1.3.5 Die Einbettung der natürlichen Zahlen in die reellen Zahlen
I. - Wir hatten uns mit derjenigen Folge von Zeichenfolgen beschäftigt, die dadurch gewonnen wird, daß ein einzelnes Zeichen in immer größerer – und d.h. auch beliebiger – Anzahl gesetzt wird und uns dabei die Frage gestellt, in welcher Beziehung die alle diese Folgen abschließende unendliche – weil dieses eine Zeichen in nicht begrenzter Anzahl enthaltende – Folge zu den nicht-endlich vielen endlichen – weil dieses eine Zeichen nur in begrenzter Anzahl enthaltenden – Folgen steht. Die Frage war präziser noch die, inwieweit ein Schnitt zwischen allen diesen nicht-endlich vielen endlichen Folgen auf der einen Seite und der einen unendlichen Folge auf der anderen Seite gezogen werden könne. Eigentlich – so war die Argumentation – sollte der präzisen Unterscheidung zwischen endlichen und unendlichen Folgen wegen diese Trennung auch in dieser präzisen Weise vollzogen werden können. Es gibt ein genaues Kriterium dafür, wann eine Folge eine endliche Folge ist und wann nicht.
Von Bedeutung ist diese Frage insofern, als dies eine Frage ist, die sich so nur im Zusammenhang mit der konkreten Darstellung natürlicher Zahlen stellt. Bei – wenn man so sagen kann – formal-abstrakter Darstellung – so wie wir ihr im allgemeinen mathematischen Formalismus begegnen (siehe dazu die Ausführungen am Ende des letzten Abschnittes) – kann es dieses Problem deswegen nicht geben, weil bei so einer Darstellung unterschiedslos alle Zahlen von einer einfachen Darstellung, und d.h. von einer Darstellung vermöge nur eines Zeichens – von Indizierungen einmal abgesehen – sind. Natürlich gilt die Menge der natürlichen Zahlen auch bei abstrakter Darstellung als eine unendliche Menge. Wir haben dort nur nicht diesen Übergang – im Unendlichen – von endlichen Folgen zu einer – oder auch mehreren –unendliche(n) Folge(n) in der Darstellung dieser Zahlen. Das geht im allgemeinen mathematischen Formalismus einfach unter. Man weiß dort auch davon nichts – und braucht davon auch nichts zu wissen, daß sich unendliche Mengen wie die Menge der natürlichen Zahlen nicht per Einzelzeichen darstellen lassen, sondern daß es dazu eines Gesetzes der Serie bedarf. Notwendig ist dadurch eine zusammengesetzte Darstellung bedingt. Davon war vorhin schon ausführlicher die Rede.
Bei abstrakter Darstellung ist unterschiedslos jede natürliche Zahl von einer einfachen Darstellung. Bei konkreter Darstellung dagegen ist jede natürliche Zahl – abgesehen von einigen ersten natürlichen Zahlen – von einer zusammengesetzten Darstellung, und zwar endlichen zusammengesetzten Darstellung. Unendliche Zeichenfolgen stellen keine natürlichen Zahlen dar. Solche Zeichenfolgen können einfach nicht als natürliche Zahlen gelesen werden. Die ganze Vorstellung der natürlichen Zahlen ist getragen vom Anzahlbegriff, der seinerseits wiederum von der Operation des Abzählens herrührt. Anzahl wird durch Abzählen festgestellt. Und man hat dabei immer auch zu einem Ergebnis zu kommen. Von der Anzahl der Elemente einer unendlichen Menge spricht man nur im übertragenen Sinne. Nur endliche Anzahlen sind auch echte bzw. eigentliche Anzahlen. Und solche Anzahlen finden ihre Bezeichnung dann auch – nur – in endlichen Zeichenfolgen.
Ganz deutlich kommt das mit dem Anzahlbegriff und der damit eng verbundenen Vorstellung des Abzählens in dem in Mathematik und Philosophie gebräuchlichen Ein-Zeichen-Modell der natürlichen Zahlen zum Vorschein. Dargestellt wird in diesem Ein-Zeichen-System nach der Methode: „Ein Zeichen zusätzlich für jede zusätzliche natürliche Zahl“. Es läßt sich – systemintern bzw. systemimmanent – nur nicht sagen, von welcher Länge die einzelne Zeichenfolge ist, und d.h., in welcher Anzahl eine Zeichenfolge dieses eine Zeichen enthält. Die sprachlichen bzw. kommunikativen Möglichkeiten dieses Systems reichen nicht hin, um uns dieses zu sagen. Darauf kommt es im Augenblick auch nicht an. Wir machen uns im Augenblick nur die Vorteile einer „vereinfachten Darstellung“ natürlicher Zahlen durch Ein-Zeichen-Folgen zunutze. Eine solche vereinfachte Darstellung läßt uns den Übergang von Endlichem zu Unendlichem innerhalb dieser Zeichenfolge doch recht überschaubar erscheinen. Es gibt in diesem ganzen System von Darstellung nämlich nur eine einzige unendliche Zeichenfolge.
Alles in diesem System von Darstellung steuert notwendig auf diese eine unendliche Folge zu. Sie tut das – ausschließlich – auf dem Wege endlicher Zeichenfolgen. Von daher erfährt – natürlich – die Frage des Übergangs von diesen endlichen Zeichenfolgen zu dieser einen unendlichen Zeichenfolge ein besonderes Interesse. Abrupt kann der Übergang nicht sein. Was aber könnte man sich unter einem fließenden Übergang vorstellen? Wäre die Menge der endlichen Zeichenfolgen ohne diese eine unendliche Zeichenfolge unvollständig, obwohl sie zu dieser Menge nicht dazugehört? An sich sollte diese Menge schon auch für sich genommen eine unendliche Menge sein (können). Jede endliche Zeichenfolge kann immer noch um ein weiteres Zeichen ergänzt werden, ohne jemals mit einer Zeichenfolge rechnen zu müssen, die eine solche Ergänzung nicht mehr zuläßt, und d. h. die nicht mehr weiter ergänzt werden könnte, ohne daß die Zeichenfolge aufhören würde, eine endliche Zeichenfolge zu sein. Die Ergänzung einer Zeichenfolge um immer weitere Zeichen macht in der Sukzessivität des Verfahrens mit anderen Worten aus einer endlichen keine unendliche Folge. Wie aber kommt man dann zu einer unendlichen Folge, wo doch bei keiner Folge von dem Nacheinander der Folgenglieder abstrahiert werden kann?
Es kann bei keiner Folge von den dynamisch-prozessualen Element der Produktion einer Folge Folgenglied für Folgenglied abgesehen werden, und es kann davon bei unendlichen Folgen noch weniger als bei endlichen Folgen abgesehen werden. Bei unendlichen Folgen hört das mit dem Nacheinander der Folgenglieder – im Gegensatz zu endlichen Folgen – nämlich nie auf. Nichtsdestoweniger stellen wir uns unendliche Folgen gerade dieser ihrer Unendlichkeit wegen immer schon auch als vollendet vor. Eine unendliche Folge, die uns mit dieser Vollendung nicht dienen könnte, wäre eine Folge, die noch in der Entwicklung ist, und solange sie noch in der Entwicklung ist, könnte sie – aktuell – immer nur eine endliche sein. Solange das Verfahren läuft, läuft das Verfahren immer nur über endliche Folgen. Also hat eine unendliche Folge die Vollendung bzw. den Abschluß dieses Verfahrens zur notwendigen Voraussetzung. Wie aber verträgt sich das mit der vorhin gerade festgestellten prozessualen Unabgeschlossenheit unendlicher Folgen?
II. - Den Ergänzungen einer Zeichenfolge um immer weitere Zeichen ist prinzipiell keine Grenze gesetzt. Im Verfahrensfortschritt kommen wir dabei nur nicht über endliche Folgen hinaus. Es käme dazu im übrigen auch nicht, wenn wir solche Ergänzungen unendlich oft, und d.h., ohne eine letzte Ergänzung vornehmen würden. Solange wir uns dabei dem prozessualen, sukzessiven Setzen Zeichen für Zeichen verpflichtet fühlen, kann es – unabhängig davon wie lange wir das (schon) tun bzw. wie viele Zeichen wir dabei setzen resp. schon gesetzt haben – zu keiner unendlichen Zeichenfolge kommen. Endliches um Endliches ergänzt gibt immer – wieder – nur Endliches. Das gilt insbesondere bei Ergänzung Zeichen für Zeichen. Zu unendlichen Ergänzungen kann es nur kommen, wenn auch Unendliches – auf einmal – ergänzt würde. Solange nur Endliches zu Endlichem ergänzt wird, bleibt es auch bei Endlichem, unabhängig davon, wie oft Endliches ergänzt wird. Noch aber haben wir Unendliches nicht zur Verfügung, so daß sich unendliche Ergänzungen – in einem Stück – verbieten. Wenn man über endliche Ergänzungen nicht zu Unendlichem kommt, wie kann man dann aber zu Unendlichem kommen, wenn Unendliches nicht auf einmal ergänzt werden kann, weil Unendliches noch nicht zur Verfügung steht? Soll es also Unendliches geben können, dann muß es eine Möglichkeit geben, dieses Unendliche über Endliches zu erreichen. Wie kann das aber nach dem bisher Gesagten geschehen?
Es ist sicherlich kein Problem, Unendlichkeit einfach in der nichtendenden Verfahrensfortdauer verwirklicht zu sehen. Ein Verfahren, das nicht abbricht – wenn es denn nicht abbricht, was auch erst nachgewiesen werden müßte –, ist in der Anzahl seiner Verfahrensschritte und ist als Verfahren insgesamt ein unendliches bzw. – zurückhaltender formuliert – ein nicht-endliches. Allerdings ist es auch in diesem Fall so, daß die Anzahl der aktuell gerade verwirklichten Verfahrensschritte zu jedem Zeitpunkt eine endliche ist. Also wird das Problem dadurch zu keinem anderen, daß man es von den gesetzten Zeichen bzw. fortgesetzten Zeichenfolgen auf das Verfahren in Form und Gestalt seiner Verfahrensschritte überträgt. Jeder dieser einzelnen Verfahrensschritt ist in sich immer auch ein einfacher Verfahrensschritt. Jeder solche Verfahrensschritt ist genau durch bzw. von einer Aktion vollzogen und Aktionen sind in sich immer etwas Ungeteiltes bzw. sie sind etwas in sich Unteilbares und in dieser Unteilbarkeit hat jede Aktion auch etwas Unendliches an sich. Es ist dies allerdings eine qualitativ andere Form von Unendlichkeit, als wir ihr in der Unendlichkeit von Zeichenfolgen begegnen. In einem Fall haben wir es mit einem kategorematischen, im anderen Fall dagegen mit einem bloß synkategorematischen Unendlichen zu tun.
Das ist die Sprachregelung, wie sie in der Philosophie gepflegt wird. Kategorematisch wird ein Unendliches genannt, wenn es nicht in seine Teile zerfällt bzw. zerlegt werden kann; synkategorematisch heißt ein Unendliches dagegen, wenn es sich nicht aus seinen Teilen zusammensetzen läßt.[30] Das ist genau auch das Problem, das wir im Augenblick mit unseren unendlichen Folgen haben. Die Frage ist, wie läßt sich Unendliches aus Endlichem zusammensetzen, und läßt es sich denn auch aus Endlichem zusammensetzen? Lassen unendliche Zeichenfolgen das nicht mit sich machen, würde das darauf hindeuten, daß deren Unendlichkeit keine synkategormatische, sondern eine kategorematische ist. Das würde dann auch bedeuten, daß eine Konstruktion unendlicher Zeichenfolgen nicht möglich ist. Auch ein Gesetz der Serie könnte uns dabei nicht behilflich sein. Soweit so ein Gesetz durch eine Abbildungsvorschrift formuliert ist, hätte dieses notwendig die Menge der natürlichen Zahlen zum Definitionsbereich. Die Bildfolge könnte damit allenfalls von einer Unendlichkeit sein, wie sie auch den natürlichen Zahlen zu eigen ist. Defizite in der Unendlichkeit dieser Zahlen würden sich notwendig auf jede Bildmenge übertragen. Dem läßt sich auch nicht dadurch begegnen, daß wir von den natürlichen Zahlen nicht in ihrer konkreten Darstellung als Zeichenfolgen, sondern nur in ihrer abstrakten Repräsentation als Buchstaben denken.
Das Problem mit der durchwegs endlichen Darstellung aller natürlichen Zahlen durch Zeichenfolgen bei gleichzeitiger Behauptung der Unendlichkeit der Menge aller dieser Zahlen haben wir dann so nicht. In der Verwendung im allgemeinen mathematischen Formalismus ist jede natürliche Zahl in ihrer abstrakten Darstellung von einer schlichten Einfachheit. Allerdings wird dabei von den natürlichen Zahlen auch wirklich nur abstrakt gesprochen, und d.h., die solcherart bezeichneten bzw. dargestellten natürlichen Zahlen sind ohne jeden konkreten Zahlenwert. Sie sind als natürliche Zahl nicht konkretisiert, identifiziert und realisiert. Unter einer solchen „natürlichen Zahl“ können wir uns mit anderen Worten jede natürliche Zahl vorstellen, sofern der Geltungsbereich der abstrakten Darstellung diesbezüglich nicht gewissen Einschränkungen unterworfen ist. Man kann so etwas natürlich immer auch eingrenzen, indem man sagt, aus welchen Teilmengen wir uns eine abstrakte natürliche Zahl entnommen denken dürfen. Bei der Definition unendlicher Folgen haben wir das nicht. Dort ist die ganze unendliche Menge der natürlichen Zahlen Definitionsbereich der eine solche unendliche Folge begründenden Abbildung, und dort ist in der Abbildungsvorschrift von den natürlichen Zahlen nur in Form und Gestalt der unabhängigen Variablen n die Rede.
Bei einer allgemeinen Abbildungsvorschrift kann von den Elementen des Definitionsbereiches auch nur allgemein die Rede sein. Im übrigen auch können Abbildungen mit unendlichem Definitionsbereich auch nur allgemein formuliert sein. Man kann die Bildpunkte solcher Mengen nicht individuell Element für Element festlegen wollen. Bei unendlichen Mengen blieben solche Festlegungen notwendig immer unvollständig. Zu einer effektiven Abbildung kann es im übrigen auch nur kommen, wenn sowohl Punkt als auch Bildpunkt in konkreter Darstellung vorliegen. Mit abstrakten Symbolen kann bekanntlich nicht gerechnet, und d.h., kann auch nicht abgebildet werden. Mathematische Operationen können abstrakt nur veranschaulicht, nicht aber konkret auch ausgeführt werden.
Man kann abstrakt immer nur auf Allgemeines – für alle Elemente einer Menge gleichermaßen Geltendes – hinweisen. Nur solches also, das unabhängig von der aktuellen Auswahl der Elemente einer Menge gilt, kann abstrakt auch zur Darstellung gebracht werden, und es kann solchem auch nicht besser denn abstrakt Ausdruck verliehen werden. Jede Verwendung konkreter Zahlen zur Formulierung allgemeiner – für alle Zahlen des betreffenden Zahlbereiches geltender – Eigenschaften könnte nur den Eindruck vermitteln, als ob die formulierte Eigenschaft Eigenschaft nur der zur Formulierung verwendeten konkreten Zahlen wäre. Daß allgemeine Eigenschaften – am besten – auch allgemein formuliert werden, setzt natürlich voraus, daß in dieser Formulierung und zu dieser Formulierung auch keine mathematischen Operationen ausgeführt zu werden brauchen. Das nämlich wäre – wie gesagt – nur mit konkreten Zahlen möglich. Also bleibt es bei allgemeiner, abstrakter Formulierung auch bei der Nicht-Ausführung der darin enthaltenen bzw. angedeuteten mathematischen Operationen.
III. - Das könnte zu dem Eindruck verleiten, als ob die formale, abstrakte Mathematik nicht operativ sein könnte. In dem beschriebenen Sinne ist sie es auch nicht. Man kann dazu auch so sagen, daß die formale, abstrakte Mathematik eine strukturelle Mathematik ist, und d.h., eine Mathematik, die sich nur mit den Strukturen auf Mengen bzw. zwischen Mengen beschäftigt, sei es, daß diese Mengen über solche Strukturen erst gesetzt werden, oder sei es, daß diese Mengen mitsamt ihren Strukturen anderweitig bereits vorliegen, um dann zum Gegenstand struktureller Überlegungen und Untersuchungen gemacht zu werden. Letzteres können solche Strukturen aber auch nur aufgrund eines konstruktiven – und konkreter Darstellung verpflichteten – Aufbaues einer Menge, eines Aufbaues, der – dann nicht mit den gewöhnlichen bzw. regulären mathematischen Mitteln und Methoden zu leisten ist. Ist dieser Aufbau dagegen bereits geleistet, kann – zusätzlich – auch noch versucht werden, die bereits vorliegende Menge vollständig über einige ihrer charakteristischen Strukturen bzw. Strukturelemente zu erfassen. Bei der axiomatischen Begründung reeller Zahlen wird genau das auch praktiziert. Allgemein weiß sich jeder axiomatische Ansatz allein den Strukturen einer Menge verbunden bzw. verpflichtet.
In der konkreten Darstellung ihrer Elemente entzieht sich jede Menge notwendig einem solchen Ansatz. Es wird einem bei axiomatischer Begründung der reellen Zahlen nicht gesagt, wie die einzelne reelle Zahl konkret „aussieht“. Darstellungsfragen spielen bei einem solchen Ansatz keinerlei Rolle. Heißt das aber auch, daß auf eine solche Darstellung in der – weiteren – Entwicklung von Mathematik verzichtet werden könnte? Muß man zu so einer Darstellung auch finden können, um auch erfolgreich Mathematik betreiben zu können? Muß man wissen, wie sich die reellen Zahlen darstellen lassen – ganz abgesehen davon, was die reellen Zahlen „sind“ – um mit diesen Zahlen auch umgehen zu können bzw. umgehen zu dürfen? Wenn man sieht, wie die Entwicklung in der Analysis ist, dann sieht man auch, daß sich spätestens bei der Definition von Folgen reeller Zahlen bzw. – mehr noch – bei der daraus sich ableitenden Definition unendlicher Reihen die Frage nach der konkreten Darstellung natürlicher Zahlen stellt. Auf die natürlichen Zahlen in der diesen Zahlen eigenen Reihenfolge und einer diesen Zahlen eigenen Darstellung ist bei unendlichen Reihen explizit im Summationsindex verwiesen, wenn gesagt wird, daß von n = 1 bis summiert wird.
Man kann Folgen nicht als Abbildungen von den natürlichen Zahlen in die reellen Zahlen definieren, wenn nicht zuvor gesagt wurde, was man sich unter den natürlichen Zahlen vorstellen darf. Die in den Lehrbüchern im allgemeinen vertretene Vorstellung ist dabei die, daß man sich die als bereits gegeben und bekannt vorausgesetzten natürlichen Zahlen in die axiomatisch begründete Menge der reellen Zahlen vermöge der Abbildung, die die natürliche Eins 1 dem Eins-Element e der Menge der reellen Zahlen zuordnet, jede andere natürliche Zahl n dagegen auf die Summe abbildet, die aus n gleichen Summanden e besteht, eingebettet denken kann.[31] Diese Abbildung ist injektiv, und sie „respektiert“ die additiven Strukturen. Es macht mit anderen Worten bei der Abbildung einer solchen Summe in die reellen Zahlen keinen Unterschied, ob zuerst addiert und dann erst abgebildet wird, oder ob zuerst abgebildet und dann erst addiert wird.Das gleiche gilt für Produkte und mithin Multiplikationen, wenn man sich die Summe e+e+...+e aus n Summanden e als n e abgekürzt denkt. Zur Berechtigung dieser Schreibweise – in diesem Fall bzw. unter diesen Umständen – wird gleich noch etwas zu sagen sein. Von einer Einbettung erwarten wir jedenfalls, daß sie – auch – die multiplikativen Strukturen auf beiden Seiten "respektiert".
Die Abbildung besitzt somit alle guten Eigenschaften eines Isomorphismus. Sie bettet die Menge der natürlichen Zahlen in die Menge der reellen Zahlen ein. Damit kann das Urbild dieser Abbildung – die Menge der natürlichen Zahlen also – mit dem Bild in der Menge der reellen Zahlen identifiziert werden. Mathematisch betrachtet sind beide Mengen nicht voneinander zu unterscheiden, wenn „mathematisch betrachtet“ heißen soll, daß nur auf die Strukturen der betreffenden Mengen, nicht aber auch auf die – materielle – Ausführung bzw. Darstellung der Elemente der beiden Mengen gesehen wird.
Was die Bildmenge innerhalb der reellen Zahlen anbelangt, so könnte von einer solchen materiellen Ausstattung bzw. Darstellung ohnehin nicht die Rede sein, nachdem diese reellen Zahlen, so wie sie begründet wurden, ohne konkrete Darstellung begründet wurden. Lediglich die Null und die Eins finden in dieser Begründung eine eigene materielle Ausstattung bzw. Darstellung, und genau das macht man sich bei dieser Einbettung der natürlichen Zahlen in die reellen Zahlen zunutze. Die natürliche Eins 1 wird auf die reelle Eins e abgebildet, um alles weitere dann auf Summen zurückzuführen, die in verschiedenster Anzahl nur diese reelle Eins zu Summanden haben. Das kann man tun, ohne in die Verlegenheit zu kommen, diese Summe auch ausrechnen zu müssen.
Die Anzahl, in der diese reelle Eins in einer solchen Summe erscheint, entspricht genau der natürlichen Zahl, deren Bild so eine Summe sein soll. Dann aber bieten sich in natürlicher Weise zwei abkürzende Schreibweisen für eine solche Summe an. Man könnte so eine Summe einfach als entsprechendes Vielfaches von e anschreiben. Statt n Summanden e in einer Summe explizit einzeln alle aufzuführen, faßt man diese einfach zu einem Produkt n e zusammen. Allerdings sollte einem dabei auch bewußt sein, daß in so einem Produkt die Faktoren verschiedenen Zahlenmengen entnommen sind. Aus dieser Verlegenheit kann man sich allerdings dadurch behelfen, daß man das Produkt n e induktiv erklärt bzw. definiert. Das sieht dann einfach so aus, daß – nennen wir unsere „Einbettungs-Abbildung“ mal f – f (n+1) = n e +e gesetzt wird.[32] Diese Summe ist natürlich in definiert, vorausgesetzt, daß n e in definiert ist, das ist aber nach Induktionsvoraussetzung der Fall. Also ist das auch eine Möglichkeit, wie man – formal korrekt – vorgehen kann. Eine andere Möglichkeit der formal korrekten Schreibweise besteht darin, daß man die Summe, die die reelle Eins e n mal zum Summanden hat, mit abkürzt bzw. festsetzt (Siehe O. Forster, Analysis 1, S.15).
Damit würden alle diese Summen auch über eine ganz konkrete Darstellung verfügen. Diese Summen sind jedenfalls alle in definiert, und wie wir Zahlen darstellen, das bleibt bekanntlich uns überlassen. Das ganze müßte nur auch (ein) System haben, und das hat es in diesem Fall der Einbettung der natürlichen Zahlen in die reellen Zahlen durchaus, vorausgesetzt die natürlichen Zahlen verfügen in ihrer konkreten Darstellung über ein solches System. Das müssen die natürlichen Zahlen wohl aber, nachdem die Darstellung unendlicher Mengen nur einem bestimmten System folgend erfolgen kann.
Um die Einbettung der natürlichen Zahlen in die reellen Zahlen, so wie sie beschrieben wurde, vornehmen zu können, muß die Darstellung natürlicher Zahlen zudem auch von dieser operativen Deutung als Summen mit entsprechend vielen Einsen als Summanden getragen sein. Nur auf dieser Grundlage kann dann – wie gesehen – eingebettet werden, indem die natürliche Eins einfach der reellen Eins zugeordnet wird und die Summen entsprechend dann auch analog gebildet werden. Über den bloßen Mechanismus zur Darstellung natürlicher Zahlen, der – ausgehend von endlich vielen in Reihenfolge geordneten Zeichen – uns in geordneter Reihenfolge endliche Zeichenfolgen verschiedenster Länge und verschiedenster Zusammensetzung beschert, könnte eine Einbettung der solcherart dargestellten natürlichen Zahlen in die reellen Zahlen nicht erfolgen.
Bei der axiomatischen Begründung der reellen Zahlen wird von Darstellungsfragen abgesehen. Begründet werden die reellen Zahlen in diesem Verfahren insoweit absolut, und d.h. darstellungsunabhängig. Das gilt auch für die beiden Zahlen, die als einzige in dieser Begründung aufgrund der Bedeutung, die ihnen darin zukommt, explizit namhaft gemacht werden: die Null und die Eins nämlich. Auch diese beiden Zahlen erfahren in dieser Begründung ihre Begründung vermittels der besonderen Beziehung, in der diese beiden Zahlen zu allen anderen reellen Zahlen stehen. Für jede dieser Zahlen ist dabei ein eigenes Axiom – genannt Existenz der Null bzw. Existenz der Eins – reserviert. Natürlich kann diese reelle Eins nicht einfach mit der natürlichen Eins gleichgesetzt werden, spielen die natürlichen zahlen bei der axiomatischen Begründung der reellen Zahlen doch keine Rolle. Es gibt dementsprechend dort auch keine natürliche Eins, auf die man sich dabei bzw. dazu beziehen könnte. Bei der Null kann an so etwas ohnehin nicht gedacht werden, nachdem die Menge der natürlichen Zahlen – im engeren Sinne – keine Null enthält, und d.h. keine Zahl enthält, die sich zu allen anderen natürlichen Zahlen so verhalten würde, wie sich die – reelle Null zu allen anderen reellen Zahlen verhält.[33] Bei der Eins ist das anders. Die allererste natürliche Zahl in der Reihenfolge aller dieser Zahlen verhält sich zu allen anderen natürlichen Zahlen genauso, wie sich die reelle Eins – axiomengemäß – zu allen anderen reellen Zahlen – einschließlich sich selbst – verhält bzw. – per Postulat zunächst, wie das so bei Axiomen ist – zu verhalten hat. Genauso wie für die natürliche Eins gilt auch für die reelle Eins, daß sie in ihrer Menge jeweils auch das einzige Element mit der Eigenschaft der Eins ist. Daraus folgt aber auch sofort, daß eine Einbettung der natürlichen Zahlen in die reellen Zahlen notwendig die natürliche Eins auf die reelle Eins abzubilden hat. In strukturverträglicher Weise – und Strukturen müssen bei Einbettungen definitionsgemäß respektiert werden – ließe sich so etwas anders auch nicht einrichten.
[30] Wir haben diese Assymetrie auch in der Beziehung zwischen Analyse und Synthese auf naturwissen-schaftlichem aber auch auf mathematischem Gebiet. Siehe dazu A. Drexler, Die Aktion und der Kalkül des Unendlich kleinen, Frankfurt am Main, 1995
[31] Siehe dazu O. Forster, Analysis 1, S. 15f
[32] vgl. dazu S. Lang Analysis I, S. 23 f
[33] Diese Feststellung gilt unabhängig davon, daß auf die „Null“ im Mechanismus zur Darstellung bzw. Produktion der Menge der natürlichen Zahlen nicht verzichtet werden kann.