1.2.5 Natürliche Zahlen und die fortgesetzte Addition der Eins

 

I. - Wir haben in der Zeit nicht die Zeit, unendlich viele Zeichen zu setzen, wenn für das Setzen eines jeden Zeichens Zeit beansprucht wird. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn wir das Setzen dieser Zeichen der Zeit selbst überlassen könnten, und die Zeit nachgewiesenermaßen eine unendliche wäre. Nachdem Zeit für das Setzen von Zeichen natürlicherweise auch Zeit benötigt, können von der Zeit in der Zeit auch immer nur endlich viele Zeichen gesetzt werden. Sofern das mit der Zeit und mit dem Setzen von Zeichen in der Zeit durch die Zeit unbegrenzt weitergeht, kommt es auf diese Weise sicherlich auch zur Bildung einer wenn schon nicht unendlichen so doch nicht-endlichen bzw. unendlich-endlichen Folge. Zu dieser Bildung kommt es aber auch nur, wenn wir der Zeit vorgreifen, und uns die Zeichen, die sukzessive im Ablauf der Zeit gesetzt werden, alle schon gesetzt denken. Dazu muß natürlich bekannt sein, was im Ablauf der Zeit von Zeit alles an Zeichen gesetzt würde, wenn man Zeit diese Zeichen alle eines nach dem anderen setzen ließe.

Liegt dieses (Vorher-)Wissen vor, kann man sich die – explizite materielle – (Re-)Pro-duktion sparen, einer Produktion, mit der wir ohnehin an kein Ende kommen könnten, soll es sich dabei auch tatsächlich um eine unendliche Folge handeln. Das Wissen um unendliche Folgen können wir insofern ohnehin nicht der effektiven Produktion einer solchen Folge verdanken. Zwangsläufig nimmt dieses Wissen die Form eines Vorher-Wissens an. Notwendig wird dabei weiterhin auch von aller Zeit abstrahiert. Das Wissen um die Unendlichkeit von Folgen können wir in keinem Fall irgendwelchen Zeitabläufen verdanken. Notwendig setzen wir uns dabei über alle Zeiten hinweg. Wir setzen uns damit gewissermaßen ans Ende aller Zeiten. Unendlichkeit ist nicht allein schon dadurch verbürgt, daß sich etwas immer wieder wiederholt, wenn für diese Wiederholungen effektiv Zeit beansprucht wird. Zu Unendlichem kann es selbst dann nicht kommen, wenn uns – auf welche Weise auch immer – verbürgt sein sollte, daß das mit der Zeit und den Wiederholungen in der Zeit kein Ende nimmt. Die Situation wäre dann die, daß wir zwar um die unendlich vielen Wiederholungen wissen, die sich im Ablauf von Zeit einstellen und die sich dann nicht zuletzt in Bezug auf die Zeit selbst – eine bestimmte Zeiteinheit zugrundelegt – einstellen, daß es zu diesen unendlich vielen Wiederholungen – des Zeitbedarfes im Ablauf von Zeit wegen – selbst aber niemals kommt.

Das wäre die Situation, wie gesagt, unter der Voraussetzung, daß wir um die Unendlichkeit von Zeit wissen. Wie können wir aber von dieser Unendlichkeit wissen? Wir wüßten dann nämlich um eine Unendlichkeit, von der wir zugleich wissen, daß sie nie Unendlichkeit werden kann, einfach weil dem die Zeit, in der die Zeit zur Unendlichkeit heranreifen soll, entgegensteht. In ihrem Ablauf ist und bleibt die Zeit eine endliche. Dadurch, daß Zeit immer wieder aufs neue wird, und nicht einfach in ihrer ganzen Zeit schon ist, kann sich an diesem Status von Zeit auch nichts ändern. Unendlichkeit verlangt auf ihre Weise nach einem Abschluß und damit kann eine Zeit, die immer erst noch wird, nicht dienen. Unendliches kann nur solches genannt werden, das immer schon ist, und dennoch immer erst noch wird. Damit aber kann uns die Zeit nicht dienen, und deswegen auch ist die Zeit keine unendliche. Etwas, das zwar  immer wieder aufs neue wird, nicht aber immer schon ist, kann kein Unendliches sein. Bloßes Werden allein kann keine Unendlichkeit begründen, wenn diesem Werden nicht immer auch schon ein Sein in Form und Gestalt eines Abschlusses vorausliegt.

Dieser Abschluß kann bei Unendlichem einfach nur so aussehen, daß immer schon verwirklicht ist, was dennoch immer erst noch zu verwirklichen ist. Natürlich kann es bei unendlichen Folge keine Stelle geben, auf die nichts mehr folgt. Also erfährt das mit der Fortentwicklung einer solchen Folge immer noch eine Fortsetzung. Diese mit unendlicher Folge notwendig verbundene Vorstellung läßt uns eine solche Folge in einer natürlichen Beziehung zu einer – unendlichen – Zeit sehen. Wir haben bei unendlicher Folge einfach das dynamisch-zeitliche Moment, des „eines nach dem anderen“. Es kann dieses dynamisch-zeitliche Element nur nicht der Zeit entnommen werden, die stattfindet, wenn wir die Folge Zeichen für Zeichen aufzeichnen wollten. Dafür würde uns – in dieser Zeit – dann die Zeit fehlen. Unendliche Folgen könnte es dann nicht geben. Wenn es sie dennoch gibt, dann deswegen, weil alle diese unendlich vielen Glieder einer Folge – diese Glieder mögen in einer Zeit in Reihenfolge gesetzt werden, in welcher sie wollen – in unserer Zeit zu jedem Zeitpunkt vollständig immer schon in Reihenfolge gesetzt sind.

Das ist die Form des Abschlusses, die wir – in unserer Zeit – für unendliche Folgen voraussetzen. Genüge getan wird diesem Abschluß durch ein Gesetz der Serie, das uns nach Belieben Glieder einer Folge explizit rekonstruieren läßt, weil diese Glieder durch dieses Gesetz der Serie alle immer schon konstruiert sind. Allenfalls so ein Gesetz der Serie läßt uns dann auch beide Vorstellungen, die wir für unendliche Folgen als konstitutiv erachtet haben – das Werden in der Zeit und den Abschluß im Sein – miteinander in Einklang bringen. So wie eine unendliche Folge über ein Gesetz der Serie definiert ist, können wir uns so eine Folge gleichermaßen als immer noch in Entwicklung befindlich wie auch als immer schon zum Abschluß gebracht denken. Möglich wird dies durch die Abstraktion von der Zeit, die in einem jeden solchen Gesetz der Serie realisiert ist. Dieses Gesetz der Serie nimmt in jedem Fall – mehr oder weniger direkt, was rekursiv definierte Folgen anbelangt – die Form einer Abbildung von den natürlichen Zahlen in die betreffende unendliche Folge an.

Die Zeitlosigkeit unendlicher Folgen ist deswegen in der Zeitlosigkeit der unendlichen Folge „natürliche Zahlen“ begründet, und diese Zahlen wiederum sind das Ergebnis eines Mechanismus, der aus einigen wenigen in Reihenfolge geordneten Zeichen eine unendliche Menge von endlichen Zeichenfolgen in Reihenfolge hervorbringt. Die natürlichen Zahlen können als in Reihenfolge geordnete unendliche Menge dazu verwandt werden, unendliche Folgen zu begründen, obwohl keine natürliche Zahl ihre Darstellung in einer unendlichen (Zeichen-)folge findet. Bekanntlich sind unendliche (Zeichen-)folgen von der Darstellung natürlicher Zahlen ausgenommen. Sie werden dazu nicht benötigt. Die Frage ist, ob solche unendliche Zeichenfolgen von unserem Mechanismus auch produziert werden. Fest steht, daß von diesem Mechanismus unendlich viele endliche Zeichenfolgen produziert werden, wenn unter unendlich einfach verstanden wird, daß die Produktion endlicher Zeichenfolgen nicht abbricht, und d.h., daß es in dieser Produktion keine endliche Zeichenfolge gibt, auf die nicht noch eine weitere endliche Zeichenfolge folgen würde. Es gibt schließlich auch keine endliche Zeichenfolge, die sich nicht auch noch um weitere Zeichen ergänzen ließe, ohne daß deswegen schon auch eine unendliche Zeichenfolge werden würde. Die Frage ist, ob das auch im Unendlichen so bleibt, und d.h., ob das auch so bleibt, nachdem eine Zeichenfolge um unendlich viele Zeichen ergänzt worden ist. Ein Mechanismus, der endliche Zeichenfolgen beliebiger Länge produziert, produziert damit – von Definitions wegen sozusagen – auch unendliche Zeichenfolgen. Das, was für die von diesem Mechanismus produzierte unendliche Menge von endlichen Zeichenfolgen gilt, gilt auch für die einzelne Zeichenfolge: Eine Zeichenfolge darf als unendliche Zeichenfolge dann gelten, wenn es in ihr kein letztes Zeichen, und d.h. kein Zeichen, auf das nicht noch auch ein weiteres Zeichen folgen würde, gibt. Diese Bedingung scheint von dem von unserem Mechanismus produzierten Zeichenfolgen erfüllt zu sein. Alle von diesem Mechanismus produzierten Zeichenfolgen erfahren im weiteren Verlauf des Verfahrens eine Ergänzung um immer noch weitere Zeichen. Nur unter dieser Bedingung können im übrigen auch endliche Zeichenfolgen beliebiger Länge und d.h. Anzahl von Zeichen produziert sein. Die Produktion unendlich vieler endlicher Zeichenfolgen scheint somit untrennbar an die Produktion auch unendlicher Zeichenfolgen gebunden zu sein. Die Produktion aller endlichen Zeichenfolgen aus einer vorgegebenen endlichen Menge von Zeichen würde somit auch die Produktion aller unendlichen Zeichenfolgen aus diesen Zeichen nach sich ziehen. Das ganze Verfahren würde mit diesen unendlichen Zeichenfolgen dann auch seinen Abschluß finden. Unendliche Zeichenfolgen können natürlich nicht auch noch um weitere Zeichen ergänzt werden. Am Ende des ganzen Verfahrens steht nicht nur die eine unendliche Zeichenfolge sondern stehen – kombinationsbedingt – die vielen unendlichen Zeichenfolgen, wenn denn am Ende des Verfahrens auch solche Zeichenfolgen stehen.

 

II. - Man kann sich dann natürlich auch fragen, wie viele solcher Zeichenfolgen – gegebenenfalls – an diesem Ende stehen, und d.h. man kann sich insbesondere fragen, ob die Menge der natürlichen Zahlen, und d.h. ob die Menge endlicher Zeichenfolgen ausreicht, diese Menge unendlicher Zeichenfolgen alle auch zu beziffern.  Könnte es sein, daß die natürlichen Zahlen, und d.h., alle endlichen Zeichenfolgen in diesem System von Zeichenfolgen nicht ausreichen, die im selben System dargestellten unendlichen Folgen zu beziffern? Wie ließe sich so etwas aber mit der vorhin diskutierten Anordnung der die natürlichen Zahlen darstellenden endlichen Zeichenfolgen in vertikaler Reihenfolge und deren horizontaler Ergänzung zu Zeichenfolgen beliebiger Länge vereinbaren, wenn – wie festgestellt – das System dieser Anordnung abgeschlossen gegenüber allen diesen Ergänzungen ist? Fest steht, daß jede unendliche Zeichenfolge sich selbst mit unendlich vielen endlichen Zeichenfolgen, und d.h. natürlichen Zahlen in die Menge aller natürlichen Zahlen einbringt.

Im Aufbau einer unendlichen Zeichenfolge wird mit jedem neuen Zeichen auch eine neue natürliche Zahl gesetzt. Lediglich die unendliche Folge als ganze entspricht keiner natürlichen Zahl. Diese eine Unendlichkeit setzt sich so gesehen aus diesen unendlich vielen Endlichkeiten zusammen. Unendliche Folgen sind nichts anderes als unendlich viele endliche Folgen. Bei unendlichen Reihen wird dem auch in der Definition so Rechnung getragen. Unendliche Reihen werden – wie gesehen – als Folge von Partialsummen definiert. Das muß man so auch, weil a priori nicht klar ist, was man sich unter einer unendlichen Summe, so wie sie unendliche Reihen darstellen, vorstellen könnte.

Bei Folgen haben wir das nicht, weil bei Folgen auch nicht addiert, sondern einfach nur Zeichen für Zeichen bzw. Folgenglied für Folgenglied gesetzt wird. Das ergibt auch so Sinn, ohne daß dazu die Endlichkeit der jeweils mit jedem neuen Zeichen gesetzten Teilfolge hervorgekehrt werden müßte. Die Unendlichkeit einer jeder unendlichen Folge ist eine von der Unendlichkeit der natürlichen Zahlen entlehnte Unendlich­keit. Jedes Gesetz der Serie, das uns eine unendliche Folge beschreibt, ist ein Gesetz in der einen unabhängigen Variablen n.

Was die Unendlichkeit der natürlichen Zahlen selbst anbelangt, so ist diese das Produkt eines Mechanismus zur Bildung bzw. Fortentwicklung aller nur möglichen endlichen Zeichenkombinationen aus einer vorgegebenen, in Reihefolge geordneten endlichen Menge von Zeichen. Unendliche Folgen bleiben dabei ausgeklammert, obwohl dieser Mechanismus auch „transparent“ für alle diese unendlichen Folgen ist. Dieser Mechanismus findet – so wie er konstruiert ist – kein Ende, und d.h., an dessen „Ende“ stehen – so gesehen – ausschließlich nicht-endende, will heißen unendliche Folgen. Es sind dies in jedem System von Darstellung natürlicher Zahlen allerdings mehr als nur eine solche Folge. Eine einzige solche Folge könnte es nur bei einem System von Darstellung geben, das sich auch nur eines einzigen Zeichens bedient. Damit aber läßt sich kein Mechanismus der genannten Art zur Darstellung aller natürlichen Zahlen bedienen.

 

Eine Darstellung natürlicher Zahlen ist auch nur mit einem Zeichen möglich, nur daß die Identifizierung von Zahl und Zahldarstellung dann nicht aus der Mitte dieser Darstellung heraus erfolgen kann. Die Darstellung stellt Zahl nur dar, sie sagt nicht schon auch, welches die dadurch dargestellte Zahl ist. Wir müssen mit anderen Worten noch etwas tun, um von der Darstellung auch zur dargestellten Zahl zu kommen. Was wir tun müssen, das ist die Anzahl feststellen, in der dieses eine Zeichen in einer Zeichenfolge gesetzt ist, wobei eine solche Feststellung in den Möglichkeiten des betreffenden Systems von „Ein-Zeichen-Darstellung“ nicht einmal möglich wäre. Es kann in diesem System nicht abgezählt werden, wenn Abzählen anderes bedeuten soll, als daß die abzuzählende Menge einfach noch einmal – in Reihenfolge – gesetzt wird. Das haben wir in keinem System von Polynom-Darstellung nötig. Wir haben das in solchen Systemen deswegen nicht nötig, weil wir in den Zahldarstellungen aller dieser Systeme mit der jeweiligen Zahl zugleich mit der entsprechenden Anzahl bedient werden.

Jedes System von Polynom-Darstellung ist ein System von Darstellung mit integriertem Abzählverfahren. Allen diesen Systemen liegt in der mathematischen Interpretation seiner Zahldarstellungen ein Verständnis von  natürlicher Zahl zugrunde, das jede natürliche Zahl versteht als Wert der Summe, die in ihren Summanden aus ebenso vielen Einsen besteht, wie die jeweilige natürliche Zahl angibt. Diesem Verständnis zufolge bekommen wir alle natürlichen Zahlen dadurch, daß wir ausgehend von der 1 in ein unendliches Verfahren der immer wieder aufs neue aditiv ergänzten 1 eintreten. Jeder Verfahrensschritt in diesem Verfahren sieht also so aus, daß zu dem Ergebnis des vorausgehenden Verfahrensschrittes eine 1 addiert wird. So stellen wir uns das mit den natürlichen Zahlen allgemein vor, und so gehen wir mit natürlichen Zahlen auch allgemein um. Natürliche Zahlen werden mit anderen Worten über die Anzahl der dem  Zahlenwert einer jeden natürlichen Zahl entsprechenden 1-en identifiziert. Der Zahlenwert einer natürlichen Zahl gibt die Anzahl der Einsen an, die in dieser Zahl „aufgehen“, und er setzt zugleich auch den Summenwert aller dieser Einsen fest.

III. - So könnte man die natürlichen Zahlen auch definieren. Praktisch werden die natürlichen Zahlen auch so verstanden. Wer um die Erklärung einer bestimmten Zahl gebeten wird, wird dies nicht anders tun können und auch nicht anders tun wollen, als daß von dieser natürlichen Zahl einfach als der Summe entsprechend vieler Einsen gesprochen wird. Was soll man sonst auch sagen? Der Hinweis auf die Position, die eine natürliche Zahl in der Reihenfolge aller dieser Zahlen einnimmt, erklärt nichts, wenn die Feststellung dieser Position auch nur vermittels der entsprechenden natürlichen Zahl erfolgen kann. Die natürliche Zahl n befindet sich in der Reihenfolge aller natürlichen Zahlen an n-ter-Position, eine solche Feststellung trägt weder zur Erklärung der natürlichen Zahl n noch zur Erklärung der n-ten-Position in der Reihenfolge aller natürlichen Zahlen bei. Eine solche Feststellung ist nicht einmal zirkulär, sie ist einfach nur nichtssagend, weil uns der Hinweis auf die n-te-Position nichts sagen kann, wenn wir nicht wissen, was die Zahl bzw. welches die Zahl n ist. Daß es sich bei diesen natürlichen Zahlen um eine in Reihenfolge geordnete Menge von Zahlen handelt, das sollte man voraussetzen können bzw. das wird man voraussetzen müssen, soll uns überhaupt ein Zugang zu dem Phänomen Zahl möglich sein.

 

Nun kann man sagen, daß das bei einer Definition bzw. Erklärung natürlicher Zahlen als fortgesetzte Addition der Eins auch nicht anders ist, wenn auf die Anzahl der Einsen, die zur Konstruktion der natürlichen Zahl n zu addieren sind auch wieder nur vermittels dieser Zahl n hingewiesen werden kann. Das ist sicherlich richtig, was die einzelne konkrete natürliche Zahl anbelangt; es trifft dieser Einwand aber nur in abgeschwächter Form zu, was die – mathematisch-operative – Produktion der natürlichen Zahlen in eben der Reihenfolge dieser Zahlen anbelangt. Dann genügt es zu wissen, daß auch immer nur die Eins addiert werden muß, um auch an alle natürlichen Zahlen „heranzukommen“. Natürlich muß man dabei wissen, wie das mit der Addition der Eins „geht“, und d.h. man muß wissen, wie das Ergebnis so einer Addition darzustellen ist. Nur dann kann auch addiert werden. Ein Ergebnis gibt es nur gegen eine Darstellung dieses Ergebnis, auch wenn wir in dieser Darstellung – was die Auswahl des Systems so einer Darstellung betrifft – frei sind und diese Darstellung insoweit eine eindeutige nur in bezug auf das jeweils gewählte System von Darstellung ist. Variabel in dieser Darstellung sind wir allerdings auch nur, was das System als solches anbelangt, für das wir uns in der Darstellung natürlicher Zahlen entschieden haben.

Man kann diese Frage der Auswahl des Systems von Darstellung nur nicht von Zahl zu Zahl geregelt haben wollen. Die Darstellung einer Zahl dient schließlich der Identifizierung einer Zahl, und diese Identifizierung sollte innerhalb ein- und derselben mathematischen Operation zumindest nicht von der Frage belastet sein, welches jeweils das System ist, in dem die einzelnen Zahlen ihre Darstellung finden bzw. gefunden haben. Jedenfalls kann Zahlendarstellung nicht einfach ganz willkürlich erfolgen. Das ganze muß bei unendlichen Zahlenmengen schon System haben. Sollen bei einer Addition nicht einfach ganz willkürlich drei verschiedene Zeichen bzw. Zeichenfolgen gesetzt sein, wobei die ersten beiden durch das bekannte Plus-Zeichen, die letzten beiden durch das bekannte Gleichheitszeichen verbunden sind, dann müssen sich die durch das Plus- bzw. Gleichheitszeichen ausgedrückten Beziehungen auch in diesen Zahlzeichen bzw. Zahlzeichenfolgen niederschlagen. Die Operation Addition muß ihren vollständigen Ausdruck auch in den Veränderungen finden, die die dieser Operation unterzogenen Zahlen bzw. Zahlzeichenfolgen dabei finden.

Daß zwei Zahlen addiert eine dritte Zahl ergeben, das muß man diesen Zahlen bzw. den sie darstellenden Zeichenfolgen auch ansehen können, und man kann dies auch nur diesen Zeichenfolgen ansehen. Sofern jede Zahl in jedem System von Zahldarstellung nur über eine eindeutige Darstellung verfügen kann, und die Verknüpfung zweier Zahlen auch nur zu einer eindeutig bestimmten Zahl führen kann, finden mathematische Operationen ihren vollständigen Ausdruck in „Bewegungen“ der die beteiligten Zahlen darstellenden Zeichen bzw. Zeichenfolgen. So läßt uns etwa die 2, die 3 und die 5 nebeneinandergestellt – sofern diese Zahlen in eine operative Beziehung gebracht sein sollen – sofort an die additive Verknüpfung  dieser Zahlen denken.

Wie sieht das diesbezüglich aber mit den einzelnen – natürlichen – Zahlen aus? Heißt an eine bestimmte dieser Zahlen denken, an eine oder auch mehrere mathematische Operationen denken, die diese Zahl hervorbringen, und in welcher Beziehung stehen – gegebenenfalls – diese Operationen zu der Zeichenfolge, die uns in einem bestimmten – frei wählbaren – System von Darstellung diese eine Zahl darstellen lassen. Wie werden die Zahlzeichenfolgen in so einem System von Darstellung fortgeschrieben, und wie läßt sich diese Fortschreibung mit einer mathematischen Operation in Verbindung bringen? Muß so ein System das auch, und wenn ja, wie läßt sich diese operative Beziehung bestimmen? Sieht man auf den Mechanismus der Darstellung natürlicher Zahlen, so haftet diesem nichts von einer mathematischen Operation an. Das systematische Setzen bzw. Fortschreiben von Zeichenfolgen ist von keinem genuin mathematischen operativen Charakter. Diese Aktion hat nichts mit einer etablierten mathematischen Operation zu tun.

Das hat einfach damit zu tun, daß dieser Mechanismus weder mit Funktion noch Verknüpfung in Verbindung gebracht werden kann. Es werden im Vollzug dieses Mechanismus weder Zeichenfolgen auf Zeichenfolgen abgebildet, noch werden zwei Zeichenfolgen zu einer dritten Zeichenfolge verknüpft. Es werden dabei lediglich weitere Zeichen zu bereits gegebenen Zeichen hinzugefügt bzw. es werden Zeichen auch ausgetauscht. Einen operativen mathematischen Charakter hat das eine ebenso wenig wie das andere. Diesen operativen mathematischen Charakter bekommt das ganze Verfahren dadurch, daß diese Fortschreibung von Folgen im Sinne einer fortgesetzten Addition von Eins gedeutet wird. Handelt es sich dabei aber nur um eine Konvention oder auch um eine begründete mathematische Realität?

 

IV. - Die mathematische Realität, die der beschriebenen Lesart der Sukzession von Zeichenfolgen, so wie sie in jedem System der Polynom-Darstellung natürlicher Zahlen Verwendung finden zugrundeliegt, ist offenbar die, daß jeder einzelne Verfahrensschritt im Aufbau bzw. der Fortschreibung aller dieser Zeichenfolgen, jeweils zu einer neuen natürlichen Zahl innerhalb der Reihenfolge aller dieser Zahlen führt.

Wenn man nur auf den Mechanismus sowie auch die daraus hervorgehenden Folgen von Zeichenfolgen sieht, dann wird man in diesen Folgen nicht unbedingt das Ergebnis einer ständig wiederholten Operation „Addition der Eins“ sehen wollen. Es deutet in diesen Zeichenfolgen und ihrer Produktion nichts auf die ständige Präsenz einer solchen Operation hin. Dieses ganze System von Zeichenfolgen läßt sich auch ohne die begleitende Vorstellung dieser Operation nachvollziehen. Um verstehen zu können, was bei diesem Mechanismus geschieht, muß man nicht wissen, was eine Addition im allgemeinen bzw. was die Addition der Eins im besonderen ist. Dieser Mechanismus selbst ist, wie gesagt, ohne eigene mathematische operative Qualität. Eine solche Qualität hat dieser Mechanismus auch nicht nötig, um uns das zu vermitteln, was uns durch diesen Mechanismus vermittelt sein soll: Ein Gesetz der Serie, das uns einfach sagt, wie wir uns aus einer vorgegebenen in Reihenfolge geordneten endlichen Menge von Zeichen Zeichenfolgen von immer größerer Länge, und d.h. von nicht-beschränkter Anzahl von Zeichen zusammengesetzt denken können. Das Gesetz der Serie besteht in diesem Fall einfach aus der Konstruktionsvorschrift, die uns an jeder Stelle des Verfahrens sagt, wie weiter zu verfahren ist. In diesem Mechanismus wird dabei gleichermaßen auf Wiederholung und Ergänzung gesetzt.

Wie dieses System von Wiederholung und Ergänzung aussieht, das kann bei unendlichen Folgen nicht individuell Folgenglied für Folgenglied, sondern nur in einem allgemeinen Gesetz der Serie geregelt werden. Für gewöhnlich nimmt dieses Gesetz der Serie die Form einer Abbildung von der Menge der natürlichen Zahlen in die Menge der reellen Zahlen an. So sind in der Mathematik jedenfalls unendliche Folgen reeller Zahlen definiert. Unendliche Folgen haben insofern zu ihrer Definition bzw. in ihrer Definition die Existenz bzw. Definition der unendlichen Folge der natürlichen Zahlen sowie auch die Definition bzw. Existenz der Menge der reellen Zahlen zur Voraussetzung. Wie aber läßt sich dann die unendliche Folge der natürlichen Zahlen definieren? Offensichtlich nicht so, daß man die unendliche Folge der natürlichen Zahlen vermöge der identischen Abbildung auf sich selbst abbilden läßt.

Diese Abbildung mag zum Nachweis der Abzählbarkeit der natürlichen Zahlen herangezogen werden; zur Definition bzw. Konstruktion dieser Zahlen eignet sich diese Abbildung nicht. Eine Menge läßt sich nicht dadurch konstruieren oder auch nur identifizieren, daß man sie per identischer Abbildung auf sich selbst abbilden läßt. Wenn man an eine Definition bzw. Konstruktion der natürlichen Zahlen herangeht, so tut man dies im Bewußtsein einer ganz konkreten Vorstellung dieser Zahlen. Diese Zahlen werden dabei natürlich nicht neu erfunden. Andererseits kann die unendliche Folge der natürlichen Zahlen nicht einfach so definiert werden, wie unendliche Folgen allgemein definiert sind. In der Definition bzw. auch Konstruktion der natürlichen Zahlen können wir uns nicht schon auch auf diese Zahlen stützen. Nachdem es sich dabei aber um eine unendliche Menge handelt, bedeutet dies, daß wir das Gesetz der Serie, das wir dieser Folge vorzugeben haben, nicht in Abhängigkeit von diesen natürlichen Zahlen selbst formulieren können. Das Gesetz der Serie dieser Zahlen kann damit nur ein Gesetz der Serie in der Konstruktion bzw. Darstellung dieser Zahlen sein. Dieses Gesetz der Serie könnte so aussehen, daß ein frei wählbares – vorzugsweise aber  als senkrechter Strich ausgewähltes – Zeichen mit einer einmaligen Ausführung dieses Zeichens beginnend zu einer ganzen unendlichen Serie von Zeichenfolgen aus diesem einen Zeichen fortgeschrieben wird, wobei jede Zeichenfolge dieser Serie sich von der vorhergehenden durch genau eine zusätzliche Ausführung dieses einen Zeichens unterscheidet.

Von der Unzulänglichkeit dieser Form von Darstellung natürlicher Zahlen war schon die Rede. Die Unzulänglichkeit besteht darin, daß in diesem System von Darstellung keine systemimmanente Identifizierung der einzelnen natürlichen Zahl möglich ist. Es kann in diesem System einfach nicht abgezählt werden. Es kann in diesem System mit anderen Worten auf die Größe einer Zahl nicht anders als dadurch verwiesen werden, daß diese Zahl in der ihr zugeordneten Vielzahl dieses einen Zeichens explizit vorgeführt wird. Für die eigenen Zwecke genügt es, wenn wir uns diese Vielzahl in Gedanken rekonstruiert bzw. reproduziert denken. Auf diese Weise läßt sich mit natürlichen Zahlen aber nicht gut umgehen. Man kann genauer noch sagen, daß auf diese Weise kein kommunikativer Umgang mit Zahlen möglich ist.

Auf diesem Wege kann keine Übersetzung von materieller Zahldarstellung in gesprochene oder geschriebene Sprache stattfinden. Wir können Zahlen in dieser Form von Darstellung einfach nicht beziffern. Wir können nicht sagen, wie groß eine Zahl ist, weil wir nicht wissen, welches die Anzahl dieses einen Zeichens in der diese Zahl darstellenden Zeichenfolge ist. Alles, was wir in den Möglichkeiten und mit den Mitteln dieses Systems tun bzw. wissen können, ist dies, daß wir verschiedene Zeichenfolgen einem Vergleich hinsichtlich ihrer Größe unterziehen. Dann können wir schon auch feststellen, welche der beiden Zeichenfolge größer bzw. welche kleiner als die andere ist, und d.h., welche der beiden Zeichenfolgen dieses eine Zeichen öfters enthält als die andere. Eine Gleichheit beider Zeichenfolgen ist nach Konstruktionsvorschrift, die auf eine ständige Ergänzung dieses einen Zeichens zur Darstellung aller aus diesem einen Zeichen gebildeten Zeichenfolgen verschiedenster Länge setzt, ausgeschlossen. In ihrer Länge, und d.h., in der Anzahl, in der dieses eine Zeichen in einer Zeichenfolge auftritt, unterscheiden sich alle diese Zeichenfolgen.

Man kann diese Anzahl in diesem System bzw. durch dieses System von Darstellung selbst nur nicht auch namhaft machen. Größer-Kleiner-Vergleiche sind nicht geeignet, eine Zeichenfolge in der Anzahl der darin gesetzten Zeichen zu identifizieren. Das wäre selbst dann noch nicht möglich, wenn dieser Vergleich in einer umfassenden Weise mit jeder anderen Zeichenfolge durchgeführt wäre oder wenn – mehr noch – alle Zeichenfolgen des Systems auf jede nur mögliche Weise – paarweise – miteinander verglichen worden wären. Dann wüßten wir zwar, welche von zwei beliebig herausgegriffenen Zeichenfolgen die größere ist, wir wüßten jedoch nicht, wie groß die einzelne Zeichenfolge ist, und d.h., wieviele Zeichen sie enthält. So wie die zur Diskussion stehenden Zeichenfolgen konstruiert sind, wird sich aufgrund so eines Vergleiches lediglich die Reihenfolge aller dieser Zeichenfolgen rekonstruieren lassen. So führt uns ein umfassender Vergleich zwischen allen diesen Zeichenfolgen zu einer Folge, die kleiner als jede andere Folge ist. Diese Folge ist damit auch die kleinste aller dieser Folgen. Ist damit aber auch schon gesagt, wie klein diese Folge ist? Und ist damit gesagt, wie groß die anderen Folgen sind?