1.2.4 Das System der „0-1-Folgen"

 

I. - Auf die im letzten Abschnitt beschriebene Weise läßt sich systematisch von der Folge, die konstant aus einem der beiden Zeichen besteht, zu der Folge übergehen, die konstant aus dem anderen dieser beiden Zeichen besteht. Einschränkend ist dazu allerdings zu sagen, daß das Verfahren in jedem seiner einzelnen Verfahrensschritte ein unendliches ist. Die Aufgabe, die sich uns bei sukzessivem und punktuellem Austausch der Zeichen einer Zeichenfolge stellt, ist für jede Folge eine unendliche. Bei unendlich vielen auszutauschenden Zeichen kann das auch nicht anders sein. Das ganze Verfahren ist im übrigen – so wie es beschrieben ist – schon auch so gedacht, daß jede Zeichenfolge getrennt für sich behandelt wird. Das würde wiederum bedeuten, daß alle aus diesem Verfahren hervorgehenden Zeichenfolgen in der Weise, wie sie produziert werden, nicht auch abgezählt werden können. Man kann Mengen von unendlichen Mengen nicht mengenweise, und man kann sie auch nicht positionsweise in der allen diesen Mengen – voraussetzungsgemäß – eigenen Reihenfolge abzählen. Abgezählt werden können solche Mengen nur diagonal. Voraussetzung dafür ist, daß der abzuzählenden Mengen auch nur abzählbar viele sind. Das aber ist durch das Konstruktionsverfahren sichergestellt.

Die Situation ist die, daß jede Verfahrensstufe in abzählbar-unendlich viele Verfahrensschritte zerfällt, von denen ein jeder zu einer abzählbar-unendlichen Menge führt. Damit ist das, was auf jeder dieser Verfahrensstufe an Menge entsteht, in der Vereinigung eine abzählbar-unendliche Menge. Das ganze mit dieser neuen Menge wiederholt, führt im Ergebnis dann natürlich auch wieder nur zu einer abzählbar unendlichen Menge. Daß dabei nicht immer auch alle Elemente einer jeden Folge ausgetauscht werden müssen, weil zunehmend eben immer mehr Elemente bereits ausgetauscht sind, hat dabei nichts zu bedeuten. Die n-te Verfahrensstufe im Verfahren ist im übrigen dadurch gekennzeichnet, daß die Folgen, die auf dieser Stufe entstehen, an jeweils n verschiedenen Stellen bereits „ausgetauscht“ sind.

Damit ist auch der Nachweis erbracht, daß die Zeichenfolgen, die an n verschiedenen Positionen mit einer 1, ansonsten aber – noch – mit 0 besetzt sind, für jedes beliebige natürliche n eine abzählbare Menge ist, und d.h., daß die Menge aller Zeichenfolgen, die n 1-en aufzuweisen haben, für ein bestimmtes natürliches n insgesamt eine abzählbare Menge von Zeichenfolgen ist. Fest steht auch, daß wir auf diese Weise, und d.h., wenn wir das Verfahren des sukzessiven, ergänzenden Austausches unbeschränkt fortsetzen, wir von der reinen „Null–Folge“ zur Reihe „1-Folge“ gelangen. Richtig ist aber auch, daß wir uns dieser reinen 1-Folge dabei auf verschiedenstem Wege nähern. Auf einer ersten Verfahrensstufe zerfällt die eine Null-Folge bereits in eine unendliche Menge von Folgen mit nur einer 1. Im weiteren Verfahren geht dann eine zunehmende „Anreicherung“ mit Einsen mit einer zunehmenden Aufsplitterung von Folgen einher. Beim Übergang von einer Verfahrensstufe zur nächsten zerfällt jede einzelne Folge in abzählbar viele unendliche Teilfolgen, von denen eine jede gegenüber der Ursprungsfolge eine 1 mehr enthält. Nur auf diese Weise läßt sich systematisch an alle Folgen mit n1-en für beliebiges natürliches n „herankommen“.

 

Man muß dabei auch sehen – um das in Erinnerung zu bringen -, daß zwei Folgen bereits dann als verschieden gelten, wenn sie auch nur in einer Position verschieden besetzt sind. Das bedeutet, daß zwei Zeichenfolgen mit n Einsen bereits dann verschiedene Folgen sind, wenn diese Einsen nicht genau dieselben Positionen besetzt halten. Die Möglichkeiten, n Einsen in einer unendlichen Zeichenfolge zu verteilen, wachsen natürlich mit wachsendem n – immens – an. Bei nur einer 1 ist das alles noch völlig übersichtlich. Eine 1 kann abwechselnd an jeder Position innerhalb einer Reihenfolge plaziert werden. Man darf sich dazu diese 1 über alle diese Positionen hindurch einfach nur „durchgereicht“ denken. Jede natürliche Zahl steht dann vermittels der dadurch gekennzeichneten Position in Reihenfolgen für genau eine dieser Zeichenfolgen mit nur einer 1. Bei zwei Einsen, die vergeben werden können, sieht das alles gleich sehr viel komplexer aus.  Der zweiten 1 stehen grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten ihrer Positionierung offen wie der ersten 1. Es kann nur dort, wo die eine 1 plaziert ist, nicht zugleich auch die zweite 1 plaziert werden. Das ist die einzige Einschränkung, der wir in der ansonsten freien Plazierung von zwei Einsen in einer Reihenfolge unterliegen. Ansonsten kann bei dieser Plazierung nach Belieben kombiniert werden.

Es ist klar, wie so etwas systematisch angegangen wird, man hält die eine 1 in jeder nur möglichen Position fest, und läßt dabei die andere 1 jeweils alle nur möglichen Positionen „durchspielen“: Nur so läßt sich sicherstellen, daß auch wirklich jede mögliche Kombination in der Plazierung zweier Einsen erfaßt wird. Der Beweis folgt dabei einem Argument, wie wir es in einfachen kombinatorischen Überlegungen wie etwa dem Beweis der Sätze, das die Anzahl der möglichen Anordnungen einer n-elementigen Menge gleich n! bzw. daß die Anzahl der k-elementigen Teilmengen einer n-elementigen Menge gleich ist, antreffen.[26] Man versucht in solchen Dingen einfach von den verschiedenen Variabilitäten immer alle bis auf eine festzuhalten, und d.h., man versucht, diese Variabilitäten nur sukzessive zum Einsatz kommen zu lassen.

Man kann sich auch in der Mathematik nicht gut mit Dingen beschäftigen, die in allen ihren Teilen beweglich sind. Also versucht man das ganze so unter Kontrolle zu bringen, daß man diesen Teile nur sukzessive ihre Beweglichkeit entfalten läßt, und in der Mathematik zumindest läßt sich so verfahren, ohne daß dadurch ein Verlust an Information einherginge. Möglichkeiten der Kombination gehen mit anderen Worten nicht deswegen verloren, weil man das zu Kombinierende in der Feststellung dieser Möglichkeiten nicht frei gegeneinander variieren läßt. Bewegung spielt, wie wir wissen, in der Mathematik keine Rolle. Also kann es auch nicht diesen Einfluß von Bewegung auf Bewegtes wie Nicht-Bewegtes geben, so wie wir es im Phänomen der Wechselwirkung etwa in der Physik vorfinden.

 

Insbesondere in der Quanten-Physik ist diesem Phänomen – vor allem auch in Meßvorrichtungen und Meßprozessen als der letztlich entscheidenden physikalischen Aktivität – immer auch Rechnung zu tragen. Solche Vorrichtungen beeinflussen das System, also muß dem auch in den ermittelten Daten Rechnung getragen werden. Daraus folgt insbesondere auch, daß sich vermittels solcher Daten ein physikalisches System niemals so transparent gestalten läßt, wie es für sich genommen eigentlich „ist“. In der Formulierung wissenschaftlicher – und anderer – Erkenntnisse gibt es zudem eine Abhängigkeit von Sprache, die uns – wie gesehen – immer auch fragen läßt, inwieweit damit die Realität angemessen beschrieben ist. Man kann allgemeiner noch in unserem Denken bzw. in unserem Verstand ein Instrument sehen, das sich notwendig immer zwischen diese Realität und dem, was wir von dieser Realität in Erfahrung bringen können, schiebt. Kant hat diese Erkenntnis zum Programm erhoben, und definitiv ausgeschlossen, daß wir in unserem Denken die „Dinge an sich“, und d.h. die Dinge, so wie sie außerhalb und unabhängig von unserem Denken „sind“, erreichen könnten.

 

II. - Kehren wir zu unserer systematischen Konstruktion von 0–1-Folgen zurück. Wir sind ausgegangen von der reinen „0-Folge“ und haben uns die Aufgabe gestellt, von dieser „0-Folge“ durch systematischen Austausch von Nullen durch Einsen zu der reinen „1-Folge“ zu gelangen. Wir haben gesehen, daß sich dieser Aufgabe durch ein stufenweises Vorgehen nachkommen läßt, in dem beim Übergang von einer Stufe zur nächsten Stufe jede Folge der unendlich vielen Folgen der Ausgangsstufe selbst in unendlich viele Folgen zerfällt. Dieser Zerfall ist notwendig, um die Kombinationsmöglichkeiten, die die zusätzliche 1 der neuen Stufe mit sich bringt, in geordneter Weise auch ausschöpfen zu können. Das Verfahren, das uns diese Kombinationen systematisch bestimmen läßt, muß in geschlossener Form Bestandteil des ganzen Systems, das uns von der reinen „0-Folge“ zur reinen 1-Folge“ führt, sein. Nicht anders ist denn dieses Verfahren auch aufgebaut. Das Verfahren ist so aufgebaut, daß beim Übergang von der n-ten zur n +1-ten Verfahrensstufe die Möglichkeiten der Plazierung von n +1 Einsen systematisch so durchgespielt werden, wie sie auch durchgespielt werden müßten, wenn man sich vor diese Aufgabe auch außerhalb eines geordneten Stufenverfahrens gestellt sähe. Es gibt nur eine Möglichkeit, systematisch alle möglichen Kombinationen einzelner Elemente einer Menge mit einzelnen Elementen anderer Mengen durchzuspielen.

Das Verfahren ist das vorhin exemplarisch an der Konstruktion aller Folgen mit genau zwei Einsen, so wie es dem Übergang von der ersten zur zweiten Verfahrensstufe in unserem System aller dieser unendlich vielen Verfahrensstufen entspricht, beschriebene. Die zusätzliche 1 der neuen Verfahrensstufe wird in jede Folge der Verfahrensstufe zuvor – in eben der Reihenfolge dieser Folgen – auf jede nur mögliche Weise integriert. Auf diese Weise ist dann auch die Vollständigkeit der neuen Verfahrensstufe sichergestellt, auf das sich darauf aufbauend eine weitere Verfahrensstufe entwickeln möge. Jedes Element einer jeden Verfahrensstufe erfährt – wie gesagt – beim Übergang zur nächsten Verfahrensstufe eine Aufspaltung in unendlich viele Folgen. Auf die Anzahl der Elemente einer Verfahrensebene bezogen bedeutet dies, daß beim Übergang von einer Verfahrensstufe zur anderen diese Anzahl eine Multiplikation mit  erfährt.

Der Sprachregelung von Mathematikern zufolge ist das aber auch nur . Die Multiplikation mit sich selbst gehört bekanntlich zu denjenigen Operationen, denen die „Zahl“  unterzogen werden kann, ohne daß man dadurch mit den Gesetzen der Arithmetik in Konflikt käme. Das Ergebnis dieser Multiplikation ist natürlich auch wieder . Den Beweis dafür – wenn man so will – kann man in dem Satz sehen, daß die Vereinigung abzählbar-unendlich vieler abzählbar unendlicher Mengen wieder eine abzählbar-unendliche Menge ist. Abgezählt wird dabei nach dem Cantorschen Diagonalverfahren. Dieses Verfahren zeigt uns, wie die in der Ebene linksbündig zeilenweise untereinandergesetzten abzählbar-unendlichen Mengen in eine Reihenfolge gebracht werden können. Die in Gitterform die ganze rechte geometrische Halbebene abdeckenden Elemente der Vereinigungsmenge werden in diesem Verfahren durch einen in diagonalen Parallelen geführten Streckenzug verbunden.

Dieses Diagonalverfahren funktioniert also ganz gut bei abzählbar vielen abzählbaren Mengen und es funktioniert damit auch noch ganz gut bei Mengen, die sich aus einer abzählbar-unendlichen Folge von Verfahrensstufen aufbauen, wenn jede dieser Verfahrensstufen die Vereinigung abzählbar-unendlich vieler abzählbar-unendlicher Mengen zum Ergebnis hat. Dann ist mit jeder Verfahrensstufe eine abzählbar-unendliche Menge gegeben, was in der Vereinigung der abzählbar-unendlich vielen Verfahrens­stufen auch wieder zu einer abzählbar-unendlichen Menge führt. Wir habe diese Situation bei unserer systematischen Konstruktion von 0-1-Folgen mit von Verfahrensstufe zu Verfahrensstufe entsprechend der Zahlenreihe der natürlichen Zahlen anwachsender Anzahl der Einsen in diesen Folgen.

Damit erweist sich die in diesem Verfahren insgesamt produzierte Menge von Folgen als eine abzählbare Menge. Zu dieser Menge gehört auch die reine „1-Folge“. Die einfachste Form der Plazierung von einer Eins, von zwei Einsen, von drei Einsen usf. in einer ansonsten reinen „0-Folge“ besteht darin, daß diese Einsen alle an die jeweils niedrigst mögliche Position vergeben werden, und d.h., daß die Nullen systematisch alle von „unten her“ verdrängt werden. Natürlich ist diese Form des Aufbaues einer zunehmend von 1-en besetzten „0-Folge“ im ganzen System solcher Besetzungen entsprechend auch berücksichtigt. Beim Übergang von einer Verfahrensstufe zu einer anderen findet auch diese Folge immer die ihr entsprechende Fortschreibung. Die Frage ist: Bildet die dieser Fortschreibung „am Ende“ des Verfahrens entsprechende reine „1-Folge“ auch den Abschluß des ganzen Verfahrens? Fest steht, daß für jedes natürliche n die Form der Besetzung mit n 1-en, die zu der reinen „1-Folge“ führt, nur eine unter unendlich vielen möglichen Besetzungen ist. Jede andere Form der sukzessiven Besetzung mit 1-en unterscheidet sich von dieser einen Form der Besetzung darin, daß sich zwischen den jeweils vergebenen 1-en zumindest eine 0 schiebt.

 

So wie das ganze Verfahren zur systematischen Konstruktion aller dieser Folgen angelegt ist, ist die Folge, in der von Anfang auf eine lückenlose Besetzung mit Einsen gesetzt wird, diejenige Folge, die auf jeder Verfahrensstufe als erste fortgeschrieben wird. Die ganze Konstruktion ist bekanntlich so angelegt, daß die neue, zusätzliche Eins, die uns auf jeder Verfahrensstufe zur Verfügung steht, so in die auf der vorhergehenden Verfahrens­stufe entwickelten Folgen integriert wird, daß diese Eins systematisch durch jede dieser Folgen „durchgereicht“ wird. Sobald diese 1 dabei auf eine mit 0 besetzte Stelle trifft, läßt sie sich dort nieder und begründet im Austausch gegen die an dieser Stelle zunächst plazierte 0 auch eine neue Folge. Es bleibt der Austausch dieser einen 0 durch die 1 auch das einzige, was an Veränderung gegenüber der Ausgangsfolge stattfindet. Wie wir wissen, reicht die Verschiedenheit an dieser einen Stelle aus, um insgesamt auch verschiedene Folgen zu begründen. Der weitere Ablauf in der Fortschreibung dieser einen Ausgangsfolge ist dann der, daß man nach der zweiten von einer 0 besetzten Stelle in dieser Folge sucht, und unsere zur freien Verfügung stehende 1 sich an dieser Stelle anstatt an der zuerst gefundenen 0 niedersetzen läßt.

Auch damit ist wieder eine neue sowohl von der Ausgangsfolge als auch von der ersten davon abgeleiteten Folge verschiedene Folge begründet. Dieses Verfahren läßt sich dann immer weiter fortsetzen, wobei auch immer wieder von allen bisher entwickelten bzw. abgeleiteten Folgen verschiedene Folgen entstehen. Nachdem die Ausgangsmenge auf jeder Stufe des Verfahrens immer nur endlich viele 1-en enthält, und sich darin auch das ganze Verfahren über durch die Ergänzung um jeweils eine weitere 1 nichts ändert, stehen uns mit jeder Folge in jedem Fall auch immer noch unendlich viele 0-en zur Verfügung, die sich alle zum Austausch durch eine 1 anbieten und in der Fortführung des Verfahrens diesen Austausch auch erfahren. Dadurch, daß man von einer unendlichen Anzahl von zu besetzenden Positionen eine endliche Anzahl von bereits besetzten Positionen in Abzug bringt, ändert sich an der unendlichen Anzahl von weiter noch zu besetzenden Positionen nichts.

An Unendlichem läßt sich durch Endliches nicht rühren. Zur weiteren Besetzung mit 1-en oder sonstigen Zeichen stehen uns im Aufbau einer Folge auch nach noch so vielen bereits gesetzten Zeichen endlicher Anzahl mit anderen Worten immer noch unendlich viele noch nicht besetzte bzw. ausgetauschte Positionen zur Verfügung. Soll die Folge eine unendliche sein bzw. werden, müssen diese Positionen auch alle besetzt sein bzw. besetzt werden. Bei unendlich vielen zu besetzenden Positionen können wir diese Besetzung – wie wir wissen – aber auch nur einem Gesetz der Serie überlassen.

 

III. - Die Eigenschaften unendlicher Folgen, daß sich jeder anfänglichen endlichen Anzahl von Zeichen immer noch unendlich viele Zeichen anschließen, unabhängig davon, wie groß diese anfängliche Anzahl ist, läßt eine Konstruktion unendlicher Folgen in der Form zu, daß wir uns eine solche – beliebig gesetzte – anfängliche Anzahl von Zeichen um alle nur möglichen unendlichen Zeichenfolgen ergänzt denken. Diese Zeichenfolgen könnten jeweils vollständig angefügt werden, es müßte dazu zuvor nicht etwa ein dem anfänglichen Teil, auf dem aufgebaut wird, an Umfang gleich anfänglicher Teil abgetrennt werden. Was man nicht kann, ist dies, daß zwei unendliche Folgen einfach aneinandergefügt werden. Dazu müßten die beiden Folgen schon diagonal miteinander verschlossen werden. Wie wir wissen, funktioniert das auch bei abzählbar–unendlich vielen abzählbar unendlichen Folgen. Nicht möglich ist es auch, eine endliche an eine unendliche Folge anzufügen. Unendliche Folgen haben nicht – so wie endliche Folgen – ein letztes Glied an das weitere Glieder angefügt werden könnten. Unendliches kann also weder um Endliches noch um Unendliches ergänzt werden, wohingegen Endliches sowohl um Endliches als auch um Unendliches ergänzt werden kann.

Die Frage ist, was das für die mögliche systematische Konstruktion unendlicher Folgen zu bedeuten hat. Man könnte daraus schließen wollen, daß es definitiv auszuschließen ist, daß alle unendlichen Folgen jemals auch systematisch erfaßt werden könnten. Man möchte das einfach daraus schließen wollen, daß jedes solche vollständige System immer noch dadurch erweitert werden könnte, daß man nach Belieben diesen unendlichen Folgen auch etwas Endliches voranstellt. Die einzelnen Folgen blieben dann nicht mehr das, was sie zuvor waren. Es würden dadurch effektiv andere unendliche Folgen entstehen. Damit wäre das ursprünglich als vollständig angenommene System unendlicher Folgen als unvollständig nachgewiesen, es sei denn, diese Veränderungen würden allesamt nur zu unendlichen Folgen führen, die an anderer Stelle des Systems bereits berücksichtigt sind. Nur wenn jede Veränderung der beschriebenen Art zu einer Folge führt, die im System an anderer Stelle bereits vorliegt, so daß also jede solche Veränderung zu zwei identischen Folgen im System führt, kann dieses System als ein unter dieser Art von Manipulation bzw. Operation abgeschlossenes System gelten. Ist unser System von 0-1-Folgen in diesem Sinne auch ein abgeschlossenes System? Man kann sich alternativ die Menge der natürlichen Zahlen in der diesen Zahlen eigenen Darstellung als systematisch produzierte – endliche – Zeichenfolgen in – unendlicher – Reihenfolge untereinander geschrieben denken. Auch dann kann man sich fragen, inwieweit dieses System gegenüber jeder nur möglichen Erweiterung in den einzelnen Zeilen insofern abgeschlossen ist als jede solche Erweiterung immer nur zu Zeichenfolgen führt, die bereits an anderer Stelle – und d.h. Zeile – des Systems realisiert sind.

Was jede nur mögliche – endliche – Erweiterung betrifft, so ist dieses System sicherlich in dem genannten Sinne abgeschlossen. Folgt daraus aber auch, daß es nicht mehr unendliche Zeichenfolgen als endliche Zeichenfolgen gibt, einfach weil sich unendliche Zeichenfolgen – prozessual – über nicht-endende Zeichenfolgen definieren und man durch Ergänzung um endlich viele Zeichen – von welcher Anzahl auch immer – nicht aus diesem System der Anordnung aller dieser Zeichenfolgen in räumlicher vertikalerReihenfolge herausfallen kann?

Man kann der getroffenen Form von Anordnung jedenfalls sofort entnehmen, daß nichts an endlicher Ergänzung in den einzelnen Zeilen vorgenommen werden kann, das nicht an anderer Zeile schon vorweggenommen wäre. Es kann bei keiner Folge zu einer endlichen Ergänzung kommen, die nicht bereits von einer anderen Folge realisiert wäre. Jede Ergänzung bei einer dieser Folgen führt mit anderen Worten zu einer Folge, die an anderer Stelle in der Reihenfolge einer dieser Folgen bereits vorliegt. Das gilt für die Ergänzung jeweils um ein Zeichen, also sollte es auch für die Ergänzung um unendlich viele Zeichen gelten, nachdem auch solche Ergänzungen nur Zeichen für Zeichen vorgenommen werden können. Das ist bei endlichen Ergänzungen nicht anders wie bei unendlichen Ergänzungen, nur daß wir unendliche Ergänzungen nur einem Gesetz der Serie überlassen können, und dieses Gesetz der Serie alle diese Ergänzungen gewissermaßen auf einmal vornimmt. Er­gänzungen, die per Gesetz vorgenommen werden, sind per Gesetz immer auch schon vorgenommen. Solche Ergänzungen sind nicht in den konkreten Zeitablauf verwiesen. Die Formulierung eines solchen Gesetzes bedeutet dann zugleich auch schon seinen Vollzug. Das kann bei Gesetzen, die in ihrem Vollzug notwendig außerhalb des konkreten Ablaufes der Zeit stehen, auch nicht anders sein. Man kann dann in der Zeit nicht über den Vollzug außerhalb von Zeit entscheiden wollen. Was außerhalb von Zeit geschieht, geschieht unabhängig von aller Zeit, und d.h., das geschieht vor aller Zeit bzw. es ist bereits vor aller Zeit für immer geschehen.

Von einer notwendigen Zeitunabhängigkeit in diesem Sinne ist die Existenz bzw. der Vollzug unendlicher Folgen. Wäre dieser Vollzug in den Zeitablauf verwiesen, es könnte keine unendlichen Folgen geben. In ihrer Unendlichkeit stehen unendliche Folgen notwendig außerhalb von Zeit. Das würden solche Folgen auch dann tun, wenn die Zeit selbst eine unendliche wäre, und in dieser unendlichen Zeit auch für die Fortschreibung einer Folge – in regelmäßigen Zeitabständen etwa – gesorgt wäre. Nehmen wir das einfachste Beispiel einer unendlichen Folge, die es gibt, das Beispiel einer konstanten unendlichen Folge, etwa der Folge, die konstant aus dem Zeichen für die Eins besteht. Wenn diese Eins in regelmäßigen Abständen immer zuverlässig gesetzt würde, so könnte auf diese Weise auch unter der Voraussetzung der Unendlichkeit von Zeit niemals eine unendliche Folge entstehen. Wir hätten es dann, unabhängig davon, wie weit die Zeit und mit ihr die Entwicklung dieser Folge fortgeschritten ist, immer nur mit einer endlichen Folge zu tun, einer endlichen Folge, die sich in bestimmter Bewegung findet. Es ist dies nur keine Bewegung, die als zeitbezogene Bewegung auch eine Unendlichkeit begründen könnte. Selbst wenn der unendliche Zeitablauf sicher verbürgt wäre, und mit ihm auch das fortgesetzte Setzen der Eins; eine unendliche Folge kann daraus solange nicht werden, solange nicht auch unendlich viele dieser Einsen gesetzt sind, und d.h., solange die Zeit in ihrer ganzen Unendlichkeit nicht auch abgelaufen ist.

Die Alternative dazu wäre, daß wir uns im Vorgriff auf die als nachgewiesen angenommene Unendlichkeit der Zeit alle diese Einsen auf einmal gesetzt denken. Wenn man weiß, was in der Zeit immer wieder geschieht, kann man das tun. Die Frage ist nur, was dieses „Setzen aller dieser Einsen auf einmal“ noch mit Zeit zu tun haben kann. Alle diese Einsen auf einmal setzen bedeutet, alle diese Einsen zugleich, und d.h., in einem einzigen Augenblick zu setzen. Bei der Vielzahl von Einsen, die dabei zu setzen sind, kann so etwas auch nur in Gedanken geschehen. Wollten wir alle diese Einsen – materiell – auch gesetzt wissen, dann sind wir in den Zeitablauf verwiesen, und dann kann auch nur ein Zeichen nach dem anderen gesetzt werden. Damit aber läßt sich keine Unendlichkeit begründen. Dem steht einfach die Zeit entgegen, die für das Setzen jedes einzelnen Zeichens benötigt wird. In der Zeit können immer nur endlich viele Zeichen gesetzt werden. Man hat in der – unendlichen – Zeit immer nur endlich viel Zeit.

 

 



[26] Siehe dazu O. Forster Analysis 1, die Sätze 2 und 3 auf Seite 3