1.1.5 Reihenfolge und Sprache 

 

I. - Identifiziert wird jede Zeichenfolge, und d.h. jede Kombination mehrerer – einfacher – Zeichen im System der Darstellung natürlicher Zahlen mit genau – einer – natürlichen Zahl, ohne daß zu dieser Identifizierung allerdings ein neues – ein einfaches – Zeichen gesetzt würde. Es wird also nicht etwa ein neues Zeichen kreiert, bloß um die ganze endliche Folge von Zeichen auch mit einer einzigen Zahl identifizieren zu können. Die Zahl, mit der identifiziert wird, ist natürlich nur eine einzige. Anderes wäre mit der in Fragen von Zahldarstellung notwendig erforderlichen Eindeutigkeit der Darstellung auch nicht zu vereinbaren. Im übrigen auch bedürfte es dann ergänzender Mechanismen, die uns sagen, mit was an Zahl eine bestimmte Zeichenfolge zu identifizieren wäre. Dem Mechanismus zur Produktion aller dieser Zeichenfolgen können solche Informationen jedenfalls – explizit – nicht entnommen werden. Feststeht allerdings schon auch, daß jede dieser Zeichenfolgen nicht nur für diese Zeichenfolge als diese Zeichenfolge sondern für eine ganz bestimmte natürliche Zahl steht. Jede dieser Zeichenfolgen steht also durchaus auch noch für etwas anderes als diese Zeichenfolge als solcher. Im System aller dieser Zeichenfolgen findet sich jede solche Folge gewissermaßen transzendiert zu der dadurch bezeichneten natürlichen Zahl hin. Das spiegelt sich so auch in unserer Wahrnehmung wider. Jede solche Zeichenfolge wird von uns – primär – auch nicht als Folge Zeichen sondern als die dadurch bezeichnete bzw. dargestellte natürliche Zahl wahrgenommen.

   Diese Folgen dienen nicht – nur – der Darstellung ihrer selbst, sondern der Darstellung der natürlichen Zahlen. Die Frage ist, wie diesen Zeichenfolgen das gelingt, bzw. – umgekehrt – die Frage ist, was diese natürlichen Zahlen sind, die auf diese Weise dargestellt sein sollen. Das ist sicher eine berechtigte Frage, auch wenn sie praktisch ohne Bedeutung ist. Man muß sich diese Frage nicht beantworten können, um erfolgreich mit diesen Zahlen umgehen zu können. Dementsprechend drängt sich diese Frage auch nicht unbedingt auf. Sie ist – zunächst jedenfalls – (nur) philosophischer Natur. Das sollte man eigentlich wissen, wenn es heißt, diese oder jene Zeichenfolge würde für diese oder jene natürliche Zahl stehen. Erklärtermaßen dienen diese systematisch entwickelten Zeichen­folgen nicht der systematischen Darstellung dieser Zeichenfolgen, sondern der Darstellung der Menge der natürlichen Zahlen. In ihrer unstreitig immateriellen Realität können diese Zahlen nicht einfach mit bestimmten Zeichenfolgen gleichgesetzt werden in dem Sinne, daß jede einzelne Zeichenfolge eine ganz bestimmte natürliche Zahl „ist“. Eine natürliche Zahl ist offenbar etwas anderes als ein paar in Reihe gesetzte Zeichen. Die einzelnen Zeichen für sich genommen stellen nur unter geometrisch-graphischen Gesichtspunkten etwas dar. Daß sich mehrerer solcher Zeichen in Reihenfolge gesetzt befinden, wertet das einzelne Zeichen diesbezüglich nicht auf. Es erfährt in seiner geometrisch-graphischen Gestalt dadurch keinerlei Veränderungen, und eine sonstige Bedeutung kann diesen Zeichen dadurch auch nicht zufließen.

Solange Zeichen nur mit dem Informationswert besetzt sind, der sich ihrem bloßen optischen Äußeren nach entnehmen läßt, ist der Informationswert solcher in Reihe gesetzter Zeichen gleich der Menge an Informationen, die uns diese einzelnen Zeichen in ihrer Gesamtheit zu vermitteln vermögen. Es kommt durch die Anordnung in Reihenfolge mit anderen Worten kein zusätzliches Moment bzw. Element an Information über das hinaus, was uns jedes einzelne Zeichen auch so zu sagen vermag, hinzu. Es ist in diesem Zusammenhang vielleicht aber auch übertrieben, von Information zu reden, nachdem alle Information in diesem Fall aus dem optisch-graphischen Äußeren der jeweiligen Zeichen besteht. Sind solche Zeichen in Reihenfolge gesetzt, so erfahren diese Zeichen eben eine entsprechende räumliche Anordnung, und so zeigen sich uns dann eben auch diese Zeichen. Die Verbindung dieser Zeichen ist dann eine rein räumliche. Die Zeichen als solche gehen dabei keinerlei Verbindung ein. Sie bleiben isoliert nebeneinander stehen. Auf diese Weise läßt sich kein kommunikatives Element mit diesen Zeichen in Verbindung bringen, und d.h. kein Element, das uns anderes zu sagen vermöchte, als das, was uns diese Zeichen an äußerer Form und Gestalt zu vermitteln haben.

Was mit so einer Reihenfolge womöglich anderes zum Ausdruck gebracht sein soll, als einfach nur eine Reihenfolge von Zeichen in ihrer bloßen Reihenfolge als solcher Zeichen, kann so einer Reihenfolge als solcher nicht entnommen werden. Die Reihenfolge als solche ist von sich aus auch nicht aussagefähig bzw. aussagekräftig. Wenn damit anderes vermittelt sein soll als das, was man optisch-graphisch sieht, dann müßte das den einzelnen Zeichen bzw. den Reihenfolgen, die sich daraus zusammensetzen lassen, zuvor zugedacht werden. Es müßte mit anderen Worten eine Konvention geben, in der festgelegt ist, was uns mit solchen Zeichen bzw. Zeichenfolgen anderes gesagt sein soll, als uns diese Zeichen resp. Zeichenfolgen natürlicherweise von sich aus zu sagen vermögen. Von sich aus haben uns solche Zeichen – ob nun einfach oder in Folge gesetzt – wie gesehen nicht viel zu sagen. Von einer Kommunikation – in der engeren Bedeutung dieses Begriffes Kommunikation – kann dabei keine Rede sein. Kommunikation setzt den Einsatz von Sprache voraus, und Sprache liegt dort vor bzw. setzt dort ein, wo Zeichen nur in vermittelnder Weise Verwendung finden, und das heißt wo Zeichen uns gerade anderes sagen sollen als sich einfach nur selbst zur Darstellung zu bringen.

Darin besteht einfach das Wesen von Sprache, daß durch den Einsatz einiger weniger Zeichen nämlich eine Verständigung über alle nur möglichen Dinge erfolgen kann. Man muß nur wissen, wie zu diesen Dingen in einer bestimmten Sprache gesagt wird, und d.h., welches die Zeichenfolge – will heißen das Wort – in dieser Sprache für die einzelnen Dinge ist. Weiterhin setzt die Kenntnis einer Sprache voraus, daß man Wörter auch zu Sätzen zu verbinden weiß, und d.h., daß man Dinge nicht nur benennen sondern auch in ihrem Verhalten bzw. in ihrer Beziehung zu anderen Dingen zu beschreiben weiß. Der Umgang mit Sprache, die man versteht bzw. beherrscht, ist insoweit immer auch eine technische Angelegenheit. Es gilt dies nur bedingt für den Erwerb von Sprache, und es gilt dies auch nur eingeschränkt für die Ausschöpfung kreativer Möglichkeiten, die jede Sprache auch bereit hält. Man kann mit Sprache bekanntlich auch verschieden geschickt bzw. erfolgreich umgehen. Das hat aber weniger mit Technik, dafür aber umso mehr mit Intelligenz zu tun, und Sprache ist das Intelligenz freisetzende Medium. Intelligenz fängt dort an, wo Kommunikation anfängt bzw. wo Kommunikation möglich wird. Die Dinge werden für uns erst dann wirklich, wenn wir sie auch mit Namen benennen können. Es ist diese Namensgebung der Beginn der Einsicht in das, was das solcherart Bezeichnete „ist“. Es kommt dabei nicht auf die Bezeichnungsweise, sondern – nur – darauf an, daß ein Zeichen bzw. eine Zeichenfolge ist, die uns die damit bezeichnete Realität zur freien – sprachlichen – Verfügung stellt.

Die Dinge werden dadurch für uns, und d.h. für unser Denken bzw. in unserem Denken verfügbar. Es kann dann von diesen Dingen bzw. über diese Dinge gedacht werden. Die Dinge werden dadurch für uns einfach auch transparent. Des weiteren kann aufgrund solcher Namensgebungen über diese Dinge auch kommuniziert werden, und d.h., die Menschen können sich darüber auch austauschen. Gesprochen werden kann nur über das, wofür auch die entsprechenden Bezeichnungen zur Verfügung stehen. Wo es an diesen Bezeichnungen fehlt, kann man sich allenfalls noch mit Umschreibungen bzw. Beschreibungen behelfen, und wo uns auch diese Möglichkeit nicht offensteht, weil wir über keine Sprache im engeren Sinne verfügen, dann haben wir uns anderweitig vermittels aussagefähiger Zeichen zu verständigen. Man kann sich auch gestikulierend zu verständigen versuchen. Die Körpersprache ganz allgemein ist ein durchaus auch aussagekräftiges Medium der Kommunikation. In vielen Dingen ist diese Körpersprache auch sehr viel mitteilsamer als jede auch noch so geschickt formulierte gesprochen-sprachliche Äußerung. Körpersprache ist eine stumme Sprache, und damit ist diese Sprache sehr viel mehr als explizite Sprache darauf angewiesen, daß sie vom Adressaten auch richtig entschlüsselt wird.[22] Und dazu ist Sprache schließlich auch von Natur bzw. – wenn man so will – von Sprache wegen gedacht. Sprache dient – vor allem – dem Dialog und – weniger – dem Monolog, wenn wir sie denn – und das scheint so – auch zum Dialog, und d. h. zum (Nach-)denken benötigen.

 

II. - Wir können uns bei Körpersprache nicht sicher sein, ob das, was wir – bewußt oder auch unbewußt – damit sagen wollten, beim – gezielt gesuchten oder auch nur zufällig sich einstellenden – Adressaten dieser Botschaft auch so ankommt, wie es dort nach Möglichkeit auch ankommen sollte – oder aber auch nicht ankommen sollte. Körpersprache ist insofern gegenüber gesprochener bzw. geschriebener Sprache eine sehr viel offenere Sprache als man sich in dieser Körpersprache nicht verstellen bzw. bedeckt halten kann. Man muß bei Körpersprache auch unterscheiden zwischen bewußt gestalteter und unbewußt vollzogener Körpersprache. Sofern Körpersprache bewußt vollzogen ist, unterscheidet sie sich – prinzipiell – von explizit gesprochener Sprache nicht. Auch diese Sprache ist letztlich auch nur eine Form von Körpersprache und umgekehrt.                     Die mögliche Übersetzung in Schriftform, das zeichnet gesprochene Sprache gegenüber allen anderen Formen von Körpersprache aus. Das, was in geschriebener Sprache festgehalten werden kann, läßt sich mehr oder weniger genausogut auch in Körpersprache übersetzen. Als Beleg dafür kann uns die Blindensprache dienen, die allein eine Sprache von Gestik bzw. – eingeschränkt – auch Mimik ist und uns gleichwohl auch alles ausdrücken hilft, was uns gesprochene Sprache sagen läßt. Zwischen geschriebener und gesprochener Sprache besteht ebensowenig eine natürliche Beziehung wie zwischen sprachlichen Zeichen jedweder Art und dem dadurch Bezeichneten. Es gibt keine natürliche Beziehung zwischen graphischer Darstellung und akustischer Artikulation bzw. umgekehrt. Diese Beziehung beruht – ganz im Gegensatz zu Körpersprache – in jedem Fall auf Konvention. Man ist bei gesprochener Sprache – natürlich immer – (wenn vielleicht auch nur ganz unbewußt) körpersprachlich tätig. Man kann in gesprochene Sprache ganz bewußt auch sehr viel an Körpersprache "hineinlegen". Und eine ganze Menge – unbewußter – Körpersprache ist in gesprochene Sprache so oder so immer investiert. Das ist eine ganz andere, eine zusätzliche Kommunikationsschiene, die dabei immer auch bedient wird. Das spielt dann alles schon ins  Metaphysische bzw. – präziser formuliert – es spielt dann auch im Metaphysischen. Es kommt bei (gesprochener) Sprache nur darauf an, daß – ob akustisch oder optisch – Zeichen gesetzt werden und daß diese Zeichen in dem, was damit bezeichnet sein soll, auch allgemein verstanden werden. Die kommunikative Natur und der kommunikative Zweck von Sprache hängt allein daran. Natürlich muß das, was mit einem Zeichen bezeichnet sein soll, zuvor in einer Konvention, und d.h., in einer Absprache unter all denjenigen, die sich dieses Zeichensystems zu bedienen haben, bzw. zu bedienen gedenken, festgelegt werden.Und das gilt natürlich auch für die Auswahl von Zeichen, die für diese Zwecke Verwendung finden sollen, mit ein.

Fest steht bei der Entwicklung eines solchen Projektes – Sprache genannt – nur das, was damit erreicht sein soll. Erreicht sein soll damit insbesondere, daß auf einzelne Dinge des gegenständlichen Universums mit einem – akustischen oder auch graphischen – sprachlichen Zeichen bzw. einer entsprechenden Zeichenfolge einfach nur verwiesen werden kann. Man soll sich auf bloßer Zeichenebene einfach über bestimmte Dinge austauschen können, ohne in diesen Dialog die Dinge selbst dabei in irgendeiner Form – materiell – einbeziehen zu müssen. Der Dialog über diese Dinge soll mit anderen Worten nicht vermittels dieser Dinge selbst geführt werden müssen. Das würde im übrigen auch unserer Dialogfähigkeit außerordentliche enge Grenzen setzen. Und selbst wenn uns diese Grenzen nicht gesetzt wären, und d.h., wenn problemlos mit den Dingen nach Belieben materiell umgegangen werden könnte, ein kommunikativer Dialog, und d.h. ein Dialog, bei dem über den dabei stattfindenden Informationstransfer nicht nur gesprochen wird, sondern bei dem dieser Transfer auch hinterfragt werden kann, läßt sich auf diese Weise nicht führen. Dieser Dialog wäre ohne jede reflexive Komponente. Damit entfällt auch die Möglichkeit, sich das, was man sieht, auch erklären zu können. Man kann sich auf diese Weise anderen gegenüber nicht in irgendwelchen Erklärungen dessen, was sich beobachten läßt, üben.

Man kann durch solche Beobachtungen auch zu gewissen Einsichten darüber kommen, was zu tun ist, damit sich bestimmte Beobachtungen wiederholen. Zur Entwicklung entsprechender Einsichten bedarf es offenbar nicht der Fähigkeit zu Sprachentwicklung und Sprachgestaltung, wie man dem Verhalten der Tierwelt entnehmen kann, die offensichtlich nicht sprachfähig ist, durchaus aber Verhaltensweisen entwickelt, die auf die Reproduktion bestimmter natürlicher Abläufe setzt. Solche Erfahrungen können gesammelt werden, ohne sich dieselben auch gleich erklären zu können. Wenn man nur auf Reproduktion setzt, muß man sich diese Erfahrungen auch nicht erklärt haben können. Es kommt dann nur auf das Wissen darüber an, daß bestimmte Aktionen einen bestimmten Effekt zeitigen. Diese Erfahrungen haben mit dem Wissen um den zeitlichen Zusammenhang von Aktion und darauffolgender Reaktion zu tun.

So etwas ist sicherlich keine rein sinnliche Angelegenheit mehr. Allerdings bedarf es zu ihrer Realisierung auch bloß des Bewußtseins eines bestimmten zeitlichen Nacheinanders von Aktion und Reaktion. Das beinhaltet sicherlich auch eine erste Stufe bzw. Qualität gedanklicher Reflexion; man kann aber nicht sagen, daß deswegen auch Verstandeskräfte geweckt sein müßten. Man muß solche Erfahrungen beispielsweise nicht im Sinne kausaler Beziehungen zwischen Aktion und Reaktion deuten wollen bzw. deuten müssen, um solche Erfahrungen auch realisieren und davon dann entsprechend auch Gebrauch machen zu können. Das gilt nicht für menschliche Individuen, die an solche Erfahrungen natürlich mit dem Einsatz ihrer Verstandeskräfte herangehen. Auch dabei wird ein Dialog mit den den betreffenden Erfahrungen zugrundeliegenden natürlichen Prozessen geführt. Man versucht einfach immer besser zu verstehen, was dabei im einzelnen vor sich geht, und das kann man auch nur in Erfahrung bringen, indem man sich auf die Dinge entsprechend auch einläßt. Die Frage ist, inwieweit diese Einlassungen notwendig den Einsatz von Sprache zur Voraussetzung haben. Die Frage ist einfach auch die, inwieweit sich uns eine vertiefte Einsicht in die Dinge nur über das Medium Sprache erschließt. Die Frage ist auch die, inwieweit der diese Einsicht ermöglichende Verstand dabei auf Sprache angewiesen ist. Kann – so wäre die Frage – nur im Medium einer Sprache gedacht werden? Ist jede Form von Erkenntnis bzw. Wissen sprachabhängige Erkenntnis bzw. Wissen? Ist Bewußtsein und ist Verstand nur dort möglich, wo auch eine Sprache ist, in dem sich Bewußtsein bzw. in der sich Verstand artikulieren kann? Kann man von Sprache nicht nur in gesprochener oder geschriebener Form, sondern auch in gedachter Form Gebrauch machen? Macht man beim Denken von Sprache vielleicht sogar notwendig in dieser Form Gebrauch?

Von einer Position – wie dem menschlichen Bewußtsein – aus, die von ihrer Sprachbegabung nicht abstrahieren kann, weil sie diese Begabung zu einer – gewissermaßen – nicht verlierbaren Fähigkeit hat, sind das sicherlich schwierig zu beantwortende Fragen. Fest steht, daß eine Verständigung zwischen Menschen über Dinge – welchen Inhaltes auch immer – in effizienter weil – wenn man so will – nachprüfbarer bzw. hinterfragbarer Weise nur durch den Einsatz von Sprache möglich ist. Man kann dann nicht einfach nur auf stumme Vorführung setzen. Sprache im engeren Sinne läßt sich auch nicht durch Körpersprache ersetzen. Körpersprache kann eine sehr dichte, ausdrucksstarke Form eines Sich-Mitteilens sein. Insofern als Körpersprache in ihrem zeichenhaften Charakter verstanden sein will, um auch verstehen zu können, was damit zum Ausdruck gebracht sein soll, unterscheidet sich Körpersprache in nichts auch von expliziter Sprache. Beide Formen von Sprache unterscheiden sich nur darin, daß Körpersprache in dem von dieser Sprache verwendeten Zeichensystem weder ihrem Umfang noch ihrer expliziten Gestalt nach festgelegt ist. In ihrer Zeichennatur ist Körpersprache auf sehr viel größere Vielfalt angelegt als jede „gewöhnliche“ Sprache.

Damit besteht in der Entschlüsselung von Körpersprache immer auch ein gewisser Interpretationsspielraum. Man kann sich nie ganz sicher sein, was damit eigentlich genau zum Ausdruck gebracht sein soll. Man kann nicht sagen, was damit gesagt sein soll. Wenn man erst einmal über eine explizite Sprache verfügt, dann weiß man natürlich, was beispielsweise einer Körpersprache fehlt, und das heißt, was mit einer Körpersprache nicht kundgetan werden kann. Umgekehrt wird aus der bloßen Fähigkeit zur Körpersprache sich kein Bewußtsein weiterreichender sprachlicher Möglichkeiten entwickeln lassen. Sprache ist mit anderen Worten kein mögliches Objekt von Spekulation, einer Spekulation, bei der man sich auszumalen versuchte, wie zweckmäßig so etwas wie Sprache wäre. Man kann keine Vorstellung von Sprache entwickeln, ohne dabei nicht zugleich und sogleich auch von den Vorzügen dieser Sprache Gebrauch zu machen.

Das hängt einfach – um insoweit auch die vorhin gestellten Fragen zu beantworten – mit der intelligenzsetzenden bzw. intelligenz­begründenden Funktion von Sprache zusammen. Sprache ist nicht einfach nur Instrument zur Beschreibung von Erkenntnis, es ist auch ein Instrument zur Entwicklung von Erkenntnis. Eine Analyse des Phänomens Sprache, die sich auf die Beschreibung bzw. Formalisierung grammatikalischer Strukturen beschränkt, verfehlt notwendig das Wesen von Sprache. Sprache ist nicht einfach nur dieses Regelwerk, das uns sagt, wie Sätze aussehen können, und wie nicht. Sprache läßt sich nicht auf Syntax reduzieren. Sätze erhalten ihre sprachliche Bedeutung erst durch das, was mit ihnen bedeutet sein soll. Das hat natürlich auch mit der grammatikalischen Gestalt eines Satzes zu tun. Es hat primär aber damit zu tun, welches die Bedeutung der einzelnen Wörter und d. h. der aus den Buchstaben des Alphabetes einer Sprache – des Alphabetes aller Sprachen – gebildeten endlichen Zeichenfolgen, aus denen sich ein Satz aufbaut, ist.  Diese Bedeutung kommt den einzelnen Wörtern – wie gesagt – nur per Konvention zu. Diese Konvention ist für jedes einzelne zu Bezeichnende getrennt vorzunehmen. Es gibt kein Programm und auch kein Verfahren, das uns diese umfangreiche und umfassende Aufgabe der Bezeichnung von allem, was es in einer Sprache mit einem eigens dafür zu setzenden Wort zu bezeichnen gibt, abnehmen oder auch nur erleichtern könnte.

Eine Sprache erlernen heißt auch sich alle diese Bezeichnungen anzueignen, die eine jede Sprache für alles üblicherweise in einer Sprache und von einer Sprache zu Bezeichnende bereit hält. Man muß einfach wissen, wie man in einer Sprache zu diesem oder jenem sagt. So etwas muß man sich Wort für Wort aneignen. Das Bemerkenswerte dabei ist, daß eine jede Sprache dafür mit nur endlich vielen Zeichen auskommt. Die Wörter, aus denen sich der Wortschatz einer Sprache zusammensetzt, sind in jedem Falle einer endlichen Menge von Zeichen entnommen. Jedes Wort einer Sprache besteht aus endlich vielen in Reihenfolge gesetzten Zeichen aus einer vorgegebenen endlichen Menge von Zeichen, wobei einzelne Zeichen auch wiederholt gesetzt werden können.

 

III. - Das ist eine Situation, wie wir sie von der Darstellung natürlicher Zahlen her kennen. Auch jede natürliche Zahl findet in jedem System von b-al-Darstellung ihre Darstellung in einer Folge endlich vieler Zeichen aus einer vorgegebenen Menge endlich vieler einfacher Zeichen, wobei auch hier einzelne Zeichen wiederholt gesetzt werden können. und – zur Darstellung aller natürlichen Zahlen – in allen nur möglichen Kombinationen auch wiederholt gesetzt werden müssen. Das System zur Darstellung natürlicher Zahlen ist bekanntlich ein vollständiges System in dem Sinne, das es keine endliche Zeichenkombination aus der vorgegebenen Menge von Zeichen gibt, die nicht eine ganz bestimmte natürliche Zahl darstellen würde. Jede Sprache ist in diesem Sinne dagegen alles andere als vollständig, und auch alle Sprachen zusammengenommen reichen an eine solche Vollständigkeit bei weitem nicht heran.

Das ist insofern ein bemerkenswerter Befund, als jede Sprache doch über einen beachtlichen Wortschatz verfügt, und ein und dasselbe Objekt in jeder Sprache anders heißt. Tatsächlich aber wird von jeder Sprache nur ein Bruchteil dessen ausgeschöpft, was ihr an sich an Möglichkeiten zur Wortschöpfung offenstünde. Gewisse Grenzen bei dieser Wortschöpfung sind einer Sprache aber schon auch dadurch gesetzt, daß Sprache schließlich auch gesprochen sein will, und die einzelnen Sprachzeichen in ihrer akustischen Übersetzung nicht – so wie bei geschriebener Anordnung – einfach nach Belieben kombiniert werden können. Es gibt diesbezüglich gewisse Anforderungen an die akustische Kontinuität der einzelnen Wörter einer Sprache, so wie sie sich nur durch einen regelmäßigen Wechsel von sogenannten Vokalen und Konsonanten verwirklichen läßt. Aber auch unter Berücksichtigung dieser Einschränkung werden von keiner Sprache und werden von allen Sprachen insgesamt die ihr bzw. ihnen zustehenden Möglichkeiten der Wortbildung keineswegs ausgeschöpft.

 Die – graphischen – Zeichen, so wie sie zur Darstellung der Wörter einer Sprache verwendet werden, können auch dazu verwandt werden, die Menge der natürlichen Zahlen darzustellen. Wir müssen uns dazu diese Zeichen nur in eine Reihenfolge gesetzt denken, wofür sich natürlich die Reihenfolge anbietet, in der diese Zeichen im Alphabet einer Sprache immer schon angeordnet sind. Dann finden zur Darstellung aller natürlichen Zahlen auch alle möglichen Kombinationen aus diesen Zeichen des Alphabetes einer Sprache auch Berücksichtigung. Jedes Wort einer jeden Sprache läßt sich dann mit einer natürlichen Zahl identifizieren bzw. es stellt jedes Wort eine solche natürliche Zahl dar. Der Wortschatz einer Sprache insgesamt kommt dann einer Teilmenge der Menge der natürlichen Zahlen gleich. Damit ist der Wortschatz einer jeden Sprache schon mal als eine abzählbare Menge nachgewiesen. Geht man von einer maximalen Länge der Wörter einer jeden Sprache aus – und das ist auch so – dann ist der Wortschatz einer jeden Sprache zudem ein endlicher. Das muß wohl aber auch so sein, ist doch der Wortschatz einer Sprache ganz individuell Wort für Wort festgelegt und das könnte bei einer unendlichen Menge, wie wir wissen, nicht gut funktionieren.

Es gibt kein einziges Wort einer Sprache, das mit der ihm zukommenden Bedeutung nicht einmal per Konvention ausgestattet worden wäre. Für diese Zuordnung von Bedeutung zu Wort bzw. von Wort zu Bedeutung gibt es – wie gesagt – keinen Mechanismus und gibt es kein System. Es steht uns allerdings frei, in jedem Wort einer Sprache diejenige natürliche Zahl zu sehen, die dieser Zahl in einem System von Darstellung entspricht, das sich des Alphabetes dieser Sprache als entsprechender (Zahl-)zeichenmenge bedient. Wenn man weiß, daß in jedem System von Darstellung natürlicher Zahlen zwischen Zahl und Darstellung nicht eigentlich unterschieden wird, so kann auch in jedem geschriebenen – oder auch gesprochenen – Text einer jeden Sprache nach erfolgtem Übergang in das entsprechende System von b-al-Darstellung natürlicher Zahlen nichts anderes als eine Folge natürlicher Zahlen gesehen werden. Jeder Text besteht dann in nichts anderem als einer durch bestimmte Satzzeichen gegliederten Folge von natürlichen Zahlen, sofern der Text in geschriebener Form vorliegt.

Die Ausführungen dieses Abschnittes zur Körpersprache sind dazu gedacht, den – sprachqualitativen – Kontrast zwischen den konkurrierenden Modellen in der Darstellung natürlicher Zahlen herauszustellen. Zahldarstellung ist Teil auch einer jeden Sprache. Im Ein-Zeichen-System von Philosophie (und Mathematik) gibt es dafür nur nicht auch eine gesprochene und damit auch lesbare Übersetzung. Es gibt für die einzelnen Zahlen dieses Systems in keiner Sprache auch eine Bezeichnung und d. h. (Zahl-)wort. Gelesen werden könnten Zahlen in diesem System von Darstellung nur so, daß das Wort für das – eine – Zeichen, das in diesem System ausschließlich zu Zwecken von Zahldarstellung Verwendung findet, so oft ausgesprochen wird, wie dieses Zeichen im Einzelfall gesetzt ist. Mit Sprache hat das nichts – mehr – zu tun. Sprache definiert sich nicht über Anzahl sondern über Vielzahl gesetzter Zeichen. Käme es nur auf Anzahl an, dann müßte immer auch abgezählt bzw. mitgezählt werden. Sprache würde nicht mehr von sich aus zu uns sprechen; es würde uns damit nur das Material geliefert, das es von uns dann erst zu entschlüsseln gelte. Und so gesehen hätten wir es dabei mit – einer Form von – Körpersprache zu tun. Es läßt sich auch keine Zwischenlösung denken, die sich zwischen – regulärer – Sprache auf der einen Seite und – freiem – Körperspiel auf der anderen Seite schieben könnte. Beide Bezugsgrößen sind von einer unverwechselbaren Qualität, die sich nicht abstufen läßt, auch wenn sie in gesprochener Sprache miteinander vermengt in Erscheinung treten. . Das, was nicht an klassische Sprache heranreicht, ist deswegen auch weit unterhalb dieser Sprachform anzusiedeln. Das Modell der natürlichen Zahlen in Philosophie und Mathematik steht insofern Körpersprache näher als klassischer Sprache. Die von diesem Modell gesprochene Sprache ist – genauso wie Körpersprache – eine stumme Sprache.



[22] Das Phänomen Körpersprache wird ausführlich vom Autor behandelt in „Das kausale Band“, Teil 2: Der Körper der Aktion und die Aktion des Körpers.