Kapitel 2

 

Die Entwicklung der natürlichen Zahlen

 

 

1.2.1 Reihenfolge und natürliche Zahlen

 

I. - In jedem System von Polynomdarstellungen natürlicher Zahlen erfahren die die einzelnen natürlichen Zahlen darstellenden Zahlzeichenfolgen immer wieder eine Fortsetzung. Alle diese Zahlzeichenfolgen werden im weiteren Vollzug des Verfahrens zur systematischen Darstellung aller natürlicher Zahlen zu immer größeren Zahlzeichenfolgen, und d.h., auch zu immer größeren natürlichen Zahlen fortgeschrieben. Das geschieht sukzessive, und d.h., es geschieht Zeichen für Zeichen. Es geschieht dies nur nicht in einer geschlossenen Form innerhalb des Systems, und d.h., es geschieht dies nicht in der ausschließlichen Zuwendung des Systems zur Fortentwicklung einer einzelnen Zeichenfolge. Auf die 17 beispielsweise folgt – im System – die 18 und nicht etwa die 171 oder 175. Soweit es sich um endliche Zeichenfolgen handelt, haben wir diese ausschließliche Zuwendung. Es folgt dies einfach daraus, daß in diesem System der Fortschreibung von Zeichenfolgen die einzelnen Zeichenfolgen immer wieder von vorn aufgenommen werden. Die 171 oder 175 nimmt die 17 auch immer wieder – von vorne – auf.

Wenn man sich nicht auf eine einzelne Zeichenfolge in ihrer Fortschreibung zu immer größeren Zeichenfolgen konzentrieren will bzw. konzentrieren kann, gibt es dazu auch keine Alternative. Natürlich muß die „neue alte“ Folge, der man sich zuwendet, nach dem eine andere Folge zuvor fortgeschrieben bzw. umgestaltet wurde, als diese „neue alte“ Folge identifiziert werden, und das setzt eben ihre vollständige „Neuaufnahme“ voraus. Das würde im übrigen auch eine Fortentwicklung voraussetzen, die sich auf eine einzige Folge konzentriert, wenn mit jedem neuen Zeichen auch eine neue Zahl gesetzt sein soll, die sich von der Zahl zuvor nur um dieses eine zusätzlich neue Zeichen unterscheidet. Auch dann müßte alles, was an Entwicklung bislang stattgefunden hat, immer wieder aufs neue gesetzt werden. Zweckmäßigerweise bedient man sich dann auch immer ein und desselben Zeichens – beispielsweise der 1 – was dann zu einem System von „Ein-Zeichen-Folgen“ – 1, 11, 111 ... – führt. 

Man kann in der Umkehrung dieses Verfahrens im übrigen auch jede endliche Zeichenfolge in genausoviele Teilfolgen bzw. natürliche Zahlen zerlegen, als diese Zeichenfolge Zeichen enthält. Ist man nur an der Zahl bzw. Zahlzeichenfolge interessiert, die sich nach endlich vielen Ergänzungen um jeweils ein weiteres Zeichen einstellt, dann wird man der Folge von Zeichenfolgen, die sich auf dem Weg dorthin einstellt, wenig Beachtung schenken. Man wird mit anderen Worten in einer natürlichen Zahl in ihrer Darstellung als Zahlzeichenfolge nicht eine ganze Folge von natürlichen Zahlen sehen wollen. Wir hatten diese Diskussion in 1.1.1: Reihenfolge und Gesetz der Serie. Richtig ist allerdings schon auch, daß wir bei der Realisierung einer Zeichenfolge mit der ihr im System aller dieser Zeichenfolgen zugeordneten natürlichen Zahl diese ganze Folge von natürlichen Zahlen, wie sie sich aus dem sukzessiven Aufbau der betreffenden Zeichenfolge ergeben, schon auch realisieren. Das ist einfach durch das System der Darstellung bedingt, daß jedes Zeichen einer Zahlzeichenfolge mit einem eigenen Beitrag in die Zahldarstellung einbringen läßt, einem Beitrag der sich auch durch ergänzende Zeichen in der Fortschreibung einer Zeichenfolge nicht ändert.[23] In diesem Sinne sind die zusätzlichen Zeichen jeweils auch nur ergänzende Zeichen. Wir bauen mit anderen Worten in der Identifizierung einer solchen Zeichenfolge mit der ihr im System aller solcher Zeichenfolgen entsprechenden natürlichen Zahl diese natürliche Zahl entsprechend den einzelnen Beiträgen der einzelnen Zeichen auf. Diese Beiträge bemessen sich insbesondere – neben dem Zeichenwert des einzelnen Zeichens selbst – nach der Position, die sie in der Zeichenfolge besetzt halten.

 

II. - Fassen wir also zusammen: Dadurch, daß die Zuwendung des Systems der Darstellung natürlicher Zahlen in der Fortschreibung einzelner Zeichenfolgen von der Zuwendung zu anderen Zeichenfolgen immer wieder unterbrochen ist, nachdem gerade ein weiteres Zeichen gesetzt ist, bzw. bereits gesetzte Zeichen durch andere Zeichen ersetzt wurden, muß jede solche Zeichenfolge, wenn man sich ihr wieder zwecks Ergänzung um ein weiteres Zeichen immer wieder ganz von vorne aufgenommen werden. Bei ununterbrochener Zuwendung zur Entwicklung einer einzelnen Zeichenfolge könnte man sich dagegen dieses ständige Wiederholen dessen, was schon war, bloß weil ein weiteres Zeichen angefügt wird, sparen. Allerdings hätten wir dann auch immer nur mit einer Zeichenfolge zu tun, auch wenn diese Folge sich ständig – durch die zusätzlichen Zeichen – verändert.

Das ist natürlich nicht im Sinne eines Systems, das für die Darstellung aller natürlicher Zahlen zu sorgen hat, und natürliche Zahl ist in jedem System von Polynom-Darstellung jede nur mögliche Zeichenfolge aus den vorgegebenen endlich vielen Zahlzeichen. Die Zerlegung jeder endlichen Zeichenfolge in entsprechend viele verschiedene Zahlen muß dann auch Bestandteil eines jeden Systems von Darstellung natürlicher Zahlen sein. Jede nur mögliche Kombination verschiedenster Länge aus der vorgegebenen endlichen Menge von Zeichen muß dann auch für sich in Erscheinung treten und darf nicht einfach nur in anderen Zeichenfolgen aufgehen. Daraus leitet sich zunächst aber auch nur die Notwendigkeit ab, Zeichenfolgen in ihrer Fortschreibung immer wieder ganz von vorne aufzunehmen, bevor ein neues ergänzendes Zeichen gesetzt wird. Wenn, wie es dieses System von Darstellung gestattet bzw. vorschreibt, solche Ergänzungen unbegrenzt vorgenommen werden können bzw. müssen, dann würde dies bei der ausschließlichen Zuwendung zur Fortentwicklung einer einzigen solchen Zeichenfolge bedeuten, daß das ganze System auch ganz von der Entwicklung bzw. Fortschreibung dieser einen Zeichenfolge eingenommen bliebe. Die Möglichkeit, auch etwas für die Fortschreibung anderer Zeichenfolgen zu tun, bliebe dem System dann verwehrt.

Alle nur möglichen Zeichenfolgen verschiedenster Länge aus der vorgegebenen endlichen Menge von Zeichen könnten dann von diesem System schon einmal nicht mehr realisiert sein. Nichtsdestoweniger würde auch bei der Beschränkung auf die Fortschreibung einer einzigen Zeichenfolge auch eine unendliche Menge verschiedener solcher Zeichenfolgen gebildet werden, sofern diese Zeichenfolgen mit jedem neuen Zeichen auch immer wieder ganz von vorne aufgenommen werden. Man kann sich dann aber auch auf die Verwendung eines einzigen Zeichens beschränken. Die betreffende Zeichenfolge kann dann immer mit ein und demselben Zeichen fortgeschrieben werden. Jedenfalls könnten auf diese Weise alle diese Zeichenfolgen vermöge ihrer Länge, und d.h., vermöge der Vielfachheit, mit der dieses eine Zeichen in einer jeden Zeichenfolge gesetzt ist, voneinander unterschieden werden. Das würde natürlich auch genügen, um jede dieser verschiedenen Zeichenfolgen auch mit einer verschiedenen natürlichen Zahl identifizieren zu können.

Die Frage dabei ist nur, wie wir jede dieser Zeichenfolgen in der ihr eigenen Länge identifizieren können. Die Frage ist, wie wir in diesem System von Darstellung zu einer Vorstellung von Anzahl finden, die uns alle diese Folgen anders voneinander unterscheiden läßt als dadurch, daß wir diese Folgen explizit in allen ihren Zeichen zur Darstellung bringen. Was ist von der Bestimmung der Anzahl von Zeichen in einer Zeichenfolge zu halten, wenn diese Bestimmung nur dadurch erfolgen kann, daß man die einzelne Zeichenfolge in allen ihren einzelnen Zeichen auch zur Darstellung bringt, und d.h., daß man diese Zeichenfolge explizit – Zeichen für Zeichen – auch rekonstruiert bzw. reproduziert. Dazu muß die Zeichenfolge nicht neu angeschrieben werden, es genügt, wenn wir sie Zeichen für Zeichen „durchgehen“. Kann man auf diese Weise aber zu einer präzisen Vorstellung der Anzahl der Zeichen in einer Zeichenfolge finden, bzw. – mehr noch – läßt sich auf diese Weise auch nur eine Vorstellung von Anzahl entwickeln?

Natürlich muß eine Zeichenfolge auch dann einzeln durchgegangen werden, wenn die Anzahl von Zeichen – regulär – mit Hilfe des allgemein gebräuchlichen Systems der Dezimaldarstellung natürlicher Zahlen etwa bestimmt werden soll. Um diese Anzahl festzustellen, muß abgezählt werden, und dann muß eben jedes einzelne Zeichen getrennt erfaßt bzw. berücksichtigt werden. Das ist dann aber schon auch ein Verfahren sui generis, und nicht einfach nur das demonstrative – erneute – Setzen der betreffenden Folge. Dadurch, daß Zeichen für Zeichen gesetzt wird, wird die dadurch produzierte Zeichenfolge nicht notwendig auch schon in der Anzahl gesetzter Zeichen abgezählt, es sei denn, bei diesen gesetzten Zeichen handelt es sich zufällig um ein erstes zusammenhängendes Stück der Zeichenmenge aus der sich alle diese Zeichenfolgen zusammensetzen. Diese Situation liegt natürlich nicht vor, wenn in einer Zeichenfolge immer wieder nur ein- und dasselbe Zeichen gesetzt ist. Von diesem Zeichen kann allenfalls eine einzige natürliche Zahl repräsentiert sein. Ein wiederholtes Setzen dieses einen Zeichens kommt dann auch nur einem wiederholten Repräsentieren dieser einen Zahl gleich. In der Anzahl, in der dieses eine Zeichen gesetzt ist, ist dieses Zeichen dadurch nicht festgestellt.

Von dem Reflexionsstandpunkt aus, den wir gerade einzunehmen versuchen, kann im übrigen auch keine Vorstellung von Anzahl entwickelt werden, so wie wir Anzahl verstehen. Dieser Anzahlbegriff ist fester Bestandteil unserer Vorstellung von den natürlichen Zahlen, und so wie wir diese Zahlen verinnerlicht haben, kann in dieser Vorstellung auch nicht von dem Anzahlbegriff abstrahiert werden. Insofern auch ist es im Gedankenexperiment nicht einfach, sich in eine Position versetzt zu denken, in der von einem festen Bestandteil unserer Vorstellung abstrahiert wird, nur um sehen zu können, wie wir zu dieser Vorstellung – gemeint sind die natürlichen Zahlen inklusive des darin begründeten Anzahlbegriffes – kommen. Soviel aber läßt sich feststellen, daß eine Folge von Zeichenfolgen, die sich in der Folge ihrer einzelnen Glieder dadurch aufbaut, daß ein Folgenglied aus dem vorhergehenden durch ergänzendes Setzen ein- und desselben Zeichens hervorgeht, der Menge der natürlichen Zahlen – dem Umfang nach – koextensiv ist.

Natürlich können alle diese Zeichenfolgen, wie bereits festgestellt, auch hinsichtlich ihrer Länge, und d.h., hinsichtlich der Anzahl, in der dieses eine Zeichen jeweils gesetzt ist, miteinander im Sinne einer größeren, einer kleineren oder der gleichen Anzahl von Zeichen miteinander verglichen werden. Dazu müssen die miteinander zu vergleichenden Folgen aber auch explizit in einen diesbezüglichen Vergleich eingebracht werden. Man muß dabei die beiden Vergleichsreihen – und sei dies auch nur in Gedanken – konkret zur Darstellung bringen, was so viel bedeutet, als daß die beiden Vergleichsfolgen in allen ihren Zeichen nachgezeichnet werden, um aufgrund des Bildes, das sich uns dabei einprägt, zu entscheiden, wie im Vergleich zueinander die Größenverhältnisse beider Folgen sind. Bei ihrem Umfang nach deutlich voneinander abweichenden Folgen wird man sofort sehen können, wie diese Größenverhältnisse im Vergleich zueinander sind. Nur bei Folgen, die sich allem Anschein nach nur wenig – wenn überhaupt – voneinander unterscheiden, wird über deren anzahl- bzw. längenbezogene Gleichheit oder Ungleichheit nur aufgrund einer expliziten Eins-Eins-Beziehung in den Zeichen beider Folgen entschieden werden können. Man wird beide Folgen von ihrem Anfang an aufnehmen, und dabei gleich positionierte Zeichen miteinander identifizieren müssen.

Davon war an anderer Stelle auch schon die Rede. Auf diese Weise läßt sich im übrigen auch feststellen, um wieviel gegebenenfalls eine Folge größer als die andere ist. Größer als eine andere Folge ist eine Folge dann, wenn sie aus so einem Vergleichsverfahren mit überschüssigen Folgengliedern hervorgeht, und d.h., mit Folgengliedern, die von der Vergleichsreihe nicht mehr „abgedeckt“ sind. Diese eine Folge ist dann – präziser noch – um genau so viel größer als die andere Folge, als sie dieser gegenüber überschüssige Folgenglieder aufweist. Dieses Verfahren wird im übrigen gelegentlich auch schon einmal – dem Ansatz nach – zur Erklärung bzw. Definition der regulären „  -Relation“ in der Menge der natürlichen Zahlen herangezogen.[24]

Natürlich kann von dem Reflexionsstandpunkt aus, den wir uns gerade zueigen machen, der Unterschied zwischen zwei Folgen ihrer Größe nach nur dadurch dargestellt werden, daß man die überschüssigen Zeichen der größeren Folge explizit alle auch wieder anführt. Das ist einfach das Ungenügen dieser Methode bzw. dieses Reflexionsstandpunktes, daß dabei nämlich alles, was man vermittelt haben möchte, immer demonstriert werden muß. In allem, was mit einer Folge zu tun hat, bzw. was zu einer Folge gesagt werden möchte, muß immer mit der Folge selbst operiert werden. Man kann die Folge immer nur selbst sprechen lassen, wobei das, was uns eine Folge zu sagen hat, sich auch nur auf das beschränken kann, was der Folge – optisch-graphisch – anzusehen ist. Natürlich sieht man dann schon auch, daß in so einer Folge eine ganze Reihe von Zeichen gesetzt ist. Was man – zumal bei größerer Anzahl – nicht sieht, das ist die genaue Anzahl der Zeichen, die eine – endliche – Reihenfolge solcher Zeichen umfaßt. Dazu muß abgezählt werden. Das aber ist in diesem System nicht möglich. Es läßt sich in diesem System keine Anzahl-Verstellung entwickeln, die uns konkrete Anzahl im Einzelfall auch konkret beziffern ließe. Man kann innerhalb so einer Reihenfolge sicherlich auch einzelne Positionen lokalisieren und identifizieren, ohne deswegen auch schon ein eigenes System zur Verfügung haben zu müssen, das uns diese Positionen einfach durch bestimmte Zeichen bzw. Zeichenfolgen bezeichnen ließe.

Wenn man eine Folge – abgeschlossen – vor sich hat, dann weiß man natürlich um die Position eines jeden Gliedes dieser Folge innerhalb der Folge als  ganzer, und d.h., man weiß um das Umfeld eines jeden Folgengliedes, und mit diesem Umfeld auch über die Lage dieses einen Folgengliedes innerhalb der ganzen Folge, nachdem einer erste Umfeldbestimmung im Ganzen der Folge notwendig eine Bestimmung des Umfeldes dieses Umfeldes folgt, bis schließlich die ganze Folge in dieser Umfeldbestimmung aufgegangen ist. Speziell bei Folgen besteht das – engere – Umfeld eines Folgengliedes immer aus den beiden benachbarten Folgengliedern. In der Bestimmung des Umfeldes eines Folgengliedes wird man natürlich der Reihenfolge der Folgenglieder einer Folge, so wie sie sich von jedem Folgenglied aus – ausgenommen allein das erste Glied einer Folge – in zwei Richtungen erstreckt, folgen.

Man wird jedes Folgenglied in der Weise in das Ganze der Folge einordnen, daß man sieht, was links bzw. rechts von diesem Folgenglied an Folge zu liegen kommt. Das ist sicherlich die erste Abschätzung, die bei so einer Einordnung vorgenommen wird. Insofern wird bei der Lokalisierung bzw. Identifizierung eines Folgengliedes gleich mit dessen größtmöglicher Umgebung gearbeitet. In jedem Fall aber fängt die Umgebung eines jeden Folgengliedes bei dessen beiden benachbarten Folgengliedern an. Es ist durch jedes Folgenglied eine Schnittstelle markiert, die die ganze Folge in zwei Teile trennt. Diese Schnittstelle – und mit ihr die beiden angrenzenden Folgenglieder – müssen in jedem Fall realisiert sein, um ein Folgenglied auch richtig einordnen zu können. Jede Umgebung eines Folgengliedes hat diese beiden benachbarten Folgenglieder zu Fixpunkten.

Ansonsten braucht man bei der Realisierung der beidseitigen Umgebungen eines Folgengliedes nicht allzuviel Präzision an den Tag zu legen. Insbesondere brauchen diese Umgebungen dazu nicht explizit in der Reihenfolge ihrer Folgenglieder rekonstruiert zu werden. Man kann mit anderen Worten die einzelnen Folgenglieder einer explizit-materiell vorgegebenen Reihenfolge in ihrer Position innerhalb dieser Reihenfolge identifizieren, ohne deswegen diese Position mit der dieser Position im System der Reihenfolge von Positionen, so wie es von jeder Reihenfolge realisiert ist, entsprechenden Position auch identifiziert zu haben. Dazu würden uns aber ohnehin auch – von dem von uns eingenommenen restriktiven Reflexionsstandpunkt aus – die Möglichkeiten fehlen. Die Positionen der Elemente einer Folgen werden diesem restriktiven Standpunkt zufolge dadurch bestimmt, daß die betreffende Reihenfolge von ihrem Anfang an bis hin zu diesem einen Element neu aufgenommen wird. Wenn man bei dieser Positionsbestimmung soweit wie möglich von dem abstrahieren will, wovon die einzelnen Positionen besetzt sind, dann kann man dies dadurch tun, daß man alle Positionen einer Reihenfolge – pro forma – mit ein und demselben Element besetzt sein läßt.

 

III. - Diese Feststellung führt uns auch wieder auf unsere ursprüngliche Fragestellung zurück, bei der untersucht werden sollte, inwieweit eine Menge, deren Elemente Zeichenfolgen verschiedenster Länge aus ein- und demselben Element sind, geeignet ist, Darstellung der Menge der natürlichen Zahlen zu sein. Richtig ist, daß wir mit dieser Menge eine in Reihenfolge geordnete Menge vorliegen haben, deren aufeinander­folgende Folgenglieder sich – in aufsteigender Folge – jeweils nur um ein weiteres zusätzliches Zeichen dieser einen Art unterscheiden. Natürlich handelt es sich dabei um eine unendliche Menge, nachdem das mit der Ergänzung um ein weiteres Zeichen unbeschränkt fortgeführt werden kann. Wir haben uns die Frage gestellt, inwieweit diese Menge zur Darstellung natürlicher Zahl herangezogen werden kann. Man könnte sich auch fragen, inwieweit diese Menge Darstellung der natürlichen Zahlen „ist“. Man sollte diesbezüglich doch auch deutlich differenzieren.

Zur Darstellung der Menge der natürlichen Zahlen kann eine Menge dann herangezogen werden, wenn sich die Menge der natürlichen Zahlen bijektiv auf diese Menge abbilden läßt, und d.h., wenn jedes Element dieser Menge genau einer natürlichen Zahl zugeordnet werden kann und umgekehrt. Eine Menge von Zeichenfolgen „ist“ dagegen Darstellung der Menge der natürlichen Zahlen, wenn es dieser – wechselseitigen – Zuordnung nicht nur nicht mehr bedarf, sondern wenn diese Zuordnung nicht einmal mehr möglich ist, einfach weil noch keine „natürliche Zahlen“ sind, die zugeordnet werden könnten. Zugang zu den natürlichen Zahlen finden wir bekanntlich nur über ein System von Darstellung, das uns jede natürliche Zahl als bestimmte Zahlzeichenfolge präsentiert. Die Identifizierung zwischen darstellender Zeichenfolge und dadurch dargestellter natürlicher Zahl ist insbesondere in dem allgemein praktizierten Dezimalsystem eine so enge, daß zwischen Zahlzeichenfolge und entsprechender natürlicher Zahl – bewußt – nicht mehr unterschieden wird. Die Realisierung einer bestimmten Zeichenfolge beinhaltet sogleich auch die Realisierung der dadurch dargestellten natürlichen Zahl. Es muß nicht eigentlich mehr etwas getan werden, um von der Zahlzeichenfolge zu der dadurch dargestellten natürlichen Zahl zu finden.

Das ist jedenfalls die Situation, so wie wir sie in dem uns geläufigen Dezimalsystem vorfinden, und so wie wir sie auch in jedem anderen System von Polynom-Darstellung vorfinden würden, sofern von diesem – seit jeher – ein ähnlich exklusiver Gebrauch gemacht worden wäre. Ein Bewußtsein, daß das Dezimalsystem auch nur eines von unendlich vielen - untereinander völlig gleichberechtigten - Systemen von Darstellung ist, konnte sich unter diesen Umständen nicht gut entwickeln. So ist uns in der alltäglichen Praxis die Vorstellung, Zahlen könnten einmal in einem anderen System als im Dezimalsystem ihre Darstellung finden, etwas ziemlich Fremdes. Noch befremdender mag es anmuten, darauf hingewiesen zu werden, daß auch die ganz gewöhnliche Schrift- bzw. Buchstabensprache auch nichts anderes als ein System von Polynom-Darstellung natürlicher Zahlen ist, so daß jeder geschriebene bzw. gesprochene Text – so wie oben herausgestellt – in nichts anderem als einer Folge von natürlichen Zahlen besteht.

Lassen wir einmal die Konsequenzen beiseite, die sich für das Verständnis natürlicher Zahlen daraus ergeben, daß jede dieser Zahlen über unendlich viele Darstellungen in entsprechend vielen – absolut gleichwertigen – Systemen von Darstellungen findet. In der Tat ist diese Erkenntnis geeignet, die enge Identifizierung von Zahl und Zahldarstellung, so wie es uns aus der ausschließlichen Verwendung des Dezimalsystems in der Darstellung natürlicher Zahlen geläufig ist, in Frage zu stellen. Wir haben diesbezüglich vielmehr eine Situation vorliegen, die der Darstellung rationaler Zahlen ähnelt, wo jede rationale Zahl im System der Darstellung dieser Zahlen in Form von Brüchen  durch eine ganze Äquivalenzklasse vertreten ist, wenn zwei rationale Zahlen p/q und r/s äquivalent heißen sollen, falls ps = qr. Diese Besonderheit in der Darstellung rationaler Zahlen macht sich bekanntlich – darauf wird noch im Detail einzugehen sein – nachteilig bei der Konstruktion einer Abbildungsvorschrift, die die hinlänglich als abzählbar nachgewiesenen rationalen Zahlen explizit auch abzählt, bemerkbar. Also, das mit der Darstellung natürlicher Zahlen ist alles andere als eine eindeutige Angelegenheit. Eindeutig ist sie in jedem System, mehrdeutig ist sie im Übergang von einem System zum anderen, vorausgesetzt, es wird in den verschiedenen Systemen auf das gleiche Zeichenmaterial zurückgegriffen, soweit verschiedene Systeme auf das gleiche Zeichenmaterial zurückgreifen können. Bekanntlich unterscheiden sich verschiedene Systeme von Polynom-Darstellungen entsprechend der Größe der gewählten Basis in der Anzahl der verwendeten Zahlzeichen. Man kann diese der Darstellung jeweils zugrundeliegende Zahlzeichenmenge mit anwachsender Basis entsprechend auch fortschreiben, und dann läßt sich eine gewisse Vieldeutigkeit in der Zahldarstellung, je nachdem auf welche Basis wir eine Zeichenfolge beziehen, nicht vermeiden.

Diese Frage soll an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden. An sich wäre der Eindeutigkeit der Darstellung wegen bei jeder Zahldarstellung in Polynom-Darstellung anzumerken, auf welcher Basis diese Darstellung erfolgt. Man tut das nur nicht, und man braucht das auch nicht zu tun, weiß man doch, daß so gut wie ausnahmslos die Darstellung natürlicher Zahlen eine Darstellung nach dem Dezimalsystem, und d.h., eine Darstellung zur Basis 10 ist. Es ist in dieser Situation auch nur sinnvoll, sich in der ausdrücklichen Kennzeichnung der Basis auf die höchst seltenen Ausnahmefälle mit Basis ¹ 10 zu beschränken, und ansonsten von der unausgesprochenen weil für selbstverständlich erachteten Annahme auszugehen, daß – wie immer – auch zur Basis 10 dargestellt wird bzw. dargestellt ist.

 



[23] Es sei dazu wieder auf die allgemeine Formel zur Polynom-Darstellung natürlicher Zahlen in Anmerkung 7     auf Seite 22 verwiesen.

[24] Vgl. D. Hilbert, Die Neubegründung der Mathematik, S. 164 in: Gesammelte Abhandlungen, Band 3, Berlin 1935