ergänzt führt – formal gesehen – im Ergebnis notwendig zu einer unendlichen Zeichenfolge.

 

II. - Allein dadurch, daß endliche Folgen immer nur weiter fortgeschrieben werden, bekommt man – allerdings – noch keine unendliche Menge von – endlichen – Folgen, solange man dabei dem Verfahrensfortschritt Verfahrensschritt für Verfahrensschritt verhaftet bleibt. Einmal mehr hat sich das aus einem Vergleich mit dem konkreten Zeitablauf ergeben. Wie lange Zeit auch (an-)dauern mag, es kann sie nur in einer endlichen Ausführung geben. Das gilt in gleicher Weise auch für die Produktion fortgeschriebener bzw. fortzuschreibender endlicher Zeichenfolgen, wenn der Reflexionsstandpunkt der des Produktionsgeschehens selbst ist. Solange produziert wird, und während produziert wird, wird und kann nur Endliches produziert werden bzw. produziert sein. Die Frage ist nur, wo dann Unendlichkeit ins Spiel kommt, gilt doch die Menge – systematisch – fortgeschriebener endlicher Folgen als eine unendliche Menge. Das Dilemma in dieser Frage besteht einfach darin, inwieweit man eine Produktion, der von Natur aus ein Abschluß fremd ist, für abgeschlossen erklären kann.

Diesen Abschluß benötigt man, soll eine Produktion auch Unendliches zum Ergebnis haben, weil während eines laufenden Verfahrens Unendliches sich allenfalls in der Entwicklung befinden, keinesfalls aber auch schon produziert sein kann. Auch eine unendliche Menge von endlichen Zeichenfolgen kann allenfalls am Ende einer ständigen, nicht-endenden  Fortschreibung endlicher Zeichenfolgen stehen.

Entwicklung allein tut es in diesen Dingen nicht. Das haben wir ganz eindeutig auch bei der Zeit gesehen, die sich naturgemäß immer in Entwicklung befindet, ohne daß sich dieser Entwicklung etwas Unendliches verbinden könnte. Das gilt unabhängig davon, ob die Zeit – nachgewiesenermaßen vielleicht sogar, wie immer man sich das auch soll vorstellen können – eine unendliche ist oder nicht. Es reicht also nicht, daß sich etwas ständig wiederholen könne, damit dieses Sich-Ständig-Wiederholende zu einem Unendlichen erklärt werden könne. Solange der – explizit-materiell geführte  – Prozeß des Wiederholens andauert, dauert dieser Prozeß in der Zeit an, und kann damit in der Anzahl der aktuell-materiell  vollzogenen Wiederholungen immer nur ein endlicher sein. Das gilt – wie gesagt – in gleicher Weise auch für die Fortschreibung von Zeichenfolgen, so wie sie beispielsweise und insbesondere zur Darstellung natürlicher Zahlen Verwendung finden. Solange sich solche Folgen in der Fortschreibung befinden, können sie aus dem Status endlicher Folgen nicht heraustreten. Es kann dann immer nur eine endliche Folge auf eine endliche Folge folgen. Hat das aber zu bedeuten, daß es auf diesem Wege nie zu einer unendlichen Folge kommen kann? Also, wenn man unter einer unendlichen Zeichenfolge eine Folge versteht, die in der Anzahl der in ihr gesetzten Zeichen jede endliche Anzahl von Zeichen schon immer überschritten hat, dann ist zu sagen, daß durch fortgesetztes Ergänzen um jeweils ein weiteres Zeichen aus einer endlichen Folge keine unendliche Folge entstehen kann. Es würde im Vollzug dieses Verfahrens immer nur endliche Folge an endliche Folge gereiht.

Das ist die Situation, wie sie sich uns darstellt, wenn man nur auf das laufende Verfahren und das, was dabei mit jedem Verfahrensschritt erreicht wird, sieht. Egal, zu welchem Zeitpunkt man sich in dieses Verfahren einblendet, wir werden uns nur in die Produktion endlicher Folgen einblenden können. Welche endliche Folge gerade produziert wird, das läßt sich einfach der zuletzt produzierten endlichen Folge entnehmen. In einem System von „Ein-Zeichen-Folgen“, so wie es bislang auch Gegenstand unserer Überlegungen war, geht jede Folge aus der vorhergehenden Folge durch ein ergänzendes weiteres Setzen dieses einen Zeichens hervor. Das ganze Verfahren ist insofern immer nur mit der Produktion endlicher Folgen beschäftigt.

Die Produktion unendlicher Folgen findet im Verfahrensablauf nicht statt. Alles, was man diesbezüglich sagen kann ist dies, daß die Folgen im Verlauf dieses Verfahrens immer länger, und d.h. – wenn man so will – zunehmend unendlicher werden. Die in diesem Verfahren fortgesetzter Ein-Zeichen-Folgen einzig denkbare unendliche Folge steht dagegen – als Grenzwert dieses Verfahrens – außerhalb der Reichweite dieses Verfahrens, unabhängig davon, wie lange dieses Verfahren mit der Produktion solcher Folgen auch beschäftigt sein mag. Dadurch, daß immer nur Zeichen für Zeichen bzw. Zeichen an Zeichen gesetzt wird, können immer auch nur endlich viele Zeichen gesetzt werden. Das jeweils zuletzt gesetzte Zeichen ist das – vorläufig – immer auch letzte gesetzte Zeichen. Jedes solche Zeichen schließt die ganze Reihe zuvor gesetzter Zeichen ab. Das kann dann auch so bleiben, und in unserem System fortgesetzter „Ein-Zeichen-Folgen“ bleibt das – zunächst – auch so. Jedes zusätzlich gesetzte Zeichen begründet eine neue Zeichenfolge, die – sofern die ganze Folge mit jedem zusätzlich gesetzten Zeichen immer auch von vorne und d. h. von Anfang an aufgenommen wird. getrennt dann in der Menge aller dieser im Vollzug dieses Verfahrens gesetzten Zeichenfolgen geführt wird. Jeder einzelne Verfahrensschritt führt mit anderen Worten in diesem Verfahren auch zu einem neuen Element in dieser Menge von Zeichenfolgen.

Mit jedem neu gesetzten Zeichen ist also alles, was zuvor an Zeichen gesetzt wurde, neu aufzunehmen. Schließlich sollen alle aus diesem System hervorgehenden Zeichenfolgen Darstellung der Menge der natürlichen Zahlen sein. Jede einzelne Zeichenfolge dieses Systems muß dann – damit es auf diese Weise auch zu unendlich vielen verschiedenen (endlichen) Zeichenfolgen kommen kann, so wie wir sie zur Darstellung der unendlichen Menge natürlicher Zahlen auch benötigen – bevor sie um ein weiteres Zeichen ergänzt wird, wieder von vorne aufgenommen werden. Die in der Literatur angebotenen Modelle der natürlichen Zahlen sind alles Varianten dieses Systems von „Ein-Zeichen-Folgen“. In der Praxis finden die natürlichen Zahlen allerdings ihre Darstellung nicht in „Ein-Zeichen-Folgen“, sondern in dem allenthalben gebräuchlichen Dezimalsystem. In diesem System wird auch mit – ausschließlich – endlichen Zeichenfolgen gearbeitet, nur daß diese Zeichenfolgen sich systematisch in optimaler Weise mehrerer verschiedener Zeichen bedienen, was zur Folge hat, daß in diesem System eine Zeichenfolge aus einer anderen Zeichenfolge nicht einfach durch ergänzendes Setzen eines weiteren Zeichens hervorgeht. In so einem System wird vielmehr auch auf den Austausch von Zeichen – bei gleichbleibender Zeichenlänge – gesetzt. Nichtsdestoweniger finden sich alle diese Zeichenfolgen auch in einer Reihenfolge geordnet. Daß man sich in der Darstellung natürlicher Zahlen eines Systems von Polynom-Darstellung wie dem Dezimalsystem bedient, liegt einfach an der kommunikativen Qualität so eines Systems. Nur in der Sprache so eines Systems kann man sich mit diesen Zahlen über diese Zahlen austauschen. Von dieser Qualität wird zwangsläufig in allen Systemen, die sich nur eines einzigen Zeichens bedienen, abstrahiert.

Die natürlichen Zahlen sprechen ihre ganz eigene, natürliche Sprache. Es ist wenig sinnvoll, diesen Zahlen diese Sprache zu nehmen, bloß um anschließend wieder nach einer Sprache für diese Zahlen zu suchen. In der Philosophie der Mathematik wird – was die Behandlung der natürlichen Zahlen anbelangt – aber genau so verfahren. Das gilt auch für jedes – mathematische – Axiomensystem für diese Zahlen. Es reicht keine dieser künstlich konstruierten Sprachen bzw. keines dieser formal-abstrakten Axiomensysteme an die Realität der natürlichen Zahlen heran. Die natürlichen Zahlen lassen sich nun einmal nur in der ihr eigenen Sprache verstehen. Die Sprache der natürlichen Zahlen ist die Sprache des Verfahrens, aus dem unter Verwendung verschiedener Zeichen in Reihenfolge die unendlich vielen endlichen Zeichenfolgen hervorgehen, so wie sie zur Darstellung der Menge der natürlichen Zahlen Verwendung finden. Eine in Reihenfolge geordnete – und zumindest auch nicht-endliche – Menge ist auch das System von Ein-Zeichen-Folgen. Insofern könnte – schon auch – daran gedacht werden, in diesem System ein Modell der Menge der natürlichen Zahlen zu sehen, auch wenn man nicht sagen kann, daß in diesem Modell die einzelne natürliche Zahl auch als einzelne natürliche Zahl identifiziert bzw. gelesen werden könnte. Das können diese Zahlen nur in einem System von Polynom-Darstellung. Gemeinsam ist beiden Systemen nur, daß die Produktion der Zeichenfolgen eines jeden dieser Systeme jeweils einem Gesetz der Serie folgt.

 

III. - Das Besondere an solchen Gesetzen besteht darin, daß man diese einfach ausführen lassen kann, wozu sie ihrem Gesetzescharakter nach auszuführen in der Lage sind. Man kann solche Gesetze einfach in den Vollzug setzen, ohne dafür mehr tun zu müssen, als diesen Vollzug einfach für vollzogen zu erklären. Diese Erklärung dient insoweit aber auch nur persönlichen Zwecken. Es wird durch eine solche Erklärung nicht vollzogen, was nicht schon immer – im Ergebnis – vollzogen wäre. Die Addition zweier Zahlen beispielsweise steht im Ergebnis immer schon fest, ob wir es uns nun angelegen sein lassen, dieses Ergebnis auch festzustellen oder nicht. Addiert werden können – wie wir wissen – im übrigen auch nur Zahlen in konkreter Darstellung. Abstrakt kann Addition nur angedeutet bzw. veranschaulicht, nicht aber auch ausgeführt werden. An so eine Ausführung kann nur gedacht werden, wenn Zahlen in kon-kreter Darstellung vorliegen, und konkret finden Zahlen ihre Darstellung in – in Reihenfolgen geordneten – (Zahl-)zeichenfolgen, so daß die Ausführung mathematischer (Zahl-)operatio­nen eine Übung im  gegliederten und geordneten  Umgang mit – linear (an-)geordneten – (Zahl-)zeichenfolgen ist. Die Nützlichkeit des Rechenschiebers in früheren Zeiten erklärt sich von daher.

Mathematische Verknüpfungen können also deswegen immer schon als ausgeführt gedacht werden, weil die Zeichenfolgen, die der Darstellung von Zahlen dienen und mit denen diese Verknüpfungen – explizit-materiell – allein auch vorgenommen werden können,  immer schon als vollständig entwickelt vorausgesetzt werden dürfen. Deswegen liegt das Ergebnis so einer Verknüpfung immer schon auch vor. Das wiederum verdanken wir einem Verfahren, das vorgibt, wie diese Zeichenfolgen Folge für Folge zu entwickeln sind, und das, indem es dies tut, alle diese Folgen auch immer schon entwickelt sein läßt. Zeichenfolgen beispielsweise, die man dadurch bekommt, daß ein einziges Zeichen – in Folge – immer öfters gesetzt wird, muß man explizit nicht gesetzt haben wollen, um sich vorstellen zu können, wie es ist, wenn man diese Folgen auch explizit gesetzt haben wollte. Der explizite – materielle – Vollzug beinhaltet gegenüber einer bloß gedachten – ideellen – Ausführung keinerlei zusätzlichen Erkenntnisse. Man weiß, wie das Ergebnis ist, ohne daß man dieses Ergebnis – materiell – auch herbeiführen müßte.

Beliebig viele – und in diesem Sinne auch unendlich viele – Zeichenkönnen als gesetzt gedacht werden, wenn das mit dem Setzen immer weiterer Zeichen nie aufhört. So etwas sollte unser Vorstellungsvermögen auch nicht vor allzu hohen Anforderungen stellen. Einschränkend wäre dazu allerdings zu sagen, daß wir so zu einer Vorstellung von Unendlichem auch nur per ständiger Abgrenzung zu Endlichem finden. Das ist genau das Problem auch, das uns die ganze Zeit schon beschäftigt. Die Frage ist, wie man von Endlichem zu Unendlichem finden kann, wenn sich Unendliches nur aus der Abgrenzung Endlichem gegenüber verstehen läßt. Unendliches wird einfach verstanden als nicht-endendes Endliches. Es findet sich Endliches an Endliches gereiht, es findet sich zudem auch, daß Endliches immer wieder auf Endliches folgt, und somit finden wir, daß wir es mit Unendlichem zu tun haben, obwohl wir immer nur Endlichem begegnen.

Unendliches ist insofern  kein möglicher Gegenstand von Erfahrung. Daß Endliches immer wieder auf Endliches folgt, das kann man sich nicht zeigen lassen, das muß einfach von dem ganzen Verfahren her so sichergestellt sein. Bei der systematischen Fortschreibung von „Ein-Zeichen-Folgen“ ist es – so wie es scheint – das, und bei jedem System von Polynom-Darstellung natürlicher Zahlen ist es das jedenfalls auch. In allen diesen Fällen ist ein Gesetz der Serie formuliert, das uns systematisch in Reihenfolge und in unbegrenzter Anzahl Zeichenfolge auf Zeichenfolge produziert denken läßt bzw. das diese Zeichenfolgen – per Gesetz – schon immer produziert hat. In der Zeit, und d.h., in Abhängigkeit vom Zeitablauf könnte – das wissen wir –auf keinen Fall Unendliches produziert werden, selbst wenn die Zeit eine unendliche wäre. Also besteht die einzige Möglichkeit zur Produktion von Unendlichem darin, sich in dieser Produktion von Zeit dadurch unabhängig zu machen, daß man Unendliches per Gesetz immer schon produziert sein läßt. Wenn es nur um die permanente. Fortschreibung und Fortentwicklung von Zeichenfolgen geht, läßt sich das durchaus in dieser zeitunabhängigen Weise regeln und verstehen. Die ganze Mathematik beruht – gerade – auch darauf.